Die Gegner sprechen von Chaos, die Unterstützer von dreidimensionalem Schach: Die Handelspolitik der Trump-Regierung hat viele Grundannahmen der internationalen Handelsbeziehungen der vergangenen siebzig Jahre erschüttert – und schwenkt auf einen Pfad ein, der schon in Lateinamerika getestet wurde. Laut Präsident Donald Trump haben die USA in den vergangenen Jahrzehnten einen industriellen Niedergang erlebt, der vor allem vom Ausland vorangetrieben wurde. Der sogenannte China-Schock habe dafür gesorgt, dass Unternehmen ihre Produktion verlagerten und in den USA Millionen von Arbeitsplätzen abbauten. Aus Sicht des Präsidenten nutzten China und andere Länder – vor allem die Europäer – die amerikanische Freihandelspolitik aus, um mit ihren Produkten den amerikanischen Markt zu überschwemmen.
Tatsächlich ist das Handelsdefizit der USA über die Jahre gestiegen – für Wirtschaftswissenschaftler eine Folge des hohen Konsums der US-Amerikaner und der Leitwährungsfunktion des US-Dollar. Mary Lovely, Wirtschaftswissenschaftlerin am Peterson Institute for International Economics, sagte, Handelsdefizite seien kein gutes Maß für wirtschaftliche Stärke oder Schwäche: „Es ist einfacher, anderen Ländern die Schuld zu geben, als nach innen zu schauen und zu fragen, wie wir unsere Ressourcen wirklich einsetzen wollen.“[1] Donald Trump wertet dieses Handelsdefizit jedoch als zentralen Nachweis, dass andere Länder die USA ausnutzen. Bereits in seiner Antrittsrede am 20. Januar 2025 kündigte er an, er werde die Regeln ändern, um amerikanische Arbeitnehmer und Familien zu schützen: „Anstatt unsere Bürger zu besteuern, um andere Länder zu bereichern, werden wir Zölle und Steuern auf andere Länder erheben, um unsere Bürger zu bereichern.“[2]
Zölle als Lösung
Für den Präsidenten geht es vor allem darum, die eigene Industrie wieder zu stärken. Dementsprechend argumentiert er ausschließlich mit dem Handelsdefizit für Güter – und blendet Dienstleistungen aus. Der wachsende US-Dienstleistungssektor bleibt damit unberücksichtigt: Beispielsweise betrug im Jahr 2023 das Handelsvolumen in Gütern bei der Europäischen Union 851 Milliarden Euro. Davon exportierte die Europäische Union Waren im Wert von 503 Milliarden Euro in die USA mit einem Handelsüberschuss von 157 Milliarden Euro. Wenn Dienstleistungen mit eingerechnet werden, sinkt der Handelsüberschuss auf 48 Milliarden Euro und damit auf drei Prozent des Gesamthandels.[3]
Um das Handelsdefizit der USA zu überwinden, griff die Trump-Regierung in erster Linie auf Zölle zurück. Der Präsident wollte damit zwei sich widersprechende Ziele erreichen: Zölle sollen zum einen Unternehmen motivieren, die Produktion in die USA zu verlagern. Zum anderen sollen höhere Zölle die Staatseinnahmen erhöhen, um Defizite abzubauen und weitere Steuererleichterungen zu ermöglichen.
