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von Katja Leikert

Russlands wachsender Einfluss in Afrika

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Seit Monaten bereitet die wachsende russische militärische Präsenz in Mali der Bundeswehr und unseren europäischen Partnern vor Ort große Probleme. Dabei ist Mali nur ein Mosaikstück: In der gesamten Sahelzone und in vielen anderen Teilen Afrikas hat Russlands militärischer und politischer Einfluss in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Selbst wenn die Problematik mittlerweile von westlichen Regierungen erkannt wurde, so haben weder Deutschland noch die Europäische Union als Ganzes eine kohärente Strategie, damit umzugehen. Doch genau diese ist notwendig. Denn der größer werdende russische Fußabdruck – insbesondere in Subsahara-Afrika – ist eine strategische Herausforderung. Er wirft für die Europäische Union Fragen über die Zukunft unserer Energiepartnerschaften, unseres sicherheitspolitischen Engagements und unserer Entwicklungs- und humanitären Arbeit auf. Wenn wir dieser Herausforderung nicht entschlossen begegnen, kann das langfristig bittere Konsequenzen nach sich ziehen.

Es ist inzwischen viele Jahre her, dass Moskaus Aktivitäten in Afrika „dem Westen“ zuletzt ernsthaft Kopfzerbrechen bereitet haben. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sind die Beziehungen zwischen Russland und den einst ideologisch nahestehenden Staaten Afrikas wie Äthiopien und Angola zunächst schwächer geworden. Moskau konzentrierte sich auf Probleme in der Heimat sowie in seinen Nachbarregionen und widmete dem globalen Süden weniger Aufmerksamkeit.

Spätestens seit den 2000er-Jahren ist Russland wieder aktiver in Afrika – ein Trend, der sich in den Jahren nach der Krim-Annexion 2014 nochmals deutlich verstärkt hat. Allein zwischen 2015 und 2018 hat Russland mehr als zwanzig Militärische Kooperationsabkommen mit afrikanischen Staaten geschlossen und Söldner in Staaten von Mali über Mosambik und Sudan bis nach Libyen entsandt.1 Auch diplomatisch ist der Trend eindeutig. In den fünf Jahren vor Beginn der Corona-Pandemie fanden mehr afrikanische Staatsbesuche in Russland statt als in den fünfzehn Jahren zuvor. Große Gipfeltreffen wie das Russland-Afrika-Forum in Sotschi 2019 wurden aus der Taufe gehoben.

Dabei versucht Russland nicht, auf Augenhöhe mit dem Westen um Einfluss in Afrika zu ringen. Dazu wäre es gar nicht in der Lage. Die wirtschaftlichen Verbindungen haben zwar wieder zugenommen, doch sie sind weiter vergleichsweise unbedeutend.2 Lediglich ein Prozent der nach Subsahara-Afrika importierten Güter stammt aus Russland (China: 18 Prozent; Deutschland: fünf Prozent), und lediglich 0,3 Prozent der Exporte gehen nach Russland (China: elf Prozent, Deutschland: vier Prozent). Zu den ausländischen Direktinvestitionen trägt Russland weniger als ein Prozent bei, und im Bereich Entwicklungshilfe rührt Moskau de facto keinen Finger.

 

„Guerilla Geopolitics“

 

Dennoch existiert ein signifikanter russischer Einfluss, der zudem stetig zunimmt. Zum einen hat Moskau als größter Waffenlieferant3 (2017 bis 2021 kamen 44 Prozent aller Rüstungsimporte aus Russland) und gewichtiger Akteur im Energie- und Rohstoffsektor durchaus Verhandlungsmasse. Zum anderen versteht es Moskau, sich gekonnt als Alternative zum „Westen“ in Szene zu setzen – als neutrale Macht ohne jegliche koloniale Vergangenheit auf dem Kontinent, die „afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme“ fordert und sich als Befürworter einer auf Souveränität fokussierten multipolaren Welt verkauft. Dass Russland eine eigene koloniale Geschichte besitzt, nur eben nicht in Afrika, und die Souveränität anderer Staaten regelmäßig mit Füßen tritt, wird unter den Teppich gekehrt.

Perfide nutzt Moskau das Konzept der „Guerilla Geopolitics“.4 Hier wird opportunistisch jede Möglichkeit genutzt, um mit wenig Einsatz hohe (politische und wirtschaftliche) Erträge zu erzielen. Dies geschieht häufig über sogenannte „Proxys“ [Stellvertreter, Anm. d. Redaktion] wie die Söldnergruppe Wagner und ihre affiliierten Entitäten, die es dem Kreml erlauben, eine direkte Einmischung zu verleugnen und Sanktionen zu umgehen.5 Selbst wenn diese Akteure manchmal „auf eigene Rechnung“ agieren, so ist davon auszugehen, dass alle Aktivitäten zumindest vom Kreml abgenickt worden sind.

 

Unterstützung isolierter Regime

 

Die genaue Dynamik, nach der russische Akteure ihren Einfluss vor Ort ausbauen, variiert je nach Land, doch verläuft der Deal in der Regel nach dem gleichen Muster:6 Russland stützt die oftmals isolierten Regimes militärisch und diplomatisch – nicht zuletzt durch sein Veto im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – und erhält im Gegenzug wirtschaftliche Konzessionen, etwa für den Abbau von Edelmetallen im Sudan, und politischen Einfluss. Dieser Einfluss kann sich so äußern, dass Regierungen gegen westliche Partner aufgewiegelt werden, wie in Mali. Er kann sogar dazu führen, dass ein ehemaliger russischer Geheimagent, Valery Zakharov, zum nationalen Sicherheitsberater der Zentralafrikanischen Republik ernannt wird, dessen Regime auf militärische Unterstützung aus Russland baut.

