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Offene Baustellen der deutschen Europapolitik

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Nach drei Jahren Ampelregierung fällt die Bilanz der deutschen Europapolitik ernüchternd aus. Der gescheiterten selbst ernannten Fortschrittskoalition ist es nicht gelungen, die Führungsrolle Deutschlands in der Europäischen Union so auszufüllen, wie es unsere Partner zu Recht von uns erwarten. Statt klarer Positionen und strategischer Weitsicht hat Europa eine Bundesregierung erlebt, die durch zögerliches Handeln, Widersprüche und verpasste Chancen von sich reden gemacht hat. Besonders in der Wirtschafts-, Migrations- und Verteidigungspolitik zeigt sich, dass die Ampelregierung oftmals Teil des Problems und nicht Teil der Lösung gewesen ist – mit schwerwiegenden Folgen für Deutschland und Europa. Die offenen Baustellen sind zahlreich, die Lücken gravierend und die Herausforderungen für die Zukunft enorm.

Jetzt ist es an Friedrich Merz und einer neuen Bundesregierung, das verloren gegangene Vertrauen der Europäer in Deutschland wiederherzustellen und Führung in Europa zu übernehmen. Im geopolitischen Spannungsfeld zwischen den USA, Russland und China muss Europa sich endlich selbst behaupten und seinen Beitrag zur Sicherheit des Kontinents leisten. Die Herausforderungen könnten größer kaum sein.

Zugleich sind auch die Chancen einer erfolgreichen Repositionierung Deutschlands als inklusive Führungsmacht in der Europäischen Union so groß wie nie. Tatsächlich sind die politischen Umstände in Brüssel dafür günstig. Seit der letzten Europawahl ist die Europäische Volkspartei (EVP) stärker als zuvor und stellt mit ihrem Fraktionschef Manfred Weber den einflussreichsten Kopf im Europäischen Parlament. Ursula von der Leyen wurde mit starker Mehrheit vom Parlament wiedergewählt und führt eine Europäische Kommission an, in der die Mehrheit der Kommissare der EVP angehört. Mit Friedrich Merz als Vertreter Deutschlands im Europäischen Rat, seinen guten Verbindungen in viele Hauptstädte und seinem Interesse an einer funktionierenden Europäischen Union sind alle Augen auf Deutschland gerichtet. Daraus erwächst eine Verantwortung, der wir Christdemokraten gerecht werden wollen und müssen. Aus meiner Sicht müssen nun folgende Themen am dringendsten in Angriff genommen werden:

 

Erstens: Deutschland muss wieder Wachstumsmotor sein für eine wettbewerbsfähige europäische Wirtschaft.

Die wirtschaftliche Schwäche Deutschlands wirkt sich auf die gesamte Europäische Union aus. Unter der Ampelregierung ist Deutschland vom Wachstumsmotor zum Problemfall Europas geworden. Hohe Energiepreise, eine ideologisch geprägte Industriepolitik und eine überbordende Bürokratie setzen Unternehmen unter Druck und gefährden Arbeitsplätze. Während Frankreich mit milliardenschweren Programmen gezielt Zukunftsbranchen und Start-ups – etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz – fördert, bremsen hierzulande langwierige Genehmigungsverfahren und hohe Steuerlasten Investitionen aus. Länder wie Polen investieren gezielt in Standortförderungen und werden für internationale Investoren immer attraktiver. Der deutsche Mittelstand, einst das Rückgrat der Wirtschaft, kämpft hingegen mit ungünstigen Rahmenbedingungen.

Hinzu kommt, dass es in Deutschland neben mangelnden Maßnahmen zur Entbürokratisierung keine konsequente Umsetzung von Digitalisierungs- und Infrastrukturprojekten gegeben hat. Eine wachstumsfreundliche Steuerpolitik, eine beschleunigte Modernisierung des Netzausbaus und umfangreichere Investitionen in Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz und Quantencomputing sind jedoch essenziell, um Deutschland als wirtschaftlichen Motor Europas wieder anzukurbeln.

