Geburtenrückgang und steigende Lebenserwartung lassen Deutschland überaltern: Heute ist jede zweite Person über 45 Jahre alt, jede fünfte über 66. Die Folgen sind längst spürbar: Von der Industrie über das Handwerk bis zum Gastgewerbe bleiben Stellen unbesetzt, Produktion und Service werden beeinträchtigt. Besonders deutlich zeigt sich der Fachkräftemangel im Gesundheits- und Pflegesektor, in dem Überlastung und Personalknappheit die Versorgung erschweren. Auch die steigenden Beiträge zur Pflege- und Krankenversicherung sind Auswirkungen der Überalterung.
In den Gründungsjahren der Bundesrepublik Deutschland konnte sich Konrad Adenauer noch sicher sein: „Kinder kriegen die Leute immer.“ Doch seit den 1970er-Jahren liegt die Geburtenrate in Deutschland durchschnittlich unter zwei Kindern pro Frau (2023: 1,35). Dadurch werden weniger Menschen geboren als sterben – die Zuwanderung hat einen statistischen Bevölkerungsrückgang bislang verhindert.
Familienpolitische Maßnahmen können den globalen Trend niedriger Geburten nicht umkehren, da die Verwirklichung eines Kinderwunsches von vielen staatlich nicht steuerbaren Faktoren abhängt. Der demografische Wandel lässt sich nicht aufhalten. Politik und Gesellschaft müssen daher lernen, mit den Auswirkungen umzugehen. Dies erfordert eine verstärkte Auseinandersetzung mit den Folgen der Überalterung für Sozialstaat, Arbeitsmarkt und Gesellschaft.
Überlastung der sozialen Sicherungssysteme
Eine der drängendsten Aufgaben liegt darin, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu machen. Schon heute stößt die gesetzliche Rentenversicherung an Belastungsgrenzen. Bereits 2023 flossen 112,4 Milliarden Euro – zwanzig Prozent des Bundeshaushalts – in die Rentenkasse. Doch die Kosten steigen weiter und erhöhen den Druck auf das Umlageverfahren. Die Wirtschaftsweisen prognostizieren, dass die Ausgaben für die gesetzliche Rente bis 2060 auf 11,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen werden, selbst wenn das Rentenniveau im Jahr 2035 auf 47,3 Prozent sinkt und der Beitragssatz auf 20,9 Prozent ansteigt.[1] Seit 1970 ist die durchschnittliche Rentenbezugsdauer um zehn Jahre gestiegen. Finanzierten 1962 noch sechs Erwerbstätige einen Rentenempfänger, sind es heute nur noch zwei. Die Finanzierung von immer mehr und immer längeren Rentenbezügen verteilt sich somit auf immer weniger Erwerbstätige; auch die Unsicherheit hinsichtlich ihrer eigenen Rentenaussichten wird dadurch erhöht.
Die gesetzliche Krankenversicherung steht ebenfalls unter Druck. Den Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitrags seit Anfang 2025 auf 2,5 Prozentpunkte begründete die frühere Ampelregierung mit unerwartet hohen Ausgaben, bedingt durch Inflation, den medizinisch-technischen Fortschritt und den steigenden Behandlungsbedarf der alternden Gesellschaft. Der jüngste Anstieg des Beitragssatzes zur sozialen Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte ist auch auf zurückgehende Einnahmen und eine steigende Zahl Leistungsberechtigter zurückzuführen: Ende 2023 waren 5,7 Millionen Deutsche – fünfzehn Prozent mehr als noch zwei Jahre zuvor – pflegebedürftig. Prognosen zufolge wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2055 um weitere 37 Prozent zunehmen.[2] Jüngere Generationen tragen somit eine besonders hohe Last, da sie für die gleichen Leistungsansprüche höhere Beiträge zahlen müssen.
Zudem drohen notwendige Zukunftsinvestitionen zum Beispiel in Verteidigung, Bildung, Klimaschutz, Infrastruktur und Digitalisierung durch den wachsenden Bedarf an Steuermitteln zur Sicherung der Sozialsysteme auszubleiben. Die künftige Bundesregierung steht vor der Aufgabe, die soziale Sicherung langfristig tragfähig, zukunftssicher und generationengerecht zu gestalten. Reformvorschläge aus der Wissenschaft liegen seit Jahrzehnten vor. Sie reichen von einer Kopplung des Renteneintrittsalters an die steigende Lebenserwartung über mehr Eigenverantwortung bis hin zu einer stärkeren Nutzung des Kapitalmarktes. Ein Blick nach Schweden zeigt, wie die Investition eines Teils der Rentenbeiträge in Aktienfonds zur Stabilisierung des Rentensystems beitragen kann. Entscheidend wird sein, Reformen der deutschen sozialen Sicherungssysteme zeitnah umzusetzen und dabei die Balance zwischen sozialer Sicherheit und wirtschaftlicher Stabilität zu wahren.
