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Wie uns die Investitionsschwäche ausbremst

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Ein Land, das zu wenig und falsch investiert, kann auf Dauer nicht gedeihen. Doch genau das ist Deutschlands Problem – ökonomisch, institutionell, mentalitätsgeschichtlich. Die Investitionsschwäche ist kein neues Phänomen, aber heute gefährlicher denn je. Was ist jetzt zu tun? Der Folksong „House of Broken Dreams“ von Crosby, Stills and Nash (1989) handelt von gescheiterten Ambitionen und versandeter Modernisierung. So, wie das Haus metaphorisch für geplatzte Träume steht, so ist die Investitionsschwäche hierzulande ein Symptom für politische und wirtschaftliche Versäumnisse, die die Grundlage des Wohlstands bedrohen: die Industrie.

Seit 2018 ist die Industrieproduktion rückläufig; seit mehr als zwei Jahren schrumpft die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe; im April 2025 waren in der Industrie saisonbereinigt 175.000 Personen weniger beschäftigt als im April 2023.[1] In Zeiten der Dekarbonisierung und hoher Energiepreise ist der Industriestandort Deutschland akut gefährdet. Ohne eine wirksame politische Flankierung wird die klimapolitisch notwendige Transformation zum weiteren Niedergang der Industrie führen.

Es kommt allerdings auf die richtigen Instrumente an. Politisch forcierte Ansiedlungsprojekte wie Intel oder Wolfspeed scheiterten vorerst, was den Eindruck verstärkte, Deutschland habe an Attraktivität verloren. 2023 floss laut Deutscher Bundesbank weniger ausländisches Investment nach Deutschland als 1999, 2024 lag das Investitionsniveau unter dem Niveau von 2005. Analog dazu fiel Deutschland im Wettbewerbsranking des International Institute for Management Development (IMD) von Platz 6 (2014) auf Platz 24 (2024).[2] Schwaches Wachstum, hohe Steuerlast, Bürokratie, Infrastrukturschäden, aber auch politische Unsicherheit tragen zum negativen Erscheinungsbild der deutschen Industrie bei.
 

Risse im Fundament, unklare Statik

In Deutschland wird seit Längerem eine Investitionsschwäche beklagt. Tatsächlich lag im Jahr 2024 der Anteil privater Investitionen mit rund achtzehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht signifikant unter dem der USA. Doch seit fast drei Jahren stagnieren die privaten Bruttoanlageinvestitionen, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe – einem Schlüsselbereich mit 28 Prozent Wertschöpfungsanteil in Deutschland. Unternehmensbefragungen zeigen, dass vor allem in diesem Sektor große Unsicherheit über Kosten und Nutzen der Transformation herrscht.[3] Dies verdeutlicht, dass eine CO2-Bepreisung allein nicht als Investitionsanreiz ausreicht – sie kann sogar zur Gefahr werden. Die Erhöhung der Zertifikatpreise ab 2018 fiel jedenfalls zeitlich mit dem Einsetzen der Industrierezession zusammen.[4]

Angesichts der strukturellen Umwälzungen seit 2020 – aus- gelöst durch die Corona-Pandemie, den Ukraine-Krieg und die geopolitischen Spannungen – wiegt das umso schwerer. In der deutschen Wirtschaft haben diese Krisen zu Investitionsausfällen in Höhe von 265 Milliarden Euro geführt.[5] Die industrielle Bruttowertschöpfung, lange Zeit stabil, schrumpfte 2023 um mehr als ein Prozent, 2024 sogar um fast drei Prozent.[6] Dieser Rückgang zeigt, dass die Unternehmen ihre Effizienzreserven ausgeschöpft haben und der Strukturwandel nun auch statistisch erfassbar wird.

