Aggregatore Risorse

Einzeltitel

Ausgezeichnete Beziehungen und dennoch „schleichende Entfremdung“?

di Dr. Antje Ehrhardt Pioletti
Welche Impulse können sich aus einer stärkeren deutsch - italienischen Zusammenarbeit ergeben?

Aggregatore Risorse

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien werden auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene als ausgezeichnet angesehen: Es finden regelmäßige bilaterale Treffen auf Regierungsebene statt; die Staatsoberhäupter beider Länder tauschen sich regelmäßig aus; es gibt einen regen Meinungsaustausch zwischen den Parlamentariern; vergleichsweise viele diplomatische Vertretungen pflegen diese Beziehungen. Ein umfangreicher Handelsaustausch bezeugt, dass beide Länder füreinander entscheidende Handelspartner sind.

Deutschland ist auch im Jahr 2008 für Italien der wichtigste Handelspartner: 12,9 % der italienischen Exporte gehen nach Deutschland, 16,9 % der Importe kommen aus Deutschland. Der 2007 zu beobachtende leichte wirtschaftliche Aufschwung in Italien (+ 1,5 %) hat auch im bilateralen Handel Auswirkungen gezeigt: Die Importe aus Deutschland steigen um 5,3 % gegenüber dem Vorjahr, die Exporte nach Deutschland, erhöhen sich um 5 % gegenüber 2006.

Sowohl Deutschland in Italien, als auch Italien in Deutschland unterhalten eine außerordentlich große Anzahl von kulturellen Institutionen. Hier sei nur kurz an die fünf wissenschaftlichen Institute erinnert, an das Deutsche Archäologische Institut und die Bibliotheca Hertziana in Rom, das Kunsthistorische Institut in Florenz und das Deutsche Historische Institut und Studienzentrum in Venedig. Neben sieben Goethe-Instituten (Rom, Neapel, Palermo, Mailand, Turin, Genua, Triest), drei Deutschen Schulen (Rom seit 1851, Mailand, Genua) ist vor allem die deutsch-italienische Begegnungsstätte Villa Vigoni zu nennen.

Bei so vielseitigen Beziehungen, vor allem wegen ihrer historischen Verwurzelung und ihres europäischen Kontextes, ist es selbstverständlich geworden, von einem wirklich guten Verhältnis beider Länder zueinander auszugehen.

Im Gegensatz dazu steht die kontroverse These einer „schleichenden Entfremdung“ der beiden Länder seit den neunziger Jahren. Die Debatte zeigt bei allem Für und Wider, dass es ein großes Bedürfnis gibt, die Art und Weise, wie sich Italien und Deutschland begegnen, neu zu beleuchten.

Beide Länder haben sich in den neunziger Jahren verstärkt der Innenpolitik widmen müssen: Deutschland hatte die Wiedervereinigung wirtschaftlich und politisch zu bewältigen; Italien musste seinen Staatshaushalt sanieren, um den Maastrichtkriterien entsprechen zu können, in einem Moment, in dem zahlreiche Korruptionsfälle zu einer moralischen Krise führten, die die Auflösung und Umbenennung der bisherigen großen Parteien und die Bildung von neuen Parteien bewirkte.

Hierbei sind das Verschwinden der Democrazia Cristiana, des Partito Socialista Italiano, das Erstarken von Forza Italia, das Entstehen kleinerer katholischer Parteien aus dem Erbe der DC, die mit neuem Namen legitimierte ehemalige postfaschistische Partei Alleanza Nazionale und der neue Name Partito Democratico der ehemaligen kommunistischen Partei nur äußere Zeichen eines Prozesses, in dem eine ganze politische Klasse darum bestrebt ist, unter veränderten politischen Bedingungen in der Politik zu bleiben.

Berlusconi, dem großen Neuling in der italienischen Politik seit den neunziger Jahren, wird vom Ausland her viel Skepsis entgegengebracht, weil er seine ganz auf ihn zugeschnittene Partei Forza Italia mit Hilfe seines Medienimperiums an die Macht gebracht habe und damit eine Gefahr für die Regeln einer parlamentarischen Demokratie darstellen könnte.

