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von Christian Funke

Vierzig Jahre Iranische Revolution

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In der Silvesternacht des Jahres 1977 brachte US-Präsident Jimmy Carter auf seinen Gastgeber Mohammad Reza Schah Pahlavi in Teheran den Toast aus: „Dank der großartigen Führung des Schahs ist Iran eine Insel der Stabilität in einer der am meisten aufgewühlten Gegenden der Welt.“ Trotz sporadischer Proteste gegen seine fast vierzigjährige Herrschaft schien der Schah äußerlich auf dem Gipfel seiner Macht: Durch Ölexporte stabilisiert, war Iran zum wichtigsten Verbündeten des Westens im Nahen Osten geworden, die technische Modernisierung schritt voran, und eine gebildete Mittelschicht war entstanden. Doch schon bald überschlugen sich die Ereignisse, und Straßenproteste, ein Generalstreik und Massendemonstrationen legten das gesamte Land lahm. Dabei traten religiöse Motive immer stärker hervor, und bald war die Rede von einer „Islamischen Revolution“. Der 76-jährige Ajatollah Ruhollah Chomeini führte aus dem Exil in Frankreich die Revolution an. Indem Chomeini bereits 1963 gegen die Reformvorhaben des Schahs protestierte – darunter die Einführung des Frauenwahlrechts und eine umfassende Landreform – und sich an die Spitze protestierender Kleriker und Seminaristen in der den Schiiten heiligen Stadt Ghom – Chomeini unterrichtete dort bis 1963 Islamisches Recht – stellte, brach er mit der quietistischen Tradition der Schia. Diese besagt, dass weltliche Herrschaft, solange sie die Ausübung der religiösen Pflichten nicht hindert, toleriert werden soll, selbst wenn sie prinzipiell illegitim ist. Chomeini hingegen entwickelte die Vorstellung, dass die Rechtsgelehrten selbst herrschen sollten, um vorübergehend an die Stelle des zwölften schiitischen Imams zu treten, dessen endzeitliche Wiederkehr erwartet wird.

Viele Protestierende, Außenstehende und Experten sahen in Chomeini zunächst eine Art iranischen Gandhi, der nach der Revolution nach Ghom zurückkehren würde, um sich religiösen Studien zu widmen. Nicht seine außerhalb klerikaler Kreise kaum rezipierten Schriften und auf Kassetten verbreiteten Predigten waren es, die Religiöse, Nationalisten, Kommunisten, die Mittelschicht und die Unterschicht miteinander verbanden, sondern gemeinsame politische Forderungen sowie die Macht schiitischer Rituale, Bilder und Narrative. Sie ordneten das chaotische Revolutionsgeschehen in das Schema eines Kampfes zwischen Gut und Böse ein und verliehen sowohl persönlichen Erfahrungen als auch Verlusten einen Sinn.

Statt nach seiner Rückkehr in den Iran ins Seminar zurückzukehren, konzentrierte Chomeini die Macht im neuen Staat in den Händen des Klerus und schaltete jegliche Opposition systematisch aus. Er beendete die über 2500-jährige Monarchie und setzte an ihre Stelle eine „islamische Moderne“, die sich sowohl von der Nachahmung des Westens als auch von den kommunistischen Systemen des Ostens abgrenzte. Eckpfeiler der neuen politischen Ordnung waren ein gelenktes parlamentarisches System und Chomeinis Version des schiitischen Islam, dessen Kleriker in allen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen fortan den Ton angaben. Während viele kulturelle und wissenschaftliche Errungenschaften der Schahzeit rückgängig gemacht wurden, was bis heute zu einer Talentabwanderung führt, gelang es dennoch, ein politisches System zu schaffen, das eine eingeschränkte Mitwirkung des Volkes ermöglichte.

