Asset-Herausgeber

DPM
von Christian Haase

Antworten auf die Preisverteuerung

Asset-Herausgeber

Inflation ist unsozial – dies ist eine alte Erkenntnis, die sich aktuell einmal mehr bestätigt. Ob an der Supermarktkasse, an der Tankstelle oder bei der Heizkostenabrechnung: Die gestiegenen Preise sind überall spürbar. Inflation trifft alle, aber Bürgerinnen und Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen besonders hart.

Wie viele andere Länder weltweit erlebt Deutschland einen gewaltigen Teuerungsschub – den größten seit vierzig Jahren. Begleitet wird die Rekordinflation von einer anhaltenden Rekordniedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und einer Rekordverschuldung des Bundes. Im Ergebnis haben die Bürgerinnen und Bürger durch Inflation und Null- oder sogar Negativzinsen mit einer doppelten Entwertung ihrer Kaufkraft zu kämpfen: einer Entwertung ihrer Einkommen und einer Entwertung ihres Ersparten. Dies betrifft besonders auch die angesparte Altersvorsorge. Viele Bürgerinnen und Bürger müssen zusehen, wie ihr kleines Vermögen für das Alter dahinschmilzt. Dazu kommen die hohen Energiekosten und Spritpreise, die zu weiteren erheblichen Mehrbelastungen für Millionen Bürgerinnen und Bürger, Pendler und Unternehmen führen. Zusätzlich droht die Gefahr einer sich selbst verstärkenden Inflation aufgrund anhaltend hoher Inflationserwartungen.

Es ist unstrittig, dass die Bekämpfung der Inflation absolute Priorität haben muss. Eine hohe Inflation zu bekämpfen, ist alles andere als trivial; dennoch steht die Politik der Herausforderung der Inflation nicht hilflos gegenüber. Jedenfalls darf sie sich nicht hinter der EZB-Politik verstecken. Die Unabhängigkeit der EZB ist zu Recht unantastbar. Wenn die EZB ihren Stabilitätsauftrag ernst nimmt, wird sie dem Beispiel anderer Notenbanken, etwa der US-amerikanischen Federal Reserve (Fed ), folgen müssen und die Leitzinsen erhöhen. Die EZB-Geldpolitik kann aber keine Entschuldigung für eine verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik in Deutschland sein. Kurzfristig muss die Bundesregierung die Bürgerinnen und Bürger entlasten sowie mittel- und langfristig zu einer Ausweitung des Warenangebots beitragen, das die Nachfrage bedienen kann. Nur das sorgt für dauerhaft niedrigere Preise.

Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung reichen weder kurz- noch mittelfristig aus. Das Steuerentlastungsgesetz sieht zwar durch Anhebung des Grundfreibetrags, des Arbeitnehmer-Pauschbetrags und einer teilweisen Anpassung der Entfernungspauschale eine Entlastung von Einkommensteuerzahlerinnen und -zahlern vor. Auch die Auszahlung einer Energiepreispauschale an alle Beschäftigten in Höhe von 300 Euro und eines Kinderbonus in Höhe von 100 Euro sind grundsätzlich zu begrüßende Maßnahmen, die allerdings zu kurz greifen. Ob und wie die Bundesregierung nachlegt, steht derzeit noch in den Sternen.

 

Profiteur der Inflation

 

Besonders für Menschen mit geringerem Einkommen sind die gestiegenen Preise ein großes Problem. Diesen Menschen muss gezielt geholfen werden. Die Maßnahmen der Ampelkoalition erreichen aber gerade diese Menschen oftmals nicht. Rentnerinnen und Rentner, Studentinnen und Studenten sowie junge Familien, die Elterngeld beziehen, und andere Empfänger von Lohnersatzleistungen erhalten die Energiepreispauschale nicht. Die Forderungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Energiepreispauschale auch diesen Personen zu gewähren, hat die Ampelkoalition vorerst abgelehnt. Stattdessen wird die Pauschale nun ab September lediglich einem begrenzten Personenkreis ausgezahlt. Das ist zu wenig und zu spät.