Schon das Wechseln der politischen Ansprechpartner erschwert im Folgenden den Dialog; Italien erlebt eine Phase einer Umstrukturierung seines traditionellen politischen Systems, in der sich auch die politischen Parteien in ihren Kontakten neu orientieren müssen. Dieser Prozess ist nach wie vor im Gange mit der Perspektive, dass die nationalen Parteien auf europäischer Ebene zu politischen Familien zusammenfinden; die Veränderungen in der italienischen Parteienlandschaft einerseits und das Zusammenwachsen der nun vereinten Teile Deutschlands andererseits bewirken jedoch eine Verzögerung dieser Entwicklung.

Hinzukommt, dass Italien Vorbehalte gegenüber einer raschen deutschen Wiedervereinigung zum Ausdruck gebracht hatte, und dass ein Dissens zwischen beiden Ländern entsteht in der Diskussion um eine Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, beides Themen, die die bilateralen Beziehungen jedoch nicht nachhaltig überschatten, weil einerseits die deutsche Politik durch Kontinuität Bedenken aus dem Wege räumt und andererseits die Frage nach einem Sitz im UN – Sicherheitsrat ohnehin nicht von beiden Ländern allein gelöst werden kann und deshalb vorerst aufgeschoben wird.

Warum kommt es aber spätestens seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre nicht mehr ausdrücklich zu gemeinsamen Initiativen wie denjenigen, die Italien und Deutschland in den vorausgegangenen Jahrzehnten im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses unternommen hatten und dank derer nicht zuletzt die Idee eines vereinigten Europas zur Überwindung des Zweiten Weltkrieges auf den Weg gebracht worden war?

Es ist zu beobachten, dass sich gegenwärtig im Europa der 27 mögliche Alleanzen je nach politischer Tagesordnung ändern; wenn es um Klimaschutz geht, ist es noch relativ leicht, Einigkeit zu erzielen; in der Frage der Erweiterung der EU z.B. im Hinblick auf die Türkei beginnen sich die Geister zu scheiden. Das Beispiel der Irak – Krise hat gezeigt, dass die EU noch weit von einer gemeinsamen Aussenpolitik entfernt ist, abgesehen davon, dass sie auch ein Beispiel dafür ist, wie sehr die Positionen Deutschlands und Italiens voneinander abweichen können. Dass die große Gruppe von 27 europäischen Partnerländern wirklich einen gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringt, scheint ein noch in der Ferne liegendes politisches Ziel zu sein, zumal andere Länder, wie z.B. Russland, weiterhin aus ebenfalls nationalen Interessen den Schwerpunkt auf bilaterale Beziehungen mit den einzelnen europäischen Ländern setzen. Jedoch bringt die einstimmige europäische Reaktion auf die Georgienkrise den Willen zur Gemeinsamkeit zum Ausdruck. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Tendenz, Alleanzen innerhalb der 27 zu suchen aus vermeintlicher tagespolitischer Notwendigkeit, Gefahr läuft, an eine überholte Bündnispolitik zu erinnern.

Innerhalb der EU, garantiert durch stabile Institutionen, haben also nationale Interessen immer noch ein großes Gewicht, was sich natürlich besonders in wirtschaftlicher und energiepolitischer Hinsicht zeigt. Über Maßnahmen zur Bewältigung der internationalen Finanzkrise wird auf nationaler Ebene beraten und entschieden; jedoch suchen die europäischen Regierungschefs auch nach gemeinsamen Lösungen. Ein Beispiel ist der Finanzgipfel in Paris im Oktober 2008, bei dem bemerkenswerterweise neben Frankreich, Großbritannien und Deutschland auch Italien vertreten war.

Die Notwendigkeit, Probleme zu bewältigen, die zwar von nationalem Interesse sind, die aber im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr von einem Land gelöst werden können, schafft demnach die Voraussetzungen für die Suche nach einem gemeinsamen Vorgehen.