Die Ursachen der Revolution

Wie konnte es zu dem Umsturz kommen, den kaum jemand vorausgesehen hatte? In gewisser Weise wurde der Schah Opfer seines Erfolges und seiner Hybris zugleich. Noch zu Zeiten John F. Kennedys fragte er rhetorisch eine Gruppe von Offiziellen, warum die Studenten der Universität Teheran gegen ihn demonstrierten.

„Wir haben ihnen alles gegeben. Was wollen sie noch?“ Der spätere Zentralbankdirektor Mehdi Samii entgegnete dem Schah, dass die Studenten die Dinge, die er ihnen gegeben hatte, als Teil ihrer unveräußerlichen Rechte betrachteten und sich dem Standpunkt verweigerten, dass ihnen diese Rechte gegeben worden seien, und zudem meinten, dass ihnen andere Rechte vorenthalten würden (siehe Abbas Milani: The Shah, New York 2011, S. 280). Damit brachte Mehdi Samii auf den Punkt, dass der rasanten wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung des Landes auf der politischen Ebene kein Pendant gegenüberstand. Die neue Mittelschicht wurde zwar in die Bürokratie des Staates integriert, politische Partizipation dagegen wurde ihr nicht eingeräumt.

An dem Generalstreik von 1978 waren sowohl Staatsbedienstete als auch Lohnarbeiter beteiligt. Beide unterstützten die Forderungen nach der Freilassung politischer Gefangener, Pressefreiheit, Gewaltenteilung und der Abschaffung des 1975 eingeführten Einparteiensystems. Die verspäteten und oft dilettantischen Reaktionen des Schahs zerrütteten den Glauben an eine Zukunft des Pahlavi-Staates. Einen Markstein bildete eine Fernsehansprache des Schahs, in der er mit kraftloser Stimme und in ziviler Garderobe Reformen versprach und erklärte, er habe die Stimme der Revolution gehört. Psychologisch hatte die Revolution bereits gewonnen, denn Chomeini und seine Gefolgsleute beherrschten die Klaviatur der Symbole perfekt.

Nach fünfzig Jahren des iranischen Nationalismus, der auf die vorislamische Zeit rekurrierte und dezidiert laizistisch war, wurde der Islam zu einem Instrument, eine oppositionelle Haltung gegenüber dem Staat auszudrücken. So legten Haushälterinnen und Studentinnen das Kopftuch an, Arbeiter und Beamte ließen sich Bärte wachsen. Selbst atheistische Kommunisten bezogen sich auf Imam Hussein und sein Martyrium bei Kerbela. Die revolutionäre Rhetorik, die Klassenkampf und Islam miteinander vermischte, bediente sich der schiitischen Tradition und erfand sie gleichermaßen neu. Die Schriften Ali Schariatis und Dschalal Al-e Ahmads lieferten den intellektuellen Unterbau für diesen neuen Iran, der zugleich zurück zu den Wurzeln und in eine bessere Zukunft weisen sollte.

