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Was heißt heute Mitte?

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„Politische Mitte“ heißt heute nichts anderes als vor dreißig oder vierzig Jahren: Die „Politische Mitte“ ist das Gegenteil von Extremismus. Damit die „Politische Mitte“ stark ist, muss sie sich rechts und links bis hin zu den Rändern des demokratischen Spektrums um die Menschen „kümmern“ und auch ihnen ein entsprechendes inhaltliches und personelles Angebot unterbreiten. Derzeit scheint es, als ob sich die „Politische Mitte“ auf dem Rückzug von den Rändern befinde. Doch Extremisten das Feld zu überlassen, wäre das weitaus größere Übel.

Über die Ablehnung von Extremismus hinaus sagt „Mitte“ aber kaum etwas aus. „Mitte“ allein ist kein Kompass für das politische Handeln; „Mitte“ ist keine Gewähr für Erfolg oder richtige Entscheidungen. Mitte kann auch Beliebigkeit sein, selbst Opportunismus. „Politische Mitte“ heißt aber, die Werte und Tugenden der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten, die dieses Land zu dem gemacht haben, was es heute ist. Weltoffenheit und Patriotismus zu verbinden, den Dreiklang von Heimat, Europa, Vaterland ernst zu nehmen. Die wirkliche „politische Mitte“ muss liberale, soziale und konservativ-nationale Elemente miteinander verbinden, die in ihrer Verbindung meine Partei erst zu einer „Union“ werden ließen. Keines dieser Elemente hat eine alleinige Berechtigung. Nur zusammen machen sie unsere Grundorientierung aus. Aber auch – teils als Sekundärtugenden verpönte – Wertvorstellungen und Haltungen wie Maß, Bescheidenheit, Fleiß und Verantwortungsbewusstsein gehören zur „Politischen Mitte“.

In der Tagespolitik steht „politische Mitte“ für ein ebenso pragmatisches wie werteorientiertes Handeln im Interesse der Menschen in den Kommunen, Ländern und in Deutschland, das dabei auch Europa und das Atlantische Bündnis immer fest mit im Blick hat. Wie konkretisiert sich dieser bewusst anti-ideologische Ansatz? Einige aktuelle Beispiele.

Bildungspolitik wird in Deutschland leider Gottes überwiegend von Ideologen links von der Mitte dominiert. Verändert haben sie viel, verbessert haben sie nach meiner Auffassung wenig. Die Grundlage dieser verfehlten Bildungspolitik ist eine Ideologie, die im Wesentlichen auf Fehleinschätzungen beruht:

Fehleinschätzung Nr. 1: Die Menschen sind alle gleich und können alles gleich gut lernen. Richtig ist aber, dass die Menschen verschieden sind und unterschiedliche Talente haben. Da die Talente unterschiedlich sind, müssen die Bildungsangebote ebenfalls unterschiedlich sein.

Das Prestigeprojekt der Parteien links der Mitte, die staatliche Einheitsschule, muss scheitern.

Fehleinschätzung Nr. 2: Hohe Abschlussquoten zeugen von hohem Bildungsniveau. Das Gegenteil ist richtig. Wer nach Art der Planwirtschaft widersinnig hohe Abschlussquoten anstrebt, der kommt zur „Planerfüllung“ nicht umhin, das Niveau zu reduzieren. Die Folge ist ein Qualitätsverlust an unseren Schulen.

Diesen Fehleinschätzungen folgend, verändern die Befürworter der Einheitsschule links der Mitte unsere Schullandschaft und wollen auch das Gymnasium schrittweise zugrunde richten. Dies geschieht durch die Abschaffung der schulformbezogenen Lehrerausbildung, die Angleichung der Lehrpläne aller Schulformen, die Reduzierung der Leistungsanforderungen in den Lehrplänen. In den Gesamtkontext der Nivellierung gehören aber auch die Abschaffung des Sitzenbleibens und der Noten, die deutliche Bevorzugung der einheitlichen Schulen bei der Ausstattung, die Erzwingung der Total-Inklusion bei allen Schulen, die Inflation sehr guter Noten, die Veränderung der Grundschule zur Spielschule.