Die Trump-Regierung kündigte grundsätzlich reziproke Zölle an, und zwar abgestimmt darauf, wie hoch die Zollsätze in anderen Ländern auf Produkte aus den USA liegen. Hinzu kommen andere Handelshemmnisse, zu denen aus Sicht der Trump-Administration auch Mehrwehrtsteuersysteme gehören, bei denen eine Verbrauchssteuer auf Waren und Dienstleistungen erhoben wird. An Trumps Liberation Day („Befreiungstag“), dem 2. April 2025, verkündete er für jedes Land einen Zollsatz, der sich am jeweiligen Handelsdefizit der USA orientierte. Ausgehend von einem Sockelzoll von zehn Prozent wurde das bilaterale Handelsdefizit ins Verhältnis zu den Gesamtexporten gesetzt und dann durch zwei geteilt. Michael Froman, Präsident des Council on Foreign Relations, kommentierte: „Nach diesem Ansatz ist das bilaterale Handelsdefizit ein Sammelbecken für unfaire Handelspraktiken und spiegelt nicht den komparativen Vorteil wider.“[4]
Experten stellten auch die rechtliche Grundlage infrage, mit der Trump seine Zollpolitik rechtfertigt. Der Kongress gewährte den Präsidenten über die Jahre zwar immer weitreichendere Befugnisse in der Handelspolitik. Trumps Nutzung des International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) aus dem Jahr 1977 stieß aber auf Kritik, weil dieses Gesetz vorher noch nie für die Einführung von Zöllen genutzt worden war. De facto erklärte der Präsident damit eine Art Notstand, um seine Zölle einführen zu können. Die Rechtsprofessorin Jennifer Hillman warnte, dass dieses Vorgehen die Verfassung und die Gewaltenteilung in den USA untergraben könne.[5] Demzufolge gab es Klagen und Urteile gegen die Zölle, verbunden mit einem langen Weg durch die Instanzen. Zwei Gerichte wiesen Trump bereits in die Schranken, weil sie dessen Ansicht, dass es sich um einen wirtschaftspolitischen „Notstand“ für das Land handele, nicht teilten.
Die Zölle, verkündet Anfang April, waren zunächst nicht als Start von Verhandlungen, sondern als dauerhafte Lösung gedacht. Präsident Donald Trump sagte, sie würden erst aufgehoben, wenn die Handelsdefizite beseitigt seien. Er bat seine Anhänger um Durchhaltevermögen; es werde nicht einfach, das Endergebnis aber ein historisches sein.[6]
Handelsverträge als Köder
Die Märkte in den USA reagierten allerdings überaus heftig auf die Zollpolitik, der Handel brach ein, und besonders auf dem US-Staatsanleihenmarkt gab es heftige Turbulenzen.
Ein Grund für die Nervosität der Märkte waren die Zölle auf Einfuhren aus China, die für die Dauer weniger Tage 145 Prozent erreichten. China ist der wichtigste Importeur in die USA. Nach der heftigen Marktreaktion erklärte Trump die Zölle zu einer Verhandlungsgrundlage und setzte sie teilweise für neunzig Tage aus. In dieser Zeit wollte die Trump-Regierung mit möglichst vielen Ländern neue Handelsverträge schließen. Die Drohung mit der Erhebung teils drastischer Zölle erhielt der amerikanische Präsident jedoch aufrecht. Ein Beispiel ist die Verhandlungsrunde mit der Europäischen Union, in der Trump im Mai 2025 mit einer weiteren Zollerhöhung drohte, die dann nach einem Gespräch mit Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, wieder zurückgenommen wurde.
Handelspartner rätselten lange, welche Art von Verträgen die USA schließen wollen. Als ersten Erfolg feierte der Präsident eine Einigung mit Großbritannien, die allerdings nur den Rahmen für detaillierte Verhandlungen setzte, den Marktzugang für wenige Produkte regelte, im Kern aber einen Mindestsatz von zehn Prozent für Einfuhren aus dem Vereinigten Königreich beibehielt.
Arbeitsplätze als Versprechen
Donald Trump startete seine zweite Präsidentschaft zwar mit einer historisch niedrigen Arbeitslosenquote, dennoch war die Schaffung neuer Jobs ein zentrales Argument für den radikalen Umbau der Handelspolitik. Unklar ist jedoch, wie viele Amerikaner bereit sind, die neu zu schaffenden Arbeitsplätze in Industrieunternehmen anzunehmen. Der Comedian und Schauspieler Dave Chappelle erklärte mit Blick auf seine Landsleute, sie wollten Nike-Schuhe tragen, nicht nähen – keiner wolle so hart arbeiten.[7] Handelsminister Howard Lutnick erntete Spott mit der Ankündigung, Millionen von Menschen, die kleine Schrauben in iPhones schrauben, könnten von US-amerikanischen Fabriken ersetzt werden.[8] Dabei dachte er an eine automatisierte Produktion, die von amerikanischen Fachkräften überwacht werde. Es würde allerdings Jahre dauern, eine solche Produktion in den USA aufzubauen, die Zuliefernetze zu schaffen – und dann noch die entsprechenden Fachkräfte zu finden. Schon jetzt haben in den USA produzierende Unternehmen Mühe, ihre offenen Stellen zu besetzen. Und genau da setzt auch die Kritik vieler an, die mitunter die Ziele Trumps, die Industrieproduktion im Land wieder zu stärken, teilen: Auch die USA leiden seit Jahren unter einem erheblichen Fachkräftemangel, der es selbst der von Trump so oft ins Visier genommenen deutschen Automobilindustrie erschwert, in kurzer Zeit neue Produktionsstätten in den USA aufzubauen.
