Jahreswidmungen haben saisonale Konjunktur: Der Habicht (Accipiter gentilis) wurde zum Vogel des Jahres 2015 proklamiert, der Gewöhnliche Teufelsabbiss (Succisa pratensis) wird die Blume des Jahres sein. Falls eine „Zahl des Jahres 2015“ noch zu küren wäre, dann gäbe es spätestens seit den Haushaltsbeschlüssen des Bundestages Ende November einen heißen Titelaspiranten: die „schwarze Null“ („Zerum niger“). Schließlich ist ein ausgeglichener Bundeshaushalt, wie er für 2015 angestrebt wird, deutschland- und europaweit seit Jahrzehnten so etwas wie eine bedrohte Art – ein Schattengewächs, bis heute mitunter tief verachtet.
Dass diejenigen, die seit jeher die Taschen nur voller Ausgabenwünsche haben, die „schwarze Null“ als Popanz oder Dämon verunglimpfen würden, war zu erwarten. Dabei sind sie es, die den Teufel der europäischen Staats- und Bankenkrise mit dem Beelzebub einer noch höheren Überschuldung austreiben wollen. Doch hat die „schwarze Null“ auch für manche, die für die Wirtschaft sprechen, wenig Glamour. Seltsam nostalgisch verklären sie die Vergangenheit der Schröder-Reformen. Dass inzwischen – nach Wallstreet-Exzessen und multiplen Fällen von Managerversagen – eine andere Zeit angebrochen ist, in der es im politischen Wettstreit nicht leichter wird, die Balance zwischen wirtschaftlicher Dynamik und sozialem Ausgleich zu wahren, veranlasst eher selten zu einer selbstkritischen Sicht der Dinge.
Tatsächlich ist es aber von nicht geringer Bedeutung, dass die größte Wirtschaftsnation Europas ein Zeichen für stabile Staatsfinanzen setzt. Die „schwarze Null“ macht unabhängiger von den Zinslasten von morgen und sorgt gleichzeitig für hohe Steuereinnahmen. Läuft es wie geplant, wird der Bund sogar seine Ausgaben von jetzt 300 Milliarden auf rund 330 Milliarden Euro im Jahr 2018 steigern. Dabei kann sich gerade auch die Wirtschaft sicher sein, dass die Haushaltsprioritäten weiterhin auf Forschung und Innovationen gesetzt werden. Sie haben schon in den vergangenen Jahren mit dazu geführt, dass sich deutsche Unternehmen am Weltmarkt erfolgreich behaupten können.
Angesichts der großen Veränderungen unserer Zeit – Globalisierung, Europäisierung, Digitalisierung, Migration –, der Vielzahl der neuen Bedrohungen auf internationaler Ebene und einer noch weitgehend diffusen Diskussionslage in vielen grundlegenden Fragen sind Pflöcke der Verlässlichkeit rar. Eigentlich bräuchte es mehr „schwarze Nullen“. Man wird sie sich auch über das kommende Erdenjahr hinaus hart erarbeiten müssen.
Bernd Löhmann, Chefredakteur