Ihrem politischen Selbstverständnis nach begreifen Italien und Deutschland sich heute selbstverständlich als Partner in der Europäischen Union. Das ist die eine Seite, der institutionelle Rahmen, in dem die guten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen stattfinden. Die Debatte, die die kontroverse These einer „schleichenden Entfremdung“ in Bewegung gebracht hat, zeigt jedoch, dass in der Begegnung der beiden Länder auch Argumente wie die Sorge vor deutscher Arroganz und Anmaßung gegenüber italienischer Unzuverlässigkeit und Deklassierung eine Rolle spielen.

Es ist dieser Diskussion zu verdanken, dass diese auf der großen politischen Bühne nicht aussprechbaren gegenseitigen Wahrnehmungen ein Forum gefunden haben, wo sie in Worte gefasst werden können. Nur wenn historisch überkommene Vorurteile in einer wissenschaftlichen Debatte beleuchtet werden, verlieren sie ihre trennende Kraft, was erst den Weg zu einem wirklich partnerschaftlichen Dialog öffnet.

Dass sowohl deutsche als auch italienische Medien in Berichten über das jeweils andere Land Stereotypen fortleben lassen können, bringt auch zum Ausdruck, wie wenig die Bevölkerungen der beiden Länder im Grunde voneinander wissen. Das Wissen über ein europäisches Nachbarland ist dabei nicht etwas Statisches, etwas, was einmal erlangt werden kann. Es verändert sich kontinuierlich, so wie die Lebenssituation im eigenen Land. Erst wenn es in Europa ein normaler Punkt der Tagesordnung sein wird, z.B. bei einem Thema wie Gesundheitsreform über die eigenen Grenzen hinauszuschauen, und sich mit den Erfahrungen anderer europäischer Länder auszutauschen, wird die Idee „Europa“ mit neuem Leben erfüllt werden. Gerade zu einem Thema wie Gesundheitsreform könnten Deutschland und Italien sich gewinnbringend austauschen. Beide haben unterschiedlich strukturierte Gesundheitswesen, in denen staatliche Versorgung und private Beteiligung verschieden gewichtet sind. Deutschland geht mit der Einführung des Gesundheitsfond und des Hausarztmodells einen Weg, von dem zu prüfen wäre, welche Erfahrungen Italien mit einem ähnlichen Modell gemacht hat. Klassische innenpolitische Themen wie Sozial-, Arbeits-, Renten-, Finanz-, Bildungs-, Energie- und Justizpolitik gewinnen eine ganz andere Dimension, wenn die Diskussionen auf nationaler Ebene den Blickwinkel der europäischen Perspektive miteinbeziehen.

Die deutsch-italienische Begegnung steht in einem europäischen Kontext. Dass der Vertrag von Lissabon durch die irische Bevölkerung abgelehnt worden ist, zeigt einmal mehr, dass Europa nicht nur von oben institutionell aufgebaut werden kann sondern auch von unten gelebt werden muss.

In Triest sind im November 2008 im Rahmen der Deutsch – Italienischen Regierungskonsultationen zwei Maßnahmen beschlossen worden, die wesentlich dazu beitragen können, dass die gegenseitige Wahrnehmung sich verbessern wird: Eine italienisch-deutsche Historikerkommission wird ins Leben gerufen, um Licht in die schwierigen Jahre ab 1943 bringen, in denen sich die deutschen Truppen aus Italien zurückzogen. Damit kann begonnen werden, die Schatten, die die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges in den Gedächtnissen der Bevölkerungen hinterlassen haben, aufzuspüren. Die Arbeit des deutsch-italienischen Begegnungszentrums Villa Vigoni soll verstärkt werden. Hierbei wird besonders an eine Intensivierung des Jugendaustauschs gedacht.

Gerade durch einen intensiveren Dialog von Jugendlichen wird es möglich sein, breite Bevölkerungsgruppen zu erreichen, und sie am Leben im europäischen Nachbarland ganz selbstverständlich teilnehmen zu lassen. Ähnliche Programme vor allem mit Frankreich, Israel, dann auch mit Polen und Russland haben gezeigt, in welch erheblichen Maße der Jugendaustausch zum Abbau von Vorurteilen, zur Verbreitung von Kenntnissen über das Nachbarland und zum Erlernen der Sprache anregt.