Einkommensschwache Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie Minijobber in Privathaushalten und Solo-Selbstständige erhalten die Energiepreispauschale erst nach der nächsten Heizsaison und frühestens ein halbes Jahr später als Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit höheren Einkommen. Darüber hinaus will die Bundesregierung die Energiepreispauschale über Lohn- und Verrechnungskonten der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auszahlen, statt die Wirtschaft von bürokratischem Aufwand zu entlasten. Auch das Thema „kalte Progression“ geht die Bundesregierung nicht zielgerichtet an. Die Anhebung des Grundfreibetrags beseitigt die drohende kalte Progression nicht wirksam, sondern deckt nur knapp die Teuerungsrate des Jahres 2021 ab. Die prognostizierte Inflation für das Jahr 2022 bleibt unberücksichtigt.

Die Bundesregierung kann und muss mehr tun. Die aktuelle Steuerschätzung zeigt, was längst erwartbar war: Der Staat ist ein Profiteur der Inflation. Steigende Preise bedeuten steigende Steuereinnahmen. Die 162. Steuerschätzung vom Mai 2022 zeigt im Vergleich zum November 2021 durchschnittlich jährlich um 44 Milliarden Euro höhere Steuereinnahmen an.

 

Notwendige Entlastungen

 

Es sind also ausreichend finanzielle Mittel für weitere Entlastungen vorhanden. Darüber hinaus gibt es die Rücklage des Bundes in Höhe von 48,2 Milliarden Euro. Wann, wenn nicht jetzt in dieser absoluten Ausnahmesituation – zwei Jahre Pandemie, Rekordinflation, Krieg in Europa –, sollte eine solche Rücklage mobilisiert werden? Denn ohne weitere Maßnahmen droht eine Stagflation: Inflation plus Niedrigwachstum.

Wie kann ein wirkungsvoller Schutzschirm gegen die Inflation aussehen? Der gesamte Einkommensteuertarif muss an die hohe Inflation angepasst werden, um die kalte Progression kurzfristig und vollständig abzubauen. Ein zusätzlicher Inflationsausgleich in Höhe von neun bis zehn Milliarden Euro ist laut Bund der Steuerzahler über den Grundfreibetrag hinaus notwendig. Höhere Nettolöhne wirken auch Lohnsteigerungen und den sogenannten Zweitrundeneffekten – Preiserhöhungen als Reaktion auf vorangegangene Kostensteigerungen – entgegen. Sonst würde eine solche Lohn-Preis-Spirale die Inflation weiter beschleunigen.

Der Preisdruck bei Energieprodukten muss passgenau gesenkt werden. Die Entlastungsmaßnahmen müssen dabei die besonders betroffenen Bürgerinnen und Bürger erreichen. Das heißt, insbesondere dafür zu sorgen, dass die Energiepauschale auch Studenten, Rentnern, jungen Familien und anderen Beziehern von Leistungsersatzleistungen zugutekommt. Der Familienzuschuss der Bundesregierung sollte mit 200 Euro pro Kind doppelt so hoch ausfallen. Gleiches gilt für den Heizkostenzuschuss. So erreicht man passgenau die Menschen, die eine Entlastung in diesen Zeiten am dringendsten brauchen.

Die auf 38 Cent pro Kilometer erhöhte Pendlerpauschale sollte bereits ab dem ersten anstatt erst ab dem 21. Kilometer gelten. Noch besser wäre eine echte und dauerhafte Entlastung für Pendler, indem über die Anhebung der einkommensteuerrechtlichen Entfernungspauschale hinaus diese dynamisch in Abhängigkeit vom jeweils geltenden CO2-Preis nach dem Brennstoffemissionshandelsgesetz weiterentwickelt wird.

Daneben bedarf es befristeter Strom- und Energiesteuersenkungen für die Jahre 2022 und 2023. Eine Absenkung der Stromsteuer von derzeit 20,50 Euro pro Megawattstunde (MWh) auf den Mindeststeuersatz der Europäischen Union von einem Euro/MWh bei nicht gewerblicher Nutzung und fünfzig Cent/MWh bei gewerblicher Nutzung ist sinnvoll. Auch die Energiesteuer auf die Kraftstoffe Benzin, Super und Diesel kann für zwei Jahre befristet auf das unionsrechtliche Minimum abgesenkt werden.

