Die Gefahr einer Unternehmensschließung beziehungsweise einer Insolvenz ist im vergangenen Jahr in den meisten Wirtschaftszweigen gestiegen. Neben den aktuellen geopolitischen Entwicklungen tragen unter anderem die Nachwirkungen der Corona-Pandemie dazu bei. Aber auch die aktuelle Transformation hin zu einer digitalen Wirtschaft, die zudem bis 2045 in Deutschland klimaneutral sein soll, fordert die Unternehmen heraus. Die Untersuchungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn zeigen jedoch immer wieder, dass die meisten mittelständischen Unternehmen all diese Krisen meistern können und werden.
Wesentliches Kennzeichen einer funktionierenden Unternehmenslandschaft ist, dass sie sich im Laufe der Zeit verändert: Dies war Mitte des 18. Jahrhunderts so, als die Dampfmaschine die bisherige Art zu wirtschaften nachhaltig veränderte. Dies ist auch derzeit so: So hält die Künstliche Intelligenz nicht nur Einzug im unternehmerischen Alltag, sondern es sind basierend auf dieser Technologie bereits eine Reihe disruptiver Innovationen entstanden. Das Problem: Oftmals erkennt nur ein Teil der Unternehmen frühzeitig die Potenziale, die neue Technologien und Geschäftsmodelle bergen. Viele Unternehmen beobachten zwar neu aufkommende Technologien, nicht selten wird deren Bedeutung jedoch für die eigene Branche – oder sogar für das eigene Unternehmen – als gering eingeschätzt. Eine solche Einschätzung ist allerdings gefährlich, denn es besteht die Möglichkeit, dass Mitbewerber oder marktfremde Unternehmen gerade diese Technologien gezielt nutzen, wenn sie sich dadurch weitreichende Vorteile für ihre Produkte versprechen. Um ein Beispiel zu nennen: Smartphones mit hochauflösenden Kameras werden gern als disruptive Produkte bezeichnet. Tatsächlich hatte sich deren Entwicklung schon einige Zeit zuvor angekündigt; sie verlief jedoch schleichend. Disruption im Sinne von Marktverdrängung ist daher in der Wirtschaft ein ganz normaler Vorgang.
Was es bedeutet, zu spät auf neue Trends zu setzen, kann aktuell in der Automobilindustrie beobachtet werden: Im Gegensatz zu ihren Wettbewerbern in Asien und Nordamerika haben die deutschen Autokonzerne zu lange vorrangig auf Verbrennermotoren gesetzt und die Elektromobilität stiefmütterlich behandelt. Die Turbulenzen, die dadurch bei den großen Automobilkonzernen entstanden sind, wirken sich nun auch auf die mittelständischen Zulieferbetriebe aus – insbesondere, wenn diese aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen keine anderen Märkte oder Kundengruppen erschließen können.
Diversifizierung hilft
Zweifellos profitieren mittelständische Industriezulieferer von der Mitwirkung in globalen Wertschöpfungsketten: Sie partizipieren nicht nur an den Absatz- und Wachstumschancen für das jeweilige Endprodukt, sondern können auch Ressourcenbeschränkungen überwinden, Verbundforschung betreiben und sich zugleich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Gleichzeitig empfinden viele der mittelständischen Unternehmen die Zusammenarbeit mit den großen Endherstellern aber auch als belastend, was mit dem Werteverständnis des Mittelstands zusammenhängt (vgl. Holz et al. 2016). Diese Belastung wird vor allem von wenig diversifizierten Unternehmen sowie von Unternehmen mit standardisierten Produkten wahrgenommen, die entgegen ihrer strategischen Langfristorientierung oftmals einem hohen Wettbewerbsdruck seitens der Endhersteller ausgeliefert sind. Nicht selten ist dieser zugleich mit Aufforderungen zur Kostensenkung und zur Übernahme von Innovationsleistungen verbunden. Diesem Druck können die mittelständischen Zulieferunternehmen vor allem dadurch ausweichen, dass sie ihren Abnehmerkreis diversifizieren und/oder in verschiedenen Wertschöpfungsketten unterschiedlicher Branchen mitwirken. Zugleich sollten sie möglichst innovative und hochwertige Produkte entwickeln, die nicht einfach kopierbar sind. Unabhängig davon sollten die Unternehmen versuchen, stets die spezifischen Vorteile mittelständischer Unternehmen wie Flexibilität, Zuverlässigkeit und Kundennähe zu realisieren (vgl. Holz et al. 2016).
