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Kriminalität und Rechtsstaat

von Günter Krings

Ist unser Staat in guter Verfassung?

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„Erosion“, „No-go-Areas“ oder „Kontrollverlust“ – dies sind Schlagworte, die derzeit die öffentliche Debatte um den Zustand des Rechtsstaats in Deutschland beherrschen. Die Frage, wie es um Recht und Gesetz steht, stellen sich inzwischen nicht nur Innen und Rechtspolitiker zunehmend und kritisch. Schlagwörter wie die zuvor genannten dienen oft dazu, die Debatte zu befeuern; sie neigen aber eben auch dazu, sie zu überspitzen und dadurch Angst zu schüren. Von einer auf diese Weise suggerierten Unsicherheit und dem Verfall des Rechtsstaats sind wir in Deutschland weit entfernt. Dennoch bleibt es unsere Aufgabe, bestehende Probleme offenzulegen und anzugehen.

Sicherheit ist die Grundlage unseres Zusammenlebens. Ohne Sicherheit ist eine freiheitliche Gesellschaft nicht denkbar. Dies wird uns insbesondere dann bewusst, wenn Besorgnis und Angst vor Kriminalität in unser Leben treten. Studien zeigen, dass sich fast die Hälfte der Deutschen zunehmend unsicher fühlt, auch wenn die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) belegt, dass die Zahl der im Jahr 2017 verübten Straftaten in Deutschland die niedrigste seit 1992 ist. Der Rechtsstaat steht also keineswegs vor dem Zusammenbruch, und dennoch leidet das Sicherheitsgefühl unserer Bürger. Selbst wenn der historische und der internationale Vergleich dem deutschen Rechtsstaat gute Noten ausstellen, haben wir jeden Grund, den Wunsch der Menschen nach mehr Sicherheit ernst zu nehmen. Denn dass der Anspruch der Bürger an die öffentliche Sicherheit und den Rechtsstaat gestiegen ist, ist ebenso legitim wie die Tatsache, dass wir uns heute auch nicht mehr mit dem Niveau des Sozialstaates aus den 1950er oder 1960erJahren zufriedengeben würden.

Nach einer am 19. März 2018 veröffentlichten forsa-Studie fühlen sich zwar 87 Prozent der Deutschen im öffentlichen Raum sicher; allerdings sind darunter 44 Prozent, die sich unsicherer fühlen als noch vor einigen Jahren. Gleichzeitig verzeichnet die PKS nicht nur die bereits genannte deutliche Rückläufigkeit von Straftaten, sondern auch eine Aufklärungsquote von über 57 Prozent. In beinahe allen Bereichen, die für das Sicherheitsgefühl unserer Bürger direkte oder indirekte Bedeutung haben, sind sinkende Fallzahlen zu verzeichnen: bei Straftaten gegen Leben, Leib und Eigentum; bei Diebstahl oder Gewaltkriminalität und auch bei den einfachen vorsätzlichen Körperverletzungen.

Die positive Kriminalstatistik sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Rechtsstaat vor weiteren Herausforderungen steht: Die teilweise geringe Polizeipräsenz, lange Verfahrensdauern und die Überbelastung der Justiz sind wahrnehmbare Beeinträchtigungen der Sicherheit.

Stärkere Videoüberwachung an gefährdeten Orten

In den Medien werden soziale Brennpunkte mit erhöhter Kriminalität oftmals als „No-go-Areas“ beschrieben. Es handelt sich meist um Stadtteile oder -gebiete, in denen es häufig zu kriminellen Aktivitäten kommt und in denen die öffentliche Sicherheit vermeintlich nicht mehr gewährleistet ist. Gerade in sozialen Brennpunkten, die in der Regel mit sozialen Schwierigkeiten wie hoher Arbeitslosigkeit, Armut, Bildungsmangel, geringer Integration von Bevölkerungsteilen mit Migrationshintergrund sowie Wohnraumknappheit konfrontiert sind, bestehen Probleme.

