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Interview: Über Pakte, Planeten und Leuchttürme

Fragen zur Forschungs- und Wissenschaftspolitik des Bundes

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Das Institut Allensbach hat die Forschungsfreundlichkeit der Deutschen untersucht und spricht „vom fernen Planeten Wissenschaft“ (siehe Thomas Petersen in dieser Ausgabe, Seite 10–15). Sind Forschung und Wissenschaft extraterrestrisch? Mit anderen Worten: Sind Forschung und Wissenschaft ein Elitenthema?

Michael Kretschmer: Die Ergebnisse dieser Umfrage haben uns erstaunt und geben uns sehr zu denken. In der Politik haben wir nicht diesen Eindruck. Wir investieren in Bildung und Forschung in der festen Überzeugung, dass wir nur so unseren Wohlstand sichern können. Aus Innovationen kommen die Arbeitsplätze der Zukunft. Die Wissenschaftskommunikation muss ausgebaut werden. Die Politik wird dazu in der nächsten Legislaturperiode ihren Beitrag leisten. Aber gerade die Wissenschaft selbst ist in der Pflicht. Denn es ist klar: Man kann die großen finanziellen Ressourcen, die zur Verfügung gestellt werden, nur dann langfristig sichern und rechtfertigen, wenn es dafür eine politische Mehrheit gibt.

 

Ist die Bedeutung der Wissenschafts- und Forschungsförderung auf politischer Ebene wirklich so unumstritten? Wie schwer haben es wissenschaftspolitische Vorhaben gegenüber anderen, alltagsnäheren Projekten, beispielsweise Exzellenzcluster in Abwägung mit Kindergartenplätzen?

Michael Kretschmer: In den vergangenen Jahren hatten es solche Vorhaben verhältnismäßig leicht. Denn nie zuvor hat der Bund so viel Geld für Wissenschaft und Forschung ausgegeben. Nie war die Prioritätensetzung deutlicher. Seit 2005 sind die Mittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) um achtzig Prozent gestiegen!

Allerdings gilt das im Wesentlichen nur für den Bund. In den Ländern sieht es leider teilweise anders aus. Wir beobachten den Beginn eines Auseinanderdriftens: Der Bund engagiert sich, gibt mehr. Gleichzeitig versuchen einige Länder, sich aus der Verantwortung zu nehmen. Das ist etwas, was wir sehr kritisch sehen und was nicht so weitergehen darf. Es gibt nur dann einen Mehrwert für die Wissenschaft, wenn Bund und Länder gemeinsam daran arbeiten, aber nicht, wenn der eine mehr und der andere weniger tut.

 

Können Sie das konkretisieren?

Michael Kretschmer: Man sieht es beim Hochschulpakt: Der Bund stellt für rund 334.000 zusätzliche Studienplätze mehr als 4,7 Milliarden Euro in den Jahren 2011 und 2015 zur Verfügung. Einige Länder leisten die Ko-Finanzierung nicht in dem Maße, wie es nötig ist. Das Verhältnis von Drittmitteln zur Grundfinanzierung der Universitäten spricht Bände: Während die Drittmittel, die im Wesentlichen vom Bund kommen, steigen, bleibt die Grundfinanzierung, die Ländersache ist, auf demselben Stand beziehungsweise geht zurück. Die Bereitschaft, Wissenschaft zu fördern, ist auch in den Ländern ein Frage der Prioritätensetzung. Diese fordern wir von den Landesregierungen, Ministerpräsidenten und Landtagen ein.

 

„Milliarden für Elite-Unis“, aber „für gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern keinen Cent“, das wird in der Frage der Lockerung des Bund-Länder-Kooperationsverbots gegen die Bundesregierung eingewandt. Warum wollen Sie Gutes für die Hochschulen, aber nicht zumindest dasselbe für die Schulen tun?

