Etwa eine halbe Million Kinder in Deutschland haben einen speziellen Förderbedarf, sind körperlich oder geistig behindert, haben Lern oder Verhaltensprobleme. Rund ein Viertel von ihnen besucht eine Regelschule. Mit diesem Anteil hinkt Deutschland weltweit hinterher, was zu denken geben muss; schließlich legt der internationale Vergleich nahe, dass weit mehr gemeinsames Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern möglich wäre.
Mit der Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2009 erhielt der Gedanke eines „inklusiven“ Unterrichts in den Klassenzimmern einen mächtigen Schub. Fünf Jahre später bleibt Inklusion ein „Megathema der Bildungspolitik“, nicht zuletzt, weil es bei der Umsetzung in den Bundesländern teils erheblich hapert und gleichzeitig der Eindruck entsteht, man gehe mit der Brechstange vor.
Auf dem Papier fiel es leicht, Aufnahmegarantien für Schüler mit jedwedem Handicap auszusprechen oder ambitionierte Eingliederungsquoten an den Regelschulen festzulegen. Weil aber oft die nötigen finanziellen, bautechnischen, personellen und konzeptionellen Vorkehrungen nicht getroffen worden sind, erhebt sich Widerstand: Viele Schulen und Lehrer fühlen sich überfordert; Pädagogen bemängeln das Fehlen wissenschaftlicher Standards für das gemeinsame Lernen; Eltern nichtbehinderter Kinder sind in Sorge, weil unter den waltenden Bedingungen für sie kaum erkennbar ist, wie mehr Inklusion ohne Qualitätseinbußen funktionieren soll.
Die Debatte wird überaus emotional geführt. Dabei liegt die Deutungshoheit über den Begriff der inklusiven Bildung bei jenen, die einmal mehr das „Ende des selektiven deutschen Schulsystems“ gekommen sehen und die Förderschulen als vermeintliche Unorte des „Aussortierens“ abschaffen wollen. Weit weniger dringen diejenigen Stimmen durch, die die gemeinsame Beschulung nicht für den einzigen Weg halten, um Benachteiligung zu vermindern. Wahlfreiheit sollte ein entscheidendes Stichwort sein. Schließlich kämpfen nicht alle Eltern behinderter Kinder um einen Regelschulplatz. Viele meinen auch, dass die Kinder mit ihren speziellen Bedürfnissen auf einer Förderschule am besten aufgehoben seien.
Der international verbriefte Anspruch behinderter Menschen auf größtmögliche Normalität im gesellschaftlichen Zusammenleben gilt ohne Wenn und Aber – erst recht an den Schulen. Ihn in die Realität zu übertragen, heißt zunächst, gesicherte Erkenntnisse darüber zu ermitteln, was beim Thema Inklusion geht und was nicht geht. Wer die Grenzen des Sinnvollen von vornherein negiert und die Standpunkte der Beteiligten ignoriert, gibt sich einer Selbsttäuschung hin. Helfen wird er damit niemandem!
Bernd Löhmann, Chefredakteur