Um der europäischen Idee neues Leben zu verleihen, müssen die Gesellschaften der Nachbarländer zusammenwachsen – auf allen Ebenen. Gerade in dieser Hinsicht können Deutschland und Italien wesentliche neue Impulse auf dem Weg der europäischen Einigung geben. Norditalien und der Süden Deutschlands gehören schon jetzt zu den wirtschaftlich am vernetzesten Regionen Europas. Ein verstärktes Bemühen um das Vermitteln von Informationen über das Nachbarland weckt Neugier, eröffnet neue Möglichkeiten und gerade jungen Menschen eine europäische Perspektive. Hierbei kommt der Arbeit der von beiden Ländern unterhaltenen Kulturinstitute große Bedeutung zu, sowie auch dem Zusammenführen von Schulen und Hochschulen mit gemeinsamen Forschungsprojekten.

Wichtiges Netzwerk für die Förderung von Deutsch an italienischen Schulen sind die insgesamt über 20 Partnerschulen (PASCH), zu denen neben den drei Deutschen Schulen (mit insg. 2500 Schülern) 12 DSD-Schulen, 5 Schulen mit bilingualer Abteilung und 5 GI-Partner¬schulen gehören. Insgesamt lernten an italienischen Schulen im Schuljahr 2007/2008 rund 350.000 Schüler Deutsch (zumeist als zweite oder dritte Fremdsprache), eine Zahl, die sich erhöhen sollte.

Seit 2004 berät in Rom ein Informationsbüro des DAAD italienische Studierende, junge Wissenschaftler und Professoren über das deutsche Hochschulsystem, Studien- und For¬schungsmöglichkeiten sowie Stipendien.

Das binationale Deutsch-Italienische Hochschul¬zentrum (DIH) mit Geschäftsstellen in Bonn und Trient berät über deutsch-italienische Studiengänge und Graduiertenkollegs und organisiert im zweijährigen Rhythmus Deutsch-Italienische Hochschultage.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung kann durch eine verstärkte Stipendienvergabe an italienische Studenten, an junge Wissenschaftler, sowie auch an angehende Journalisten der dt.-ital. Begegnung wesentliche neue Impulse geben. In ihrer Arbeit kann das Angebot der Vermittlung von Praktika für junge Studienabsolventen wesentlich zum Ausbau der gegenseitigen Kontakte beitragen. Auch die Durchführung von gemeinsamen Seminaren mit deutschen und italienischen Studenten fördert den Ausbau des Dialogs. Das Bildungszentrum Cadenabbia könnte hierbei zu einer Drehscheibe des dt.-ital. Jugendaustauschs werden.

Natürlich tragen auch die religiösen Bildungswerke, die kirchlichen Begegnungen, sowie die Handelskammern, aber auch z.B. gemeinsames Musizieren von Orchestern und Chören, die Nutzung des Internet und jede private kulturelle Initiative zu einer Begegnung beider Länder bei: Das weltweit präzedenzlos dichte Netz der knapp 40 deutsch-italienischen Kulturgesell¬schaften ermöglicht es, Kulturangebote sowie die Spracharbeit auch in die Provinz zu tragen.

Gerade zwei Länder wie Italien und Deutschland, die in ihrer Geschichte auf mehr Gemeinsames als auf Trennendes zurückblicken, können hiermit einen wichtigen neuen Impuls für den Prozess der Bildung eines europäischen Bewusstseins geben, indem sie eine größere Vernetzung ihrer Bevölkerung anregen.

Politisches und wirtschaftliches Handeln geschieht immer aus einem persönlichen Horizont heraus, der sich an einer für ihn interessanten Perspektive orientiert.

Je zahlreicher die Ebenen sind, auf denen sich Deutschland und Italien begegnen, desto mehr Voraussetzungen sind dafür gegeben, dass sich gemeinsame Sichtweisen entwickeln können, die wiederum gemeinsame politische und wirtschaftliche Strategien hervorbringen können. Auch wenn die beiden Länder sich in den neunziger Jahren zeitweilig etwas aus dem Blick verloren hatten, so liegt in ihrem dennoch guten Verhältnis das Potenzial, dem Prozess der europäischen Einigung neue Impulse zu vermitteln.

Aggregatore Risorse

comment-portlet

Aggregatore Risorse