Asset-Herausgeber

Mythen und Herausforderungen der Share Economy

Asset-Herausgeber

Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der Share Economy. Es tritt (noch) nicht wirklich, als realwirtschaftliche Tatsache, in Erscheinung. Aber es geistert als Ideologie schon mächtig durch die Köpfe der Zukunftsdeuter: Um die Herrschaft über den Begriff streiten sich auf der einen Seite grüne Nachhaltigkeitsfreunde und netzromantisch bewegte Nerds, die im Teilen von Files und Creative Commons das bessere Haben erblicken. Sie schwärmen von Zugang, Mitsprache, Transparenz und Emanzipation – und erblicken im „What’s mine is yours“ die Chance, die Herrschaft aller über die Produktionsmittel zu erreichen und damit den Kapitalismus zu überwinden. Die Share Economy, die diese Menschen meinen, adressiert eine Community sozialinnovativer Ko-Konsumenten mit einem großen Vorrat an postmaterialistischen Bedürfnissen.

Auf der anderen Seite haben wir es seit einigen Monaten mit Deregulierungsapologeten zu tun, die sich von Internet-Plattformen wie „Uber“ (Vermittlung von Fahrten) und „Airbnb“ (Vermittlung von Wohnraum) frischen Innovationswind versprechen. Sie schelten den bürokratischen „Verbotsstaat“, freuen sich über jeden Angriff auf „verkrustete Strukturen“ am Arbeitsmarkt und sehnen im Namen des Wettbewerbs den Todesstoß für alles zünftig Organisierte herbei. Die kreative Freiheit von Jungunternehmern, die Regeln brechen und alte Geschäftsmodelle zerstören, geht ihnen über alles: Joseph Schumpeter lebe hoch! Die Share Economy, die diese Menschen meinen, vernetzt die „Gesellschaft“ zu einem Heer atomisierter „Prosumenten“ – zu Menschen, die sich aus freien Stücken als Produzenten und Konsumenten begegnen und austauschen.

Beide Denkbewegungen weisen in die falsche Richtung. Spätestens seit dem NSA-Skandal ist klar, dass das Internet kein digitaler Kirchentag ist, auf dem sich lauter Wohlgesinnte wechselseitig ihrer Sankt-Martins-Solidarität versichern, sondern ein staats(konzern)kapitalistischer Machtraum, in dem es um die Annexion von Kundendaten geht. Auch das „Habenwollen“ verliert nicht an Bedeutung, nur weil gestreamte Musik und Filme fast nichts mehr kosten, nur weil der Verzicht auf das eigene Auto in der Großstadt nicht auch Verzicht auf individuelle Mobilität bedeutet. Statt des Autos konfiguriert der moderne Besitzindividualist heute lieber sein Smartphone. Das ist alles.

Fast noch merkwürdiger ist daher die Bewunderungsbereitschaft der Vulgärliberalen für Neuankömmlinge im alten, konzernkapitalistischen Spiel. Sie preisen im Namen des Wettbewerbs Konkurrenten, die Regeln (Arbeitsrecht, Sicherheit, Lizenzen, Steuern) verletzen – Unternehmen, die sich, ausgestattet mit reichlich Privatkapital, Zugang zu einem Markt verschaffen, den sie möglichst zu monopolisieren gedenken. Mit Marktwirtschaft und Ordnungspolitik, die im Sinne Ludwig Erhards Instrumente zur „Sozialisierung des Fortschritts“ sind, hat das nichts zu tun. Ordnungspolitik heißt: Die Marktzugangsschranken für alle Anbieter so niedrig wie möglich halten – und alle Wettbewerber unterschiedslos auf die Einhaltung von Standards verpflichten, auf die sich ein Gemeinwesen einigt. Wie bloß kommen Erhards schieläugige Stiefenkel darauf, ordnungspolitischer Fortschritt entstünde durch die Privatisierung von Wettbewerbsbedingungen?

Auf welche Entwicklungen aber hat sich die Politik einzustellen? Vor welche ordnungs- und sozialpolitischen Herausforderungen wird sie gestellt? Eine Antwort in fünf Fragen und fünf Thesen

 

Machtloser Staat?