Auch wenn es sich dabei nach polizeilicher Einschätzung um ein regionales und kein bundesweites Phänomen handelt, besteht Handlungsbedarf auch auf Bundesebene. So halte ich neben der Erhöhung von Polizeipräsenz und besserer Ausstattung der Justiz eine stärkere Videoüberwachung an gefährdeten Orten für unerlässlich.

Aber nicht nur Bund und Länder, sondern auch die Kommunen, das Quartiersmanagement, soziale Einrichtungen oder auch der Wohnungsbau sind gefordert. Durch eine kriminalitätshemmende Gestaltung bestimmter Gebiete kann der soziale Zusammenhalt gefördert und können die Gelegenheiten zu Straftaten spürbar reduziert werden.

Internationale Ermittlungsarbeit gegen reisende Täter

Ein Einbruch in die eigene Wohnung ist immer auch ein Angriff auf den privatesten Bereichs eines Menschen. Hier darf auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass solch intensive Eingriffe in die Privatsphäre strafrechtlich ungesühnt bleiben und der Staat über keine rechtsstaatliche Durchsetzungskraft verfügt. Daher sind 2017 die Strafen für den Einbruchdiebstahl in Privatwohnungen spürbar verschärft worden. Gepaart mit einer deutlichen Schwerpunktsetzung auf Bund-Länderübergreifende Ermittlungsansätze ist eine deutliche Verbesserung der Situation zu verzeichnen: Noch im Jahr 2015 wurden über 167.000 Wohnungseinbrüche in der PKS erfasst. Innerhalb von nur zwei Jahren ist diese Fallzahl um etwa 50.000 gesunken; das entspricht einem Rückgang von über dreißig Prozent.

Nicht selten wird Wohnungseinbruchdiebstahl durch europaweit agierende Banden begangen. Hier ist die Arbeit von Bund und Ländern noch nicht am Ende angelangt. Der „traditionelle“ Wohnungseinbruchdiebstahl mit ortsansässigen Tätern muss in erster Linie von den Polizeien der Länder bekämpft werden. Außerdem fällt den Ländern im Bereich der reisenden Täter eine besondere Verantwortung bei der Erhebung, Auswertung und Eingabe von Tatortspuren in die polizeilichen Informationssysteme zu, ohne welche die Tatzusammenhänge nicht erkannt werden können. Hingegen steht der Bund in der Verantwortung bei der Erarbeitung von Ermittlungsansätzen gegen die Strukturen reisender Täter. Dies schließt insbesondere die internationale Ermittlungsarbeit in Zusammenarbeit mit Europol, den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und den Herkunftsstaaten der Täter ein.

Der Kampf gegen Wohnungseinbruchdiebstahl setzt jedoch deutlich früher an: Prävention, vor allem durch Einbruchsicherungen, hat in den vergangenen Jahren eine deutliche Wirkung gezeigt. Das durch das Bundesinnenministerium und das Deutsche Forum für Kriminalprävention initiierte Förderprogramm „Kriminalprävention durch Einbruchsicherung“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wird von der Bevölkerung in starkem Maße angenommen. Der jährlich steigende Anteil von Wohnungseinbrüchen, die nicht über das Versuchsstadium hinausgehen (1993: 28,3 Prozent – 2017: 45,0 Prozent), belegt die Wirksamkeit eingebauter Sicherungstechnik und anderer Maßnahmen für einen verbesserten Einbruchschutz.

