Asset-Herausgeber

Der Aufarbeitung eine Zukunft!

von Stefan Donth

Plädoyer für eine Stärkung der Gedenkstätten im Forschungsverbund „SED-Unrecht“

Asset-Herausgeber

Im Mai 2017 jährt sich die Arbeitsaufnahme der ersten Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zum 25. Mal. Begünstigt durch den offenen Aktenzugang, richteten seit 1990 zahlreiche Historikerinnen und Historiker ihren Fokus auf die Geschichte der DDR. Inzwischen wurden fast siebentausend Bücher zu dem Thema publiziert. Doch erreicht das Wissen auch alle Bürger unseres Landes? Die anhaltende Diskussion etwa über die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, offenbart Wissenslücken in der Gesellschaft. Die Konturen des Unrechtsstaates verschwimmen immer mehr. Mehr als 26 Jahre nach dem Ende der DDR wächst die Sorge, dass die historische Erfahrung, in einer sozialistischen Gesellschaft zu leben, in Vergessenheit gerät. Insbesondere die Regierungsbeteiligung der Linkspartei in Brandenburg, Thüringen und Berlin sehen viele als Beleg dafür. Dass die Linkspartei einen ehemaligen hauptamtlichen Stasimitarbeiter zum Staatssekretär berief und diese Entscheidung bis heute verteidigt, lässt zahlreiche Bürger mit Unbehagen in die Zukunft blicken.

Der historische Auftrag der Enquete-Kommission bleibt deshalb aktuell. Wir müssen uns mehr anstrengen beim Kampf gegen das Vergessen des SED-Unrechtsregimes. Die Entscheidung des Deutschen Bundestages vom Herbst 2016, einen Forschungsverbund „SED-Unrecht“ zu errichten, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Wert der Freiheit

Mit ihrer Initiative haben CDU-Forschungsexperte Michael Kretschmer und seine Fraktionskollegen ein wichtiges Signal gesetzt – gerade in Zeiten, in denen wir uns immer wieder damit auseinandersetzen müssen, dass viele Menschen den Wert der Freiheit und die Folgen der Unfreiheit aus dem Blick verlieren. Es ist gut, dass Bundesbildungsministerin Johanna Wanka jetzt bei der Umsetzung des Bundestagsbeschlusses großen Wert darauf legt, die richtigen Themen zu identifizieren, zukunftsfähige Strukturen zu schaffen und geeignete Orte für eine zeitgemäße Vermittlung neuer Forschungsergebnisse zu stärken.

Dabei ist die Konzentration auf das Thema „Unrecht“ keine Schwäche, sondern eine Stärke der DDR-Forschung. Der Forschungsverbund muss sich mit dem in der DDR begangenen Unrecht befassen und darf nicht Vorhaben zu beliebigen Aspekten der DDR-Geschichte fördern. Zu den wichtigsten thematischen Aufgaben gehören dabei die Ermittlung der Gesamtzahl der politischen Häftlinge während der SED-Diktatur und die Erarbeitung eines detaillierten Verzeichnisses der aus politischen Gründen Inhaftierten in den DDR-Haftanstalten. Weitere Themen aus dem Repertoire sozialistischer Herrschaftsausübung sind unter anderem Hinrichtungen durch sowjetische und DDR-Dienststellen, Enteignungen, Umsiedlungen und Deportationen, Studien- und Berufsverbote, schulische Repressalien (zum Beispiel Zulassungsbeschränkungen zum Abitur), Zersetzungsmaßnahmen, Repressalien in der SED und die Verfolgung von Mitgliedern der bürgerlichen Parteien – die Liste offener Fragen ist lang. Wichtig ist, dass die Forschung mit der Legendenbildung aufräumt, die Hauptschuld bei der Geheimpolizei, dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS), zu verorten. Ein solcher Ansatz lenkt von der eigentlichen Verantwortung der SED, der Vorgängerpartei der Linkspartei, ab.

Neben den richtigen Inhalten braucht die DDR-Forschung strukturelle Impulse. An den Universitäten spielt das Thema „SED-Unrecht“ kaum eine Rolle. Selbst junge Historiker haben große Wissenslücken. Ein Forschungsverbund muss die Weichen stellen, damit der Unrechtscharakter der zweiten deutschen Diktatur in der universitären Ausbildung künftigen Generationen junger Lehrer und Historiker vermittelt wird.

