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Slowakei vor Regierungswechsel

autori Dr. Hubert Gehring, Christoph Thanei

Sozialdemokraten gewinnen Parlamentswahlen klar

Die sozialdemokratische Opposition hat die vorgezogenen Parlamentswahlen im Euro-Land Slowakei nach dem offiziellen Endergebnis klar gewonnen. Erst am Sonntagabend konnte die zentrale Wahlkommission die eigentlich schon für Mittag erwartete offizielle Bestätigung der Wahlergebnisse bekannt geben. Die große Zahl von 26 Parteien, von denen mehrere nahe an der Fünfprozenthürde für den Parlamentseinzug abschnitten, verzögerte die endgültige Auszählung.

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Mit knapp 45 Prozent der Stimmen erreichte die Partei Smer-Sozialdemokratie des früheren und voraussichtlich auch künftigen Premierministers Robert Fico eine absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Der Stimmenanteil reichte, weil zahlreiche Kleinparteien an der Fünfprozenthürde scheiterten.

Fico versprach noch in der Nacht, er werde eine "eindeutig pro-europäische Regierung" bilden. Dafür wolle er alle Parteien, die die Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament geschafft hätten, zu einem «Runden Tisch» einladen. Im Unterschied zur bisherigen Mitte-Rechtskoalition hatte Fico stets eine Beteiligung der Slowakei am Euro-Rettungsschirm befürwortet. Die Neuwahlen waren nötig geworden, weil die christlich-liberale Ministerpräsidentin Iveta Radičová (Slowakische Demokratische und Christliche Union - Demokratische Partei, SDKÚ-DS) am 11. Oktober 2011 eine Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm EFSF mit der Vertrauensfrage verbunden und verloren hatte.

Korruptionsaffäre überschattet Wahlkampf

Trotz dieses Anlasses zum Zerfall der Regierung spielte das Thema Euro im Wahlkampf keine relevante Rolle mehr. Es wurde vollkommen von einem Korruptionsverdacht gravierenden Ausmaßes in den Hintergrund gedrängt. Ende Dezember waren nämlich mutmaßliche Geheimdienstprotokolle an die Öffentlichkeit gelangt, die den Verdacht nahelegten, dass bis heute mitbestimmende Parteien und Politiker gemeinsam mit der Investmentgruppe Penta jahrelang alle wesentlichen Privatisierungen und staatlichen Auftragsvergaben nach dem Gesichtspunkt gesteuert hätten, so viel illegalen Profit wie möglich für sich selbst abzuzweigen. Dabei sollen dem Staat mehrere hundert Millionen Euro verloren gegangen sein. Die mutmaßlichen Protokolle einer 2005/2006 legal durchgeführten Abhöraktion unter dem Codenamen "Gorilla" belasteten vor allem die vom damaligen Premier und jetzigen Außenminister Mikuláš Dzurinda geführte SDKÚ-DS.

Die Erfolgsaussichten der bisher größten Mitte-Rechts-Partei wurden auch dadurch vermindert, dass ihre beliebteste Politikerin Iveta Radičová nicht mehr kandidierte. Die Premierministerin hatte aktiv zur Aufdeckung des Korruptionsskandals beigetragen, obwohl sie damit vor allem ihre eigene Partei belastete. Nach der Bildung einer neuen Regierung will sie nicht nur aus der Partei austreten, sondern überhaupt die Politik verlassen.

Wahlbeteiligung deutlich höher als befürchtet

Die "Gorilla"-Affäre ließ nach allen Prognosen auch einen dramatischen Rückgang der Wahlbeteiligung befürchten. "Schon 2010 waren nur 58 Prozent zur Wahl gegangen. Diesmal könnten es wegen der großen Verdrossenheit gegenüber fast der gesamten politischen Elite sogar weniger als fünfzig Prozent sein. Das wäre ein historischer Negativrekord." So hatte unter anderem der prominente Meinungsforscher Pavel Haulík erwartet.

Doch zur großen Überraschung aller Experten entschlossen sich offensichtlich viele Slowakinnen und Slowaken in letzter Minute doch noch für eine Wahlteilnahme. Mit 59,11 Prozent fiel die Wahlbeteiligung schließlich sogar noch leicht höher aus als 2010.

Kleinparteien unter den Erwartungen

Für manche Überraschungen sorgte auch das Wahlergebnis der schwer einschätzbaren Kleinparteien. Mehrere von ihnen waren in den letzten Umfragen vor der Wahl knapp an der Fünfprozenthürde für den Parlamentseinzug gelegen und schienen realistische Chancen zu haben, den Sprung ins Parlament zu schaffen. Das endgültige Wahlergebnis sah dann aber die meisten von ihnen deutlich unter der Fünfprozenthürde. Das überraschte vor allem im Falle einer kurz vor der Wahl gegründeten Partei, die mit riesigem Werbeaufwand unter dem Namen "99 Prozent" eine mit den größten Parteien vergleichbare Medienpräsenz erreichte. Entgegen den für sie optimistischen Umfragewerten erreichte sie schließlich aber nur 1,58 Prozent.