Rückführungen und Rückkehr von Zuwanderern

Im Kontext der Flüchtlingskrise der Jahre 2015/16 ist ein jahrzehntealtes Kernproblem des Rechtsstaates mehr denn je in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt: Menschen finden in Deutschland Schutz vor Verfolgung und Krieg nach den Regeln des Grundgesetzes, des Europäischen Rechts und der Genfer Flüchtlingskonvention. Diese Schutz und Bleiberechte haben jedoch – wie alle Normen – klare Tatbestandsvoraussetzungen. Das heißt, dass all diejenigen, die nicht unter diese Voraussetzungen fallen, Deutschland wieder verlassen müssen – und zwar nicht irgendwann, sondern unverzüglich. Wenn bestehende Regeln zur Rückführung in Hunderttausenden von Fällen nicht durchgesetzt werden können, stellt dies ein ernstes Problem für den Rechtsstaat dar. Die Gründe für fehlende Rückführungen können – verschuldet oder unverschuldet – in der Person des Ausreisepflichtigen liegen, aber auch in einer mangelnden Aufnahmebereitschaft der Heimatländer; oft kommen auch beide Aspekte zusammen.

Insgesamt führt der daraus resultierende Rückstau zu einem gefährlichen Verlust des Vertrauens in den Staat. Es reicht nicht aus, einen gesellschaftlichen Konsens zu etablieren, dass Gefährder und Straftäter konsequent abzuschieben sind. Zutreffend ist: Durch ihr Verhalten haben solche Personen gezeigt, dass ihr Aufenthalt eine Gefahr für die Sicherheit unseres Landes bedeutet, und nach geltendem Recht haben sie aufgrund dieser Gefährlichkeit auch keine Perspektive auf eine Legalisierung ihres Aufenthalts. Aber genauso wenig, wie eine bestehende Integrationsbereitschaft ein fehlendes Bleiberecht ersetzen kann, lässt sich die Ausreisepflicht auf Straftäter beschränken. Der Rechtsstaat muss sich daher nicht kritische Fragen gefallen lassen, warum er Abschiebungen vornimmt, sondern rechtfertigen, warum er die Ausreisepflicht nicht in allen Fällen durchzusetzen vermag.

Die Zahl der zwangsweisen Rückführungen aus Deutschland ist von 2015 auf 2016 immerhin von über 22.000 auf mehr als 26.000 gestiegen. Im Jahr 2017 ist sie zwar weitgehend konstant geblieben, im Gegenzug sind aber die Asylbewerberzahlen deutlich gesunken, sodass im Verhältnis eine verstärkte Abschiebungspraxis erkennbar wird. Das liegt vor allem an der erfolgreichen Kooperation mit einigen Herkunftsländern, mit dem Ergebnis, dass diese Staaten die zur Rückführung notwendigen Identitätsausweise nun erheblich zügiger ausstellen. Darüber hinaus zeigen die Bemühungen um die freiwillige Rückkehr von rechtskräftig abgelehnten Asylbewerbern Erfolge: Die Zahlen lagen seit 2015 bei über 118.000 Personen. Gleichwohl stehen den Rückführungen und freiwilligen Ausreisen 228.859 ausreisepflichtige Ausländer gegenüber (wobei davon ca. 170.000 Personen aus verschiedenen Gründen geduldet sind). Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung verpflichtet, die Zahl der Ausreisepflichtigen, die Deutschland verlassen müssen, deutlich zu erhöhen.

„Pakt für den Rechtsstaat“

Um das Problem der mangelnden Rechtsdurchsetzung anzugehen, ist im Koalitionsvertrag der „Pakt für den Rechtsstaat“ vereinbart worden – für mich das Herzstück der anstehenden Regierungsarbeit.

Zum einen bedarf es dringend neuer Stellen für die Sicherheitsbehörden. Der Koalitionsvertrag sieht einen kräftigen Zuwachs an Sicherheitskräften mit 7.500 zusätzlichen Stellen für den Bund und 7.500 Stellen bei den Ländern vor. Darüber hinaus sollen für die Justiz 2.000 Stellen im Bereich der Richter und Staatsanwälte sowie jeweils in gleicher Größenordnung für Justizangestellte und Justizvollzugsbeamte geschaffen werden. Diese etwa 6.000 zusätzlichen Stellen werden einen ganz wesentlichen Beitrag leisten, um Justiz und Polizei den Rücken zu stärken.

