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Länderberichte

Mexiko vor den Wahlen

von Prof. Dr. Stefan Jost

Wahltag ist Zahltag: befürchtet von den einen, erhofft von anderen

Am 7 Juni findet, fast zur Hälfte der Amts-zeit von Staatspräsident Enrique Peña Nieto, eine Reihe von Wahlen statt, die die letzten drei Jahre der PRI-Regierung stark beeinflussen können.

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Gewählt werden 500 Abgeordnete der nationalen Abgeordnetenkammer, deren Amtszeit im Gegensatz zur sechsjährigen der Senatoren nur drei Jahre beträgt, neun Gouverneure, d.h. die Regierungschefs in den Bundesländern (32 gibt es insgesamt), mit einer sechsjährigen Amtszeit, 643 Landtagsabgeordnete in 16 Staaten sowie in 10 Bundesländern 809 Bürgermeister sowie alle Stadt- und Gemeinderäte für eine jeweilige dreijährige Amtszeit.

Der Wahlkampf

Der ist im vollen Gange, mit allem, was Wahlkampagnen in Mexiko so ausmacht. So kam es bereits in den ersten Wochen des Wahlkampfes zu weit über 200 Beschwerden beim Wahlinstitut. Die Vorwürfe lauten u.a. auf Beleidigung, unerlaubten Einsatz von Wahlkampfmitteln, Verstoß gegen Finanzierungsgesetze. Da Korruption in Mexiko das Standardthema ist spielt selbst die Frage eine Rolle, wie teuer die Uhr am Handgelenk eines Politikers ist (im konkreten Fall rund 150 000 Euro), gefolgt von der Gegenattacke, wie viele Uhren der Kritiker dieses Politikers in seinem veröffentlichten Vermögensverzeichnis angegeben hat und woher jeder der beiden das Geld zu ihrer Anschaffung hat. Korruption ist und bleibt das beliebteste Thema im Wahlkampf. Und korrupt ist natürlich immer nur der andere.

Verstöße gegen Wahlkampfnormen sind ebenfalls Thema. Eine Partei, die unverbrüchliche PRI-Verbündete PVEM, die Grünen, wird die seit Monaten vom Wahlinstitut wegen permanenter Verstöße gegen das Wahlgesetz mit Verboten und Strafen sanktioniert, das scheint sie jedoch alles nicht sonderlich zu beeindrucken. Sie macht weiter als ob nichts geschieht und hofft, zusammen mit der PRI, auf ein Wahlergebnis, auf dessen Grundlage alle Strafen problemlos bezahlt werden können. Die Forderung nach Entziehung der Rechtspersönlichkeit dürfte kaum Erfolg haben. Das Verhalten dieser Partei ist ein Beispiel dafür, dass es nicht nur die beklagte Straflosigkeit gibt, sondern dass darüber hinaus selbst Strafen nicht zum Ziel führen.

Das Nationale Wahlinstitut, das vor wenigen Monaten neu gegründete INE, spielt als Aufsichtsbehörde in diesem Kontext eine besondere Rolle und ist Gegenstand des jüngsten Parteienstreits im Senat. Die PRI weigert sich seit März, das letzte Mitglied des INE zu wählen. Der Vorwurf der Opposition lautet, dass durch den dadurch gegebenen denkbaren Stimmengleichstand der Vorsitzende mit seinem doppelten Stimmgewicht den Ausschlag für regierungs- und PRI-freundliche Entscheidungen geben könne und sieht in diesem Verhalten nichts anderes als den Versuch der Wahlbeeinflussung.

PRI - Regierung zunehmend nervös

Beachtlich ist die Nervosität der Regierung. Kritik, von wem auch immer geübt, kommt gar nicht gut an. So handelte sich Papst Franziskus, der in einer Mail an einen argentinischen Bischof vor der Gefahr einer Mexikanisierung seines Heimatlandes gewarnt hatte, eine offizielle diplomatische Beschwerde des mexikanischen Außenministeriums ein. Der Vertreter des Hochkommissars für Menschenrechte, der eine systematische Folter angeprangert hatte, musste seitens der Regierung eine harte Ablehnung seines Berichtes und den Vorwurf der Unprofessionalität einstecken. Die bekannte Journalisten Carmen Aristégui, deren Team den Immobilienskandal der Präsidentengattin aufgedeckt hatte, wurde von ihrem Radiosender entlassen.

