Reportage sui paesi
Die technische Regierung von Premierminister Mario Monti hatte Anfang Dezember 2012 ihre Mehrheit verloren, weil die Partei „Popolo della Libertà“ (dt. „Volk der Frei-heit) von Silvio Berlusconi ihr die Unterstützung im Parlament aufkündigte. Die ohnehin für das Frühjahr vorgesehenen Neuwahlen zur Abgeordnetenkammer und zum Senat mussten vorverlegt werden. Nun wird in Italien am 24. und 25. Februar 2013 gewählt.
Jetzt, rund zwei Wochen vor den Wahlen, trat in Italien ein Moratorium für Umfragen in Kraft. Auch wenn sich in den verbleibenden vierzehn Tagen Wahlkampf noch einiges ändern kann, deuten die letzten Zahlen des renommierten italienischen Meinungsforschungsinstituts SWG auf einen Wahlsieg des Mitte-Links Lagers hin. Im Abgeordnetenhaus könnte das Wahlbündnis „Italia. Bene comune“ (dt. „Italien. Gemeinschaftliches Eigentum“) demnach alleine eine Mehrheit erringen (340 von insgesamt 630 Sitzen). Im Senat wäre den Umfragen zur Folge die Unterstützung von Mario Montis „Scelta Civica“ (dt. „Bürgerliche Wahl“) notwendig. Zusammen käme man auf 167 von insgesamt 315 Sitzen.
Die letzten Umfragen deuten also darauf hin, dass es für Mitte-Links insbesondere bei den Wahlen zum Senat knapp werden könnte. Hier holte Berlusconis Wahlbündnis „Centrodestra“ (dt. „Mitte-Rechts“) in den letzten Wochen stetig auf. Da laut Verfassung die Zuständigkeiten der beiden italienischen Parlamentskammern identisch sind, muss jedes Gesetz beide Häuser passieren. Fehlt dem Mitte-Links Bündnis also in einem der Häuser die Mehrheit, wird es schwierig eine stabile Regierung zu bilden.
Mitte-Links: Die Macht zum Greifen nahe
Das Wahlbündnis „Italia. Bene comune“ – bestehend aus der starken „Partito Democratico“ (PD, dt. „Demokratische Partei“), der kleinen „Sinistra Ecologia e Libertà“ (SEL, dt. „Linke Ökologie und Freiheit“), sowie weiteren kleinst-Parteien des Mitte-Links Spektrums - führt seit Wochen die Umfragen an. Das Bündnis käme zum Umfragenschluss auf 34,8% der Stimmen im Senat und 33,8% im Abgeordnetenhaus.
„Italia. Bene comune“ setzt sich für die Beibehaltung des Sparkurses der Monti-Regierung ein, will mit Investitionsprogrammen aber verstärkt Bildung und Forschung fördern sowie die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Anstatt weiter zu privatisieren soll gemeinschaftliches Eigentum (beni comuni) geschaffen werden, der Markt soll reguliert und Kartelle zerschlagen werden. Die Mittelschicht soll von Steuersenkungen profitieren, während geplant ist, die Steuern für Reiche zu erhöhen. Dabei tritt die PD europafreundlich auf und setzt sich für eine starke Gemeinschaftswährung ein.
Seine Spitzenposition in den Umfragen verdankt „Italia. Bene comune“ vor allem der PD. Zwar ist der Spitzenkandidat und Parteivorsitzende Pier Luigi Bersani ein Berufspolitiker vom „alten Schlag“, aber die PD besetzte unter seiner Führung als einzige Partei wenigstens einen Teil ihrer Listenplätze in Urwahlen und nicht ausschließlich durch die Parteispitze – wie sonst in Italien üblich. Das gefällt dem Wahlvolk offensichtlich. Dennoch: Der Vorsprung vor der politischen Konkurrenz schmilzt.