Die Ampelkoalition hat es ebenfalls versäumt, in der Europäischen Union für ein günstiges Wirtschaftsumfeld zu sorgen. Es ist bezeichnend, dass linke und grüne Kräfte in Deutschland und Europa beharrlich an bürokratischen Berichtspflichten für Unternehmen, etwa am Lieferkettengesetz oder an der Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung, festhalten wollen. Umso wichtiger ist es, dass die Europäische Kommission auf Initiative von CDU, CSU und EVP kürzlich vorgeschlagen hat, Gesetze mit besonderer Berichtspflichtenlast zu entschlacken. Deutsche und europäische Unternehmen benötigen in erster Linie einen Belastungsstopp und einen massiven Bürokratierückbau. In der europäischen Wirtschaftspolitik ist in diesem Punkt endlich eine Kehrtwende zu erkennen, die wir mit Nachdruck unterstützen werden.

Für uns steht fest: Eine marktwirtschaftliche Wende mit Steuererleichterungen für Unternehmen, Bürokratierückbau, gezielten Investitionen in Zukunftstechnologien und einem klaren Bekenntnis zur Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland und Europa wird Deutschland wieder zur wirtschaftlichen Lokomotive Europas machen.


Zweitens: Deutschland muss mit einem klaren Kurs in der Migrationspolitik vom Bremser zum Vorbild in Europa werden.

Die Ampelkoalition hat sich in der Migrationspolitik als kontraproduktiv und unzuverlässig erwiesen. Während Deutschland unter der Ampelregierung zunächst über einen langen Zeitraum den Asylkompromiss der Europäischen Union blockiert hat, lenkte die Bundesregierung erst auf Druck der europäischen Partner ein. Anstatt eine klare Linie zu verfolgen, setzte sie von Beginn an auf Symbolpolitik, während die Belastungen für Kommunen und Städte immer größer werden. Hinzu kam das inkohärente Abstimmverhalten der Ampelparteien im Europäischen Parlament, das den Asylkompromiss beinahe noch zu Fall gebracht hätte. Nicht nur die letzte Europa- und Bundestagswahl haben allerdings gezeigt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger wirksame Lösungen in der Migrationsfrage wünschen. Hohe Migrationszahlen und die davon überlasteten Kommunen, langsame Asylverfahren und unzureichende Rückführungen haben zu einer wachsenden Frustration in der Bevölkerung geführt. Umso wichtiger ist eine enge Abstimmung mit den europäischen Partnern sowie eine nationale Anstrengung, um die in Deutschland besonders starken Pull­Faktoren zu reduzieren. Dass eine Wende in der Asylpolitik durchaus möglich ist, zeigt das sozialdemokratisch geführte Dänemark: Das Land verfolgt ein strikteres Einwanderungskonzept, welches zwischen Asyl- und Wirtschaftsmigration unterscheidet.

Effizientere und schnellere Asylverfahren, eine bessere Steuerung von Migration in den Arbeitsmarkt durch legale Migrationswege und eine enge Zusammenarbeit mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Etablierung einheitlicher Standards sind dringend notwendig. Deutschland muss unter der neuen Bundesregierung eine Vorreiterrolle einnehmen und beispielsweise eigenständige Exekutivrechte für die Grenzschutzagentur Frontex in Europa durchsetzen. Wir können nicht zulassen, dass Schleuser, Kriminelle und verbrecherische Regime entscheiden, wer nach Europa kommt. Diesem zynischen Treiben zum Schaden der Schwächsten und Schutzbedürftigen muss ein Ende gesetzt werden. Rückführungen müssen effizient organisiert, Asylverfahren beschleunigt und legale Migrationswege geordnet gestaltet werden. Es geht darum, in Bezug auf die Migration wieder zu einem Europa der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu gelangen. Wir wollen sicherstellen, dass sowohl Humanität als auch Ordnung an den europäischen Außengrenzen herrschen.

 

Drittens: Deutschland und Europa benötigen eine echte Zeitenwende in Sachen Sicherheit und Verteidigung.

Die Zeitenwende, die Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ausgerufen hatte, blieb unter seiner Regierung unvollständig. Trotz des ersten 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr stockt die Materialbeschaffung weiterhin. Verzögerungen bei der Modernisierung der Bundeswehr, fehlende strategische Führung in der europäischen Sicherheitsarchitektur und eine unsichere Energieversorgung durch Abhängigkeit von Drittstaaten sind beispielsweise gravierende Mängel, die behoben werden müssen. Während viele Partner der Europäischen Union eine engere sicherheitspolitische Zusammenarbeit fordern, agierte Deutschland bisher zögerlich. Die unentschlossene Haltung der Regierung Scholz in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine hat die europäischen Partner irritiert.

