Asset-Herausgeber

Der Film "Hannah Arendt" von Margarethe von Trotta

Asset-Herausgeber

Ein Film ist kein Geschichtsbuch, kein ausgearbeiteter wissenschaftlicher Beitrag mit erklärenden Fußnoten. Unabhängig davon, ob dokumentarisch oder fiktional: Filme über historische Themen deuten, akzentuieren und inszenieren Geschehenes. Spielfilme haben dabei den Vorzug, dass sie Geschichten von Menschen erzählen können und so dem Zuschauer Haltungen, Gefühle und Gedanken nahebringen. In ihrem Film Hannah Arendt unternimmt Margarethe von Trotta 113 Minuten lang genau das und präsentiert uns ein weiteres biopic, ein biographical picture, also eine filmische Biografie, in der in fiktionaler Form das Leben der großen Philosophin und Publizistin nachgezeichnet wird. Einmal mehr wählt die Autorenfilmerin, die diesmal gemeinsam mit Pamela Katz das Drehbuch schrieb, eine starke Frau zur Protagonistin. Während sie es einst – in den Zeiten des in den 1970er- und 1980er-Jahren dominanten Neuen Deutschen Films und seiner maskulin geprägten Regisseurgemeinschaften – schwer hatte, sich mit ihren Themen zu etablieren, treibt sie heute dagegen auf einer Woge deutscher Filme, die Geschichte inszenieren. Das oscarprämierte Stasidrama Das Leben der Anderen oder die filmische Inszenierung des deutschen Sonderwegs Das weiße Band von Michael Haneke, die die Goldene Palme erhielt, sind nur zwei Beispiele. Kommerziellere Produktionen kommen hinzu, wobei von Trotta ihren auf Reflexion zielenden Zugang gegenüber einem Kino der Effekte bewahrt.

Hannah Arendts einst umstrittener Report Eichmann in Jerusalem ist seit inzwischen fünfzig Jahren ein nicht wegzudenkender Teil der Erinnerungskultur und ebenso der Kontroverse um die „crimes against humanity“, die im Nationalsozialismus zum System wurden, sowie um die Justiziabilität dieser Verbrechen nach 1945. Naheliegend erscheint es vor diesem Hintergrund, dass Margarethe von Trotta die Denkerin nun selbst als Filmthema auf die Leinwand bringt und dabei den Eichmann-Bericht in den Mittelpunkt stellt.

Wer die Schriften und Briefe Hannah Arendts, vor allem Eichmann in Jerusalem, kennt, dem mag der Film zunächst wie ein sorgfältiges Referat vorkommen. Arendt-Zitat reiht sich an Arendt-Zitat. Selbst der Beginn des Films – die Entführung Eichmanns in Argentinien – hat einen solchen Charakter, da dieses Ereignis fast wie in Arendts Bericht ausführlich referiert und diskutiert wird: Hans Jonas (Ulrich Noethen) bezieht hier hitzig Gegenposition, Arendts Mann Heinrich Blücher (Axel Milberg) und Arendt selbst (Barbara Sukowa) halten argumentativ dagegen.

In Jerusalem ist die Protagonistin dann mit dem Prozess gegen den bürokratischen Vollstrecker der „Endlösung der Judenfrage“ konfrontiert. Seine Mittelmäßigkeit, seine Unfähigkeit, zu sprechen und zu denken, lassen sie ebenso sehr verzweifeln wie lachen. Aber auch ihre Umgebung außerhalb des Gerichtes fordert sie heraus. Sie trifft einen alten Freund – eine reale Figur –, Kurt Blumenfeld (Michael Degen), einen ihr aus alten Berliner Tagen bekannten Zionisten. Er heißt sie herzlich inmitten seiner großen, enkelreichen Familie willkommen. Und doch bleiben ihr Jerusalem und Israel sichtlich fremd. Fast surreal wirken die Bilder von orthodoxen Juden, die durch die von Hitze beherrschte Stadt laufen. Dazwischen montiert sind die Dokumentaraufnahmen des Eichmann-Prozesses, die umso eindrücklicher zur Geltung kommen, weil sie sich scheinbar mit der nachgespielten Alltagsrealität reiben. Die Gerichtsszenen haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, aber in ihrer Länge sprengen sie das Bekannte und geben dem Zuschauer neue und vertiefte Eindrücke vom realen Geschehen.

Die nachfolgenden Szenen spielen in New York. Hier entfaltet sich die Geschichte einer Ehe in charmanten Dialogen – freilich vor Stapeln von Prozessakten. Wir erleben die Freundin Hannah Arendts, Mary McCarthy (Janet McTeer), wie sie klugen Beistand beweist, ebenso die Assistentin Lotte Köhler (Julia Jentsch). Später erscheint der Eichmann-Bericht in der Zeitschrift The New Yorker, und die Anfeindungen gegen Hannah Arendt brechen los. Im Film kulminiert das Geschehen im Auftreten israelischer Agenten und im Zerbrechen der Freundschaft mit Blumenfeld – noch dazu an dessen Sterbebett in Israel. Es wird deutlich: Sie kann sich nicht auf die Seite eines Staates schlagen, selbst nicht auf die des neu gegründeten israelischen. Hannah Arendt ist konsequent als selbstbestimmter Paria gedeutet: „Meine Freunde sind meine Familie“, sagt sie auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen. Diese Passagen sind ihrem Briefwechsel mit Gershom Scholem entnommen.