Sollte Berlusconis Bündnis noch weitere Stimmen hinzugewinnen, könnte die PD mit ihrem Bündnis auf eine Koalition mit Monti angewiesen sein. Dies scheint sich anzubieten: Die PD hatte die Regierung Montis im letzten Jahr mit ihren Stimmen im Parlament erst ermöglicht und verspricht ja, deren Kurs grundsätzlich – bei einigen sozialen Korrekturen - beizubehalten. Die christlich-sozial geprägten Gruppierungen innerhalb der PD hätten dagegen sicher wenig einzuwenden. Allerdings gibt es in der Partei auch starke, weit links stehende Kreise, die schon seit langem alles andere als begeistert vom Monti-Kurs Bersanis sind. Diese liefen bereits vor Monaten gemeinsam mit der linken Gewerkschaft CGIL Sturm gegen die Ansätze der Regierung Monti, den stark regulierten Arbeitsmarkt grundlegend zu reformieren. Hier liegt weiter beträchtlicher innenpolitischer Sprengstoff - auch für eine zukünftige Regierungskoalition.
Die Politische Debatte dreht sich um Berlusconi
Der vor wenigen Wochen noch abgeschriebene Berlusconi hat mit seinem Wahlbündnis „Centrodestra“ (dt. „Mitte-Rechts“) und einem Feuerwerk populistischer Versprechungen aufgeschlossen. „Centrodestra“ - bestehend aus Berlusconis „Popolo della Libertà“ (PdL, dt. „Volk der Freiheit“), der „Lega Nord e 3L Tremonti“ (dt. „Liga Nord und die Liste Arbeit Freiheit Tremonti“) sowie verschiedenen teils rechtsextremistischen Kleinstparteien – käme den letzten Umfragen zur Folge auf 28,6% im Senat und 27,8% im Abgeordnetenhaus. Dies würde gegenwärtig nicht für eine eigene Mehrheit reichen und ein Koalitionspartner ist vorerst nicht in Sicht. Berlusconi gibt sich dennoch äußerst zuversichtlich und zählt auf die verbleibenden Wahlkampftage.
Spitzenkandidat von „Centrodestra“ ist eigentlich der Generalsekretär der PdL, Angelino Alfano, der von Berlusconi immer wieder als sein Nachfolger aufgebaut, aber auch mehrfach fallengelassen wurde. Berlusconi gab bekannt, nicht Regierungschef sondern Wirtschaftsminister werden zu wollen. Der Wahlkampf allerdings wird von einem in den Medien omnipräsenten Berlusconi dominiert. Der junge, ehemalige Justizminister Alfano tritt wenig in Erscheinung.
Berlusconi ist für seinen Wankelmut und seine sprachlichen Missgriffe berüchtigt. Seine aggressiv-plakative Rhetorik setzt jedoch die politischen Themen, an denen sich die anderen Parteien abarbeiten. Der ehemalige italienische Premierminister will eine Abkehr von der „deutschen“ Konsolidierungspolitik Montis, plant einen Großteil von dessen Reformen rückgängig zu machen und verspricht zahlreiche Steuererleichterungen, um das Wirtschaftswachstum anzuregen. So etwa die Abschaffung der erst unter Monti wieder eingeführten Steuer auf die erste Immobilie. Er verspricht sogar die Rückerstattung der 2012 gezahlten Immobiliensteuer an die Bürger. Berlusconi tritt dezidiert antieuropäisch auf, zieht Fiskalunion und ESM in Zweifel. Er greift immer wieder polemisch die Politik der deutschen Bundesregierung an und forderte noch vor wenigen Monaten Deutschland zum Austritt aus der Währungsunion auf.
Wie bereits in der Vergangenheit, können die Aussagen Silvio Berlusconis im Wahlkampf nicht wörtlich genommen werden. Er ist an der politischen Macht interessiert und nicht am Einhalten von Wahlversprechen. Berlusconi sieht sich von der italienischen Justiz bedroht und kämpft um den Erhalt seines eigenen, vor allem wirtschaftlichen Lebenswerkes. Gegen ihn und sein Umfeld laufen etliche Verfahren.
Monti: Vom Technokraten zum Politiker
Entgegen aller anfänglichen Beteuerungen hat sich Premierminister Mario Monti schließlich doch entschlossen, mit der „Scelta Civica“ (dt. „bürgerliche Wahl“) in einem Bündnis mit der christlich demokratischen „Unione del Centro“ (UdC, dt. „Union des Zentrums“) und den liberal-konservativen Klein-Parteien „Futuro e Libertà“ (FLI, dt. „Zukunft und Freiheit“) und „Italia Futura“ (dt. „Zukünftiges Italien“) teilzunehmen. Als Senator auf Lebenszeit kann er sich selber jedoch nicht direkt um ein Abgeordnetenmandat bewerben.
