Digitale Technologien wie Internet und Mobiltelefon durchdringen alle Bereiche der Gesellschaft, der Wirtschaft und des Alltags. Immer mobiler, immer informierter, immer schneller, immer stärker vernetzt – wer hier nicht mithalten kann, wird schnell zum Außenseiter. Die Informationsgesellschaft stellt alle Altersgruppen vor große Herausforderungen, besonders aber die ältere Generation.
„Senioren ans Netz“ hieß 1999 die erste Kampagne der Telekom und der Bundesregierung, die die Älteren gezielt ans Internet heranführen sollte. Dieser Appell ist heute nicht weniger aktuell – selbst wenn sich die „Silver Surfer“ seitdem erheblich vermehrt haben: Inzwischen nutzen achtzig Prozent der 50- bis 60-Jährigen, 65 Prozent der 60- bis 70-Jährigen und dreißig Prozent der über 70-Jährigen das Internet.
Dabei belegen die Ergebnisse des (N)Onliner-Atlas 2013, dass Deutschland nach wie vor nach Geschlecht, Bildung und Altersgruppen digital gespalten ist. So bleibt der typische Internetnutzer vorerst männlich, gut gebildet – und jung. Auch das Nutzungsverhalten unterscheidet sich je nach Alter. Ältere Surfer sind meist viel kürzer im Netz und beschränken sich oft auf wenige Aktivitäten wie E-Mails, Suchmaschinen oder Online-Banking.
Digitale Alltagsbegleiter für skeptische Senioren
Die häufigsten Gründe dafür sind Sicherheits- und Datenschutzbedenken, unübersichtliche Tarife der Provider, bedienerunfreundliche Internetseiten, zu wenig PC-Erfahrung und Angst vor technischen Problemen. Viele Ältere können noch nicht erkennen, welche großartigen Möglichkeiten ihnen die Digitalisierung bietet. Wenn Technik, Nutzen und Kosten klar geworden sind, werden aus skeptischen Senioren schnell begeisterte Surfer. Das gilt nicht nur für den Gebrauch des PC, denn gerade für Ältere werden Smartphones oder Tablets als praktische digitale Alltagsbegleiter mit ihren zahlreichen Funktionen immer wichtiger.
Als Informationsquelle ist das Internet längst auch für Senioren unschlagbar. Über Suchmaschinen und spezielle Portale können sie zeitlich unabhängig die unterschiedlichsten Interessen bis hin zur Ahnenforschung verfolgen, von der täglichen Online-Zeitungslektüre ganz zu schweigen. Ältere Nutzer könnten ihr Wissen auch selbst ins Netz stellen, zum Beispiel durch kompetente Beiträge für das Online-Lexikon Wikipedia, das von diesen ehrenamtlichen Beiträgen lebt und durch sie wächst.
Das Netz kann auch helfen, den Alltag zu erleichtern – der Online-Einkauf ist hier eines der besten Beispiele. Es trägt so dazu bei, das Selbstwertgefühl älterer Menschen zu stärken und eine gute Lebensqualität besonders im höheren Alter zu erhalten.
Gerade die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten von E-Mail über Skype bis zu Instant Messaging erlauben älteren Menschen, über große Distanzen mit ihren Kindern, Enkeln und guten Freunden in engem Kontakt zu bleiben. Das ist gut für die Seele – besonders dann, wenn die körperliche Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist und die Wohnung nur noch selten verlassen werden kann.
