Das wirtschaftliche Erfolgsmodell Deutschlands und Europas steckt nicht erst seit Beginn der aggressiven US-Zollpolitik in der Krise. Unsere offenen Volkswirtschaften haben jahrzehntelang von einer sich liberalisierenden globalen Wirtschafts- und Handelsordnung profitiert. Doch seit geraumer Zeit trüben sich die weltweiten Geschäftsaussichten aufgrund der hiesigen Standortfaktoren ein. Der Handel mit China, der viele Jahre lang von starkem Wachstum geprägt war und der deutschen Wirtschaft zugutekam, hat seit dem Ende der Corona-Pandemie deutlich abgenommen. Und die USA, die zwischenzeitlich zum größten Handelspartner der Europäischen Union aufgestiegen waren, fallen aufgrund der von Donald Trump für den Import europäischer Produkte verhängten Zölle auf absehbare Zeit als alternatives Handelszugpferd aus.
Europa benötigt daher neue Wirtschafts- und Handelspartner, um Wachstumsimpulse zu generieren. Auf der Suche nach neuen Märkten und Diversifizierungsmöglichkeiten für die eigenen Lieferketten richten Politik und Unternehmen ihren Blick zunehmend in Richtung der asiatischen Schwellenländer.
Die wirtschaftlich dynamischste Region der Welt
Indien ist nicht nur das bevölkerungsreichste Land der Erde, sondern verfügt mit rund sieben Prozent über das höchste Wirtschaftswachstum weltweit. Die wirtschaftlich aufstrebenden Schwellenländer Südostasiens – Indonesien, die Philippinen, Malaysia, Thailand und Vietnam – bilden mit Wachstumsraten von durchschnittlich rund fünf Prozent die dynamischste Wirtschaftsregion der Welt. Zwar können weder Indien noch die Schwellenländer Südostasiens die enorme Bedeutung Chinas und der USA für die europäische Wirtschaft kompensieren, doch bieten sie große Chancen für Unternehmen, die im Rahmen ihrer China+1-Strategien durch eine Diversifizierung Abhängigkeiten von China reduzieren oder angesichts der hohen US-Zölle neue Märkte erschließen wollen.
Trumps Zollpolitik kann in dieser Hinsicht sogar Chancen bieten. Denn keine Weltregion wurde von den US-Zollankündigungen vom 2. April 2025 härter getroffen als die Schwellen- und Entwicklungsländer Asiens. Für Vietnam, das sich auch dank eines Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union in den letzten Jahren zum ökonomischen Shootingstar und zu einem der wichtigsten Handelspartner Europas in Südostasien entwickelt hat, könnte nach Ablauf der geltenden Neunzig-Tage-Frist mit 46 Prozent einer der weltweit höchsten US-Zollsätze gelten. Auch wirtschaftlich weiter entwickelte Schwellenländer wie Indonesien (32 Prozent) oder Malaysia (24 Prozent) sind von hohen Zöllen bedroht. In Indien liegt der angedrohte Zollsatz immerhin bei 26 Prozent. Zwar haben einige der betroffenen Staaten unter anderem eine Absenkung beziehungsweise die vollständige Aufhebung von Zöllen für US-Importe angekündigt, um die angedrohten Zölle doch noch zu vermeiden, jedoch ist noch vollkommen offen, ob die jeweiligen Handelsverhandlungen mit den USA bis zum Ablauf der Frist am 8. Juli 2025 zu Ergebnissen führen werden.
Die Trump-Administration wirft insbesondere den Schwellenländern Südostasiens vor, chinesischen Unternehmen eine Plattform zur Umgehung amerikanischer Zölle und Sanktionen zu bieten. Tatsächlich ist ihre wirtschaftliche Verflechtung mit China in den vergangenen Jahren enorm gewachsen. Umso größer sind die Befürchtungen, dass die US-Zollpolitik diese Länder nun noch stärker in die Abhängigkeit von China treibt. Vor diesem Hintergrund sind sie ebenfalls daran interessiert, neue Märkte jenseits der USA und Chinas zu erschließen. Die Europäische Union ist mit ihrem riesigen Binnenmarkt, der hohen Kaufkraft ihrer Bevölkerung sowie ihren weltweit führenden Industrieunternehmen ein hochattraktiver Partner.
