Reportage sui paesi
Politische Lage
Seit den Parlamentswahlen verfügt das Mitte-Rechts-Bündnis PdL (Popolo della Libertà) über eine handlungsfähige Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Krönung des Machtwechsels war die Tatsache, dass auch das Rathaus von Rom, in dem bislang der führende Politiker der Linken Walter Veltroni regierte, an die Rechte fiel (an den „Alleanza Nazionale“-Politiker Gianni Alemanno). Innerhalb des Mitte-Rechts-Lagers hat sich die Machtbalance etwas zugunsten der „Lega Nord“ verschoben; der langjährige Parteichef der postfaschistischen „Alleanza Nazionale“ Gianfranco Fini gibt sich als Parlamentspräsident staatstragend und kann sich Hoffnungen machen, Berlusconi einmal als Führer von Mitte-Rechts zu beerben. Die „PdL“ will sich zu einer Einheitspartei entwickeln, doch wird der Prozess nicht sehr intensiv vorangetrieben. Nicht mehr Teil des Regierungsbündnisses ist die christdemokratische „UDC“ unter Pierferdinando Casini; sie sitzt im Parlament jetzt zwischen den Stühlen. Zu der immer wieder vorhergesagten Renaissance der Christdemokratie in Italien ist es nicht gekommen.
Auf Italiens politischer Linken herrscht Chaos. Der Versuch der Sozialdemokraten und der katholisch-liberalen „Margherita“, zu einer „Demokratischen Partei“ nach US-Vorbild zu fusionieren, ist durch das Scheitern bei den April-Wahlen schwer beschädigt worden. Parteichef Veltroni kann sich seither einer heftigen Richtungsdebatte nicht erwehren. Auf der einen Seite stehen dabei linke Christdemokraten wie Dario Franceschini, auf der anderen Seite Ex-Kommunisten wie Massimo D`Alema. Beobachter halten ein Auseinanderbrechen der Partei für möglich.
Veltroni bemüht sich um konstruktive Opposition, wird aber von Berluconi, der ihn zur Durchsetzung seiner Projekte nicht braucht, einfach ignoriert, so dass dem Demokraten-Führer der Sturz in die politische Bedeutungslosigkeit droht, wie er auch Berlusconis Vorgänger Romano Prodi ereilt hat. In mehreren Regionen sind derzeit bekannte Linkspolitiker in Korruptionsaffären verwickelt. Die Medien sprechen von einem neuen „Tangentopoli“ – das war der Komplex von Skandalen, der zu Beginn der 90er Jahre zum Untergang der „Democrazia Cristiana“ führte. Ein Fiasko der Demokraten bei den anstehenden Europa- und Kommunalwahlen Anfang Juni 2009 könnte der Auslöser für einen parteiinternen Putsch werden; gleich nach den Wahlen ist eine Programmkonferenz angesetzt.
Der Glaubwürdigkeit Veltronis hat es u.a. geschadet, dass er aus taktischen Erwägungen bei der Parlamentswahl eine Allianz mit der „Italia dei Valori“ unter dem früheren Mailänder Staatsanwalt Antonio Di Pietro eingegangen ist. Während linkere Parteien, vor allem die „Kommunistische Neugründung“ unter Ex-Parlamentspräsident Fausto Bertinotti, wegen des strengen Wahlrechts nicht mehr den Einzug ins Parlament geschafft haben, ist dies der kleinen „Italia dei Valori“ dank ihrem Bündnis mit den Demokraten gelungen. Im Parlament nun profiliert sich Di Pietro mit scharfen Angriffen auf die Regierung und Berlusconi selbst, während die Demokraten durch ihren internen Richtungskampf teilweise gelähmt sind. Allerdings konnte Italiens Linke (nicht nur die Demokraten, auch die außerparlamentarischen Gruppen) mit ihrem Kampf gegen eine Schul- und Universitätsreform (nach der zuständigen Ministerin „riforma Gelmini“ genannt) im letzten Herbst einen Teilsieg erringen: Nach wochenlangen Straßenprotesten, die in manchem an 1968 erinnerten, legte die Regierung einige besonders umstrittene Punkte der Reform auf Eis.
Hatte Berlusconi anfänglich den Eindruck eines geläuterten Politikers erweckt, so ist er mittlerweile – ebenso wie die Linke – in altgewohnte Freund-Feind-Denkmuster zurückgefallen. Alle Appelle von Staatspräsident Giorgio Napolitano (dem ersten Post-Kommunisten in diesem Amt), dass Regierung und Opposition gemeinsam wichtige Reformen vereinbaren sollten, verhallen ungehört. Um Handlungsbereitschaft zu demonstrieren, regiert der Premier vor allem per Dekret, am Parlament vorbei; die ersten Maßnahmen der Regierung gegen den Müllskandal sowie ein umfangreiches „Sicherheitspaket“ verschafften ihm hohe Sympathiewerte in der Bevölkerung.
Die großen Projekte von Mitte-Rechts für 2009 sind eine Justizreform, der vor allem von Umberto Bossis „Lega Nord“ vorangetriebene Fiskal-Föderalismus sowie eine große institutionelle Reform. An einem solchen Paket von Verfassungsänderungen, die Italiens innere Blockaden auflösen und vor allem den Gang der Gesetzgebung vereinfachen sollen, haben sich in den letzten zehn Jahren nach dem Scheitern einer von Berlusconi und D`Alema geleiteten großen Reformkommission (der immer wieder heraufbeschworenen „bicamerale“) schon viele Kabinette versucht. Außenpolitischer Schwerpunkt Italiens wird 2009 seine turnusgemäße G-8-Präsidentschaft sein; der Gipfel soll in der ersten Julihälfte auf einer sardischen Insel stattfinden.
