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Pekinger Reaktionen auf die deutsche China-Strategie

Demonstrative Gelassenheit

Bewusst gelassen reagieren offizielle chinesische Stellen sowie die Staatsmedien auf die China-Strategie der Bundesregierung, die Außenministerin Annalena Baerbock am vergangenen Donnerstag, dem 13. Juli, in der Berliner Klosterstraße vorgestellt hat. Dabei hätte aus der Sicht Pekings schon der Ort der Präsentation – ausgerechnet bei dem von China sanktionierten Think-Tank Merics – Anlass zur Kritik geboten. Hinter der chinesischen Zurückhaltung steckt dabei auch das politische Kalkül, die Wogen zu glätten, um deutsche Investitionen in China nicht zu gefährden.

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Außenministerin Baerbock – ziemlich einsam in der Fremde

Provokation, Solidaritätsbekundung oder ein Mangel an Alternativen? Kurz vor der Sommerpause präsentierte Außenministerin Baerbock die seit Monaten erwartete China-Strategie der Bundesregierung in den Räumen des Mercator Institute for China Studies (Merics). Kein Bundeskanzler, kein Minister eines anderen Ressorts, kein Staatssekretär standen ihr zur Seite. Nicht die Bundespressekonferenz, das Auswärtige Amt oder der Deutsche Bundestag, sondern ein von China sanktionierter Think-Tank bot die Kulisse für Baerbocks Ausführungen. Im März 2021, nachdem die EU wegen Menschenrechtsverletzungen Sanktionen gegen China verhängt hatte, war Merics im Zuge einer Gegenreaktion auf der Pekinger Sanktionsliste gelandet.

 

Der Ort war für Beobachter bereits eine überraschende Wahl. Dass kein weiteres Mitglied der Bundesregierung bei der Präsentation zugegen war, ließ dann auch bei den anwesenden Journalisten Spekulationen zur inneren Geschlossenheit der Ampelkoalition in Bezug auf die Chinapolitik aufkommen. „Wie viel Olaf Scholz steckt in diesem Papier, wie viel Annalena Baerbock?“, wollte etwa der Korrespondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung von der Bundesministerin wissen. Bewusst spielte der Reporter auf Differenzen innerhalb der Bundesregierung an, die etwa bei dem Verkauf von Anteilen des Terminals Tollerort des Hamburger Hafens an das chinesische Staatsunternehmen COSCO an die Öffentlichkeit gelangt waren. Bundeskanzler Olaf Scholz begleitete die Präsentation des Chinapapiers lediglich aus der Ferne und setzte zwei Tweets mit bekannten Gemeinplätzen ab: „Ziel ist es nicht, uns abzukoppeln. Wir wollen aber kritische Abhängigkeiten künftig vermeiden. Mit der China-Strategie reagieren wir auf ein China, das sich verändert und offensiver auftritt. Für uns gilt: China ist und bleibt Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale.“ Und er versicherte: „Wir arbeiten mit China weiter zusammen, auch wirtschaftlich oder beim Klimaschutz.“[i]

 

Chinesisches Außenministerium betont Partnerschaft mit Deutschland

Mit betonter Gelassenheit reagierte das chinesische Außenamt auf die Veröffentlichung des deutschen Chinapapiers. „China hat das von Deutschland veröffentlichte Dokument zur Kenntnis genommen. Wir sind der Meinung, dass es kontraproduktiv ist, im Namen von ,Risikominderung‘ oder der ,Verringerung von Abhängigkeiten‘ zu konkurrieren und Protektionismus zu betreiben, den Sicherheitsbegriff zu überdehnen und die normale Zusammenarbeit zu politisieren“, betonte Außenamtssprecher Wang Wenbin während einer Pressekonferenz einen Tag nach der Veröffentlichung der Strategie am vergangenen Freitag.[ii] Und weiter: „Tatsächlich gibt es zwischen China und Deutschland weit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede und unsere Zusammenarbeit überwiegt bei weitem den Wettbewerb.“[iii] Ein klarer Rückbezug auf die Ausführungen Baerbocks, die in ihrer Merics-Rede betont hatte, dass aus ihrer Sicht „der systemische Rivale immer mehr in den Vordergrund tritt.“

 

Der Journalist und China-Experte Finn Mayer-Kuckuk hebt in seiner Analyse der chinesischen Reaktionen für China.Table die Differenzen in den Stellungnahmen des Außenministeriums und der chinesischen Botschaft in Deutschland hervor: „Die chinesische Botschaft in Berlin hatte sich zuvor noch deutlich kritischer geäußert als die Zentrale in Peking. Die Auffassung von China als Systemrivale widerspreche den Fakten und den gemeinsamen Interessen beider Länder. Die Botschaft warnte vor ,Missverständnissen und falschen Einschätzungen‘.“[iv] Trotz dieser Unterschiede im Tonfall konstatiert Mayer-Kuckuk: „Wer einen verbalen Tobsuchtsanfall aus Peking befürchtet hat, kann sich beruhigen.“[v]

 

Selbst die Staatspropaganda übt sich in Zurückhaltung

Selbst die als nationalistisch geltende Global Times begleitete das Chinapapier der Bundesregierung mit einer gewissen Zurückhaltung. Einen kleinen Seitenhieb in Richtung Deutschland konnten sich die Kommentatoren offensichtlich dennoch nicht verkneifen. Denn, so die Stoßrichtung, auch China könnte künftig verstärkt andere Partner bevorzugen: „Analysten wiesen darauf hin, dass Deutschland darüber nachdenken sollte, warum sein Anteil am chinesischen Außenhandel zurückgegangen ist, während der Anteil der Schwellenländer, wie der ASEAN-Mitglieder, der lateinamerikanischen und afrikanischen Länder, gestiegen ist“, so die mehr oder weniger dezente Warnung in Richtung Berlin.[vi]