Zum anderen sind gesetzliche Reformvorhaben mindestens ebenso wichtig. Insbesondere möchte ich die überfällige praxisgerechte Überarbeitung der Strafprozessordnung – zuständig hierfür ist die Bundesjustizministerin – zum Zwecke der Beschleunigung von Strafverfahren nennen. Das Ziel sind effizientere Verfahren, die zu einer schnelleren Verurteilung führen. Zudem sollen die Befugnisnormen der Ermittlungsbehörden reformiert werden, sodass gleichwertige Befugnisse außerhalb und innerhalb des Internet bestehen, das heißt eine Gleichstellung von klassischer Telefonie und SMS mit Internet und Messenger-Diensten. Auch die Regelungen zur Weiterverarbeitung von Daten in anderen Strafverfahren oder zur Gefahrenabwehr werden modernisiert.

Das Bundesinnenministerium hat bereits mit dem Programm „Polizei 2020“ begonnen. Dadurch soll die teilweise veraltete „Dateienlandschaft“ der Polizei von Bund und Ländern, die zu Ineffizienz und Beschränkungen der Polizeiarbeit führt, durch eine moderne Informationstechnologie revolutioniert werden. Darüber hinaus ist das Ziel des „Pakts für den Rechtsstaat“, Grundlagen dafür zu schaffen, dass auch die Schnittstelle des Datentransfers von den Polizeibehörden, insbesondere zur Strafjustiz, modernisiert wird.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, für den sich die Bundesregierung ein setzen wird, ist die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen. Dies führt in präventiver Hinsicht zu einer Abschreckung und bei strafrechtlicher Verfolgung zu einer deutlich erhöhten Erfolgsquote.

Musterpolizeigesetz zur Harmonisierung der Rechtslage

Zur Harmonisierung der Rechtslage in Deutschland erarbeiten die Länder derzeit ein gemeinsames Musterpolizeigesetz. Der Bund wirkt an diesem Vorhaben aktiv mit und setzt sich dafür ein, dass für Bund und Länder einheitliche Befugnisse allein nach fachlichen und rechtlichen Erfordernissen geschaffen werden.

Im Hinblick auf Abschiebungen wurden bereits Hemmnisse beseitigt, die den praktischen Vollzug bisher erschwert haben. Für die Kooperation mit Herkunftsstaaten hat die Bundesregierung Maßnahmen eingeleitet, wie zum Beispiel über die EU-Kommission den Einsatz der Visapolitik als Hebel zur Erhöhung der Rücknahmebereitschaft zu nutzen. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist durch die Errichtung des Gemeinsamen Zentrums zur Unterstützung der Rückkehr (ZUR) gestärkt worden. Zudem wird die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einrichtung von Anker-Zentren (Ankunft, Entscheidung, Rückkehr) die Dauer und Qualität von Asylverfahren deutlich verbessern. In diesen Zentren sollen die Asylverfahren komplett abgewickelt werden, um dann gegebenenfalls direkt in eine Abschiebung zu münden.

Die Frage der Sicherheit ist entscheidend für den Zusammenhalt in Deutschland. Der Blick auf den Ist-Zustand zeigt: Es liegen viele Herausforderungen vor Bund und Ländern, um den berechtigten Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden und ihnen ein starkes Sicherheitsgefühl zurückzugeben. Das genaue Hinsehen zeigt allerdings auch, dass die rechtsstaatliche Entwicklung in Deutschland viele positive Tendenzen aufweist. Es bleiben bestimmte Schwerpunktbereiche, in denen Handlungsbedarf besteht; allerdings nennt der Koalitionsvertrag die Probleme beim Namen. Entscheidend wird sein, dass Bund und Länder noch enger und pragmatischer zusammenarbeiten und dabei Eifersüchteleien und Egoismen im Interesse der Sicherheit zurückstellen. Wenn dies gelingt, kann die föderale Sicherheitsarchitektur Deutschlands sogar einen Vorzug darstellen.

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Günter Krings, geboren 1969 in Rheydt, seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 2013 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, seit 2017 Vorsitzender der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.

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