Deutschland muss von russischen Gas-, Kohle- und Ölimporten unabhängiger werden. Zugleich muss es auch bestmöglich auf einen Lieferstopp durch Russland und mögliche Sanktionen vorbereitet sein. Deshalb muss sich die Bundesregierung anderen Handelspartnern und anderen Energieträgern zuwenden. Unsere bestehenden Gasspeicher sollten so weit wie möglich gefüllt werden. Es ist auch wichtig, dass die landgebundenen und schwimmenden Flüssiggas-Terminals in Brunsbüttel, Wilhelmshaven und Stade sowie in Hamburg, Rostock und Lubmin schneller gebaut werden können. Verflüssigtes Erdgas – etwa aus den USA, Kanada oder Australien – ist eine echte Alternative zu russischem Erdgas.

 

Abbau von Handelshemmnissen

 

Eine wirksame Strategie gegen Stagflation muss auch strukturelle Maßnahmen beinhalten, die zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und langfristiger Preisstabilität führen. Dazu zählen eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, der konsequente Abbau von Bürokratie und Investitionshemmnissen sowie Anreize für Innovation und Investition in der privaten Wirtschaft.

Der Preisdruck bei Verbrauchsgütern kann auch durch ein erweitertes Angebot gesenkt werden. Bereits verhandelte Freihandelsabkommen wie CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement, Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen EU–Kanada) müssen endlich ratifiziert werden. Es ist unerklärlich, dass die Grünen öffentlichkeitswirksam mit Katar verhandeln, aber bei einem Handelspartner wie Kanada blockieren. Mit Kanada teilt die Europäische Union (EU) so viele Standards und Normen wie mit kaum einem anderen Nicht-EU-Mitgliedstaat. Mit der Ratifizierung von CETA bis zum Sommer sollte Deutschland daher ein deutliches Signal an die Europäische Union und seine Handelspartner senden. Auch neue Handelsabkommen mit den USA, dem Vereinigten Königreich, Australien, Neuseeland und dem Gemeinsamen Südamerikanischen Markt (Mercado Común del Sur, MERCOSUR) müssen auf die Agenda gesetzt werden. Der Abbau von Handelshemmnissen ist der beste Weg, Preise zu senken. Dem weltweiten Trend zur Regionalisierung des Handels sollte sich Deutschland entgegenstellen.

Auf Ebene der Europäischen Union sollte es eine Einigung darüber geben, dass ihre Legislativvorhaben, die sich preistreibend auswirken, im Rahmen eines Belastungsmoratoriums unterbleiben beziehungsweise um zwei Jahre zurückgestellt werden. Weiter ist ein Verzicht auf die geplante Stilllegung von vier Prozent der Ackerflächen im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2023 sinnvoll, um die Preisexplosion bei Lebensmitteln zu stoppen. Durch den russischen Angriffskrieg fällt mit der Ukraine eine Kornkammer der Welt teilweise aus. Wenn ökologische Vorrangflächen in Deutschland für den Anbau aller Feldfrüchte einschließlich des Einsatzes erforderlicher Pflanzenschutzmittel freigegeben werden, leistet das in dieser Phase einen wichtigen Beitrag zur Nahrungsmittelversorgung nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Teilen der Welt.

Ein derartig ausgestaltetes Entlastungspaket in Höhe von rund dreißig Milliarden Euro beinhaltet die Inflationskomponente für die arbeitende Bevölkerung, berücksichtigt die Unternehmen, die Pendler sowie Familien, Rentner und sozial Schwache. Die Hälfte der Kosten müsste der Bund tragen. Angesichts einer Rücklage des Bundes von 48,2 Milliarden Euro bliebe sogar Geld für eine Senkung der Nettokreditaufnahme übrig. Ab dem kommenden Jahr muss die grundgesetzliche Schuldenbremse wieder eingehalten werden. Auf Ebene der Europäischen Union gehört der Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder in Kraft gesetzt. Auch eine solide Haushaltspolitik ist eine Maßnahme gegen die Inflation. Denn nur dann ist die Zentralbank in der Lage, Zinserhöhungen vorzunehmen, ohne die Staatshaushalte zu überfordern.

 

Christian Haase, geboren 1966 in Höxter, Haushalts politischer Sprecher der CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag, Bundesvorsitzender der Kommunal politischen Vereinigung der CDU und CSU (KPV).

 

comment-portlet