 

In einem ausführlichen Online-Artikel verweist die Global Times auch auf ausländische Medien und Kritik an der China-Strategie, die von Lobbyverbänden geäußert wurde: So hätte etwa die deutsche Wochenzeitung Focus die China-Strategie als „verwirrend“ bezeichnet. Zudem hätten Wirtschaftsverbände, wie der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), die deutsche Politik vor „Eingriffen ins Exportgeschäft“ oder gar vor einer „Abschottung von China“ gewarnt. Auch habe das Wall Street Journal darauf verwiesen, dass die Endfassung im Vergleich zu einem bereits im November 2022 geleakten Entwurf „abgeschwächt“ worden sei.[vii]

 

Einordnung und Ausblick

Dass China nüchtern, ja fast moderierend, auf die deutsche Chinastrategie reagiert, dürfte mehrere Gründe haben. In wirtschaftlicher Hinsicht hat China kein Interesse daran, potentielle Investoren aus Deutschland durch eine überzogene Reaktion abzuschrecken. Die Jugendarbeitslosigkeit ist zuletzt offiziell auf über 20 Prozent gestiegen und rund zehn Millionen Uni-Absolventen drängen im Sommer zusätzlich auf den Arbeitsmarkt. Darüber hinaus kann China für sich als Erfolg verbuchen, dass die Schlussversion der Chinastrategie in Teilen deutlich abgeschwächt wurde. So kritisiert etwa die Tibet-Initiative Deutschland, dass Olaf Scholz „die China-Strategie aus dem Auswärtigen Amt weichgespült“ habe und das Thema Menschenrechte „deutlich weniger prominent“ sei als in der Entwurfsfassung.[viii] Peking dürfte dies als Punktsieg für sich verbuchen. Nicht zuletzt zeugte der einsame Auftritt von Annalena Baerbock bei Merics nicht unbedingt von einer inneren Geschlossenheit der Bundesregierung in der Chinapolitik. Zu groß wirkte dafür die Diskrepanz zur Vorstellung der Nationalen Sicherheitsstrategie, die Bundeskanzler Olaf Scholz vor wenigen Wochen gemeinsam mit vier Ministern in der Bundespressekonferenz präsentierte. Derweil wird auch den Lesern in Peking nicht entgangen sein, dass das Chinapapier nicht hält, was der Name verspricht: Es liefert auf 64 Seiten eine detaillierte Bestandsaufnahme der komplexen Beziehungen Deutschlands zu China, aber formuliert eben (noch) keine Strategie. So wird man in Peking hoffen, dass das Dokument folgenlos im Richtungsstreit zwischen dem Außenministerium und dem Bundeskanzleramt versandet. Denn auch in China wurde sehr genau registriert, dass sich die Veröffentlichung des Dokuments aufgrund von Interventionen aus dem Bundeskanzleramt um Monate verzögert hat. Entsprechend zitiert die Global Times chinesische „Experten“ mit der Voraussage, „dass die Strategie die Beziehungen zwischen Deutschland und China kurzfristig belasten könnte, aber (…), dass der Einfluss begrenzt sein wird.“[ix] Sollte die deutsche Bundesregierung keine weiteren Anstrengungen unternehmen, um dem Chinapapier konkrete Taten folgen zu lassen, könnte Peking mit dieser Prognose am Ende tatsächlich Recht behalten.

 

 

Quellenangaben:

[i] siehe hierzu ausführlicher: Hirn, Wolfgang 2023: Newsletter: Chinahirn, Ausgabe 71. 

[ii] Webseite des chinesischen Außenministeriums 2023: Foreign Ministry Spokesperson Wang Wenbin’s Regular Press Conference on July 14, 2023, abrufbar unter: https://www.fmprc.gov.cn/eng/xwfw_665399/s2510_665401/2511_665403/202307/t20230714_11113511.html, letzter Zugriff: 18.07.2023.

[iii] Ebd.

[iv] Mayer-Kuckuk, Finn 2023: Peking nimmt die Strategie gelassen auf, China.Table, 17.2.2023.

[v] Ebd.

[vi] Global Times 2023: Chinese FM urges Germany to formulate rational, pragmatic China policies, abrufbar unter: https://www.globaltimes.cn/page/202307/1294393.shtml, letzter Zugriff: 18.07.2023.

[vii] Global Times 2023: German government announces “China strategy”, abrufbar unter:  https://news.china.com/socialgd/10000169/20230714/45171998_all.html#page_3, letzter Zugriff: 18.07.2023.

[viii] Tibet Initiative 2023: Olaf Scholz hat die China-Strategie weichgespült, Pressemitteilung, abrufbar unter: https://www.tibet-initiative.de/olaf-scholz-hat-china-strategie-weichgespuelt/, letzter Zugriff: 18.07.2023.

[ix] Global Times 2023: Germany's first "China strategy" hurts its own companies more, has limited impact on bilateral ties, abrufbar unter: https://www.globaltimes.cn/page/202307/1294331.shtml, letzter Zugriff: 18.07.2023.

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Johann C. Fuhrmann

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Leiter des Auslandsbüros China - Peking

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