Die „Scelta Civica“ käme den letzten Umfragen nach auf rund 10,8% im Senat und 13,4% im Abgeordnetenhaus. Besonders im katholisch-bürgerlichen Lager genießt Montis Liste große Zustimmung. Sein Bündnis bekennt sich zum aktuellen Sparkurs, will den Staatshaushalt weiter sanieren und auch die jüngst angestoßenen Reformen weiterführen und vertiefen. Die bürgerliche Mitte tritt proeuropäisch auf und unterstützt nachdrücklich den Prozess der Europäischen Integration.
Montis Formation der bürgerlichen Mitte könnte vor allem im Senat zum Zünglein an der Waage werden. Monti würde dann wohl mit der PD koalieren, um das rechte Lager Berlusconis von der Macht fern zu halten, das den Noch-Premierminister Monti als „Befehlsempfänger Deutschlands“ verspottet. Die politischen Kräfteverhältnisse schließen eine zweite Amtszeit Montis als Premierminister aus; An einem Ministerposten hat er kein Interesse bekundet. Montis Beteiligung am Wahlkampf und die Spekulationen über eine mögliche Unterstützung von Mitte-Links im Senat, könnten jedoch auf Ambitionen bezüglich des im Mai 2013 neu zu besetzenden Amtes des Staatspräsidenten hindeuten. Wird doch der Staatspräsident von beiden Kammern des Parlaments (und einer kleineren Anzahl von Vertretern der Regionen) in gemeinsamer Sitzung gewählt.
Beppe Grillo: Der inoffizielle Dritte
Das „MoVimento 5 Stelle di Grillo“ (M5S, dt. „Bewegung 5 Sterne von Grillo“) käme gegenwärtig im Senat auf 18,4% und 18,8% im Abgeordnetenhaus. Damit wäre die Bewegung drittstärkste Kraft und könnte eine entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung spielen. Allerdings lehnt die „Antiparteien-Partei“ des TV-Komikers und Bloggers Beppe Grillo bisher grundsätzlich Koalitionen mit den Parteien des verachteten politischen Establishments ab.
Obwohl sich M5S damit praktisch selbst für politisch irrelevant erklärt, stimmt bedenklich, dass das Bündnis seine hohen Zustimmungswerte bei einer dezidiert europafeindlichen Ausrichtung erhält. M5S spricht sich gegen die Gemeinschaftswährung aus und will „zurück zur Lira“. Während der wirtschaftspolitische Kurs von M5S nicht sehr kongruent wirkt, punktet die Partei bei den Wählern mit zahlreichen Vorschlägen, die Privilegien der „politische Klasse“ zu demontieren: Parlamentariern soll die weitere Berufstätigkeit untersagt werden, die Ausübung von Mandaten soll auf zwei Legislaturperioden beschränkt werden, Vorbestrafte sollen nicht mehr kandidieren dürfen, die Gehälter sollen reduziert werden, Wahlkampfkosten sollen nicht mehr rückerstattet werden, usw. Viele Italiener sind tief enttäuscht von ihren Politikern und begeistern sich entsprechend für Grillos Anti-Politik.
Wahlkampfendspurt
Die letzten Umfragen zeigen: Eine Rückkehr von Berlusconi als Premierminister scheint rechnerisch kaum möglich. Dennoch kommt dem Wahlkampfendspurt nun entscheidende Bedeutung für die Frage zu, ob es dem PD-geführten Bündnis – mit Unterstützung Montis – gelingen kann, eine stabile Regierung zu bilden. Wenn Berlusconis Stimmenanteil weiter steigt, droht nach dem Wahltag politische Instabilität. Wichtig könnte werden, welche Konzepte die Parteien in den nächsten Tagen noch zu drängenden sozialen und wirtschaftlichen Fragen vorstellen. Insbesondere die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - und besonders der Jugendarbeitslosigkeit - ist für viele Italiener ein Thema, das den Ausgang der Wahlen entscheiden könnte.