Apple geht davon aus, dass Mobiltelefone wie das iPhone mit der fortschreitenden Entwicklung von auf Künstlicher Intelligenz basierenden Assistenten in den nächsten zehn Jahren obsolet sein werden.[9] Damit könnte ein staatlich erzwungener und geförderter Aufbau einer Mobiltelefonproduktion in den USA zu einem Milliardengrab werden.
Währungspolitik als Kollateralschaden
Die Handelspolitik der Trump-Regierung wirkt sich erheblich auf den Dollarkurs aus. Aus Sicht des Präsidenten sind Zölle Abgaben, die von den Ländern bezahlt werden müssen, die in die USA exportieren. Wirtschaftswissenschaftler warnten dagegen, Zölle führten zu steigenden Verbraucherpreisen, was der Präsident zurückwies. Gleichzeitig setzte er Unternehmen unter Druck, die angekündigt hatten, aufgrund der Importzölle ihre Preise anheben zu müssen. So forderte er den Handelsriesen Walmart auf, zumindest einen Teil der Zölle ohne Preiserhöhungen aufzufangen. Indirekt liegt darin ein Eingeständnis, dass Zölle am Ende zulasten amerikanischer Unternehmen gehen, höhere Preise verursachen können und damit die Inflation wieder antreiben. Das kann dazu führen, dass die Zentralbank ihre Zinsen nicht senken wird – was allerdings eine zentrale Forderung des Präsidenten ist.
Donald Trumps Zollankündigung vom 2. April 2025 löste Schockwellen an der Börse aus. Vor allem der Markt für US-Staatsanleihen reagierte negativ – ein Grund, weswegen die Zölle kurze Zeit später wieder ausgesetzt wurden. Die USA profitierten in den vergangenen Jahrzehnten von der Rolle des US-Dollars als weltweite Leit- und Reservewährung. Die Nachfrage nach US-Staatsanleihen war hoch, die Finanzierungskosten für den Staat gering. Dieses Sicherheitsgefühl wurde durch die Zölle erschüttert.
Die Kosten für Trumps Wahlversprechen, die Steuern weiter zu senken, werden ebenfalls kritisch betrachtet. Bereits vor seinem Amtsantritt lag der Staatsschuldenanteil am Bruttoinlandsprodukt bei über 120 Prozent. Unsicherheiten am Markt für Staatsanleihen könnten die Finanzierung dieser Schulden erschweren und die Dollardominanz auf Dauer infrage stellen.
Das handelspolitische Konzept der Trump-Regierung unterscheidet sich erheblich von der Freihandelspolitik, die in den vergangenen siebzig Jahren für die USA maßgeblich war und als eine Säule der US-dominierten Weltordnung gilt.