Paria der Weltgemeinschaft

Die erste Dekade der Islamischen Republik wurde vom Ersten Golfkrieg (1980–1988) überschattet. Nach einem vom Westen gedeckten Überraschungsangriff Saddam Husseins geriet der Iran zunächst in die Defensive. Der irakische Diktator hoffte, er könne das durch Säuberungen stalinistischen Typs geschröpfte gegnerische Militär schnell bezwingen. Er sah sich jedoch bald mit einem langatmigen Stellungskrieg konfrontiert, in dem keine Seite bedeutende Gewinne erzielen konnte. Zahlreiche Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, lieferten Waffen an beide Konfliktparteien, deren menschliche und wirtschaftliche Opfer enorm waren. Auch im Inneren war der neue Staat nicht gefestigt. Nachdem gemäßigte und nationalistische Kräfte ausgeschaltet worden waren, rangen die islamo-marxistischen Volksmudschahedin mit Chomeinis Anhängern um die Macht, wurden aber letztlich verdrängt. Terroranschläge, Verhaftungswellen, patrouillierende Milizen, ein Aufstand der iranischen Kurden und die Islamisierung der Schulen und Universitäten prägten die ersten Jahre nach der Revolution. Chomeinis charismatische Führung schlichtete die schwelenden Konflikte zwischen links-islamistischen und konservativen Kräften, die allerdings nach seinem Tod wieder an Virulenz gewannen. Ein Jahr vor seinem Tod ordnete Chomeini die Massenhinrichtung von mindestens dreitausend politischen Gefangenen an. Es war ein Blutgericht, das die künftigen Machthaber zusammenschweißen sollte und bis heute seine Schatten wirft. Die Verfassung wurde dahin gehend geändert, dass die politischen, nicht aber die religiösen Qualifikationen des Obersten Rechtsgelehrten ausschlaggebend für seine Eignung als Staatsoberhaupt sein sollten. Der Systemerhalt wurde dabei sogar über die Prinzipien des Islam gestellt und zum Kernprinzip der Islamischen Republik Iran erhoben. Der neue, seit 1989 amtierende Revolutionsführer Ali Chamenei und der neue Präsident Hashemi Rafsandschani (1989–1997) lenkten ihr Augenmerk auf den Wiederaufbau des vom Krieg gebeutelten Landes und bedienten sich hierzu ansatzweise einer wirtschaftsliberalen Politik, die auch ausländische Investoren ins Land holen wollte.

Zur gleichen Zeit dauerten die Verfolgung und Ermordung politischer Gegner sowohl in Iran als auch im Ausland an, wovon etwa die Kettenmorde, eine systematische Serie von Morden und des Verschwindenlassens von Personen in den 1990er-Jahren in Iran und das Mykonos-Attentat, bei dem am 17. September 1992 vier iranisch-kurdische Exilpolitiker im Auftrag des iranischen Geheimdienstes in Berlin ermordet wurden, beredtes Zeugnis ablegen. Die Feindschaft mit Israel, die sich nach dem Zerfall der Sowjetunion intensivierte, die Unterstützung der libanesischen Hisbollah und die revolutionäre Rhetorik machten Iran zu einem Paria der Weltgemeinschaft. Erst mit dem unerwarteten Wahlsieg Mohammad Chatamis (1997–2005) bei den Präsidentschaftswahlen zeichnete sich sowohl im Inland als auch gegenüber dem Westen eine Politik der Entspannung ab. Die Reformen Mohammad Chatamis lockerten die repressive kulturelle Sphäre auf und ermöglichten durch Zeitungsgründungen einen kritischen Diskurs. Ziel des aus den Linksislamisten hervorgegangenen Reformflügels war es, die Islamische Republik durch politische und soziale Reformen zu stabilisieren und zu erhalten, doch stieß die Regierung auf immer stärkeren Widerstand von Revolutionsführer und Wächterrat.

Politische Lähmung des Landes

Die Spaltung der politischen Elite, die um die Deutungshoheit der Revolution rang, in deren Namen sich jegliche Politik rechtfertigen muss, führte zu einer politischen Lähmung des Landes. Mit Mahmud Ahmadinedschad (2005–2013), der ebenfalls überraschend die Präsidentschaftswahlen gewann, schwang das Pendel wieder zugunsten derer aus, die die Islamische Republik im Sinne ihrer islamisch-autoritären Komponente definieren wollten. Während er im Ausland in erster Linie aufgrund seiner Aussagen zum Holocaust und seines offensiven Umgangs mit dem iranischen Nuklearprogramm wahrgenommen wurde, zeichneten seine Präsidentschaft in Iran vor allem Nepotismus, Messianismus, wirtschaftliche Krisen, Zensur, kulturelle Repressionen und eine populistische Rhetorik aus.