Michael Kretschmer: Zunächst ist es ja keineswegs so, als wollten wir uns vonseiten des Bundes nicht beim Thema der Inklusion behinderter Kinder mit engagieren. Dazu sind wir bereit und tun das ja schon in vielerlei Hinsicht. Aber man muss doch auch fragen, welcher Partner welche Pflichten dabei hat: Was ist Aufgabe des Partners Bund? Was ist die Aufgabe des Partners Land? Und welche Aufgabe nimmt die kommunale Ebene wahr? Wenn man aber alles mischt und anschließend beim Bund ablädt, dann muss das Ganze zwangsläufig scheitern. Weil im Föderalismus die Pflichten verteilt sind, brauchen wir eine gemeinsame Strategie und eine Vereinbarung, die garantiert, dass – wenn sich der Bund engagiert – sich die beiden anderen Partner, im Wesentlichen aber die Länder, ebenso einbringen und nicht den Rückzug auf Kosten anderer antreten. Im Schulbereich gibt es keine politische Mehrheit für eine Grundgesetzänderung. Daher sollten wir uns auf das Machbare konzentrieren und das ist der Hochschulbereich.

 

Kommt es zur gewünschten Änderung des Artikels 91b Grundgesetz? Ohne die Opposition wird es ja nicht gehen.

Michael Kretschmer: Wir treten für die Änderung des Artikels 91b des Grundgesetzes ein. Damit sollen die rechtlichen Hindernisse, die dem Bund ein zuverlässiges und kontinuierliches Engagement für die Hochschulen erschweren, aus dem Wege geräumt werden. Wenn wir das machten, könnten wir den Ländern erheblich unter die Arme greifen. Das würden wir aus gesamtstaatlicher Verantwortung tun, weil wir wissen, dass die Universitäten Kern unseres deutschen Wissenschaftssystems sind und es wenig nutzt, wenn der Bund in eigener Kompetenz exzellente außeruniversitäre Forschungseinrichtungen fördert, aber die Hochschulen in den Ländern nicht mithalten können.

Klar ist aber auch: Die Bundesregierung, aber auch die CDU/CSU-Fraktion, sollte sich nicht erpressen lassen, wie es seitens der Opposition gerade versucht wird. Die Universitäten gehören nicht in Geiselhaft, um politische Preise zu fordern. Verhindert die Opposition die von allen Wissenschaftsexperten befürwortete Grundgesetzänderung, gibt es auch andere Möglichkeiten für den Bund, die Universitäten im internationalen Wettbewerb zu stärken. Einige Initiativen hat Annette Schavan bereits auf den Weg gebracht: die Kooperation der Charité mit dem Max-Delbrück-Centrum beispielsweise. Außerdem fördern wir jeweils fünf Forschungs- und Lehrzentren in Zusammenarbeit zwischen Max-Planck-Gesellschaft und Universitäten sowie der Fraunhofer-Gesellschaft zusammen mit Fachhochschulen. Es könnte ein Modell sein für den Fall, dass es zu keiner Grundgesetzänderung kommt. Wir gehen also unseren Weg weiter. Die Grundgesetzänderung würde vieles leichter machen, aber wir lassen uns nicht erpressen.

 

Im Bundestag haben Sie für die Union in Anspruch genommen, „Partner und Anwalt der Wissenschaft“ zu sein. Nehmen Ihre Partner die Limitationen der Politik immer ausreichend wahr, und wo gibt es Verständigungsprobleme?

Michael Kretschmer: Wir sind mit den Fortschritten sehr zufrieden – mit der deutlich gewachsenen Internationalisierung, in der Frage, wie man wissenschaftlichen Nachwuchs gewinnt, in der Frage, ob die wirklich zukunftsrelevanten Themen bearbeitet werden, mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz und so weiter. Auch was die Kooperation mit der Wirtschaft angeht. Da, wo der Bund unabhängig handeln kann, können wir mit dem Erreichten sehr zufrieden sein. Schwierigkeiten gibt es vor allem bei den Universitäten, für die sich der Bund nicht unmittelbar einsetzen kann. Dort muss es, wie gesagt, ein Nachziehen geben.

 

2015 enden der Hochschulpakt und der Pakt für Forschung und Innovation. 2017 ist Schluss mit der zweiten Runde der Exzellenzinitiative. Ginge es nach Ihnen, was käme danach?