Dass dieses Vorgehen gelingen und zu dauerhaftem Erfolg führen kann, zeigt das Beispiel der Kirchhoff-Gruppe in Südwestfalen: Aus dem Unternehmen Stephan Witte, das 1785 zur Herstellung von Nähnadeln in Iserlohn gegründet wurde, hat sich Laufe von vier Generationen eine Firmengruppe mit vier Geschäftsbereichen entwickelt: Kirchhoff Automotive als hochspezialisierter Automobilzulieferer, Kirchhoff Mobility als Anbieter von individuellen Automobilumrüstungen für körperlich beeinträchtigte Menschen, Kirchhoff Ecotec als Anbieter von Lösungen für die Entsorgungslogistik und Straßenreinigungstechnologien sowie WITTE Tools als Hersteller von Schraubwerkzeugen im Premiumsegment.
Krisen beschleunigen innovative Veränderungen
Der Mittelstand kann sich jedoch nicht nur an veränderte Bedingungen anpassen, sondern die Unternehmen möchten auch Herausforderungen weitgehend aus eigener Kraft meistern. Dies hat beispielsweise der Umgang der Mittelständler mit der Coronakrise anschaulich gezeigt. So belegt eine Studie des IfM Bonn, dass Unternehmen die Folgen der Pandemie umso besser überstanden haben, je früher sie mit Innovationen auf die mit ihr einhergehenden Herausforderungen reagierten (vgl. Brink et al. 2022). Dabei spielte es kaum eine Rolle, ob sie Geschäftsmodell-, Produkt-, Dienstleistungs- oder Prozessinnovationen initiierten. Verglichen mit der Vor-Corona-Zeit hat die Coronakrise vielmehr zu einer Verdoppelung des Anteils der innovationsaktiven Unternehmen geführt. Den stärksten Anstieg verzeichneten dabei die Geschäftsmodellinnovationen: Ihr Anteil stieg nahezu auf das Dreifache an. Beispielsweise boten die Unternehmen aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe und dem Sektor Kunst/Unterhaltung/Erholung, die besonders stark von der Coronakrise betroffen waren, ihre Produkte und Dienstleistungen online beziehungsweise mit Lieferservice an.
Auch aktuell überlegen viele mittelständische Automobilzulieferer, ob sie weiterhin vorrangig für die großen Endhersteller tätig sein möchten – oder ob sie in anderen Branchen Absatzmöglichkeiten finden. In Südwestfalen gibt es beispielsweise ehemalige industrielle Automobilzulieferer, die nun Werkstoffe für die Medizin- oder Industrietechnik produzieren. Oftmals handelt es sich dabei um Nischenprodukte, die speziell auf die Anforderungen der Kunden zugeschnitten sind.
Damit kommen wir zu einem Aspekt, der in der Öffentlichkeit oftmals übersehen wird: Viele mittelständische Industrieunternehmen in Deutschland sind mit Innovationen im Business-to-Business(B2B)-Bereich, also als Produzent für ein anderes Unternehmen, erfolgreich. Doch wer weiß schon, dass in Weltraumteleskopen kleinste Bauteile des Unternehmens RPG Radiometer physics GmbH aus Meckenheim bei Bonn stecken? Entsprechend werden diese Unternehmen auch als Hidden Champions bezeichnet, weil sie in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden.
Doch nicht nur die Krise in der Automobilbranche kann eine Chance für mittelständische Industrieunternehmen sein, sondern auch die ökologische Transformation. So belegt die IfM-Studie Kollaborative Innovationsprozesse. Eine Chance für die erfolgreiche doppelte Transformation im Mittelstand (vgl. Brink et al. 2024) am Beispiel der Kreislaufwirtschaft, dass eigene Ressourcenengpässe und der Wunsch, frühzeitig einen Wissensvorsprung gegenüber Wettbewerbern zu erlangen, dazu führten, dass mittelständische Unternehmen gemeinsam mit Start-ups, Forschungseinrichtungen oder anderen Wirtschaftsunternehmen innovative Projekte initiieren – und umsetzen. Besonders aktiv sind dabei etablierte kleine und mittelgroße Familienunternehmen aus dem produzierenden Sektor, weil sie meist weder über eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung noch über ausreichende finanzielle Ressourcen verfügen, um konstant Innovationen entwickeln und realisieren zu können. Auch fällt es ihnen im Gegensatz zu Großunternehmen und Start-ups schwerer, Fachkräfte mit innovativem Wissen zu gewinnen. Gleichwohl gibt es unternehmensstrukturelle Vorteile, die es den mittelständischen Unternehmen ermöglichen, sich schnell an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen.
Werte im Mittelstand sind kein Mythos
Ein Vergleich auf wissenschaftlicher Grundlage des IfM Bonn zwischen Familienunternehmen und nichtmittelständischen Unternehmen (vgl. Pahnke 2019) hat vor einigen Jahren gezeigt, dass die Angehörigen des Mittelstands tatsächlich denjenigen Unternehmenszielen eine höhere Bedeutung zumessen, die gemeinhin für sie als charakteristisch gelten: Wunsch nach Unabhängigkeit, langfristige Strategien, Verantwortungsbewusstsein für die eigene Belegschaft und die Region, in der das Unternehmen beheimatet ist. Auch fällt es Familienunternehmen aufgrund ihrer Eigentums- und Führungsstruktur leichter als managergeführten Unternehmen, notwendige Veränderungen zeitnah umzusetzen.