Wirtschaftliche und soziale Lage
Die internationale Finanzkrise hat sich auf Italien bislang nur wenig ausgewirkt, vor allem wegen einer (zu anderen Zeiten beklagten, jetzt aber heilsamen) Rückständigkeit im Bankensektor, mangelnder internationaler Verflechtung und geringerer Verschuldung der Italiener im Vergleich etwa zu den US-Bürgern. Doch „Unicredit“ und „Fiat“ haben an der Börse stark an Wert verloren, und der Finanzmarkt-Anteil am italienischen BIP ist eingebrochen – von 48 (2007) auf jetzt nur noch 23 Prozent. Als größte Gefahr wird angesichts der chronisch unterkapitalisierten Unternehmen des Landes eine Kreditklemme angesehen. Ähnlich wie Bundeskanzlerin Merkel versprach Berlusconi im Herbst, kein italienischer Sparer werde auch nur einen Euro verlieren.
In einer wirtschaftlichen Krise ist Italien allerdings schon seit langem, in gewisser Weise schon seit Mitte der neunziger Jahre; die Infrastruktur liegt darnieder, die Bürokratie ist zu kompliziert, der Süden gegenüber dem produktiven Norden zurückgeblieben. Italiens Staatsverschuldung ist eine der höchsten der Welt, die industrielle Produktion und das BIP gehen zurück, die Schattenwirtschaft macht ein Viertel der Produktion überhaupt aus. Für 2009 zeichnet sich ein Minuswachstum ab; die Regierung plant für das neue Jahr Steuererleichterungen, vor allem für Familien.
Nach Angaben des neuesten „ItaliaOggi“-Berichts der römischen Universität La Sapienza ist die Lebensqualität im Land im Vergleich zum Vorjahr noch weiter gesunken; die Forscher sehen das Land nach einem Zwischenhoch von 2006/07 auf dem tiefsten Punkt seit sechs Jahren. Dabei stellen sie nicht nur das hinreichend bekannte Nord-Süd-Gefälle fest, sondern auch ein Gefälle innerhalb des Nordteils: prosperierender Nordwesten mit Mailand, zurückfallender Nordosten.
Dass das soziale „disagio“ (Unbehagen) in Italien seit Jahren immer weiter wächst, hat eine ganze Reihe von Gründen: die wachsende Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse, die vor allem im Süden hohe Arbeitslosigkeit sowie die im EU-Vergleich sehr niedrigen Löhne, die man mit den steigenden Lebenshaltungskosten, der Inflation und dem im EU-Vergleich ungewöhnlich hohen Steuerdruck in Verbindung bringen mussImmer mehr Familien kommen mit ihrem Budget nicht mehr bis zum Monatsende. 2009 werden nach Berechnungen des Industriellenverbands „Confindustria“ zwar die Löhne stärker steigen als die Inflation, und auch die Kaufkraft der Italiener soll leicht zunehmen, doch wird die Arbeitslosigkeit mit 8,4 Prozent den höchsten Stand seit sechs Jahren erreichen. Zu nennen sind auch die wachsende Kriminalität in den Städten sowie der Zustrom von illegalen Einwanderern.
Italiens Bevölkerung schrumpft (voraussichtlich –0,2 Prozent in 2009) und altert (binnen zehn Jahren wird ein Viertel der Italiener über 65 Jahre alt sein). Das wird in absehbarer Zeit das unterentwickelte Gesundheits- und Sozialsystem des Landes einem Härtetest aussetzen; vor allem eine Rentenreform und die Anhebung des Rentenantrittsalters scheinen unausweichlich.
Vatikan
Papst Benedikt XVI. will zu Beginn des Jahres 2009 eine große Enzyklika zu sozialen Fragen und zur Globalisierung veröffentlichen; Beobachter versprechen sich davon auch eine Stellungnahme zur internationalen Finanzkrise. Ein Schwerpunkt der vatikanischen Politik soll im neuen Jahr Afrika sein; der Papst will im März Kamerun und Angola besuchen, und für den Herbst ist eine Afrika-Sondersynode von Bischöfen in Rom geplant. Gerne führe Benedikt auch nach Jordanien, Israel und in die Palästinensischen Autonomiegebiete: Medien nannten bis vor kurzem den Mai als wahrscheinlichen Reisetermin, doch seit der israelischen Offensive im Gaza-Streifen ist es ungewiß, ob die Papstreise 2009 stattfindet. Besorgt ist man im Vatikan über die prekäre Lage der Christen im Irak; nach unbestätigten Angaben soll dazu im Frühjahr eine Art Krisengipfel des Papstes mit irakischen Kirchenführern stattfinden.
Seine ethisch-moralischen Forderungen haben den Vatikan in den letzten Wochen in eine gewisse Frontstellung zur EU und zur UNO gebracht. Ein Vatikan-Vertreter kritisierte die Initiative der französischen EU-Ratspräsidentschaft, die UNO-Menschenrechtserklärung um einen Passus zu den Rechten von Homosexuellen zu ergänzen, und wegen „unklarer Formulierungen“ zum Thema Familienplanung wendet sich der Vatikan auch gegen die UNO-Konvention über die Rechte Behinderter.
Der Vatikan steht der Regierung Berlusconi freundlich gegenüber; scharfe Kritik kam bislang nur zur Ausländerpolitik. Nicht mehr die italienische Bischofskonferenz (wie noch zur Zeit Prodis), sondern der Vatikan selbst gestaltet mittlerweile die Beziehungen zum italienischen Staat. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone ist ein bei führenden italienischen Politikern sehr gefragter Gesprächspartner mit guten Kontakten zu Berlusconi und dessen engstem Mitarbeiter, „sottosegretario“ Gianni Letta.