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Stand der Aufarbeitung des Kommunismus

Helmut König definierte Vergangenheitsbewältigung folgendermaßen:"Vergangenheitsbewältigung ist die Gesamtheit jeder Handlungen und jenes Wissens, mit der sich die jeweiligen neuen demokratischen Systeme zu ihren nichtdemokratischen Vorgängerstaaten verhalten. Es geht dabei vor allem um die Frage, wie die neu etablierten Demokratien mit den strukturellen, personelle und mentalen Hinterlassenschaften ihrer Vorgängerstaaten umgehen und wie sie in ihrer Selbstdefinition und in ihrer politischen Kultur ihrer zu ihrer jeweiligen belastenden Geschichte stehen."

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Idealerweise ist es nötig, folgende Maßnahmen zu ergreifen: Aufklärung der Öffentlichkeit, Beratung für Menschen, die Unrechtserfahrungen gemacht haben, politisch-historische Bildungsarbeit für junge Menschen, Zugang mit den Unterlagen der Staatssicherheit gewährleisten, Zusammenarbeit mit Bildungsinstitutionen und Gedenkstätten, die rechtsförmige Verurteilung der Vergangenheit, also ein spezifischer Umgang mit den Tätern, sowie der alten Staatspartei.

Hristo Hristov, ein frei schaffender Journalist und Autor des Buches - "Kill the Wanderer - the secret archives of the bulgarian state security services reveal the truth about Georgi Markov - murdered in London by a poisoned umbrella", hat es sich zur persönlichen Aufgabe gemacht, aktiv und leidenschaftlich für die Aufarbeitung des Kommunismus in seinem Heimatland zu arbeiten. Seiner Meinung nach hat seit Beginn der Demokratie keine Entkommunisierung stattgefunden, auch, weil Bulgariens Regierungen sich darum kaum bemüht hätten. Die alte Nomenklatura hätte, sowohl politisch, als auch wirtschaftlich, immer noch die Fäden in der Hand. Man müsste große Teile der politischen Elite komplett erneuern, sagt er, sowie eine neue Rechtsordnung schaffen, die der Korruption keine Plattform mehr bietet. Er fordert Lustrationsgesetze sowie staatlich geförderte Institutionen, die der Aufklärung dienen. Dies alles ist in Bulgarien bisher kaum geschehen und lähmt den Entwicklungsprozess des gesamten Landes. Deshalb befindet sich Bulgarien nach wie vor in einem Transformationsprozess. Doch es gibt Hoffnung, sagt Hristo, und der Anfang, der vielleicht auch die wichtigste Grundlage zur Aufarbeitung schafft, ist getan. Seit 2009 existiert ein gut ausgearbeitetes Gesetz zur Öffnung der Stasi-Unterlagen. Experten meinen, das Gesetz sei im internationalen Vergleich eines der besten.

Außerdem gibt es einen Ausschuss, der seit 2007 aktiv ist und seither sehr gute Arbeit leistet. Der Zugang zu den Archiven ist die wichtigste Möglichkeit für die bulgari-schen Bürger, sich der Wahrheit über die Geschehnisse während des kommunistischen Regimes zu stellen.

Der Ausschuss bzw. die Kommission ist die einzige staatlich geförderte und durch ein Gesetz legitimierte Einrichtung, die sich um Aufarbeitung des Kommunismus kümmert.

Alle Bürger haben die Möglichkeit, online einen Antrag auf Einsicht in alle im Archiv vorhandenen Akten – immerhin 13.000 Aktenmeter - zu stellen. Nach einer maximalen Wartezeit von drei Tagen ist das Studium solcher Akten im Kommissionsgebäude möglich. Die Kommission überprüfte zuletzt alle Parlamentskandidaten für die kommenden Wahlen am 5. Oktober 2014 auf ihre Stasi-Vergangenheit. Von 290 Kandidaten waren 99 Ex-Stasi-Agenten. Ihre Namen sind veröffentlicht (http://www.comdos.bg/). Die Verantwortung für die Aufstellung solcher belasteter Personen tragen aber am Ende die Parteien, die Kommission kann nur aufklären; am Ende hat aber der Wähler das letzte Wort über Erfolg oder Misserfolg. Eine detaillierte Liste mit den Namen der betroffenen Kandidaten finden Sie auf der offiziellen Website der Kommission

