Asset-Herausgeber

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Swipen, bis der Arzt kommt? Der Sogwirkung digitaler Plattformen wie TikTok ist kaum zu entkommen. Besonders Kinder und Jugendliche werden von ihnen regelrecht absorbiert. Eltern und Pädagogen schlagen Alarm: Sie sorgen sich um die mentale Gesundheit und das soziale Miteinander der Heranwachsenden. Trotz aller berechtigten Kritik steht außer Frage, dass Apps wie TikTok Teil einer veränderten Medienrealität sind. Sie prägen, wie sich junge Menschen informieren, ihre Umwelt wahrnehmen und sich gesellschaftlich wie politisch verorten.

Mit rund 1,5 Milliarden monatlichen Nutzern ist TikTok ein globaler Kommunikationsraum – und ein geopolitisches Machtinstrument. Die Plattform steht mit im Zentrum der Rivalität zwischen den USA und China. Washington drängt auf eine Abspaltung vom chinesischen Mutterkonzern ByteDance, während US-Tech-Giganten wie Microsoft und Oracle als Käufer bereitstehen. Im globalen Wettbewerb geht es zunehmend um Daten, Datenhoheit und Vorteile bei der digitalen Infrastruktur.

Deutschland und Europa reagieren zögerlich auf die Dynamik solcher Plattformen. Zwar gibt es Regulierungsversuche, doch ist deren Wirkung begrenzt. Noch stehen der Attraktivität und Macht digitaler Akteure kaum strategische Antworten entgegen. Die digitale Souveränität Europas bleibt damit ein politisches Schlagwort – ohne praktische Entsprechung.

Besonders heikel ist die Frage politischer Einflussnahme. TikTok kann gezielt zur Stimmungsmache und Manipulation von Wahlentscheidungen genutzt werden. Warnungen vor Desinformationskampagnen, insbesondere lanciert von Drittstaaten, sind berechtigt. Doch ist die digitale Dominanz radikaler Kräfte kein Automatismus. Parteien der Mitte haben ihre digitale Präsenz zuletzt erheblich ausgebaut. Die Herausforderung liegt nun darin, die politische Kommunikation an die Logiken der Plattformen anzupassen.

Gefragt ist ein doppelter Ansatz: Regulierung dort, wo Missbrauch geschieht – etwa bei Kinder- und Jugendschutz oder Wahlkampfmanipulationen –, und zugleich ein kulturelles Verständnis für die neue Medienwelt. Allein schon, weil Regulierung an Grenzen stößt, heißt es, die digitalen Räume mit eigenen Positionen zu füllen. Es ist eine Stärke demokratischer Gesellschaften, nicht auf Kontrolle zu bauen, sondern auf selbstbewusste Menschen, die mitdenken, mitgestalten und sich zu wehren wissen. Es gilt, diesen enormen Anspruch ins digitale Zeitalter zu übertragen.

 

Bernd Löhmann, Chefredakteur

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