Rückgang der Erwerbsbevölkerung
Die Stabilität der sozialen Sicherung hängt von der Zahl der Beitragszahler ab. Doch mit dem Renteneintritt der Babyboomer werden bis 2036 rund dreizehn Millionen Menschen – etwa dreißig Prozent der Erwerbsbevölkerung von 2021 – aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden.[3] Da deutlich weniger junge Menschen nachrücken, würde die Zahl der Beschäftigten im erwerbsfähigen Alter selbst bei einer hohen Nettozuwanderung von 400.000 Menschen im Jahr bis Mitte 2030 voraussichtlich um 1,6 Millionen sinken.[4] Bereits heute fehlen rund 530.000 Fachkräfte, besonders im Gesundheits- und Pflegewesen, in der Kinderbetreuung, im Handwerk und in der Elektroindustrie. Zwar können Effizienzsteigerungen durch Digitalisierung und Automatisierung den Bedarf an Arbeitskräften in einigen Bereichen senken, doch der Fachkräftemangel wird sich absehbar weiter verschärfen: Bis 2060 rechnet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mit einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung um 11,7 Prozent beziehungsweise fünf Millionen Menschen.
Ein Hebel für mehr Erwerbstätigkeit ist eine qualifizierte Erwerbszuwanderung. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen benötigen Unterstützung, um Kontakt mit ausländischen Fachkräften aufzunehmen und eine zeitnahe Beschäftigungsaufnahme in Deutschland in die Wege zu leiten. Im November 2024 waren 55,8 Prozent der ausländischen Staatsangehörigen in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt.[5] Studien zeigen, dass die Beschäftigungsrate mit der Aufenthaltsdauer tendenziell steigt, doch oft erschweren strukturelle Hürden insbesondere Flüchtlingen den Arbeitsmarkteinstieg. Um mehr Zugewanderte qualifikationsgerecht in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren, sind Maßnahmen, die vor allem in reglementierten Berufen eine zügigere Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Qualifikationen fördern, sowie berufsbegleitende Sprachkurse „on the job“ notwendig.
Eine Hebung des inländischen Arbeitskräftepotenzials ist zur Sicherung der Wirtschaftskraft und des Wohlstands sowie zur künftigen Finanzierung der Sozialsysteme entscheidend. Im Wesentlichen besteht die Herausforderung darin, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass möglichst alle, die gesundheitlich in der Lage dazu sind, am Erwerbsleben teilhaben. Ein Ansatz für mehr Erwerbstätigkeit liegt darin, ältere Menschen, die dies möchten, die Weiterarbeit über das Renteneintrittsalter hinaus durch entsprechende Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Dank steuerlicher Anreize für längeres Arbeiten und Subventionen für Unternehmen, die altersgerechte Arbeitsplätze schaffen, liegt die Erwerbsquote der 65- bis 69-Jährigen in Japan mit über fünfzig Prozent deutlich über der deutschen mit zwanzig Prozent in dieser Altersgruppe.[6] Der Erfahrungsschatz der älteren Generationen ist eine wertvolle Ressource. Gleichzeitig zeigen Studien, dass die Alterung einer Gesellschaft ihre Innovationsbereitschaft mindert, was sich negativ auf Produktivität, Wachstum und den technologischen Fortschritt auswirken kann. Daher sind neben Maßnahmen für längeres Arbeiten auch Strategien zur Erhöhung der Arbeitsmarktteilhabe junger Talente ausschlaggebend. So ist unter anderem der Erwerb von Berufsabschlüssen zentrale Voraussetzung für Erwerbstätigkeit: Im Jahr 2022 verfügten neunzehn Prozent der 20- bis 34-Jährigen – insgesamt 2,9 Millionen junge Menschen – über keinen Berufsabschluss.[7]
Nach Einschätzung von Wirtschaftsexpertinnen und -experten liegt das größte Potenzial in der Erhöhung des Erwerbsvolumens von Müttern, die bislang häufig in Teilzeit arbeiten. Beratungsangebote für Kinderbetreuung und Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Karriere beider Elternteile können helfen, die Erwerbstätigkeit ausländischer Mütter, die derzeit besonders gering ausfällt, zu erhöhen.[8] In Frankreich trug eine flächendeckende Ganztagsbetreuung in der Vergangenheit maßgeblich zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Müttern bei. Der Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten fördert sowohl die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als auch nachweislich die Realisierung von Kinderwünschen.
Regionale Disparitäten
Die Überalterung der Gesellschaft hat insgesamt tiefgreifende Folgen für jede und jeden Einzelnen persönlich, insbesondere in strukturschwachen Regionen. So verstärkt der demografische Wandel Disparitäten zwischen Ballungsräumen und peripheren Gebieten, wo zunehmender Bevölkerungsrückgang die Wirtschaftskraft schwächt und die Daseinsvorsorge erschwert. Dadurch droht die Verfestigung eines Gefühls des Abgehängtseins in wirtschaftsschwächeren Kommunen.