Generell benötigt der Mittelstand jedoch Rahmenbedingungen, die es ihm erlauben, so zu wirtschaften, wie es aus Sicht der Unternehmerinnen und Unternehmer sinnvoll erscheint. Oder anders ausgedrückt: Die Politik sollte den Unternehmerinnen und Unternehmern vertrauen – und nicht versuchen, den Weg zu bestimmten Zielen im Detail vorzugeben. Um ein Beispiel zu nennen: Trotz ihrer positiven Einstellung gegenüber der ökologischen Transformation sahen die Unternehmerinnen und Unternehmer die ständig neuen klimaschutzspezifischen Regularien in der jüngsten Vergangenheit kritisch, weil diese immer wieder die Abläufe in den Unternehmen stören und die Belegschaft durch die Beschäftigung mit den neuen gesetzlichen Vorgaben binden. Besonders negativ bewerteten sie jedoch die steigende Anzahl von Zertifizierungspflichten im Zusammenhang mit der ökologischen Transformation, weil sie sowohl zu höheren bürokratischen Belastungen als auch zu zusätzlichen Kosten führen, jedoch mit keinem unmittelbaren ökologischen Nutzen verbunden sind.
Gemäß dem Motto „Machen lassen“ sollten die klimafreundlichen Regulierungen daher auf möglichst wenige Instrumente mit möglichst großer Wirksamkeit, zum Beispiel auf das CO2-Grenzausgleichssystem, beschränkt werden. Solche flexiblen Lösungen machen das betriebliche Innovationspotenzial für weiterreichenden Klimaschutz langfristig am besten nutzbar und reduzieren verpflichtende Zertifizierungen auf wenige Schlüsselindikatoren.
Der Mittelstand stärkt die Demokratie
Das Hauptziel der Politik sollte generell sein, die Vielfalt des Mittelstands – vom international tätigen Industrieunternehmen bis hin zum lokalen Handwerksbetrieb – in allen Regionen Deutschlands zu wahren. Schließlich ist diese Vielfalt zum einen für die Volkswirtschaft wichtig: Die rund 3,2 Millionen Familienunternehmen erwirtschaften rund 37 Prozent aller Umsätze und beschäftigen rund 56 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Zum anderen leisten die mittelständischen Unternehmen aufgrund ihrer regionalen Verwurzelung und ihres Verantwortungsgefühls für die Arbeitsplätze ihrer Belegschaft einen wesentlichen gesellschaftlichen Beitrag. In Krisenzeiten haben sie einen stabilisierenden Effekt, da sie beispielsweise ihre Belegschaft so lange wie möglich zu halten suchen. Auch zögern sie im Gegensatz zu Konzernen, ganze Produktionsanlagen ins Ausland zu verlagern. Aber auch Start-ups, die sich meist nicht dem Mittelstand zugehörig fühlen, sind oftmals nicht nur an einer raschen Skalierung ihrer technologischen Innovationen interessiert. Stattdessen tüfteln sie an Lösungen für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit.
Last, but not least ist der Mittelstand als Arbeitgeber in allen Teilen Deutschlands für den demokratischen Zusammenhalt wichtig: Denn wer als Bürgerin beziehungsweise Bürger am Arbeitsleben und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, ist mit seinen Lebensumständen zufriedener – und resistenter gegenüber aufkeimenden Bestrebungen, die demokratischen Grundwerte hierzulande zu beschädigen.
Friederike Welter, geboren 1962 in Neheim, u. a. Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation sowie Member of Academia Europaea (MAE), Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Management von kleinen und mittleren Unternehmen und Entrepreneurship, Universität Siegen, Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn.
Literatur
Brink, Siegrun / Löher, Jonas / Schröder, Christian: Kollaborative Innovationsprozesse. Eine Chance für die erfolgreiche doppelte Transformation im Mittelstand, Bertelsmann Stiftung, Focus Paper #17, Gütersloh 2024.
Brink, Siegrun / Nielen, Sebastian / Schröder, Christian: Die Auswirkungen der Innovationstätigkeit von KMU in Krisenzeiten auf ihre wirtschaftliche Entwicklung, IfM-Materialien Nr. 296, IfM Bonn, Dezember 2022.
Holz, Michael / Nielen, Sebastian / Paschke, Max / Schröder, Christian / Wolter, Hans-Jürgen: Globale Vernetzung, Kooperation und Wertschöpfung im Mittelstand, IfM-Materialien Nr. 252, IfM Bonn, Bonn 2016.
Pahnke, André / Holz, Michael / Welter, Friederike: Unternehmerische Zielsysteme: Unterscheiden sich mittelständische Unternehmen tatsächlich von anderen?, IfM-Materialien Nr. 276, IfM Bonn, August 2019.