Bloggen hält jung
Solche Freiheiten und Beteiligungsmöglichkeiten werden durch soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co., durch YouTube oder Diskussionsforen gesteigert. Bloggen hält jung! Das wissen leider noch viel zu wenige Senioren, selbst wenn es inzwischen immer mehr attraktive Angebote speziell für ihre Altersklasse gibt – und das nicht nur bei Partnerschaftsbörsen wie „späte-liebe.de“. So ist die Plattform „Feierabend.de“ seit 1998 der erste und inzwischen größte deutschsprachige Internetclub mit einem vielfältigen, genau auf die „Generation 50plus“ zugeschnittenen Angebot. Sie wurde 2008 beim Wettbewerb der Bundesregierung „Wege ins Netz“ sogar als „Beste Community“ Deutschlands ausgezeichnet. In den Regionalforen von „Feierabend.de“ geht es um persönliche Kontakte, die für Ältere besonders wichtig sind. Genau das bieten auch die wachsenden lokalen Angebote wie der Blog „Berlinab50“, das „Café Klick“ in Ludwigshafen oder die Seite „laupheimer-ansichtskarten.de“, die Senioren mit Lokalgeschichte ins Netz lockt. Sie alle wollen auch zum spielerischen Umgang mit dem neuen Medium animieren, vielfach unterstützt durch „Senior-Helfer“ oder durch „Internet-Paten“ des Kompetenzzentrums Technik – Diversity – Chancengleichheit. Immer öfter arbeiten bei solchen Lotsenprogrammen auch Jung und Alt zusammen daran, das Netz für alle zu einem Marktplatz der Begegnung zu machen. Die Seite „Papps, das ist doch ganz einfach …“ ist hier nur das bekannteste Beispiel.
Viele Online-Communities bieten so auch Möglichkeiten zur ehrenamtlichen Arbeit und zur Weiterbildung an. Besonders attraktiv sind Online-Computerkurse und -Sprachkurse, aber auch neue E-Learning-Angebote von Universitäten wie MOOCs (Massive Open Online Courses), die für alle und teilweise kostenlos zugänglich sein werden. Dadurch wird nicht zuletzt das Studium für Senioren auf eine neue, zeitlich und örtlich unabhängige Grundlage gestellt werden.
Virtuelles Gehirnjogging als Therapie
Auch bei online-basierten Selbsthilfegruppen für ältere Menschen mit chronischen Krankheiten gibt es viel Bewegung. So können Betroffene im Blog der Deutschen Alzheimer Gesellschaft ihren Alltag mit Demenz schildern und den Angehörigen Mut machen, mit der Krankheit zu leben. In Norwegen haben Versuche mit einer Art „Facebook light“ für demenzkranke Menschen gezeigt, dass die sozialen Kontakte im Netz und digitale Tagebücher Krankheitsverlauf und Stimmung positiv beeinflussen.
Spielen macht glücklich und fördert die Gesundheit. Der Unterhaltungsmarkt im Netz erwartet mehr Silver Surfer. Bisher sind mit einem Anteil von achtzig Prozent die meisten Gamer junge Menschen unter Dreißig. Bei den 50- bis 64-Jährigen spielen nur dreizehn Prozent und bei den über 65-Jährigen fünf Prozent. Virtuelles Bowling, Spiele für Gehirnjogging und Reha-Spiele sind zwar auch in Seniorenzentren im Kommen. Aber seniorengerechte „Silver Games“, die, wenn nötig, auch mit Gesundheitssensoren überwacht werden können, gibt es noch viel zu wenige.
Zunehmend wollen ältere aktive Internetnutzer zudem ihre Gesundheit durch Digitalisierung und E-Health-Technologien verstärkt selbst managen, ihre Gesundheitswerte wie Gewicht und Blutdruck dokumentieren und einen elektronischen Zugang zu ihrer Patientenakte erhalten. Ärzte und Krankenhäuser müssen dazu ihre E-Health-Dienste weiter ausbauen und zum Beispiel auch Rezepte elektronisch ausstellen. Das kann erhebliche Kosten im Gesundheitswesen sparen.
