Nur wenn die neue Bundesregierung den Mut hat, private Leistungsbereitschaft zu entfesseln, die Effizienz staatlichen Handelns zu erhöhen und den Strukturwandel zu beflügeln, wird sie dem Niedergang der deutschen Volkswirtschaft eine Wende geben können. Seit 2019 wächst die deutsche Wirtschaft kaum noch – im starken Kontrast zur Erholung anderer großer Volkswirtschaften nach der Corona-Pandemie. Private Investitionen enttäuschen, und das Produktivitätswachstum ist schwach. Die Gründe dafür reichen vom demografischen Wandel über einen vielfach beklagten Rückgang der Leistungsbereitschaft – sichtbar etwa in sinkenden Arbeitszeiten – bis hin zu blockierenden bürokratischen Strukturen und einer allgemeinen Aversion gegenüber Veränderungen.
Mit einem „Weiter so“ wird die deutsche Volkswirtschaft weder den langfristigen Herausforderungen noch den massiven Verschiebungen im geopolitischen Machtgefüge erfolgreich begegnen können. Spätestens seit dem Jahr 2013, also dem Wiedereinstieg der Großen Koalition in die Regierungsverantwortung, wurden die Weichen in Richtung Niedergang gestellt: Statt einer effizienten Klimapolitik wurde eine kostspielige, kleinteilig orchestrierte Energiewende umgesetzt, ohne stabile Alternativen zu schaffen; die Haushaltsspielräume der 2010er-Jahre wurden für Sozialausgaben statt für Zukunftsinvestitionen genutzt; der absehbare Rückzug der geburtenstarken Jahrgänge wurde trotz der Belastung für Wirtschaft und Rentensystem ignoriert.
Nach der Corona-Pandemie hätte es die Chance gegeben, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln – stattdessen ging es weiter bergab. Für die kommenden Jahre wird nicht einmal mehr ein halbes Prozent an Wachstumspotenzial erwartet. Gleichzeitig nehmen die Herausforderungen zu: Die Transformation zur Nachhaltigkeit, der demografische Wandel und die Sicherung der Verteidigungsfähigkeit erfordern eine produktive Volkswirtschaft. Die gerne bemühte Erzählung – Investitionen sind immer gut, also führen mehr staatliche oder staatlich gelenkte Investitionen zwangsläufig zu einem großen Wachstumsschub – wird definitiv nicht tragen.
Weniger staatliche Eingriffe, mehr marktwirtschaftliche Elemente
Nur tiefgreifende Veränderungen können den Abwärtstrend stoppen. Der demografische Wandel muss abgemildert und die Arbeitsproduktivität deutlich gesteigert werden. Das Wirtschafts- und Innovationsgeschehen benötigt eine drastische Beschleunigung. Und – eng damit verbunden – der Strukturwandel sollte positiv bewertet und nicht ausgebremst werden. Diese Veränderungen erfordern ernsthafte Anstrengungen: etwa eine umfassende Reform der sozialen Sicherungssysteme, eine Entbürokratisierung der Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie Anreize für mehr Unternehmertum in Deutschland. Allein mit dem Einsatz üppiger staatlicher Mittel werden wir die Herausforderungen nicht meistern. Es geht ums sprichwörtliche „Eingemachte“.
Es darf zwar bezweifelt werden, dass die gewählte Abfolge – erst massive staatliche Handlungsspielräume schaffen, dann Strukturreformen auf den Weg bringen – den Handlungsdruck aufrechterhalten wird. Dabei ist es für die Rückkehr zu höheren Wachstumspfaden unumgänglich, das Ringen um diese Strukturreformen mit aller Kraft weiterzuverfolgen.
Im Kern geht es darum, unternehmerisches Handeln wieder zu entfesseln. Private Investoren scheuen zunehmend den Standort Deutschland. Für sie muss es attraktiver werden, ihr Kapital einzusetzen.
Steuerliche Anreize könnten hierbei helfen, doch sie werden weiterhin als ungleichheitsfördernd verunglimpft – ein schwerwiegendes Hindernis für den Investitionsstandort Deutschland. Wenn die Gesellschaft unternehmerischen Erfolg nicht als erstrebenswert begreift, wird es schwierig, privates Kapital zu mobilisieren. Ein Umdenken ist hier notwendig: weniger staatliche Eingriffe, mehr marktwirtschaftliche Elemente. Es ist falsch, die wirtschaftspolitische Aufmerksamkeit wie bisher auf die Förderung einzelner Großunternehmen zu verengen.