Als einzige neu gegründete Kleinpartei schaffte hingegen die Gruppierung "Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten" (OLaNO) den Sprung ins Parlament. Mit 8,55 Prozent wurde sie sogar drittstärkste Partei. Der Erfolg war vor allem ihrem Gründer Igor Matovič zuzuschreiben, der sich immer wieder durch aktionistische Auftritte medienwirksam in Szene setzen hatte können. Matovič war 2010 als unabhängiger Kandidat ins Parlament gekommen, indem er auf dem letzten Platz der Liste der neoliberalen Freiheit und Solidarität (SaS) angetreten war und um Präferenzstimmen warb. Auch für seine nun erstmals angetretene eigene Liste kandidierte er vom letzten Platz aus. Matovič gilt als schwer einschätzbarer Kritiker von Korruption und Politikerprivilegien.

Hervorzuheben ist, dass die slowakischen Wähler trotz aller sozialen Probleme, mit denen sie zu kämpfen haben, den rechtspopulistischen und nationalistischen Kräften eine klare Absage erteilten. Schon 2010 war die einst allmächtige rechtspopulistische Bewegung für eine Demokratische Slowakei HZDS des dreifachen Ex-Premiers Vladimír Mečiar aus dem Parlament gewählt worden. Nun folgte ihr auch die minderheitenfeindliche Slowakische Nationalpartei SNS unter Parteichef Ján Slota. Dieser war seit Jahren berüchtigt für seine oft in alkoholisiertem Zustand geäußerten derben Beschimpfungen gegen die ethnischen Minderheiten der Roma und Ungarn. Dass ihn Robert Fico 2006 zum Koalitionspartner machte, hatte damals die Fico-Partei gegenüber den europäischen Sozialdemokraten in die Isolation getrieben. Dem künftigen Parlament wird Slotas Partei nicht mehr angehören.

Die Absage an die minderheitenfeindlichen Nationalisten ist umso beachtlicher, als Stimmen für solche aggressiven Gruppierungen gewöhnlich gerade in Zeiten großer sozialer Probleme zunehmen. Und der Probleme hat die slowakische Bevölkerung genug. Zwar kann das Land seit über zehn Jahren stets eine der höchsten Wirtschaftswachstumsraten Europas vorweisen. Aber ein großer Teil der Bevölkerung spürt davon wenig. Die Arbeitslosenquote ist mit knapp 14 Prozent eine der höchsten der EU, die Durchschnittseinkommen mit weniger als 800 Euro brutto im Monat gehören zu den niedrigsten. Und unter den Arbeitslosen sind im Europa-Vergleich außerordentlich viele Junge und Langzeitarbeitslose. Im Osten und Süden des Landes sehen die Unqualifizierten keine wirtschaftliche Perspektive. Die auf bis zu zehn Prozent geschätzte Roma-Minderheit ist zu einem beträchtlichen Teil ohne Chance auf Teilnahme am statistisch belegten wirtschaftlichen Aufschwung.

Ein großer Sieger, aber Aufatmen bei bisherigen Regierungsparteien

Drei der vier bisherigen bürgerlichen Regierungsparteien hatten laut Umfragen bis zuletzt darum zittern müssen, ob sie überhaupt wieder ins Parlament kommen würden. Trotz schwachen Abschneidens konnten sie dann aber doch alle aufatmen. Ihre Stimmenanteile lagen aber nur jeweils zwischen 5,88 und 8,82 Prozent.

Dass Ficos Partei Smer-Sozialdemokratie die Wahlen klar gewinnen werde, war in allen Umfragen vorhergesagt worden. Bis zuletzt offen gewesen war aber, ob seine Stimmengewinne für eine absolute Mehrheit reichen würden. Selbst die beiden von den beiden prominentesten Meinungsforschungsagenturen durchgeführten Exit Polls brachten weniger Klarheit als man bei ähnlichen Befragungen in Deutschland gewohnt ist. Nach diesen Nachwahlbefragungen wäre Smer-SD nur auf 37 bzw. 39 Prozent gekommen und hätte die absolute Mehrheit verfehlt.

