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Ein Nachruf auf Gerd Langguth

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Zum ersten Mal begegneten wir Gerd Langguth Anfang der 1990er-Jahre im Politikwissenschaftlichen Seminar der Universität Bonn. Er hielt damals meist abendliche Proseminare, die in dem Ruf standen, spannend, aber auch nicht sehr gemütlich zu sein. Wer Einblicke in die politische Praxis bekommen wollte, wurde bestens bedient. Wer aber einen angenehmen Tagesausklang zu erleben hoffte, der hatte sich tief geschnitten. Bei aller Freundlichkeit, sogar fast liebevollen Zuwendung im persönlichen Umgang, wenn es politisch zur Sache ging, lag immer ein Zug Unduldsamkeit in der Luft – jedenfalls solange, bis die Seminarstunde endlich Fahrt aufgenommen hatte. Wegducken konnte peinliche Folgen haben. Nicht besser erging es denen, die nur Bekenntnishaftes, Moralisierendes oder Weithergeholtes vorzutragen hatten. Und so mühten sich die erschreckten Proseminaristen um möglichst stichhaltige Argumente. Nicht selten vergeblich!

Einige Studentinnen und Studenten, so hieß es, veranlasste das zum Rückzug. Andere aber wussten es zu schätzen, dass Gerd Langguth, vielleicht ohne willentlich darauf hinzuwirken, deutlich machte, wie wenig die real existierende Politik ihre Heimat in den friedlich dämmrigen Studierstuben hat, sondern im Kern auch beinharte Auseinandersetzung ist. Man begann sich zu fragen, was es bedeutet hat, dass Gerd Langguth fast zwei Jahrzehnte zuvor auf dem Höhepunkt der 68er-Bewegung RCDS-Vorsitzender gewesen war. Wie konnte er die rabiaten Anfeindungen, die seine Funktion zu jener Zeit zwangsläufig auf sich zog, überhaupt durchstehen? Wie konnte er sogar mutige Akzente der Ab- und Gegenwehr setzen?

Haltung, Mut und Überzeugung waren nötig, das war allen sofort klar. Wie aber war es möglich, dass sich Gerd Langguth gleichsam neben sich stellen und während seiner Zeit als RCDS-Chef mit wissenschaftlicher Akribie und Distanz seine differenzierte Dissertation über die Protestbewegung schreiben konnte, die ihm gerade das Leben so schwer machte?

Am Ende konnten wir es uns nur so erklären: Gerd Langguth besitzt etwas Unbestechliches, vielleicht ein Gen, das ihn gegenüber vielen Anfeindungen immunisiert, ihn aber an gewissen Punkten auch schwer zugänglich macht. Nach unserer Vorstellung codierte es ihn auf die kantigen Maßstäbe von Argument und Gegenargument – unabhängig, ob es politische Gegner oder Freunde traf. Verwischungen im Sinne eines schmiegsamen, bisweilen aber auch versöhnlich verbindenden Sowohl-als-auch schienen weniger seine Sache zu sein.

Vielleicht war diese Neigung zur Zuspitzung mitverantwortlich dafür, dass ihm in seiner späteren Funktion als Geschäftsführender Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, die ja auch durch Integration und Diplomatie wirksam ist, nicht immer nur eine glückliche Hand nachgesagt wird? Diese Phase, die sich an einen beeindruckenden Karriereweg unter anderem als Bundestagsabgeordneter, Bundesvorstandsmitglied der CDU, Direktor bei der Bundeszentrale für politische Bildung sowie Staatssekretär und Bevollmächtigter des Landes Berlin beim Bund anschloss, hat aber nichts an seiner Zuneigung zur Stiftung geändert. Ihr war er zeit seines politischen und beruflichen Lebens eng verbunden: als Leiter des Bildungswerks Stuttgart (1975), aber vor allem, seit 1982 ununterbrochen, als Mitglied der Stiftung. Und seine „intellektuelle Unduldsamkeit“ hat dazu geführt, dass er immer viel von der Stiftung erwartet hat: Mut und Gestaltungswillen gepaart mit Loyalität.

Eineinhalb Jahrzehnte blieben Gerd Langguth Zeit für seine intensive publizistische und politikwissenschaftliche Tätigkeit, in der er besondere Wirkung entfaltet hat. Er wurde zum viel gefragten Fachmann, zum klugen und ebenso scharfsinnigen wie scharfzüngigen politischen Analytiker. Die wissenschaftliche wie mediale Debatte über die CDU hat er stark geprägt. Nicht zuletzt mit Biografien, aber auch mit zahllosen Namensbeiträgen, die nie den akademischen Tiefgang vermissen ließen, hat er Maßstäbe gesetzt. Er war damit einer der wenigen Politikwissenschaftler mit öffentlicher Wirksamkeit, die nie einen Hehl aus ihrer Zugehörigkeit zur christlich-demokratischen Familie gemacht haben. Zugleich unerschrocken zu sein, Schwachstellen anzusprechen und doch den Zielen seiner Partei loyal zu sein, ist im Leben, erst recht in der Politik eine durchaus seltene, fraglos beachtenswerte Gabe, selbst wenn manch anderer sich in der einen oder anderen Frage ein nachsichtigeres Urteil gewünscht hätte. Seine geistreiche Replik auf die absurde Merkel-Kritik von Gertrud Höhler war ein Musterbeispiel für diese fundierte Loyalität.

Bei allem blieb Gerd Langguth ein Freund der CDU, allerdings, wie Warnfried Dettling es formuliert hat, ein „rücksichtslos offener“ Freund. Ein Freund von der Sorte, die man als Wegweiser, aber auch als Querdenker dringend braucht. Und dieser Freund, dieser kluge und kantige Zwischenrufer, wird uns fehlen.


Michael Borchard, geboren 1967 in München, Leiter der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Bernd Löhmann, geboren 1966 in Krefeld, Chefredakteur dieser Zeitschrift.

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