Eine gute Industrie- und Innovationspolitik sieht anders aus und konzentriert sich vor allem auf eine diskriminierungsfreie Förderung. Hinsichtlich einer solch breit angelegten Förderung unternehmerischer Investitionen liegen unterschiedliche Konzepte vor. Die von SPD und Grünen favorisierte Investitionsprämie und die von der Union vertretene Senkung der Steuersätze zielen eigentlich auf das Gleiche: auf mehr private Investitionen. Mit der Investitionsprämie setzt man dabei jedoch eher auf der Inputseite – alle Investitionen werden begünstigt – an, ob renditeträchtig oder nicht. Es wäre deutlich besser, auf der Outputseite anzusetzen – Erfolgsstreben wird belohnt, und Prozessinnovationen werden mit einbezogen. Damit würde auch das von den Unternehmen ersehnte Signal an diese ausgestrahlt, die Politik sei endlich wieder bereit, sie einfach mal in Ruhe ihre Arbeit machen zu lassen.
Klimapolitik europäisch denken, Tarifautonomie respektieren
Besonders wichtig wäre dieses Signal im Bereich der Klimapolitik. Deutschland hat sich ein noch höheres Tempo in Richtung Klimaneutralität verordnet als die Europäische Union. Das erhöht vor allem die Kosten, ohne die Zielerreichung der Europäischen Union entscheidend voranzutreiben. Der EU-Emissionshandel sollte so rasch wie möglich auf die Bereiche Wärme und Verkehr ausgedehnt werden und damit die Gesamtsumme der CO2-Emissionen wirksam festsetzen. Eine derartige einheitliche CO2-Bepreisung für alle Sektoren, Regionen und Technologien würde den kostengünstigsten Weg zur Klimaneutralität für Europa verwirklichen. Eine nationale Übererfüllung führt nur dazu, dass andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihr Tempo drosseln.
Ohnehin gehört es zu den großen Irrtümern der bisherigen Klimapolitik in Deutschland, man könne sie mit starren Zuständigkeitsbereichen oder isolierten Ressortlogiken gestalten, statt mit einem übergreifenden Blick. Eine derart große gesellschaftliche Herausforderung lässt sich in der komplexen Lebenswirklichkeit nicht mittels technokratisch festgelegter, sektorspezifischer und jahresscharfer Ziele verfolgen. Eine Energiewende, die funktionieren soll, sollte es vielmehr ermöglichen, nicht beabsichtigten Entwicklungen wie etwa Hemmnissen beim Ausbau von Netzen und Speichern zu trotzen und dennoch auf Kurs zu bleiben. Dazu muss es möglich sein, im Sinne eines arbeitsteiligen Vorgehens die Reduktionserfolge im Zuge der Maßnahmen zwischen den Teilbereichen des Wirtschaftsgeschehens zu verrechnen – als Zielgröße ist letztlich nur die Gesamtsumme der Emissionen relevant.
Ähnlich wie im vorangegangenen Wahlkampf haben sich einige Parteien auch vor der diesjährigen Bundestagswahl gegenseitig bei ihren Forderungen nach einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns überboten. So hat sich insbesondere die SPD für dessen Erhöhung auf fünfzehn Euro ab 2026 ausgesprochen. Das Versprechen, die Mindestlohnkommission ein unabhängiges Urteil darüber finden zu lassen, war offensichtlich nicht glaubwürdig. Dabei verfügt Deutschland doch über ein bewährtes System der kollektiven Lohnfindung: die Tarifautonomie. Dem inhärenten Machtungleichgewicht zuungunsten der Arbeitnehmerseite ist dabei aus gutem Grund die Macht der Gewerkschaften gegenübergestellt. Noch dazu ist der Arbeitsmarkt in Deutschland mittlerweile ein Anbietermarkt, auf dem die Arbeitnehmer die starke Marktseite bilden. Vor diesem Hintergrund wäre es umso wichtiger, den gesetzlichen Mindestlohn wieder aus seiner Zwangsjacke eines politischen Mindestlohns zu befreien.