Die Frage ist, ob die Industrie noch die Kraft zur Erneuerung hat, zumal in einem global schwierigen Umfeld mit multiplen geopolitischen Risiken. Die Hoffnung auf die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft ist historisch gesehen nicht unbegründet, aber trügerisch. Der Anteil innovativer Unternehmen ist rückläufig – nur noch rund die Hälfte der energieintensiven Industrien kann regelmäßige Produkt- oder Prozessinnovationen vorweisen (Ausnahme: Chemieindustrie).[7] Außerdem ist die Zahl investierender Unternehmen in energieintensiven Branchen seit Beginn des Ukraine-Kriegs stark gesunken – in der Metallverarbeitung investiert jedes fünfte Unternehmen nicht mehr.[8] Ein Hinweis auf einen schleichenden Rückzug.

Die Gründe für die ausbleibenden Investitionen können ordnungspolitisch hergeleitet werden.[9] Erstens sind verzerrte Preisrelationen hierfür verantwortlich. Hohe und regional stark unterschiedliche Netzentgelte verzerren die Standortwahl und benachteiligen strukturschwache Regionen. Gleichzeitig schaffen Subventionen wie der geplante Industriestrompreis kurzfristig Entlastung, setzen jedoch langfristig fragwürdige Signale mit dem Risiko von Mitnahmeeffekten oder einer künstlichen Weiterbelebung. Zweitens fehlt es an Konstanz in der Wirtschaftspolitik, einem – nach Walter Eucken – zentralen ordnungspolitischen Kriterium für Unternehmensinvestitionen. Die Wirtschaftspolitik agiert oft hektisch und reaktiv. Förderprogramme wie das Gebäudeenergiegesetz werden umgebaut, Investitionsanreize wie die E-Auto-Prämie kurzfristig zurückgezogen, und auch beim Netz- und Speicherausbau fehlen klare Linien. Die Folge sind unsichere Perspektiven durch mangelndes Vertrauen und eine sinkende Investitionsbereitschaft. Beides zusammen – verzerrte Preise und instabile Erwartungen – führt zu Kapitalfehlallokation und Investitionszurückhaltung.
 

Gerüstet für den Umbau?

Während das Bild bei privaten Investitionen ein gemischtes ist, ist der Befund bei öffentlichen Investitionen eindeutig: Seit über 25 Jahren liegt Deutschlands öffentliche Investitionsquote als Anteil am Bruttoinlandsprodukt rund einen Prozentpunkt unter dem Durchschnitt der Europäischen Union. Um aufzuschließen, müssten jährlich etwa vierzig Milliarden Euro zusätzlich investiert werden. Das 2025 beschlossene Sondervermögen für die Infrastruktur von 500 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zwölf Jahren schafft wichtige neue Spielräume. Da- bei geht es nicht nur um die Sanierung von Straßen, Schienen und Schulen – öffentliche Investitionen sollen auch privates Kapital mobilisieren. Gerade in unsicheren Innovationsfeldern wie der Dekarbonisierung der Industrie, wo CO2-arme Verfahren bisher teurer sind als konventionelle, kann der Staat entscheidende Impulse geben und Carbon Leakage – die Abwanderung in Länder mit niedriger oder keiner CO2-Bepreisung – verhindern. Zentral sind dabei Nachfrageanreize, etwa durch Leitmärkte. Daneben spielt die Unterstützung der Angebotsseite eine Rolle, insbesondere in Zeiten eines geopolitischen Technologiewettlaufs. Die Ökonomin Mariana Mazzucato argumentiert, dass der Staat – anders als von liberaler Seite verstanden – nicht nur ein Reparaturbetrieb für Marktversagen ist, sondern ein aktiver und risikobereiter Gestalter von Innovation und Entwicklung sein kann – ein „unternehmerischer Staat“.[10] Viele bahnbrechende Technologien – Internet, GPS, Touchscreen – sind, wie vor allem Beispiele aus den USA zeigen, nicht allein im Markt entstanden, sondern nur durch staatliche Vorleistungen in Forschung und Entwicklung. Das kann auch hierzulande eine Chance sein, insbesondere im Zusammenspiel mit einem neuen militärisch-technologischen Komplex, der durch die massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben ermöglicht wird. Voraussetzung dafür ist jedoch ein Mentalitätswandel, etwa eine Abkehr der Hochschulen vom Dogma des Verbots militärischer Forschung.