Die Kritik des Fimregisseurs González Iniárritu bei der Oscar-Preisverleihung oder die artikulierte Rücktrittsforderung des vom Nachrichtenmagazin Time zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt gezählten mexikanischen Journalisten Jorge Ramos an den mexikanischen Staatspräsidenten blieben von regierungsamtlichen Stellungnahmen verschont. Die Regierung selbst ging gegen einen Wahlkampfspot beispielsweise der PAN vor, in dem die Zahl von 200 Begleitpersonen bei der Präsidentenreise nach Großbritannien hinterfragt wurde. Der Spot musste zunächst abgesetzt werden, die PAN erhielt in der Berufungsinstanz jedoch recht.

In der PRI-Zentrale wurden wenige Wochen vor den Wahlen zentrale Positionen des Wahlkampfmanagements ausgetauscht. Diese eingangs erwähnte Nervosität hat ihre realen Hintergründe.

Die mit dem Amtsantritt der Regierung Penia Nieto verbundene überaus positive internationale Perzeption, die in Mexiko selbst trotz des beachtlichen Reformprogramms des zwischen der Regierung und den beiden Oppositionsparteien PAN und PRD geschlossenen „Pakt für Mexiko“ so nie bestand, hat sich weitgehend in Luft aufgelöst und sich in eine akzentuiertere Forderungshaltung gegenüber der Regierung verwandelt. Nach der Aufbruchstimmung stehen jetzt wieder die ungelösten Probleme im Fokus gerade auch der internationalen Aufmerksamkeit.

Dies ist vor allem auf das Drama von Ayotzinapa zurückzuführen. Dort wurden im September vergangenen Jahres 43 protestierende Studenten auf Anweisung des Bürgermeisters von der örtlichen Polizei einem Drogenkartell übergeben und sind bis auf einen tot aufgefundenen Studenten bislang verschwunden. Die Regierung geht vom Tod aller Studenten aus. Deren Angehörige ziehen nach wie vor mit Hacke und Schaufel über das Land und suchen ihre Kinder.

Das Krisenmanagement der Regierung ließ sehr zu wünschen übrig und hat zu monatelangen landesweiten Protesten geführt. Dieser Vorgang, der nur ein dramatischer Beweis mehr für die strukturelle Verknüpfung von organisiertem Verbrechen und Politik ist, hat, zusammen mit anderen Ereignissen, bei denen es durch den Einsatz von Sicherheitskräften zu Dutzenden von Toten kam, dazu geführt, dass die Sicherheitslage und die Menschenrechtsfrage erneut in den Mittelpunkt auch des internationalen Fokus geraten ist. Die zu Beginn der Regierungsübernahme erkennbare Strategie, diese Problemkomplexe medial tiefer zu hängen, verfängt nach diesen Ereignissen nicht mehr.

Noch vor Monaten wurden die wirtschaftlichen Perspektiven Mexikos als überaus positiv dargestellt. Mittlerweile bestimmen eher realistischer anmutende Stellungnahmen die Erwartungshaltung. So zeigte sich der Präsident der Zentralbank sicher, angesichts der Dollarreserven für Krisen gerüstet zu sein, und der Finanzminister sprach davon, dass schwerere Zeiten auf Mexiko zukämen. Die Opposition sieht sich darin vor allem in ihrer Kritik an der vor einigen Monaten verabschiedeten Steuerreform bestätigt. Diese Entwicklungen haben insgesamt dazu geführt, dass die Regierungspartei PRI in allen Umfragen deutlich verloren hat und aktuell bei etwa 30% steht. Neben der zu erwartenden geringeren Anzahl an nationalen Abgeordneten hat sich auch die Zahl der für die PRI bei den Gouverneurswahlen bislang als sicher geltenden Bundesstaaten nach den jüngsten Erhebungen erheblich reduziert. Zusätzlich zu den als PAN-sicher geltenden Staaten Sonora und Baja California Sur wird inzwischen auch ein Sieg der größten Oppositionspartei in Nuevo León, Michoacán, Queretaro, San Luis Potosí und Colima als denkbar gehandelt. In Guerrero und Campeche hat die PAN demgegenüber keine Chancen.

Parteiensystem vor dem Umbruch

Zu erwarten ist ein Rückgang der PRI sowie ein in seiner Höhe schwer einzuschätzender Zuwachs der PAN, die national bislang nur begrenzt vom Vertrauensverlust in die Regierung profitieren konnte, regional aber an Boden gewinnt. PRI und PAN dürften die beiden ersten beiden Plätze in diesen Wahlen unter sich ausmachen.