Das sind die „Trojanischen Pferde“, wie sie Josef Kraus vom Deutschen Lehrerverband treffend bezeichnet, die unser Schulwesen, insbesondere das Gymnasium, in seiner Substanz bedrohen. Es kommt darauf an, dass die „Politische Mitte“ sich dieser Fehlentwicklung entgegenstemmt. Die „Politische Mitte“ wird in dieser Diskussion ausschließlich von Christdemokraten und Christsozialen gebildet, wohingegen sich SPD oder Grüne bedauerlicherweise konträr positionieren.

Ein weiteres Beispiel für die Auseinandersetzung der „politischen Mitte“ gegen linke ideologische Verirrungen ist die datenschutzpolitische Diskussion über eine stärkere Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten. Im Bundesland Berlin galt bis zum Regierungseintritt der CDU 2011 die datenschutzgesetzliche Bestimmung gemäß Paragraf 31b Absatz 3a Satz 2 Berliner Datenschutzgesetz, wonach Videoaufzeichnungen, zum Beispiel der Berliner Verkehrsbetriebe in ihren Bahnhöfen, nach nur 24 Stunden zu löschen waren. Das Gesetz basiert auf der Auffassung, dass die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger durch diese Videoaufzeichnungen schwerwiegend beeinträchtigt worden seien. Der Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit, ihrer Gesundheit und ihres Eigentums sowie das Interesse unseres Staates, Straftaten erfolgreich aufzuklären und Straftäter zu verurteilen, wird dieser Bestimmung klar untergeordnet. Bestritten wurde bis zuletzt, dass hohe Aufklärungsquoten an bislang kriminalitätsbelasteten Orten künftige Straftaten verhindern.

Nur die klare Haltung der „politischen Mitte“ in Berlin hat es ermöglicht, eine maßvolle Verlängerung der Speicherfristen auf 48 Stunden durchzusetzen. Dafür sprach insbesondere, dass Opfer von Gewalttaten aufgrund ihres Krankenhausaufenthaltes häufig erst nach mehr als 24 Stunden nach der Tat in der Lage waren, die erlittenen Gewalttaten anzuzeigen, sodass der Zugriff auf die Videoaufzeichnungen zur Aufklärung der Gewalttaten zu spät erfolgte.

Dieselbe Auseinandersetzung wird heute angesichts steigender Gewaltvorfälle fortgeführt. An kriminalitätsbelasteten öffentlichen Plätzen muss die Möglichkeit zur Videoüberwachung ausgebaut werden. Erneut gilt es, den Sicherheitsbehörden die notwendigen Mittel an die Hand zu geben, um die Bürger wirksam zu schützen.

Es gibt zu denken, dass der Schutz der Bevölkerung und des Staates vor Terrorismus durch deutsche Geheimdienste allein nicht zu gewährleisten ist und diese auf Informationen der Geheimdienste befreundeter Staaten angewiesen sind, die bei der Überwachung der elektronischen Kommunikation offenbar ein nur geringes Datenschutzniveau einhalten müssen. Daher müssen wir uns der Qual unterziehen, das ideologiefrei durchzusetzen, was notwendig ist, um Staat und Bürger zu schützen. Eine steigende Bedrohung der öffentlichen Sicherheit rechtfertigt weitergehende Schutzmaßnahmen. Derzeit ist die Bedrohungslage größer als die Fähigkeit unseres Staates, den Bedrohungen wirksam zu begegnen. Daher ist die „Politische Mitte“ gefordert, die Vernunft gegen die Ideologie durchzusetzen.


Burkard Dregger, Geboren 1964 in Fulda, Mitglied der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, unter anderem Sprecher für Integrationspolitik und Netzpolitik.

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