Auch die abnehmende Leistungsfähigkeit des Gesundheits- und Pflegewesens wird zunehmend spürbar. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen kämpfen mit Personalmangel, da viele Fachkräfte altersbedingt ausscheiden oder einen Berufswechsel beziehungsweise früheren Renteneintritt erwägen.[9] Besonders angespannt ist die Lage in der Alten- und Krankenpflege: Bis 2049 wird der Bedarf an Pflegekräften laut Statistischem Bundesamt um ein Drittel auf 2,15 Millionen steigen, während ein Mangel von bis zu 690.000 Fachkräften droht. In ländlichen Regionen verschärft sich die Situation zusätzlich, da immer mehr Arztpraxen schließen. Diese Entwicklungen belasten private Haushalte zunehmend, da Angehörige vermehrt auf ärztliche Versorgung und häusliche Pflege angewiesen sind. Bereits 2023 wurden 4,9 Millionen pflegebedürftige Menschen zu Hause versorgt – über die Hälfte ausschließlich durch ihre Familien.[10] Ohne gezielte Maßnahmen zur Fachkräftebindung, Nachwuchsgewinnung und besseren Unterstützung pflegender Familien droht eine Verschärfung des Pflegenotstands mit nicht absehbaren volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen. Das Beispiel Dänemarks zeigt, wie neue Technologien wie Telemedizin und Präventionsmaßnahmen den Personalmangel in der Pflege abmildern und Pflegekräfte entlasten können. Zunehmend stellt jedoch auch Einsamkeit, insbesondere unter Hochaltrigen, ein Problem dar. Viele verlieren im Alter Partner oder Freunde, während Angehörige oft weit entfernt leben, sodass soziale Isolation zunimmt. Der Fachkräftemangel im Gesundheits- und Pflegewesen verschärft das Problem, da weniger Zeit für persönliche Zuwendung bleibt.
Zur Zeit Adenauers war eine überalternde Gesellschaft kaum vorstellbar. So fußt der deutsche Sozialstaat auf der Annahme, dass es stets genug Nachwuchs geben würde. Doch der demografische Wandel stellt Wirtschaft, Gesellschaft und Sozialstaat vor beispiellose Herausforderungen – und die Notwendigkeit, zu handeln, wächst. Die Hebung des Erwerbspotenzials, die Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherung, flächendeckende Daseinsvorsorge und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts sind zentrale Stellschrauben für eine generationengerechte und demografiefeste Zukunft.
Natalie Klauser, geboren 1994 in Schitiqara (Kasachstan), Referentin Demografischer Wandel und Integrationspolitik, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.
[1] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Wachstumsschwäche überwinden – in die Zukunft investieren. Jahresgutachten 2023/24, Wiesbaden 2023, S. 297, www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/gutachten/jg202324/JG202324_Gesamtausgabe.pdf [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[2] Statistisches Bundesamt: Pflegevorausberechnung: „Bis 2049 werden voraussichtlich mindestens 280 000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt“, Pressemitteilung Nr. 033, 24.01.2024, www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_033_23_12.html [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[3] Statistisches Bundesamt: „12,9 Millionen Erwerbspersonen erreichen in den nächsten 15 Jahren das gesetzliche Rentenalter“, Pressemitteilung Nr. 330, 04.08.2022, www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/08/PD22_330_13.html [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[4] Statistisches Bundesamt: „2035 werden in Deutschland 4 Millionen mehr ab 67-Jährige leben“, Pressemitteilung Nr. 511, 02.12.2022, www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/12/PD22_511_124.html [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[5] Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Zuwanderungsmonitor Februar 2025. Aktuelle Daten und Indikatoren, S. 4, https://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/Zuwanderungsmonitor_2502.pdf [25.02.2025].
[6] Issei Sakakibara / Hideaki Ishiyama: „Survey: More than half of those aged 65–69 work, a first in Japan“, in: The Asahi Shimbun, 19.09.2022, www.asahi.com/ajw/articles/14722447 [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[7] Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB): „BIBB-Präsident Esser: ‚2,9 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss können wir uns nicht leisten‘“, Bonn, 08.05.2024, www.bibb.de/de/pressemitteilung_189134.php [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[8] Bernhard Boockmann / Gisela Meister-Scheufelen / Barbara Unger: „Wenn mehr gearbeitet würde – Potenziale des deutschen Arbeitsmarktes“, in: Wirtschaftsdienst, 105. Jg., Heft 1, Januar 2025, www.wirtschaftsdienst.eu/pdf-download/jahr/2025/heft/1/beitrag/wenn-mehr-gearbeitet-wuerde-potenziale-des-deutschen-arbeitsmarktes.html [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[9] Deutsches Ärzteblatt: „40 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen würden Job nicht weiterempfehlen“, 15.12.2021, www.aerzteblatt.de/nachrichten/129999/40-Prozent-der-Beschaeftigten-im-Gesundheitswesen-wuerden-Job-nicht-weiterempfehlen [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[10] Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP): Schwerpunkt: Pflegende Angehörige in Deutschland, 30.06.2023, www.zqp.de/schwerpunkt/pflegende-angehoerige/ [letzter Zugriff: 25.02.2025].