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Eine junge Afrikanerin über die Schulbildung von Mädchen

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Bei unserem Aufenthalt in Toubacouta nahmen wir im letzten März ein junges Mädchen in unserem Wagen mit, das per Anhalter unterwegs war. Ihr Rucksack ließ mich vermuten, dass sie aus der Schule kam. Nach acht Kilometern war sie immer noch nicht aus unserem Wagen ausgestiegen. Wie weit musste sie jeden Tag laufen, um zur Schule zu gelangen? Auch an den nächsten beiden Tagen nahmen wir dasselbe junge Mädchen mit, das wieder per Anhalter unterwegs war. Jetzt wurde sie von einer Mitschülerin begleitet.

Allmählich erfuhr ich etwas mehr über sie: Sie heißt Dior, ist 13 Jahre alt und geht in die vierte Klasse. Sie muss jeden Tag zehn Kilometer zu Fuß gehen, um die Schule zu erreichen. Dennoch beklagt sie sich nicht: Sie ist das einzige Mädchen in ihrem Dorf, das zur Schule gehen darf. Ihre Klassenkameradin Awa wird nicht bis zum Ende der offiziellen Schulpflicht die Schule besuchen: Die 14-Jährige soll sich in den nächsten Monaten verheiraten und ihren großen Traum, Krankenschwester zu werden, aufgeben. Ihr Vater hat so entschieden. Für ihn ist der Schulbesuch eines Mädchens Zeitverlust, denn Frauen sei es ohnehin vorbestimmt, den Haushalt zu führen. Trotz guter Schulergebnisse hat auch Dior Angst, ihr könne Ähnliches widerfahren. Sie hofft, im nächsten Jahr ihr Abschlusszeugnis der études élémentaires zu erhalten und nach Dakar zu einer Tante ziehen zu können. Allerdings wird sie dafür Hausarbeiten erledigen müssen. Sie will die Schule abschließen und „in einem Büro arbeiten“. Die Schilderung der jungen Mädchen löste tiefe Traurigkeit und Wut in mir aus: Awa und Dior symbolisieren das Drama der jungen Mädchen, für die Schulbildung noch keineswegs selbstverständlich ist. Wie vielen Mädchen wird das Recht auf Schulbildung genommen? Wie viele müssen mit dem Klischee leben, dass Frauen nur eine untergeordnete Rolle spielen können? Teile der Bevölkerung haben nach wie vor kein Interesse daran, Mädchen schulisch bilden zu lassen, sondern sind überzeugt, dass sich die Rolle der Frau auf das Haus beschränke. „Die französische Schule“ wird von ihnen als Institution wahrgenommen, die Frauen dazu zu bringe, die „normale Ordnung der Dinge“, in der die Frau dem Mann unterworfen sei, infrage zu stellen.

Diejenigen, die die Schule besuchen dürfen, bleiben dort oft nicht lange. Auch das bäuerliche Milieu hat dabei einen Einfluss: Parallel zum Unterricht sollen die Mädchen Arbeiten im Haushalt und auf den Feldern leisten. Sie finden daher zu wenig Zeit, sich der Schule zu widmen, erzielen Ergebnisse, die unter ihrem Potenzial liegen und das Schulgeld als überflüssige Ausgabe erscheinen lassen.

Frauen nehmen jedoch unabhängig von ihrer Bildung wichtige Funktionen innerhalb der Familie wahr. Während der Ernährer-Mythos verblasst, nach dem einzig der Mann das tägliche Einkommen erwirtschaften könne, sind die Hindernisse für den beruflichen Einstieg der Frauen weiterhin hoch. Frauen ohne Schulabschluss sind gezwungen, in schlecht bezahlten Berufen oder im Bereich der Schattenwirtschaft zu arbeiten. Zudem verfügt die Mehrzahl der Frauen aus den ländlichen Milieus nicht über Güter, die als Rückzahlungsgarantie gelten können, sodass sie Schwierigkeiten haben, eine mögliche Selbstständigkeit zu finanzieren. Doch auch für diejenigen mit Schulabschluss ist eine Arbeitsstelle nicht sicher. Im Senegal sind 71 Prozent der Arbeitslosen Frauen. Die Schwierigkeiten beim Einstieg in das Berufsleben tragen zur „Feminisierung der Armut“ bei. Diese Situation ist auch deshalb besorgniserregend, weil Frauen eine zentrale Rolle in der sozioökonomischen Entwicklung Afrikas spielen. Da sie wirtschaftliche Akteure sind und den Haushalten vorstehen, ist ihre Verarmung ein nicht unwesentlicher Faktor dafür, dass sich das wirtschaftliche Wachstum verlangsamt. Mit der Verfügbarkeit von Einkommen für Frauen wächst ihre Kaufkraft, die die Produktion von Waren im Bereich Ernährung, Gesundheit und Erziehung anregt. Die beste Investition Afrikas bestünde darin, Mädchen und Frauen den Schulbesuch zu ermöglichen – und den Einstieg ins berufliche Leben.


Marlyatou Diallo, geboren 1991 in Dakar (Senegal), Studentin des Centre d’Études des Sciences et Techniques de l’Information de l’Université Cheikh Anta Diop de Dakar.

Übersetzung aus dem Französischen: Michael Böhm, freier Autor und Publizist.