Die Kommission hatte, seit das Gesetz zur Öffnung der Akten 2006 als Initiative dem Parlament vorgelegt und diese 2007 gegründet wurde, einen schwierigen Weg vor sich. Evtim Kostadinov, der Chef der Kommission, bemerkte hierzu, dass das Gesetz zur Öffnung der Archive der Stasi weiter sei als die demokratische Entwicklung in Bulgarien. Aufgrund der Tatsache, dass es in Bulgarien immer noch keine Lustrationsgesetze gibt, weist Kostadinov darauf hin, dass alle Veröffentlichungen seitens der Kommission keine strafrechtliche Relevanz haben, sondern nur moralisch anklagen könnten.

Unter der Bevölkerung hielt sich jahrelang das Gerücht, der Zugang zu den Akten sei, trotz des Gesetzes, äußerst schwierig. Erst mit Hilfe einiger Journalisten wie Hristo Hristov gelang es der Kommission, das Interesse der Bevölkerung zu mobilisieren, und so stieg die Zahl der Anträge von zweien 2007, die von Forschern gestellt wurden, konstant an. 2014 wurden bereits 917 Anträge gestellt, die von der Kommission bearbeitet wurden. Von diesen 917 Anträgen wurden 723 von Bürgern gestellt, die sich über ihre Geschichte oder über jene ihrer Verwandten informieren wollten. Weitere 143 Anträge wurden von Wissenschaftlern gestellt, und die restlichen 52 dienten der Rehabilitierung von Opfern gemäß des Gesetzes. Dieses ist Teil des Gesetzes zur Öffnung der Akten. Bürger, die durch die Aktenlage beweisen können, dass sie Opfer des kommunistischen Regimes sind, haben einen Anspruch auf Entschädigungszahlungen gegen den bulgarischen Staat.

Die Kommission soll am Ende in ein Institut für das nationale Gedächtnis übergehen. Bis dahin muss die Unterstützung seitens des Staates und der Medien aber erheblich wachsen.

Es ist wichtig, dass die bulgarische Bevölkerung sich mit den geschaffenen Möglichkeiten der Aufklärung auseinandersetzt und über gewonnenen Informationen reflektiert. Dieser Prozess verlangt Eigeninitiative und auch ein Vertrauen in das institutionelle Staatsgefüge. Beides Eigenschaften, die einem Volk, das jahrelang unter kommunistischer Herrschaft lebte, durchaus nicht leicht fallen. Dennoch ist die Kommission ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung, und bisher auch die einzige Initiative zur Aufarbeitung, die der Staat geschaffen hat und die auf guter gesetzlicher Grundlage arbeitet.

Folgt man der Liste der Dinge, die für eine erfolgreiche notwendig sind, gelangt man zu dem Punkt der Beratung für Menschen, die Unrechtserfahrungen gemacht haben.

Allerdings gibt es solche Einrichtungen in Bulgarien nicht, was angesichts des bisher Gesagten nicht überrascht. Es fehlt der staatliche Wille und auch der gesellschaftliche Konsens oder Druck. In Deutschland gibt es die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, eine bundesunmittelbare Stiftung des Öffentlichen Rechts. Diese Stiftung unterhält auch Opferberatungsstellen.

Ähnlich sieht es beim Thema politisch-historische Bildungsarbeit für junge Menschen aus. Diese existiert nur in der Schule, und hier oft nur auf dem Papier. Entsprechend gering ist der Kenntnisstand Jugendlicher über die Diktatur, wie eine Umfrage der KAS 2012 zeigte: Die bulgarische Jugend weiß fast nichts über die Ereignisse während der kommunistischen Diktatur. 18 Prozent gaben sogar an, lieber wieder im Kommunismus leben zu wollen.

Das Hannah Arendt Center in Sofia hat in Kooperation mit der KAS eine didaktische Unterrichtshilfe für Lehrer herausgegeben, die angesichts des Mangels an solchen Studien von den Lehrkräften sehr gut angenommen wurde (Teaching the History of Communism). Die derzeitige Bildungsministerin der Übergangsregierung, Rumjana Kolarova, unterstützt dieses Projekt, um es im Geschichtsunterreicht für die 12. Klassen einzuführen. Weiterhin existiert ein literarisches Werk, das ebenfalls im Geschichtsunterricht eingeführt werden soll. Es enthält Memoiren, Gedichte und Erzählungen von Personen aus 14 europäischen Staaten, die sich gegen den Totalitarismus stellten und dadurch den Tod fanden.