Handelsferne Forderungen der Europäischen Union
Das große Wachstumspotenzial der asiatischen Schwellenländer zieht jedoch auch andere Partner und Investoren an. Insbesondere Südostasien hat sich in den letzten Jahren zum bedeutendsten Schauplatz des globalen wirtschaftlichen Wettbewerbs entwickelt. China ist bereits führender Handels- und Investitionspartner und dominiert zunehmend die regionalen Lieferketten. Die USA und Japan haben in den vergangenen Jahren ihre Bemühungen verstärkt, um Chinas Aufstieg in der Region etwas entgegenzusetzen. Auch Südkorea, Australien oder die Golfstaaten sind in Südostasien aktiv. Trumps weltweite Zölle zwingen auch diese Länder dazu, ihre Partnerschaften in der Region voranzutreiben. Der wirtschaftliche Wettlauf in Asien verschärft sich damit noch weiter.
Für die Länder der Region war Europa zuletzt lediglich ein potenzieller Wirtschaftspartner unter vielen – und es droht weiter zurückzufallen. Europa steht sich trotz seiner Attraktivität als Markt und Investor zu oft selbst im Weg. Sowohl mit Indien als auch mit den Schwellenländern Südostasiens stocken die Verhandlungen über Freihandelsabkommen seit Jahren. Haupthindernis für einen erfolgreichen Verhandlungsabschluss sind die Bemühungen der Europäischen Union, handelsferne Forderungen wie etwa weitreichende Arbeits- und Umweltstandards durchzusetzen. Länder wie Indien oder Indonesien lehnen diese Forderungen ab und werfen der Europäischen Union neokolonialistisches Auftreten sowie Protektionismus unter dem Deckmantel von Klimaschutz und Menschenrechten vor.
Angesichts des weltweit steigenden Interesses an Asien erlangen die Schwellenländer der Region mehr und mehr eine Position, die es ihnen erlaubt, die Verhandlungen über Handelsabkommen scheitern zu lassen. Für Europa wäre das ein herber Rückschlag – sowohl im Hinblick auf die europäischen Diversifizierungsbemühungen als auch mit Blick auf den ohnehin deutlich zurückgehenden geopolitischen Einfluss in der Region.
Die US-Zollpolitik erhöht den Druck sowohl für die Europäische Union als auch für die Schwellenländer Asiens. Daher gilt es, rasch einen pragmatischeren Weg bei den Verhandlungen einzuschlagen und sie nicht länger mit handelsfremden Forderungen zu überfrachten. Zudem sollten die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um europäische Unternehmen noch gezielter bei ihren Diversifizierungsbemühungen zu unterstützen. Schließlich gilt es, Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit stärker zu nutzen, um den eigenen Unternehmen Zugänge in die Märkte der Region zu öffnen, denn die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer ziehen eine interessengeleitete Entwicklungspolitik einer wertegeleiteten vor, da diese in der Regel auch wirtschaftliche Vorteile in den Zielländern schafft.
Nur mit einer aktiven und pragmatischen Außenwirtschaftspolitik kann eine Diversifizierung der deutschen und europäischen Wirtschaft in Asien gelingen. Eine starke wirtschaftliche Präsenz Europas würde den Ländern der Region helfen, die negativen Auswirkungen der US-Zölle zu reduzieren und ihre eigenen Abhängigkeiten von China abzubauen. Und sie wäre ein wichtiges Signal der Zusammenarbeit für eine regelbasierte Ordnung sowie für offene Märkte und Handelsrouten in der Region und weltweit.
Denis Suarsana, geboren 1986 in Bad Mergentheim, promovierter Wirtschaftswissenschaftler, seit 2022 Leiter des Auslandsbüros Indonesien der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Jakarta.
Zum Weiterlesen
Suarsana, Denis: De-Risking, aber wohin? Die Schwellenländer der Emerging ASEAN als Alternative zu China, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin, 18.04.2024, www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/de-risking-aber-wohin [letzter Zugriff: 09.04.2025].
Gomez, Edmund Terence / Suarsana, Denis: Der wirtschaftliche Wettlauf in Südostasien – und warum Europa zurückfällt, Monitor Innovation/ Südostasien, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin, Oktober 2024, www.kas.de/de/monitor/detail/-/content/der-wirtschaftliche-wettlauf-in-suedostasien-und-warum-europa-zurueckfaellt [letzter Zugriff: 09.04.2025].