Sehr viel komplexer stellt sich die Lage der politischen Linken dar. Bereits 2013 kam es zum Bruch. Der zweimalige Präsidentschaftskandidat Andrés Manuel López Obrador, kurz AMLO genannt, verließ die PRD und erreichte mit seiner Bewegung Movimiento Regeneracón Nacional (MORENA) die Zulassung als politische Partei. Für AMLO zählt die PRD inzwischen zum zu überwindenden politischen Establishment, was vor allem durch die Mitarbeit im „Pakt für Mexiko“ zum Ausdruck gekommen sei. AMLO setzt demgegenüber auf einen friedlichen Systemwechsel, das aktuelle politische System sei dem Tode geweiht und müsse durch ein neues ersetzt werden. MORENA hat viel Zulauf aus der PRD. Hoch angesehene PRD-Politiker wie Cuauhtémoc Cárdenas Solórzano, Sohn des ehemaligen Staatspräsidenten und selbst PRD-Gründer, haben sich von der Partei losgesagt ohne zu MORENA zu wechseln.

AMLO pflegt einen linkspopulistischen Diskurs, der sich angesichts der Probleme und der zunehmenden Parteienverdrossenheit fast auf das Mantra „Ich hab´s Euch gesagt“ beschränken kann. Sein Populismus geht sogar so weit, dass er die Partei nicht über nationalen Abgeordnetenkandidaten abstimmen, sondern diese durch die Lostrommel hat bestimmen lassen. Es erscheint sehr wahrscheinlich, dass MORENA bei diesen Wahlen auf dem dritten Platz landen könnte. Die PRD könnte angesichts dieser Spaltung sogar noch hinter die PVEM auf den fünften Platz zurückfallen, was die Zukunft einer dramatisch reduzierten rationalen politischen Linken in Mexiko grundlegend in Frage stellen könnte. Die beiden anderen vor etwa einem Jahr neu zugelassenen Parteien, Partido Humanista (PH) und Partido Encuentro Social (PES) dürften von einigen kommunalen Mandatsträgern abgesehen keine Rolle spielen.Keiner prophetischen Gaben bedarf es um die Partei der Nichtwähler als stärkste Gruppierung zu erwarten. Teilweise wird sogar Wahlenthaltung zielgerichtet propagiert.

Die Bedeutung der Wahlen

In der Bedeutung der Wahlen ist zu differenzieren. Die Logiken von Kommunal-, Landtags- und Gouverneurswahlen sind sehr unterschiedlich. Vielfach dominieren kommunale und länderspezifische Problemstellungen und personelle Konstellationen. Nicht jedes Ergebnis kann automatisch und in toto mit einer nationalen Brille bewertet werden, auch wenn sicherlich das „politische Grundrauschen“ nicht zugunsten der Regierung und der PRI ausfällt. Zudem ist es bis zu den Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2018 noch lange hin, und vorher finden 2016 noch einmal elf weitere Gouverneurswahlen statt. Dennoch hat der 7. Juni unter mehreren Aspekten seine Bedeutung. Zentral ist zunächst die Frage, ob die Regierung Peña Nieto eine eigene Mehrheit in der Abgeordnetenkammer erhält. Die PRI dürfte alleine dazu nicht in der Lage sein, setzt aber vor allem auf den bedingungslosen Verbündeten PVEM sowie die ein oder andere kleinere Gruppierung.

Eine Regierungsmehrheit mittels einer Weiterführung oder Neuauflage des „Pakt für Mexiko“ ist als sehr unwahrscheinlich einzuschätzen. Dies nicht nur wegen des deutlich verschlechterten Verhältnisses der Parteien untereinander, sondern vor allem aufgrund der innerparteilichen Situation und Gemengelage der Oppositionsparteien bzw. Strömungen. Insgesamt dürfte sich bei den Oppositionsparteien stärker eine Abgrenzungs- und Profilierungsabsicht gegenüber der in den ersten drei Jahren geübten staatspolitischen Verantwortung in Gestalt des „Pakt für Mexiko“ durchsetzen.