"Sogar unmittelbar nach der Stimmabgabe sagen uns vor allem die Wähler von Smer trotz aller Anonymität nicht ehrlich, wen sie gewählt haben", erklärte uns Meinungsforscher Pavel Haulík dieses schon bei früheren Wahlen beobachtete Phänomen. Allerdings hatte Haulík erwartet, dass dieses Phänomen diesmal weniger stark ins Gewicht fallen würde als bei früheren Wahlen. "Bei der letzten Wahl hatten die Medien eine Stimmung gegen Fico entfacht, die viele seiner Wähler veranlasste, ihre Stimmabgabe nicht einzugestehen. In diesem Wahlkampf gab es keine so starke Polarisierung Alle gegen einen", hatte Haulík erwartet, sich aber offensichtlich getäuscht.

Eine Großpartei und fünf kleine Konkurrenten im Parlament

Die Parlamentsmehrheit, auf die sich der künftige Premier Fico stützen wird können, ist äußerst komfortabel. Seine Partei Smer-SD stellt 83 der 150 Parlamentsabgeordneten. Zweitgrößte Partei wurde mit deutlichem Abstand und einem Stimmenanteil von 8,82 Prozent die bisher mitregierende Christlich-Demokratische Bewegung KDH von Ex-EU-Kommissar Ján Figeľ. Figeľ amtiert derzeit noch als Vizepremier und leitet das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur. Mit 16 Parlamentssitzen wird die KDH aber nur gleich stark sein wie die Neugründung "Gewöhnliche Leute".

Die von Parlaments-Vizepräsident Béla Bugár geführte ungarisch-slowakische Versöhnungspartei Most-Híd wird im neuen Parlament mit 13 Abgeordneten vertreten sein. Die bisher als besonders stabiler Regierungspartner auftretende Partei blieb mit einem Wähleranteil von 6,89 Prozent allerdings hinter ihrem Wahlerfolg von 2010 zurück. Damals hatte sie als neu in Konkurrenz zur traditionellen Ungarnpartei SMK-MKP angetretene Kraft mit über acht Prozent einen überraschend großen Erfolg verbucht und auf Anhieb fast alle ungarischen Stimmen für sich gewonnen. Bei dieser Wahl hat sie aber anscheinend einen Teil ihrer Wähler wieder verloren. Nicht profitieren konnte davon aber ihre direkteste Konkurrentin. Die auf EU-Ebene zur christdemokratischen Parteienfamilie gehörende und stark am ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán orientierte "Partei der Ungarischen Koalition" SMK-MKP blieb mit 4,28 Prozent der Wählerstimmen ziemlich gleich stark wie 2010 und verfehlte den Wiedereinzug ins Parlament, aus dem sie 2010 herausgefallen war.

Als größte Verlierer mit nur mehr jeweils 11 Abgeordneten im neuen Parlament vertreten sein werden die beiden bisher größten Regierungsparteien. Der von Außenminister Mikuláš Dzurinda geführten SDKÚ-DS, für die die beliebte Premierministerin Iveta Radičová nicht mehr antrat, drohte nach manchen Umfragen sogar der Absturz unter die Fünfprozenthürde. Ein Wähleranteil von 6,09 Prozent ließ sie zwar noch mit einem blauen Auge davon kommen, Dzurinda bekannte aber in einer ersten Reaktion offen ein, das Ergebnis sei "eine schwere Niederlage für Mitte-Rechts, für meine Partei und für mich persönlich". Justizministerin Lucia Žitňanská, die wesentlich mehr Vorzugsstimmen als Dzurinda bekam, hatte schon vor der Wahl angekündigt, sie wolle gegen Dzurinda um den Parteivorsitz kandidieren, da die Partei "dringend eine Erneuerung" brauche.

Mit 5,88 Prozent stimmenschwächste künftige Parlamentspartei wurde die von Ex-Parlamentspräsident Richard Sulík geführte "Freiheit und Solidarität" SaS, die damit wie die SDKÚ-DS auf 11 Sitze kam. Die SaS war es gewesen, die mit ihrer Weigerung, der Ausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF zuzustimmen, im Oktober den Zerfall der Regierungskoalition herbeigeführt hatte.

Fico vor Regierungsbildung

Staatspräsident Ivan Gašparovič ließ schon am Tag nach den Wahlen keinen Zweifel daran offen, dass er Wahlsieger Fico mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen wolle. Fico kündigte als Kernpunkte seiner künftigen Regierung neben der "pro-europäischen" Orientierung (als insbesondere der Unterstützung aller Maßnahmen zur Euro-Rettung) auch finanzpolitische Veränderungen an. So wolle er die 2004 von der zweiten Dzurinda-Regierung eingeführte Einheitssteuer (Flat tax) abschaffen, und höhere Steuern "für Reiche und Banken" einführen. Ähnliches hatte er zwar auch schon für seine erste Regierungszeit 2006-2010 angekündigt, dann aber darauf verzichtet.

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Streda, 2012, februára 29
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