Michael Kretschmer: Beim Hochschulpakt ist schon sehr bald eine weitere Vereinbarung notwendig. Bereits Ende 2013 werden die finanziellen Ressourcen aus dem aktuellen Hochschulpakt ausgeschöpft sein, sodass man nicht bis 2015 warten kann. Diese Entwicklung beschreibt, dass mehr junge Leute an die Hochschulen streben. Für uns ist das ein gutes Signal, und wir wollen unser Engagement künftig fortsetzen und gesamtstaatliche Verantwortung für ausreichend Studienplätze übernehmen.

Deshalb braucht es eine entsprechende Vereinbarung mit den Ländern. Sie wird aber nur dann zustande kommen, wenn es im Wissenschaftsbereich auch zu qualitativen Fortschritten kommt. Einfach nur Gelder an die Länder weiterzureichen, kann ich mir nicht vorstellen. Konkret bedeutet das, dass bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die sogenannte Programmpauschale zur Deckung der Gemeinkosten, die derzeit allein vom Bund geleistet wird, künftig mit den Ländern geteilt wird und wir nicht darüber streiten, ob der jeweilige Partner seine Leistung erbringt.

Das sind zwei zentrale Forderungen, ohne die ich mir eine Fortsetzung des Hochschulpakts so ohne Weiteres nicht vorstellen kann. Es geht um sehr viel Geld dabei, und das muss spürbare Verbesserungen für die Studenten erbringen.

Ich werbe auch für die Fortsetzung des Pakts für Forschung und Innovation, also den garantierten Aufwuchs bei den außeruniversitären Wissenschaftsorganisationen Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft,     Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Deutsche Forschungsgemeinschaft um jeweils fünf Prozent pro Jahr. Das ist wichtig, weil wir bei einer Inflationsentwicklung von zwei bis drei Prozent erst bei fünf Prozent Aufwuchs tatsächlich Raum für neue Aktivitäten geben.

Bitte vergessen wir nicht: Wir sind stark aus dieser Wirtschafts- und Finanzkrise herausgekommen, weil wir gegen den Trend in Bildung und Wissenschaft investiert haben. Die Rendite, die wir erzielen, ist unmittelbar ablesbar in einer starken und leistungsfähigen Wirtschaft, und deswegen muss der Pakt weitergehen.

Was die Exzellenzinitiative angeht, wird mit einer letzten Begutachtung im Jahr 2016 oder 2017 dieses sehr erfolgreiche und in der ganzen Welt bestaunte Projekt an einen Punkt gekommen sein, an dem es ausläuft und wo einzelne Linien gegebenenfalls in die DFG-Regelförderung überführt werden können. Es gibt dann hoffentlich auch eine Grundgesetzänderung, die ermöglicht, andere Instrumente für die Kooperation zu verwenden. Auf jeden Fall hat die Exzellenzinitiative unserem Wissenschaftsstandort unglaublich genutzt, gerade in der Profilierung der Hochschulen.

 

Soll es denn bei der Förderung von „Leuchtturm-Universitäten“, wie mitunter kritisch bemerkt wird, bleiben? Wieso eigentlich die Beschränkung auf „Leuchttürme“?

Michael Kretschmer: Hochschulpakt und Exzellenzinitiative gehören zusammen: Sie fördern die Breite und die Spitze der Hochschullandschaft. Die Grundgesetzänderung, die wir vorschlagen, bedeutet, dass der Bund dann an jeder Hochschule Kooperationen oder eigene Initiativen fördern könnte. Von daher werben wir sehr dafür. Wir haben mit der Exzellenzinitiative wirklich Leuchttürme gefördert und wollen sie finanziell absichern, damit die Milliarden am Ende nicht versanden, indem Exzellenzcluster oder Graduiertenschulen einfach geschlossen würden oder sich nicht weiterentwickeln könnten. Die Nachhaltigkeit des Erreichten ist eine wichtige politische Aufgabe.