In der PAN stehen unmittelbar nach dem 7. Juni die Direktwahlen des Parteivorsitzenden an, da der aktuelle Präsident Madero neuer Fraktionsvorsitzender in der Abgeordnetenkammer werden wird. Es gilt nicht als ausgeschlossen, dürfte aber vor allem abhängig vom Wahlergebnis sein, dass die Frau des ehemaligen Staatspräsidenten Calderón, Margarita Zavala, kandidieren will. Sie fordert unabhängig vom Wahlergebnis eine Neuausrichtung der PAN und gilt als Kritikerin von Madero und der ihn stützenden innerparteilichen Koalition. Da Zavala unabhängig vom Parteivorsitz ihre Präsidentschaftskandidatur 2018 vorbereitet, wird die Frage der Zusammenarbeit mit der Regierung, die bislang vor allem in der Senatsfraktion nicht unumstritten war, auch diese Auseinandersetzung bestimmen.

Im Lager der Linken, in dem vor allem der „Pakt für Mexiko“ das entscheidende Argument für AMLO war, sich mit MORENA selbständig zu machen, wird man nach dem 7. Juni vor allem in der PRD wohl einen Scherbenhaufen zusammenkehren müssen. Ob und wie diese Partei überleben wird, welchen Zulauf AMLO erhält und wie sich die Linke neu positioniert dürfte im Mittelpunkt stehen und spricht oberflächlich betrachtet nicht zugunsten einer weiteren Zusammenarbeit zwischen PRD und PRI. Dabei ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass sich ein nach weiteren Abspaltungen verbleibender harter „sozialdemokratischer Kern“ um des eigenen Überlebens willen der PRI anschließt.

Sollte die Regierung eine eigene Mehrheit nicht zustande bringen dürfte sich Mexiko bis 2018 erneut in einer Blockadesituation befinden, die bereits die 12-jährige Regierungszeit der PAN geprägt hat. Dies wäre für Mexiko die sicherlich schwierigste Situation angesichts der zu bewältigenden Probleme des Landes.

Sollte es der PAN wirklich gelingen, mehr als die zwei als sicher geltenden Gouverneurswahlen in Sonora und Baja California Sur zu gewinnen, wäre jeder einzelne neugewonnene Bundesstaat, in denen es teilweise noch nie einen realen Machtwechsel in den letzten 90 Jahren gab, eine kleine Sensation. Die PAN hätte aufgrund der sechsjährigen Amtszeit der Gouverneure dadurch eine deutlich bessere strukturelle territoriale Ausgangsbasis als bisher. Auch würde dies zu einer Verstärkung der innerparteilichen Probleme in der PRI führen, deren tatsächliche Machtbasis nach den 12 Jahren nationaler Opposition zwischen 2000-2012 vor allem in den Bundesländern lag. Den Gouverneurswahlen im Jahre 2016 käme dann eine nochmal gestiegene Bedeutung zu.

Die PRI ist zudem intern auch nicht so einig wie sich das bislang nach außen aufgrund einer hohen Parteidisziplin dargestellt hat. Deutliche, gerade auch regionale Machtverluste würde die unterschiedlichen internen Machtzentren sicherlich weiter polarisieren, die sich langsam die Frage stellen müssen, wie sie sich für 2018 positionieren. In einem solchen extern (Parlamentsblockade) wie intern (PRI-Debatte) hochproblematischen Kontext könnten die noch ausstehenden drei Regierungsjahre für den Staatspräsidenten zu den schwierigsten seiner Amtszeit werden und die in Präsidialsystemen übliche Zeit eines „lame duck“-Präsidenten dramatisch vorverlegen. Dies wäre sicherlich das für die Stabilität und Entwicklung Mexikos „worst case“-Szenario.

Im Endspurt

Noch fehlen einige Wochen bis zur Auszählung. Und wie es in Mexiko heisst: Wer den Wahlkampf gewinnt, gewinnt noch lange nicht die Auszählung. Diese für alle Wahlen in aller Welt geltende Binsenwahrheit ist in Mexiko jedoch mit einer besonderen Konnotation aufgeladen. Gemeint ist damit nicht, dass sich keiner zu früh freuen soll. Gemeint ist damit vielmehr der „Wahlklau“ in der Wahlnacht, da in diesen entscheidenden Nachtstunden am meisten betrogen und gefälscht wird. Der Wahlkampf wird härter, und mit Sicherheit nicht sauberer. Die Polarisierung wird zunehmen. Die Spannung steigt. Und ab dem 8. Juni werden die Karten neu gemischt.

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