Ebenfalls untätig ist der Staat in der Frage der Zusammenarbeit mit Bildungsinstitutionen und Gedenkstätten. Ohnehin ist die Liste der NROs oder der Initiativen in Bulgarien sehr überschaubar. Es existieren nur wenige private und zivilgesellschaftliche Initiativen, die von einer Entwicklung hin zu einer Institution sehr weit entfernt sind. Es fehlen die finanziellen Mittel. Die wenigen Gedenktafeln, die in einigen Städten zu sehen sind, sind meist aus privaten Mitteln finanziert worden. In Belene, einem kleinen Ort an der Donau, befand sich einst das berüchtigste der kommunistischen Straf- und Arbeitslager. Zusammen mit einem dort lebenden katholischen Geistlichen aus Italien und dem Journalisten Hristo Hristov gelang es, durch eine Reportage die zumindest Aufmerksamkeit der Medien schlaglichtartig auf diesen besonderen Ort zu richten.

Opfer und Antikommunisten werden stetig durch das große Denkmal für die Rote Armee im Boris-Park in Sofia provoziert. Es wurde errichtet als Mahnung und Warnung Anfang der 1950er Jahre, als die Kommunisten die bulgarische Partisanenbewegung der Gorjani endgültig zerschlagen hatten. Eine zivilgesellschaftliche Initiative für den Abbau des Denkmals existiert bereits

Dennoch kann man in Bulgarien nicht davon sprechen, dass die Aufarbeitung des Kommunismus auf gutem Weg sei. In anderen ehemaligen kommunistischen Ländern wie beispielsweise Tschechien, Ungarn und Polen funktioniert sie bereits. Daher kommt man nicht umhin, sich zu fragen, wieso das in Bulgarien so beschwerlich ist.

Ein Projektsatz zur Gründung einer Stiftung zur Aufarbeitung existiert allerdings. Auch wurde im Europäischen Parlament eine Konferenz dazu abgehalten. Mehr wurde bislang nichts daraus. Einer der Akteure, von denen der Projektsatz entworfen wurde, sagte hierzu, dass die ehemaligen Kommunisten immer noch zu stark sind und blockierten. Aber wieso scheint das nur in Bulgarien der Fall zu sein und alle Nachbarländer, die ebenfalls einst kommunistisch waren, sind Bulgarien in diesen Dingen voraus?

Ein Ansatz, um dieses Phänomen zu erklären, bedarf eines Exkurses in die frühen 1990er Jahre. Der Widerstand gegen die Kommunisten lebte hauptsächlich von ideellen Werten. Man setzte sich für Freiheit, Demokratie und all die neu gewonnenen gesellschaftlichen Errungenschaften ein. Was aber mit Bulgariens wirtschaftlichen Ressourcen geschah, darüber machte sich ein idealistischer Freiheitskämpfer nur wenig Gedanken. Die alte Nomenklatura, also auch die Stasi, verschwand offiziell von der politischen Bühne; sie konnte sich aber wirtschaftlich bereichern und verfügt so bis heute über erhebliche ökonomische und damit auch politische Macht. Die kommunistische Partei wechselte zwar ihren Namen, nicht aber ihre Einstellung. Erschwerend kam hinzu, dass die westlichen Sozialdemokraten die "neue" sozialdemokratische Partei als eine solche anerkannten und so legitimierten.

Kann man also von der Bevölkerung eines Landes, dessen Führung nicht willens ist, die Geschichte des Landes aufzuarbeiten, erwarten sich hierzu selbst zu motivieren? Dies rechtfertigt aber nicht, dass Bulgarien als freier und demokratischer europäischer Staat in seiner Entwicklung stehen zu bleiben.

Die Aufarbeitung des Kommunismus muss Fortschritte machen. Nur so kann eine neue bürgerliche Zivilgesellschaft mit aufgeklärten und politisch engagierten Bürgern wachsen. Geschieht dies nicht, bleibt die bulgarische Bevölkerung gespalten und Fortschritt wird unmöglich gemacht.

Laura Brunner

Praktikantin im September 2014

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