Nach der von massiven Betrugsvorwürfen begleiteten Wiederwahl Mahmud Ahmadinedschads 2009 versammelten sich in Teheran und anderen Städten die größten Massenproteste seit der Revolution dreißig Jahre zuvor. Die Kernforderungen der sogenannten Grünen Bewegung unterschieden sich kaum von denen des Jahres 1978, verlangte sie doch die Freilassung politischer Gefangener, das Ende der Zensur und der gewalttätigen Übergriffe auf politische Gegner sowie die Annullierung der Wahlen. Der massive Ansehens- und Legitimitätsverlust, der durch die Niederschlagung der Protestwelle entstand, hallt bis heute nach, spielen Wahlen und Massen im Selbstverständnis der Islamischen Republik doch eine zentrale Rolle. Dass die Antiaufstandseinheiten und Milizen nicht davor zurückschreckten, am heiligen Aschura-Tag, an dem die Schiiten des Todes des für sie dritten Imams Hussein in der Schlacht von Kerbela gedenken, Blut zu vergießen, Gefangene zu vergewaltigen und Gräber zu schänden, fasste Großajatollah Hossein Ali Montazeri mit den Worten zusammen, die Islamische Republik sei weder islamisch noch eine Republik (siehe Christian Funke: Ästhetik, Politik und schiitische Repräsentation im zeitgenössischen Iran, Leiden und Boston 2017).

Mittelschicht wurde abermals enttäuscht

Die Präsidentschaft Hasan Rohanis (seit 2013) stand somit zunächst vor der Aufgabe, zwischen den politischen Lagern Brücken zu schlagen und das Vertrauen in das politische System wiederherzustellen. Rohani setzte, wie schon Rafsandschani, auf wirtschaftliche Reformen und warf sein gesamtes politisches Gewicht in die Waagschale, indem er die letztlich erfolgreichen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm in eine neue Runde führte. Dass eine für die Bevölkerung spürbare wirtschaftliche Dividende des Abkommens ausblieb und sich die wirtschaftliche Lage Irans weiter verschlechterte, führte zu Unruhen. Ehemalige Anhänger der Reformbewegung und die Mittelschicht wurden abermals enttäuscht. Bei seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York 2013 führte Hasan Rohani aus: „Die Verwirklichung von Demokratie im Einklang mit der Religion und friedlichen Regierungswechseln hat dazu geführt, dass Iran ein Anker der Stabilität in einem Meer der regionalen Instabilität ist“ (siehe: Matn-e kâmel-e sochanân-e doktor Rohâni dar schast-o haschtomin madschma'-e 'umûmi-e sâzmân-e mellal-e motahhed; vollständiger Text der Ansprache Hasan Rohanis bei der 68. Generalversammlung der Vereinten Nationen), www.president.ir/fa/71572, in persischer Sprache).

Wie auch zu Zeiten des Toasts Jimmy Carters steht Iran heute äußerlich stabil da. Gleichzeitig sind es tiefgreifende Probleme wie die immer wieder aufflammenden wirtschaftlichen Krisen, die anhaltende internationale Isolation, das umstrittene militärische Engagement in Syrien und die ungeklärte Frage, welchen Stellenwert die Partizipation des Volkes im Gesamtsystem einnehmen soll, die weiterhin ungelöst sind. Gemessen an ihrem immer wieder vorhergesagten baldigem Zusammenbruch nimmt das vierzigjährige Bestehen der Islamischen Republik fast wunder. Hinter die Wünsche, Hoffnungen und Möglichkeiten ihrer Anfänge ist sie jedoch weit zurückgefallen. Die staatliche Korruption und Misswirtschaft, die wirtschaftliche Misere und die sich weiter öffnende Wohlstandsschere, die Verfolgung politischer Gegner und die alltägliche Gängelung von Frauen und Andersdenkenden machen das vierzigjährige Jubiläum der Iranischen Revolution für viele Iraner zu einem bitteren Anlass.

Christian Funke, geboren 1982 in Unna (Westfalen), Iranist, Religions- und Islamwissenschaftler. Er verbrachte mehrere Jahre in Iran und forscht zu Themen des modernen Irans und des schiitischen Islam.

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