Share Economy heißt: Privatisierung und abnehmende Sichtbarkeit ökonomischer Transaktionen. Plattformen vermitteln ein Geschäft zwischen zwei Ich-AGs, die an keine branchenüblichen Qualifikationsniveaus gebunden sind. Dafür erheben die Betreiber eine Provisionsgebühr, während es dem Staat überlassen bleibt, die (steuerliche) Rechtmäßigkeit des Geschäfts zu kontrollieren. Das läuft einerseits auf einen Machtzuwachs der intermediären Ebene hinaus: Die Plattformen vermitteln, ohne verantwortlich zu sein – und werden dafür auch noch vom Kunden gemocht. Und das hat andererseits einen Machtverlust des Steuerstaates, der Gewerkschaften und der Industrieverbände zur Folge: Die Verbindlichkeit institutionell verankerter Regeln erodiert.

 

Ist der Kunde König?

Fast jedes kapitalistische Plattform-Unternehmen – Amazon, Spotify, Netflix Airbnb, Uber – behauptet: Der Kunde ist König. Doch was gut für den Händler ist, muss nicht gut für Produzenten und Mitarbeiter sein. Musiker schimpfen über kleine Honorare, Schriftsteller fürchten die Flat-Tax für Bücher, Uber-Fahrer begehren gegen Mini-Löhne auf. Das Wohl des Kunden ist für digitale Plattform-Kapitalisten die Rechtfertigung für das Wehe von Content-Lieferanten und Mitarbeitern? Das kann nicht im Interesse der Politik sein. Politik kennt keine Kunden. Sie ist ihren Bürgern verpflichtet.

 

Wird die Freiheit einsam und arm?

Der Verbilligung des Konsums entspricht die Verbilligung der Arbeit. Beispiel Crowd Sourcing. Auf Internet-Plattformen wie Freelancer, Clickworker oder Amazons Mechanical Turk werden Tätigkeiten angeboten und gekauft. Für den Arbeitgeber bedeutet das: Er kann schnell und billig auf Know-how und Ressourcen zugreifen, muss keine Gebäudekosten, Steuern, Rentenbeiträge zahlen. Der Vorteil für den Ich-Unternehmer: Er verdient sich was dazu, stellt sein Können unter Beweis, arbeitet selbstbestimmt – theoretisch. Denn klar ist auch: Die Konkurrenz schläft nicht und bietet ihre Dienste vielleicht günstiger an.

 

Niedriglohn-Akademiker?

Führt also die Share Economy dazu, dass der Niedriglohnsektor sich ins Reich der Akademiker ausbreiten wird? Dagegen sprechen die Demografie und der „Fachkräftemangel“. Allerdings spricht einiges dafür, dass die Share Economy die Kluft zwischen zwei Klassen von Beschäftigten vergrößern wird. Zwischen dem Sonnendeck-Arbeitnehmer, der in einem Konzern beschäftigt ist, reichlich Geld verdient und den Smartphone-Kapitalismus als Freiheitsgewinn genießt. Und dem Maschinenraum-Arbeitnehmer, der sich täglich als Ware seiner selbst zu Markte trägt, mit anderen Ich-Unternehmern in einem ruinösen Wettbewerb steht und die digitale „Freiheit“ als alltäglichen Zwang empfindet.

 

Arbeitnehmer, die nichts verbindet?

Die Plattformen sind in diesem Spiel paradoxerweise allgegenwärtig und unsichtbar zugleich. Sie eröffnen ihren Kunden rund um die Uhr Zugänge und enthalten sich im Übrigen jeder Teilnahme. Sie sind das Medium, das an allen Kollektivinteressen vorbei eine Verständigung zwischen Ichlingen ermöglicht. Für den Maschinenraum-Arbeitnehmer heißt das auch, nicht mehr Teil einer sozialen Gruppe (der Belegschaft) zu sein. Er ist in der Share Economy der Ich-Unternehmer, der mit seinen Konkurrenten nur eines teilt: die Sorge um den nächsten Auftrag.

 

Dieter Schnaas, geboren 1966 in Düsseldorf, seit 2003 Chefreporter und Autor des Magazins „WirtschaftsWoche“.

comment-portlet