Der Streit mit dem geliebten Gegenspieler, Hans Jonas, verleiht dem Konflikt eine persönlich-tragische Komponente. Nachdem die Universitätsherren ihre Gegenrede wortlos verlassen haben, kündigt ihr der Vertraute die Freundschaft. Hoffnung schimmert allein aus den Augen des begeisterten Studentenpaars, was die Wirkungsmacht der angegriffenen Professorin über die aktuellen Anfeindungen hinaus zumindest andeutet. Dramaturgisch gespiegelt wird das Paar in Rückblenden, in denen die junge Marburger Studentin gemeinsam mit dem Freund entsetzt die nationalsozialistisch getönten Stellungnahmen von Arendts Lehrer und Geliebtem, Martin Heidegger, entdecken muss.

Insgesamt fällt bei Betrachtung der Nebenfiguren auf, wie sehr sie Spiegel oder Reibefläche der Protagonistin sind. Mit Ausnahme einiger Frauenfiguren wie etwa Mary McCarthys, die sich von der oberflächlichen Exzentrikerin zu einer klugen Verteidigerin wandelt, werden die Mitspielenden lediglich zu Stellvertretern von Haltungen, mit denen sich die Protagonistin auseinandersetzt. Hannah Arendt selbst erscheint trotz aller geschliffenen Rhetorik und ihrer Unerbittlichkeit im Denken vor allem als ein weicher und verwundbarer Charakter. In ungezählten Großaufnahmen inszeniert Margarethe von Trotta ihre Hauptdarstellerin Barbara Sukowa mit Tränen in den Augen. Wenn sie sich verteidigt, übertönen Mut, aber auch Verzweiflung die intellektuelle Schärfe. Die Rückblenden auf ihre widersprüchliche Beziehung mit Martin Heidegger unterstreichen ihre Verletzlichkeit. Evident wird en passant, wie konsequent die Regisseurin Hannah Arendt aus einer Binnenperspektive inszeniert, die die kritische Distanz einer Betrachtung „von außen“ weitgehend aufgibt.

Die Inszenierung von weiblichen Hauptfiguren und das Interesse für Zeitgeschichte sind zwei wichtige Momente im Schaffen Margarethe von Trottas. Zur Verortung ihres neuesten Film hilft eine Rückblende: 1975 schrieb sie mit ihrem Ehemann Volker Schlöndorff das Drehbuch zum Film Die verlorene Ehre der Katharina Blum und führte die Co-Regie. 1977 debütierte sie als Regisseurin mit dem mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichneten Film Das zweite Erwachen der Christa Klages. Mit dem oscarnominierten TV-Wende-Film Das Versprechen schien ihre Kinokarriere abgeschlossen, als sei die Regisseurin – wie so viele vor ihr – endgültig beim Fernsehen gelandet, das für umfangreiche Werke die besseren Bedingungen liefert. Von Trottas Projekt Rosenstraße war mangels Filmförderung zwischenzeitlich eingestellt worden: „Es war gerade Comedy-Time in Deutschland und so ein ernstes Thema unerwünscht“, resümierte sie. 2003 kam der Film in die deutschen Kinos. Dass das internationale Interesse an der filmischen Vergangenheitsbewältigung ein anhaltender internationaler Trend sein würde, ahnte kaum jemand im deutschen Film. War die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus einst Lücke oder politisches Statement, avancierte sie nun zum Absatzmarkt.

Das zweite wichtige Moment für die Regisseurin, die Inszenierung weiblicher Hauptfiguren, lässt sich nicht nur im kursorischen Blick über ihre Filme belegen. Bereits 1985 inszenierte sie Barbara Sukowa in einem Biopic Rosa Luxemburg – ebenso wie Hannah Arendt ein Film, der ausführlich aus den Schriften der Protagonistin zitiert. Möglicherweise spielt auch der pathetische Untertitel des Arendt-Films „Ihr Denken veränderte die Welt“ auf diese Verknüpfung an? Beide Filme eint, dass sie ihre Protagonistinnen im Spannungsfeld zwischen Gefühl und Verstand ausloten. Daraus erklärten sich zweifelsohne auch die ausgestellte Sanftheit und die Ambivalenz zwischen intellektuellem Mut und persönlicher Verwundbarkeit, die die filmische Deutung Hannah Arendts ausmachen.

Dieser Binnenperspektive wird – trotz aller und durch alle Originalzitate – manche historische Genauigkeit untergeordnet. Ein Film ist dann aber doch kein Referat. Wenn er dazu anregt, sich in das Denken Hannah Arendts zu vertiefen und Eichmann in Jerusalem aus dem Bücherschrank zu kramen, wäre das sehr viel.


Stefanie Mathilde Frank, geboren 1981 in Erfurt, Studium der Theaterwissenschaft/Kulturellen Kommunikation, Philosophie und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2008 Doktorandin am Seminar für Medienwissenschaft. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die deutsche Film- und Mediengeschichte.

Margarethe von Trotta, in: Thilo Wydra: Margarethe von Trotta: Filmen, um zu überleben. Berlin 2000, Seite 43.

comment-portlet