Juniorprofessuren und Postdoktoranden sind geeignete Instrumente zur Verbesserung der universitären Forschung und Lehre. Eine möglichst große Zahl von Studierenden und jungen Wissenschaftlern lässt sich sicherlich mit attraktiven Stipendienprogrammen dafür gewinnen, ihre akademischen Qualifizierungsarbeiten zu Themen des SED-Unrechts zu erstellen.

Orte der Verfolgung

Das größte Unrecht geschah im SED-Staat in den Haftanstalten. Bei einem neuen Forschungsverbund kommt deshalb den Gedenkstätten – den authentischen Orten der Verfolgung – eine Schlüsselrolle zu. Diese stehen für die konkrete lokale und physische Manifestierung des Unrechts. In den Gedenkstätten findet keine abstrakte Darstellung, sondern ein direkter Wissenstransfer vor allem an jüngere Besucher statt. Dieser Ansatz hat sich auch bei der ortsbezogenen Unrechtsforschung über den Nationalsozialismus etwa in den KZ-Gedenkstätten als erfolgreich erwiesen.

Die Gedenkstätten sind zentrale Orte zur Erforschung des SED-Unrechts, verfügen jedoch kaum über wissenschaftliches Personal. Die Forschungstätigkeit an Gedenkstätten sollte deshalb mithilfe von durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten wissenschaftlichen Mitarbeitern und Volontariaten mit Promotionsmöglichkeit ausgebaut und großzügig gestärkt werden.

Notwendig ist darüber hinaus, die Gedenkstätten zum SED-Unrecht besser in die zeithistorische Forschung einzubinden und sie dazu bei der Vergabe von Fördermitteln bevorzugt zu unterstützen. Universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sollten nach Möglichkeit nur gemeinsam mit einer Gedenkstätte förderfähig sein und dazu entsprechende Verbünde bilden. Auf diese Weise wären auch kleinere Einrichtungen in der Lage, zentrale Fragestellungen ihrer Vermittlungsarbeit zum SED-Unrecht wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Die Gedenkstätten wollen auch beim Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis mehr tun und neue Akzente setzen, damit der Forschungsverbund seine Wirkung nicht verfehlt. Für eine breite Vermittlung neuer Erkenntnisse in die Gesellschaft und die Aufklärung über das SED-Unrecht sind die Gedenkstätten als authentische Orte unverzichtbar. Es ist in gesamtgesellschaftlichem Interesse, wenn sich Bürgerinnen und Bürger mit der Geschichte der sozialistischen Diktatur auseinandersetzen und sich mit den Schicksalen der Opfer dieses gescheiterten Gesellschaftsexperiments beschäftigen. In den Gedenkstätten entwickeln historisch interessierte Besucher ihr Meinungsbild im Gespräch mit Zeitzeugen, bei Veranstaltungen und beim Studium von Publikationen. Mit ihren modernen Bildungsangeboten tragen Gedenkstätten entscheidend zur Festigung demokratischer Werte bei.

„Den Opfern gerecht werden“

Die authentischen Orte der Verfolgung gehören zu den Anziehungspunkten für immer mehr ausländische Touristen. Dort wird ihr Bild von der Bundesrepublik Deutschland als geschichtsbewusstem Land mit geprägt. Die Gedenkstätten reihen sich damit ein in eine Reihe von Orten mit diktatorischer Vergangenheit, die zahlreiche deutsche Städte und Gemeinden für viele so faszinierend machen: Weil sie anschaulich machen, dass die Freiheit, die in unserem Alltag zu spüren ist, am Ende über das Unrecht triumphiert.

Es liegt auf der Hand, dass erfolgreiche Aufarbeitung die Opfer der SED-Diktatur zu Wort kommen lässt, damit all den Menschen, die das sozialistische Unrecht zu erdulden hatten, endlich Gerechtigkeit widerfährt. Ein Forschungsverbund „SED-Unrecht“ wird seine Aufgaben nur erfüllen können, wenn er die Opfer in seine Tätigkeit einbindet. Es ist naheliegend, sie bei der Erarbeitung der Ausschreibungen und der Entscheidung über die Mittelvergabe zu beteiligen.

Ziel des Forschungsverbundes „SED-Unrecht“ muss es sein, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe – „den Opfern gerecht werden, aufklären über Ursachen und Folgen von Unrecht und das Bewusstsein für Demokratie und Menschenrechte stärken“ (Roland Jahn) – kann nirgendwo so effizient wie in den Gedenkstätten erfüllt werden.

-----

Stefan Donth, geboren 1968 in Dresden, Forschungsleiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

comment-portlet