Effizientes staatliches Handeln
Der Staat hat es bei seinem eigenen Tun am ehesten in der Hand, die Standortqualität für unternehmerisches Handeln zu steigern. Regulierungen und Bürokratie abzubauen, kostet vergleichsweise wenig. Statt regelmäßig Bürokratieabbau zu versprechen und gleichzeitig neue Hürden zu schaffen, ist ein echtes Umsteuern nötig. Ein Regulierungsmoratorium könnte ein starkes Signal senden. Perspektivisch müsste Deutschland in der Europäischen Union seinen Einfluss geltend machen, um auf einen faktischen Rückbau von Regulierung hinzuwirken.
Vor allem aber gilt es dem Eifer entgegenzuwirken, mit dem europäische Vorgaben hierzulande umgesetzt werden. Um noch dazu eine agile und effiziente öffentliche Verwaltung etablieren zu können, bräuchte es auf diesem Sektor eine strategisch aufgestellte Personalpolitik, am aktuellen Stand in der Unternehmenswelt ausgerichtete Strukturen und Prozesse sowie eine offensive Nutzung von Technologie. Die Einrichtung eines Digitalministeriums könnte die Voraussetzung dafür schaffen, endlich bei der Digitalisierung der Verwaltung voranzukommen.
Zweifellos kann es gelingen, durch schrittweise vollzogene Umschichtungen bei den Ausgaben finanzielle Spielräume für die Zukunftsvorsorge zu öffnen. Insbesondere sollten Subventionen, insbesondere klimaschädliche, gezielt abgebaut werden. Schließlich machen allein die Finanzhilfen des Bundes einen dreistelligen Milliardenbetrag pro Jahr aus. Würde die Klimapolitik konsequent auf die europäische Ebene verlagert, ließen sich ebenfalls viele der bei der CO2-Bepreisung anfallenden Einnahmen in wachstumsfördernde Bereiche wie die Förderung von Schlüsseltechnologien oder für die Kernaufgabe der Sicherung der Verteidigungsfähigkeit umschichten. Nach der Entscheidung des alten Bundestages, die Schuldenaufnahme zu erweitern, stellt sich umso dringlicher die Frage, welche Vorkehrungen noch zur konsequenten Prioritätensetzung zwingen, welche für Generationengerechtigkeit sorgen und welche zugleich ausufernde Konsumausgaben verhindern sollen.
Demografischer Wandel, internationale Wettbewerbsfähigkeit
Seit Jahrzehnten zeichnet sich überdies ab, dass der demografische Wandel unser umlagefinanziertes gesetzliches Rentensystem zunehmend destabilisiert. Die beiden Ventile, um der Verschiebung der Balance zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern entgegenzuwirken, sind steigende Beitragssätze zur Sozialversicherung und ein im Vergleich zum Durchschnittslohn sinkendes Leistungsniveau. Beide sind absehbar ausgereizt. Die Kompensation durch die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt ist ebenso eine Belastung für die aktiven Generationen wie steigende Beitragssätze. Der Vorschlag des Sachverständigenrates in seiner Expertise von 2011 ist nach wie vor aktuell: Es wäre sinnvoll, schrittweise die Lebensarbeitszeit anzuheben, um ab 2030 in einem sanften Übergang eine faire Aufteilung der gewonnenen Lebensjahre vorzusehen. Forschung und Innovation (F&I) sind die Faktoren für die künftige Prosperität in Deutschland. Die neue Bundesregierung darf es nicht versäumen, ein leistungsfähiges F&I-System auszuprägen, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen zu stärken und bei Schlüssel- und Zukunftstechnologien Souveränität zu gewährleisten. Vieles spricht dafür, künftig die Zuständigkeiten für die F&I-Politik in einem Ministerium zu bündeln und damit F&I umfassend zu begleiten – von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung und die experimentelle Entwicklung bis hin zum Transfer in unternehmerisches Handeln am Markt. Zudem gilt es, der F&I-Politik nicht nur hinreichende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, sondern auch ihre Maßnahmen kritisch zu begleiten, um sie in einem stetigen staatlichen Lernprozess wirksamer und effizienter zu gestalten.
Christoph M. Schmidt, geboren 1962 in Canberra, Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik und Angewandte Ökonometrie, Ruhr-Universität Bochum, 2025 Fellow der Konrad-Adenauer-Stiftung.