Ich bin optimistisch, dass CDU und CSU in der neuen Legislaturperiode dafür sorgen, dass Deutschland seinen Verpflichtungen in der NATO und der Europäischen Union gerecht werden wird. Dazu gehören nicht nur eine gemeinsame Beschaffung moderner Verteidigungssysteme, eine klare strategische Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik und eine stärkere Kooperation mit europäischen Partnern bei Verteidigungsprojekten. Auch eine substanzielle Erhöhung des Verteidigungsetats wird dazu beitragen, dass Deutschland wieder als glaubwürdiger Sicherheitspartner in Europa gilt. Weitere Elemente sind strategische Partnerschaften und eine Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie.

Entscheidend wird auch sein, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Verteidigung endlich als gemeinsame europäische Aufgabe begreifen. Dafür sind nicht nur Finanzmittel und gemeinsame Strukturen notwendig, sondern auch gemeinsame Projekte, etwa die Entwicklung eines europäischen Luftabwehrschirms, eine gemeinsame Satellitenüberwachung oder mehr Kooperation bei der Waffen- und Munitionsentwicklung und -beschaffung. So stärken wir auch die europäische Rüstungsindustrie und werden unabhängiger von Drittstaaten.

In geopolitisch herausfordernden Zeiten können wir uns Zögerlichkeit und Schwäche nicht leisten. Der grausame Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und das Infragestellen der transatlantischen Sicherheitspartnerschaft durch US-Präsident Donald Trump haben dies auf brutale Weise verdeutlicht. Wenn Deutschland und damit auch die Europäische Union nicht ambitioniert vorgehen, ist das eigenständige Europa in Frieden und Freiheit unter Umständen bald Geschichte. Die Sicherheit des Kontinents steht auf dem Spiel. Wir Europäer müssen so schnell wie möglich für diese neue Realität gerüstet sein.

Europa kann sich nur dann behaupten, wenn es sicherheitspolitisch eigenständiger wird. Dies erfordert eine enge Verzahnung von Diplomatie, wirtschaftlicher Resilienz und militärischer Handlungsfähigkeit. Nur geeint wird Europa dieser historischen Herausforderung gewachsen sein.

 

Was folgt daraus?

Deutschlands Ruf in der Europäischen Union hat in den vergangenen drei Jahren Schaden genommen. Von der Führungsstärke unter Angela Merkel hat sich die Bundesrepublik unter Olaf Scholz zum Bremsklotz entwickelt. Die Ampelregierung hat es versäumt, Deutschland als gestaltende Kraft der Europäischen Union zu positionieren und an der Seite Frankreichs, Polens und der anderen Partner Führung zu übernehmen. Das unterkühlte Verhältnis von Olaf Scholz zu Emmanuel Macron hat den deutsch-französischen Motor weiter ins Stocken gebracht. Während einige EU-Mitgliedstaaten zu Recht Reformen gefordert haben, um die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union zu verbessern, ist die Ampelregierung profillos und blass geblieben. Die fehlende klare Strategie in der Unterstützung der Ukraine, die uneinheitliche Haltung in der Sicherheits- und der Migrationspolitik und die mangelnde Führungsstärke haben ein Deutschland gezeigt, das zögert, statt zu handeln.

Aber damit ist nun Schluss. Ich bin zuversichtlich, dass Deutschland unter Bundeskanzler Friedrich Merz wieder eine führende Rolle in der Europäischen Union einnehmen und an der Seite Frankreichs und Polens gemeinsam mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mutig vorangehen wird. Europa benötigt eine starke, stabile und berechenbare deutsche Politik – mit klaren Prioritäten in der Wirtschafts-, Migrations- und Sicherheitspolitik. Dazu gehört ebenfalls, die Koordinierung der deutschen Europapolitik im Kanzleramt zu bündeln, damit wir zügig europäische Projekte mit anstoßen, gestalten und konstruktiv begleiten können.

Es ist höchste Zeit, dass Deutschland wieder ein verlässlicher Partner in Europa wird. Eine klare wirtschaftliche Strategie, eine solide Finanzpolitik, eine geordnete Migrationspolitik und eine entschlossene Verteidigungspolitik werden Deutschland wieder zum Stabilitätsanker Europas machen. Wir sind bereit, diese Herausforderungen anzugehen.


Daniel Caspary, geboren 1976 in Karlsruhe, Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament.