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Reportage sui paesi

Italien: Parteienlandschaft vor dem Umbruch

52 Prozent der Italiener glauben mittlerweile, dass Demokratie auch ohne Parteien funktionieren kann. Der italienische Staatspräsident bezeichnet die Parteien als „morsch“ und ruft zu sofortigen drastischen Reformen auf, um die parlamentarische Demokratie zu retten. Haben die italienischen Parteien dazu noch die Kraft und – vor allem - den politischen Willen?

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Zum Tag der Befreiung am 25. April 2012, hielt der italienische Präsident, Giorgio Napolitano, in Pesaro eine vielbeachtete Rede. Angesichts der aktuellen Krise rief er zu Einheit und Geschlossenheit auf. Besonders bemerkenswert waren jedoch die Äußerungen des Präsidenten zum Zustand der Parteiendemokratie in Italien. Napolitano forderte die italienischen Parteien dazu auf, alles „Morsche herauszureißen“, das sich seit zu vielen Jahren in ihrem Inneren ausbreite. Er will dem System der öffentlichen Parteienfinanzierung Transparenz zugrunde legen. Von den Parteien forderte der Präsident sofortige und tiefgreifende interne Reformen. Auch wenn die italienischen Parteien schwerkrank seien, sind sie doch unersetzbar für die Demokratie, mahnte Napolitano. Alternativ würde das Land Gefahr laufen, einem Demagogen nach dem anderen in die Hände fallen.

Staatspräsident Napolitano nutzte die Rede in Pesaro auch, um den politischen Fahrplan für die nächsten Monate vorzugeben: Keine vorgezogenen Neuwahlen, stattdessen tiefgreifende Reformen am politischen System Italiens. Der Präsident machte deutlich, dass er eine Reform der Parteienfinanzierung, ein neues Parteiengesetz und ein neues Wahlgesetz wünscht.

Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Premierminister Monti dies umsetzen kann: Gegenwärtig streut die parlamentarische ABC-Koalition – benannt nach den Parteichefs Alfano (Popolo della Libertà, PDL), Bersani (Partito Democratico, PD) und Casini (Unione di Centro, UDC) – kräftig Sand ins Regierungsgetriebe. Die Arbeitsmarktreform zieht sich seit Wochen von einer Verhandlungsrunde in die nächste. Der sozialdemokratische Bersani hat hier unter dem Druck der linken Gewerkschaften seinen politischen Spielraum aus den Augen verloren. Der PDL stellt sich gegen ein neues Wahlrecht und ein dringend benötigtes Antikorruptionsgesetz. An der Kürzung der staatlichen Parteienfinanzierung und an Einschnitten in die Privilegien der Abgeordneten hat niemand so wirklich Interesse, was die italienische Öffentlichkeit weiter gegen „la casta“, die Berufspolitiker, aufbringt.

Premierminister Monti zwingt die Parteien mühsam von Kompromiss zu Kompromiss. Im Rom wird spekuliert, ob es so wirklich noch bis zu den turnusgemäßen Wahlen im nächsten Frühjahr weitergehen kann. Die strukturellen Probleme einer „Technischen Regierung“ offenbaren sich nun: PDL, PD und UDC „leihen“ der Regierung Monti im Parlament zwar ihre Stimmen, aber weder personell noch inhaltlich tragen sie Verantwortung. Je näher der Wahlkampf rückt und je nachteiliger eine Reform für die eigene Wählerklientel, desto geringer der Wille der ABC-Koalitionäre, die „Technische Regierung“ zu stützen.

Verbreitete Parteienverdrossenheit

Nur vier Prozent der Italiener gaben bei einer aktuellen Umfrage an, Vertrauen in die Fähigkeit der Parteien zu haben, die Probleme des Landes zu lösen. Quer durch das italienische Parteienspektrum kamen in den letzten Wochen massive Finanzskandale ans Licht. Die Parteienverdrossenheit ist nicht zuletzt auch deshalb besonders groß, weil die „Technische Regierung“ von Premierminister Monti durch ihren schnellen Reformkurs der ersten Monate das Ausmaß des Versagens der Parteien augenfällig hervorgehoben hat. 52 Prozent der Italiener glauben inzwischen, dass „die Demokratie auch ohne Parteien funktionieren kann“.

Entsprechend sieht sich der italienische Polit-Rebell und Komiker Beppe Grillo bestätigt. Ohne Programm, aber mit scharfer Rhetorik gegen die „Politik korrupter Greise“, tritt Grillo mit seinen Anhängern am 6./7. Mai 2012 zu den Kommunalwahlen an, die turnusgemäß in einigen Regionen Italiens anstehen. Aber wozu auch ein Parteiprogramm? Auf seinem Blog bezeichnet Grillo Programme als „die Summe der Erklärungen von Prinzipien, die ignoriert werden oder von denen dann genau das Gegenteil getan wird“. Seine Anti-Parteien-Protestbewegung, das „Movimento 5 Stelle“, liegt in Umfragen bei 7,5 Prozent. Grillo ist mittlerweile allerdings nicht mehr die alleinige Alternative zu den etablierten Parteien: Bürgerlisten und Kleinstparteien wollen sich die Parteienverdrossenheit der Italiener zunutze machen. Gerhard Mumelter vom österreichischen „Standard“ hat Ungewöhnliches auch bei den etablierten Parteien recherchiert: Finis Rechtspartei „Futurò e Libertà“ (FLI) stimmt in Parma für einen linken Kandidaten, die christdemokratische UDC unterstützt in Taranto den kommunis-tischen Bürgermeister, und die Kandidaten von Berlusconis PDL müssen teils gegen Listen ihrer eigentlich nicht mehr existierenden Vorgängerpartei, der „Forza Italia“, antreten.

Veränderungen in der Parteienlandschaft

Die tiefe Vertrauenskrise zwischen Bürgern und Politik führt zunehmend auch zu Rissen an der Oberfläche der italienischen Parteienlandschaft. Bis zum Jahresende könnte sich die politische Landschaft in Italien deutlich verändern.

Die UDC hat bereits für Juni eine „Neugründung“ angekündigt. Sie plant eine Erweiterung um: Kräfte aus dem „Terzo Polo“, dem „Mondo Cattolico“, aus katholischen Gewerkschaften und der italienischen Christdemokratie nahestehenden Organisationen sowie um einzelne prominente Persönlichkeiten. So will die UDC ihr gegenwärtiges Wählerpotenzial von rund 8,5 Prozent deutlich ausweiten. Massiv profitieren würde die UDC allerdings erst von einem Zerfall des PDL, über den bereits seit langem heftig spekuliert wird. Dann wäre eine neue, große politische Kraft im christlichdemokratisch-konservativen Segment denkbar. Aber auch die linke PD hatte es nie vermocht, mehr als ein Bündnis einiger Linksparteien zu werden. Verschiedene Parteizeitungen und parteiinterne Mehrfachstrukturen machen dies deutlich. Die aktuelle Auseinandersetzung um die Reformen zur Deregulierung des Arbeitsmarktes setzen erhebliche Zentrifugalkräfte frei, die auch im linken Segment zu neuen Parteienkonstellationen führen könnten.

Sorge um die Demokratie

Angesichts der doppelten Herausforderung von bevorstehenden Veränderungen in der Parteienlandschaft bei gleichzeitig dringend notwendigen parteiinternen Reformen für mehr Transparenz, mehr innerparteiliche Demokratie und weniger Machtkonzentration in den Händen der Führungspersönlichkeiten, ist die Sorge von Präsident Napolitano um den Zustand der italienischen Demokratie verständlich.

Vielen Italienern ist klar, dass der Zustand der politischen Parteien auch der italienischen Gesellschaft insgesamt den Spiegel vorhält: Eine zwar debattenfreudige, aber schnell vergessende Öffentlichkeit, schwache Institutionen und schwachen Bürgersinn, diagnostizieren sich die Italiener durchaus selbst und ersparen sich keine Selbstkritik. Nur Lösungsansätze sind noch rar. Hoffnung macht gegenwärtig jedoch Mailand: Hier haben sich Bürgerkomitees zusammengefunden, nicht um die Parteien zu ersetzen, sondern um erfolgreich „Stachel im Fleisch“ der etablierten Parteien zu sein. Für die Zukunft der Parteiendemokratie in Italien bleibt zu hoffen, dass das Mailänder Modell Erfolg hat und Schule macht.

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Caroline Kanter

Portrait von Caroline Kanter

Stellv. Leiterin der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit

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