Aber wir sehen natürlich darüber hinaus etwa an Fachhochschulen den Bedarf und großes Potenzial, das ebenfalls Unterstützung verdient. Unsere Modellprojekte mit Max Planck und Fraunhofer, ich hatte schon davon gesprochen, bereiten das vor, und wenn es zur Grundgesetzänderung kommt, gäbe es auch den notwendigen weitreichenden Spielraum für neue Kooperationen. All das zeigt: Es geht nicht nur um Leuchttürme, sondern auch um Initiativen in der Breite, wie es sie heute auch schon mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der Fachförderung durch das BMBF überall in Deutschland gibt.

 

Die Länder wollen Umsatzsteuerpunkte. Warum verweigert das der Bund?

Michael Kretschmer: Einige Länder wollen statt gezielter Hilfen vom Bund mit klarer Zweckbindung lieber einige Bundes-Milliarden über Umsatzsteuer-Neuverteilungen in die Landeskassen lenken. Dagegen wehre ich mich, weil es eine klare Aufgabenteilung gibt: Die vordringliche Aufgabe der Länder sind die Hochschulen und dort insbesondere die Lehre. Der Bund hat ganz andere Aufgaben zu bewältigen: die Forschung zur Energiewende, zu den großen Volkskrankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes, Public Health – um nur einige große Themen zu nennen. Nur wenn sich jeder Partner auf klare Aufgaben konzentrieren kann, werden wir Ergebnisse erzielen. Es hilft niemandem, wenn wir alle Aufgaben in Deutschland vermischen, das Geld verkleckern und nur in Trippelschritten vorankommen.

 

Nicht allein die Rektoren klagen, dass die Hochschulen chronisch unterfinanziert seien – vor allem wegen der steigenden Studierendenzahlen. Wie ernst nehmen Sie diese Klage?

Michael Kretschmer: Die Klage der Hochschulen ist berechtigt. Es gibt einen schleichenden Rückzug einzelner Länder aus Forschung und Lehre. Ärgerlich ist darüber hinaus, dass dort, wo vorher Studienbeiträge erhoben worden sind, die Hochschulen jetzt auf diese Mittel verzichten müssen oder die Kompensation für die Beiträge nicht an die Kostenentwicklung angepasst wird. Das ist wirklich eine bittere Entwicklung. Deswegen muss alles, was wir jetzt im Zuge der Grundgesetzänderung und der Paktverlängerungen machen, dazu führen, dass die Länder sich bekennen und verpflichten, ihren Teil der Verantwortung auch zu erfüllen und die Mittel im System zu halten.

 

Krista Sager von den Grünen meint, die wenig verlässlichen Perspektiven des akademischen Mittelbaus – der Mangel an Dauerstellen, geringe Aussicht auf Professuren – seien das eigentliche Problem des deutschen Wissenschaftssystems. Was ist Ihr Standpunkt zu dieser Problematik?

Michael Kretschmer: Da gilt auch das, was in anderen Bereichen gilt: Man kann nur das ausgeben, was man hat. Es bringt gar nichts, jetzt in Größenordnungen junge Wissenschaftler im Mittelbau einzustellen oder Tenure-Track auszuloben, wenn am Ende nicht die Vollzeitstellen vorhanden sind. Uns muss klar sein, dass wir an den deutschen Universitäten für die Wissenschaft ausbilden, aber zum größeren Teil für die Wirtschaft, die Verwaltung und für andere Bereiche. Das muss in einem vernünftigen Verhältnis sein.

Wir haben mit der Exzellenzinitiative und dem Hochschulpakt einer großen Zahl junger Menschen den Einstieg in das Wissenschaftssystem ermöglicht. Und wir wollen ihnen auch Perspektiven eröffnen. Wir wollen Tenure-Track – das ist auch eine Forderung, die der Bund immer gegenüber seinen eigenen Wissenschaftsorganisationen erhoben hat. Da gibt es auch Bewegung. Aber jetzt allgemein zu klagen, halte ich für falsch. Es muss auch einen Anteil befristeter Stellen geben, um das System dynamisch zu halten und auch nachfolgenden Nachwuchswissenschaftlern Einstiegsperspektiven geben zu können. Zu der Situation in den Siebzigern will jedenfalls niemand zurück, wo über Jahrzehnte der Mittelbau mit Dauerstellen verstopft war.