Gelenkte Wirtschaft als Konzept
Trumps Konzept sei anders, aber nicht neu, argumentierte der Ökonom Roger Ferguson, bis 2006 Mitglied der Führungsriege der Zentralbank.[10] Die Wirtschaftspolitik folge dem Konzept einer „importsubstituierenden Industrialisierung“ (ISI). Im Kern geht es darum, die Industrie durch Zölle und Importquoten zu fördern, oftmals begleitet durch zusätzliche Subventionen. Alexander Hamilton, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten und ihr erster Finanzminister, versuchte, eine solche Politik einzuführen, um aufstrebende Industriezweige zu unterstützen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten vor allem lateinamerikanische Länder auf eine „importsubstituierende Industrialisierung“. Sie nahmen hohe Kredite auf, um diese Industrialisierung und die dafür notwendige Infrastruktur zu finanzieren. Die Folge waren jedoch übermäßige Staatsverschuldungen. Laut Ferguson waren diese Erfahrungen ein wesentlicher Grund für einen weltweiten Konsens, dass der globale Freihandel die Weltwirtschaft zu mehr Wohlstand und Stabilität führen würde. Der Wirtschaftswissenschaftler Ross Levine von der Hoover Institution spekulierte, die USA würden mit Argentinien den Platz tauschen: Während Argentinien versuche, mit einer radikalen Reform wieder wettbewerbsfähig zu werden, drifteten die USA in „Richtung des interventionistischen Politikmixes, der für den wirtschaftlichen Niedergang Argentiniens verantwortlich ist“.[11]
Hardy Ostry, geboren 1970 in Ziegenhain, promovierter Politikwissenschaftler, Leiter des Auslandsbüros USA der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Washington, D.C.
Jan Bösche, geboren 1976 in Bremen, Senior Policy Advisor, Auslandsbüro USA der Konrad-Adenauer-Stiftung.
[1] Mary Lovely: „What it means to have a high trade deficit – and why it’s not always a bad thing“, Interview mit Ayesha Rascoe, in: npr online, 09.02.2025, www.npr.org/2025/02/09/nx-s1-5287995/what-it-means-to-have-a-high-trade-deficit-and-why-its-not-always-a-bad-thing [letzter Zugriff: 02.06.2025].
[2] The White House: President Donald J. Trump, The Inaugural Address, U.S. Capitol, Washington, D.C., 20.01.2025, www.whitehouse.gov/remarks/2025/01/the-inaugural-address/ [letzter Zugriff: 02.06.2025].
[3] European Commission: United States. EU trade relations with the United States. Facts, figures and latest developments, https://policy.trade.ec.europa.eu/eu-trade-relationships-country-and-region/countries-and-regions/united-states_en [letzter Zugriff: 02.06.2025].
[4] Michael Froman: Liberation and Its Discontents, Council on Foreign Relations, 04.04.2025, www.cfr.org/article/liberation-and-its-discontents [letzter Zugriff: 02.06.2025].
[5] Jennifer Hillman: „Trump’s Use of Emergency Powers to Impose Tariffs Is an Abuse of Power“, in: Lawfare, 24.03.2025, www.lawfaremedia.org/article/trump-s-use-of-emergency-powers-to-impose-tariffs-is-an-abuse-of-power [letzter Zugriff: 02.06.2025].
[6] Tony Romm / Ana Swanson: „Trump Says Tariffs Will Stay Until Trade Deficit Disappears“, in: New York Times, 06.05.2025, www.nytimes.com/2025/04/06/us/politics/trump-tariffs-aides-recession.html [letzter Zugriff: 02.06.2025].
[7] Dave Chappelle: „I want wear Nike not make them“, 09.04.2025, www.youtube.com/watch?v=eRTtCeQ9wbY [letzter Zugriff: 02.06.2025].
[8] Face the Nation: Commerce Secretary Howard Lutnick says new tariffs here to stay, 06.04.2025, https://youtu.be/CNetIyK8CZE?si=Z4Ljw7347PyfERDG [letzter Zugriff: 02.06.2025].
[9] Juli Clover: „Apple’s Eddy Cue: AI Could Replace iPhone in 10 Years“, in: MacRumors, 07.05.2025, www.macrumors.com/2025/05/07/eddy-cue-ai-replace-iphone-10-years/ [letzter Zugriff: 02.06.2025].
[10] Roger W. Ferguson Jr.: „The Intellectual Origins of Trump’s Economic Policies“, Council on Foreign Relations, 24.02.2025, www.cfr.org/article/intellectual-origins-trumps-economic-policies [letzter Zugriff: 02.06.2025].
[11] Ross Levine: „How Argentina and the United States switched places“, in: The Washington Post, 20.05.2025, www.washingtonpost.com/opinions/2025/05/20/us-argentina-economic-policy-reversal/ [letzter Zugriff: 02.06.2025].