Dabei ist auch die Pfadabhängigkeit wirtschaftlicher Entwicklung zu berücksichtigen: Staatliche Gelder allein reichen nicht aus, wenn die strukturellen Voraussetzungen für Innovationskraft fehlen – etwa in Bezug auf Fachkräfte, auf die Unternehmenslandschaft oder die originären Wettbewerbsvorteile einer Region, wie die Erfahrungen der ostdeutschen Wirtschaft nach der Wiedervereinigung zeigen.[11] Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, bedarf es einer Förderung von Innovation, die an die historisch gewachsenen Stärken einzelner Branchen und Regionen anknüpft.

 

Wenn der Bauplan fehlt

Diese Potenziale zu identifizieren und passgenaue Instrumente zu entwickeln, erfordern differenziertes Wissen und strategisches Fingerspitzengefühl. Gleichzeitig gilt: Staatliche Investitionen dürfen nicht zu reinen Subventionen verkommen. Zwar zeigten die USA unter Joe Biden, wie industriepolitische Impulse im Namen des Klimaschutzes gezielt über Steuervergünstigungen gesetzt werden können. Ähnliches gilt für China, wo industriepolitische Steuerung und kreditgetriebene Investitionen systematisch auf technologische Eigenständigkeit ausgerichtet sind – trotz wachsender Risiken durch Überschuldung und Fehlallokation.[12] Solche Maßnahmen sind stets ambivalent. Joseph Schumpeter warnte bereits 1931 vor einem Dilemma, das aktueller nicht sein könnte: „Überblickt man manche der größten Schwierigkeiten der heutigen Weltwirtschaft […], so erkennt man, daß die Kausalkette fast immer auf Industrieförderungen der Vergangenheit zurückführt, die lebensunfähige Gebilde geschaffen oder lebensfähige Gebilde zu lebensunfähigen Dimensionen aufgebauscht hat.“[13]

Was folgt daraus? Eine kluge Industriepolitik muss sowohl gezielt sektoral als auch gesamtwirtschaftlich horizontal private Investitionen ermöglichen, darf diese aber nicht ersetzen. Der Klimaschutz ist ein Strukturwandel per Termin – und politisch gewollt. Umso wichtiger ist politische Zielstrebigkeit: Sie muss sich auf echte Innovationspotenziale konzentrieren, Fehlanreize vermeiden und Voraussetzungen schaffen, die privates Kapital mobilisieren – insbesondere durch ein abgestimmtes Zusammenspiel staatlicher und privater Investitionen in Forschung und Entwicklung. Dies entspricht der Stärke der deutschen Wirtschaftsstruktur: dezentral, vernetzt, anwendungsorientiert. Deutschland – so bringt es der US-amerikanische Ökonom und Harvard-Professor Kenneth Rogoff auf den Punkt – hat beste Voraussetzungen für ein wirtschaftliches Comeback.[14] Allerdings ist dafür vor allem eines notwendig: verlässliche politische Rahmenbedingungen. Wer Investitionen will, muss Erwartungen stabilisieren – und politischen Streit nicht zur Lähmung werden lassen, damit es am Ende nicht wie in dem Song von Crosby, Stills and Nash heißt: „Living in a house of broken dreams.“

Simon Gerards Iglesias, geboren 1993 in Viersen, promovierter Wirtschaftshistoriker, persönlicher Referent des Direktors des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln.