 

Mit einiger Genugtuung haben Sie im Bundestag darauf hingewiesen, dass inzwischen 55 Prozent eines Altersjahrgangs studieren, aber geht es wirklich um immer mehr Akademiker, wie uns die OECD glauben machen will? Mit anderen Worten: Brauchen wir immer mehr Studierende?

Michael Kretschmer: Nein. Wir haben einerseits die erfreuliche Entwicklung, dass sich viele junge Leute ein Studium zutrauen. Auf der anderen Seite findet leider eine Entwertung der dualen Ausbildung statt. Das darf nicht so sein, denn wir brauchen auch gut ausgebildete Facharbeiter, die selbstverständlich auch Träger des wirtschaftlichen Wohlstands sind. Darüber hinaus wird man – selbst wenn es darüber keine aktuellen Studien gibt – vermuten dürfen, dass ein wirklich gut ausgebildeter Facharbeiter in Lohn und Brot eine bessere Zukunftsperspektive hat als ein Bachelor, der studiert hat, ohne je richtig zu wissen, welche Chancen er am Ende auf dem Arbeitsmarkt besitzt. Von daher müssen wir in Deutschland die duale Ausbildung, die ein Grund für die geringe Jugendarbeitslosigkeit bei uns, für ein verhältnismäßig hohes Wirtschaftswachstum und für unsere Krisenresistenz ist, jetzt wieder verstärkt würdigen. In den vergangenen Jahren hat sich der Blick zu sehr auf Abitur und Studium verengt. Dabei brauchen wir auch exzellente Facharbeiter, für die die deutsche Wirtschaft auch sehr gute Jobperspektiven und gute Gehälter bietet.

Von den Zahlen der OECD darf man sich nicht irreführen lassen. Die OECD misst die Einkommenschancen in den verschiedenen Ländern und kommt am Ende zu dem Ergebnis, dass wir in Deutschland zu wenig Hochschulabsolventen hätten. Das liegt aber daran, dass in anderen europäischen Ländern junge Leute ohne eine Hochschulausbildung und ohne die Möglichkeit einer dualen Ausbildung überhaupt keine Chance auf ein vernünftiges Einkommen haben. Das heißt, die Studien der OECD und die Statistiken verkennen die wirkliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Die duale Ausbildung bleibt wichtig. Ich halte sie für unterbewertet; ein Studium ist nicht das allein Seligmachende.

Wir sollten den Blick wieder erweitern: nicht mehr nur über Abitur, Studium und Bachelor reden, sondern auch über die Chancen der betrieblichen Ausbildung. Schauen Sie doch in die von der OECD gelobten west- und südeuropäischen Länder: Die Perspektiven junger Menschen in Spanien, Italien, Portugal, auch in Frankreich sind nicht gut, teils sogar beklemmend schlecht. Dort herrscht eine Jugendarbeitslosigkeit von über zwanzig Prozent, bei uns sind es acht Prozent. Deshalb werden wir immer häufiger als Vorbild gefragt: Was macht ihr anders in Deutschland, wie organisiert ihr eure Berufsausbildung? Ich hoffe, dass auch anderswo in Europa jetzt sukzessive versucht wird, das deutsche Modell einzuführen – auch wenn das gewachsene Strukturen sind, die man nicht von heute auf morgen kopieren kann.

 

Als „teuren Ladenhüter“ hat die SPD das Deutschlandstipendium bezeichnet und will es abwickeln, sollte sie die Wahl im Herbst gewinnen. Gehört das Deutschlandstipendium, weil die veranschlagten Mittel ja komplett ausgeschöpft wurden, abgewickelt?