Die Gesundheitsbranche hat hier die Chance, neue Online-Marktplätze speziell für Ältere mit Angeboten rund um Gesundheit, Wellness, Pflege, Kosmetik, gesunde Ernährung, Blutdruckmessgeräte, Fitness-Videos et cetera zu etablieren. Mehr kommunale Plattformen, die individuelle Lösungen für Patienten und Vernetzungen mit den Gesundheitszentren vor Ort anbieten können, sind künftig vonnöten.
Hemden, die den Puls messen
Völlig neue Möglichkeiten bietet das Internet der Dinge, das keinesfalls auf die „Smart Factory“ der Zukunft beschränkt sein wird. Die zunehmende Vernetzung von Alltagstechnik und damit zahlreiche neue nützliche Dienstleistungen werden gerade für Silver Surfer künftig unverzichtbar sein – sei es bei der Suche nach einem Parkplatz in intelligenten, selbstfahrenden Autos, bei der Fernsteuerung von Heizung und intelligenten Kühlschränken in Smart Homes, beim Faxen von Gegenständen und Drucken von Lebensmitteln, bei Ortungsgeräten für Schlüssel, Hunde oder Fahrräder, bei smarten Datenbrillen und beheizbaren Einlegesohlen für Schuhe, bei Hemden, die den Puls messen, bei Pflegerobotern und virtuellen Butlern für Senioren, bei Systemen zur Sturzerkennung und Erinnerungshilfen oder bei der bedarfsgerechten, intelligenten Steuerung des Öffentlichen Nahverkehrs.
Vieles davon ist noch Zukunftsmusik. Aber die Industrie arbeitet intensiv daran, neue Ideen auf den Markt zu bringen. Und die Bundesregierung fördert im Rahmen ihrer Hightech-Strategie speziell die Entwicklung von technischen Assistenzsystemen und Telemedizinanwendungen, die es Senioren erlauben, so lange wie möglich frei und unabhängig zu Hause zu leben – auch bei zunehmenden körperlichen und geistigen Gebrechen. Expertennetzwerke wie TAO Third Age Online helfen dabei, Online-Communities benutzerfreundlicher für Ältere zu machen und neue Businessmodelle für den wachsenden „Silbermarkt“ und das technikunterstützte Leben der Zukunft zu entwickeln.
Pflichtprogramm im Seniorenheim
Auch Seniorenheime müssen künftig umdenken, wenn die Ansprüche der Senioren an die digitale Infrastruktur steigen. Internetcafés statt Seniorennachmittage, PC-Schulungen, Computerräume mit WLAN-Zugang oder individuelle Internetzugänge für die internetaktiven Bewohner werden auch bei uns – wie in den USA – schon bald zum Pflichtprogramm gehören.
Selbst wenn der Appell „Senioren ans Netz“ sicher noch für einige Jahre das Gebot der Stunde bleiben wird: Medientraining, Internetpatenschaften, neue Strukturen, mehr Sicherheit und Datenschutz im Netz sowie mehr spezifische Angebote für Senioren werden helfen, noch mehr Älteren den Weg ins Netz zu ebnen, wo sie viele Vorteile für ein kreatives, zufriedenes, selbstständiges und gesundes Leben für sich nutzen können. So wird sich der digitale Graben zwischen Jung und Alt langsam, aber sicher schließen – erst recht, wenn die Digital Natives ins Rentenalter kommen.
Dennoch wird die Digitalisierung als Generationenfrage wohl nicht nur ein Phänomen auf Zeit sein. Denn auch die Digital Natives werden wie alle Menschen im höheren Alter barrierefreie, sichere Angebote im Netz und technikbasierte Unterstützung im privaten Umfeld brauchen. Und so wird die Hauptaufgabe für die Zukunft bleiben: immer neue bedarfsgerechte digitale Lösungen für alle Menschen und für eine barrierefreie Gesellschaft insgesamt zu schaffen, die allen Generationen zugutekommen.
Heinz Riesenhuber, geboren 1935 in Frankfurt am Main, Bundesforschungsminister a. D., Mitglied des Deutschen Bundestages.