 

[1] Zahlen von Destatis und der Bundesagentur für Arbeit, 2025.
[2] IMD World Competitiveness Ranking 2024.
[3] Lennart Bolwin / Christian Kestermann / Malte Küper / Thilo Schaefer: Klimatransformation: Schmerzen und Chancen, Ergebnisse einer repräsentativen Befragung des Produzierenden Gewerbes, Studie im Auftrag der Stiftung KlimaWirtschaft und des Bundesverbands der Energie-Abnehmer (VEA), Köln 2024, www.iwkoeln.de/studien/lennart-bolwin-christian-kestermann-malte-kueper-thilo-schaefer-schmerzen-und-chancen.html [letzter Zugriff: 10.05.2025].[4] Michael Hüther: Eine Agenda für die neue Legislaturperiode: Wettbewerbsfähigkeit und Transformation, IW-Policy Paper, Nr. 1, Köln, 08.01.2025, www.iwkoeln.de/studien/michael-huether-wettbewerbsfaehigkeit-und-transformation.html [letzter Zugriff: 10.05.2025].[5] Michael Grömling: Wie hoch sind die Verluste durch Pandemie und Krieg?, IW-Report Nr. 10, Köln, 05.03.2025, www.iwkoeln.de/studien/michael-groemling-wie-hoch-sind-die-verluste-durch-pandemie-und-krieg.html [letzter Zugriff: 10.05.2025].[6] Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, 4. Vierteljahr 2024, 2025.
[7] Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): Kernindikatoren zum Innovationsverhalten der Unternehmen (ZEW-Innovationserhebung), 21.02.2025, www.zew.de/publikationen/zew-gutachten-und-forschungsberichte/forschungsberichte/innovationen/innovationserhebung/kernindikatoren [letzter Zugriff: 10.05.2025].
[8] Statistisches Bundesamt: Qualitätsbericht – Investitionserhebung im Bereich Verarbeitendes Gewerbe, Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden, 16.01.2025, www.destatis.de/DE/Methoden/Qualitaet/Qualitaetsberichte/Industrie-Verarbeitendes-Gewerbe/investitionserhebung-verarbeitendes-gewerbe.html [letzter Zugriff: 10.05.2025].
[9] Melinda Fremerey / Michael Hüther: Ordnungspolitik in Krisenzeiten – Eine ordnungspolitische Bewertung aktueller wirtschaftspolitischer Handlungsstränge, DICE Ordnungspolitische Perspektiven, Nr. 113, Düsseldorf, Juni 2023, www.dice.hhu.de/fileadmin/redaktion/Fakultaeten/Wirtschaftswissenschaftliche_Fakultaet/DICE/Ordnungspolitische_Perspektiven/113_OP_Fremerey_Huether.pdf [letzter Zugriff: 10.05.2025].
[10] Mariana Mazzucato: The Entrepreneurial State. Debunking Public vs. Private Sector Myths, Public-Affairs, New York 2015.
[11] Vgl. dazu Michael Fritsch / Maria Greve / Michael Wyrwich: „Historisches Erbe regionaler Innovationstätigkeit – der Fall Ost- und Westdeutschland“, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Bd. 25, Heft 2, 25.04.2024, S. 97–112.
[12] Gero Kunath: Debt-fuelled growth in China and local government indebtedness, IW-Report-Report Nr. 35, Köln, 16.07.2025, ww.iwkoeln.de/en/studies/gero-kunath-debt-fuelled-growth-in-china-and-local-government-indebtedness.html [letzter Zugriff: 11.09.2025 / nach Erscheinen der Ausgabe aktualisiert].
[13] Joseph Schumpeter: Aufsätze zur Wirtschaftspolitik, hrsg. von Wolfgang F. Stolper und Christian Seidl, Mohr Siebeck, Tübingen 1985, S. 37.
[14] Kenneth Rogoff: „Ich glaube an ein starkes Comeback der deutschen Wirtschaft, aber …“. Interview von Michael Brächer, in: Der Spiegel, Nr. 52, 23.12.2024, www.spiegel.de/wirtschaft/konjunktur-harvard-oekonom-kenneth-rogoff-erklaert-wie-deutschland-die-krise-ueberwinden-kann-a-4ac16fdc-9fa3-4443-82c1-911004a4f00f [letzter Zugriff: 10.05.2025].

 

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