Michael Kretschmer: Wir haben jetzt schon fast 11.000 Stipendien. Das sind 11.000 Studierende, die monatlich 300 Euro erhalten. Ich halte es seitens der SPD für einen eigenartig destruktiven Politikstil, der den Gedanken ins Zentrum stellt, was man alles abwickeln will. Da liegt der Unterschied zu einer bürgerlichen Regierung: Wir setzen auch eigene Akzente, aber unser Ziel war nie, etwas kaputtzumachen. Darauf bin ich sehr stolz, dass wir als Regierungspartei in der Breite vieles ermöglicht haben, und zwar in dem Geist: Wir machen nicht alles besser, sondern was gut ist, führen wir weiter, und was sich nicht bewährt hat, machen wir neu. Das Deutschlandstipendium ist der Versuch, eine Stipendienkultur in Deutschland aufzubauen, was schwierig ist. Es gibt bei uns keine wirkliche Stipendientradition.

Die Anzahl von Stipendien, die es heute gibt, ist vor diesem Hintergrund schon enorm. Niemand hätte gedacht, dass wir eine so hohe Zahl von Unternehmen und Persönlichkeiten finden, die Stipendien ausloben. Ich selbst fördere eine angehende Wirtschaftsingenieurin, und ich freue mich darüber, diese junge Frau zu unterstützen.

Wir sollten diesen Weg unbedingt weitergehen, weil das Stipendienwesen ein entscheidender Unterschied zur Wissenschaftslandschaft in den Vereinigten Staaten ist, wo Stipendien selbstverständlich sind. Zwar ist gemessen am Bruttosozialprodukt das Niveau der staatlichen Förderung von Universitäten hier wie dort gleich, aber es fehlt bei uns mindestens ein Viertel der Gesamteinnahmen, die in Amerika von privater Seite beigesteuert werden. Hier waren die hiesigen Studienbeiträge ein Ausgleich, sind es aber bald nicht mehr. Aber über Stipendien können wir das private Engagement für die Bildung deutlich steigern. Denn klar ist: Der Staat kann nicht alles allein. Er hat auch andere wichtige Aufgaben, insbesondere am Beginn der Bildungsbiografien, wenn es darum geht, die Grundlagen für den späteren Bildungserfolg zu legen: im Kindergarten, in der Kinderkrippe und in der Grundschule. In diese Bereiche müssen wir auch künftig investieren, und weil man den Euro nur einmal ausgeben kann, müssen wir versuchen, den notwendigen Qualitätszuwachs im universitären Bereich auch durch private Mittel zu ermöglichen.

 

Erklären Sie uns bitte, warum BAföG-Leistungen nicht dasselbe sind! Man könnte ja sagen, die Deutschlandstipendien seien ungerecht, weil sie doch nicht an die soziale Herkunft gekoppelt sind.

Michael Kretschmer: Das Stipendium steht auch BAföG-Empfängern offen, und die 300 Euro werden auch nicht aufs BAföG angerechnet. Somit ist das Deutschlandstipendium eine weitere Säule unserer Bildungsfinanzierung, deren tragende Säule nach wie vor das BAföG ist. BAföG und Stipendien sind auch im Finanzvolumen gar nicht vergleichbar. Beim BAföG gibt es einen Rechtsanspruch, da steht pro Jahr ein Milliardenbetrag bereit. Deutschlandstipendien kosten einen kleinen Millionenbetrag. BAföG gegen das Stipendiensystem auszuspielen, ist einfach unseriös. Wir brauchen beide.

 

Und warum sind die veranschlagten Mittel nicht ausgegeben worden?

Michael Kretschmer: Weil es noch zu wenig Förderer gibt und weil das Deutschlandstipendium auch für die Hochschulen einen Kulturwandel bedeutet. Universitäten wie in Leipzig, die in den ersten Jahren gesagt haben, wir machen da nicht mit und haben für die Einwerbung der privaten Mittel keine Kapazitäten frei, sind auf Druck der Studierenden und der Wirtschaft schließlich doch eingestiegen. Wie bei so vielen Dingen braucht man auch beim Deutschlandstipendium eine Einschwingphase. Es geht um nicht weniger als das Schaffen einer neuen Kultur. Und wie sich zeigt, kommt das System allmählich in Schwung.



Michael Kretschmer, geboren 1975 in Görlitz, seit 2009 Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Bildung, Forschung, Kunst, Kultur und Medien.

Das Gespräch führte Bernd Löhmann.

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