Bei alldem darf man die Handlungsmacht der afrikanischen Staaten nicht unterschätzen. Die Mär, dass diese Regierungen sich lediglich naiv manipulieren lassen, anstatt auch eigenen Interessen zu folgen, ist schon bei der Debatte um Chinas „Schuldenfalle“ – also dem Vorwurf, dass Peking Staaten gezielt in finanzielle Abhängigkeit treibt – nicht überzeugend. Mit Russlands Einfluss verhält es sich ähnlich. Zwar weiß Russland sich geschickt zu positionieren und Möglichkeiten zur Einflussnahme zu schaffen; doch oft sind es die afrikanischen Regierungen selbst, die russische Unterstützung suchen – um ihre Verhandlungsposition gegenüber anderen Staaten zu stärken oder um ganz einfach an der Macht zu bleiben. Russlands Einfluss in Afrika ist also vielfältig. Und ebenso vielfältig sind die daraus erwachsenden Probleme. Gerade vor dem Hintergrund der Energiewende sind Deutschland und Europa mehr denn je auf Afrika als Partner angewiesen. Die Industrie braucht Kobalt und Lithium aus dem Kongo für Autobatterien, Wasserstoff aus Namibia als Energieträger, Kupfer aus Sambia für Kabel und Legierungen. Doch um diese Beziehungen nachhaltig und erfolgreich zu gestalten, ist Stabilität erforderlich. Und genau diese untergraben Moskau und seine Komplizen, indem sie autokratische Kleptokratien stützen, Konflikte befeuern, soziale Spannung aufheizen und wo möglich einen Keil zwischen uns und unsere afrikanischen Partner vor Ort treiben.

 

Zugriff auf Migrationsrouten

 

Auch geostrategisch lauern Gefahren. Putin verschafft sich zunehmend Kontrolle über wichtige Migrationsrouten aus Afrika nach Europa. Dass er bereit ist, Migration als Waffe zu nutzen, hat er im vergangenen Jahr bewiesen, als er Belarus half, Tausende Flüchtlinge über die Ostgrenze der Europäischen Union zu schicken. Darüber hinaus ist Moskau nach wie vor darauf aus, sich permanente Militärbasen entlang der NATO-Südflanke zu sichern, die im Krisenfall genutzt werden können, um Handels- und Nachschubrouten zu unterbrechen.

Um zu verhindern, dass dieser Einfluss weiter zunimmt und die damit verbundenen Risiken stärker zum Tragen kommen, muss die deutsche und damit auch die europäische Außenpolitik handeln. Wenn ein Land sich erst einmal an Russland gebunden und westliche Partner „verstoßen“ hat – wie etwa in der Zentralafrikanischen Republik oder Mali –, ist es extrem schwer, dies umzukehren. Deshalb gilt es, Beziehungen zu wichtigen Partnern auf ein stabiles Fundament zu stellen, um einer solchen Entwicklung vorbeugen zu können.

Das kann durch tiefere handels- und sicherheitspolitische Partnerschaften geschehen. Faire wirtschaftliche Beziehungen, die es den afrikanischen Staaten ermöglichen, selbst komplexere Wertschöpfungsketten aufzubauen, sind ein wichtiger Schritt in Richtung einer nachhaltigen Stabilität. Trotz vieler europäischer Versprechen von wirtschaftlicher Partnerschaft auf Augenhöhe gibt es in dieser Frage einigen Nachholbedarf. Im Bereich der Sicherheitspolitik sollten die Sorgen westafrikanischer Staaten ernst genommen werden, die ein Überschwappen des dschihadistischen Terrorismus aus dem Sahel fürchten.

Zusätzlich gilt es, regionale Institutionen wie die Afrikanische Union oder die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Economic Community of West African States, ECOWAS) zu stärken, die dazu beitragen können, den Bedarf an externen Akteuren in der Konfliktlösung zu reduzieren. Auch sollten Deutschland und seine demokratischen Partner, in Europa und darüber hinaus, Demokratiebewegungen und Regierungen, die unsere Werte teilen, intensiver unterstützen.

 

Russisch-chinesische Divergenzen

 

Einer der größten Schwachpunkte in der aktuellen Herangehensweise ist die strategische Kommunikation. Während Russland seine mediale Präsenz in Afrika massiv ausbaut, ist Deutschland weitgehend passiv. Sender wie Russia Today und „Trollfabriken“, die von russischen Akteuren aufgebaut werden, verbreiten in Afrika gegen den Westen gerichtete Desinformation und heizen Konflikte an – und gleichzeitig scheint Deutschland kaum bereit, seine eigenen Erfolge offen zu kommunizieren, geschweige denn russische Fehler.

Dabei ließe sich in diesem Punkt mit wenig Aufwand einiges erreichen. Botschaften und andere deutsche beziehungsweise europäische Akteure könnten aktiver in der Kommunikation werden, ohne dass man finanziell oder personell massiv aufrüsten müsste. Erfolge wie etwa die Rettung von 24 malischen Soldaten durch die Bundeswehr im August7 sollten offensiv an die lokale Bevölkerung herangetragen werden. Ebenso könnte Russlands Narrativ als kompetenter Partner in der Terrorbekämpfung durch Verweise auf seine eigentlich sehr schwache Bilanz (so in Mosambik 2019) eingefangen werden.

Schließlich müssen wir die Lage auch global denken und uns bei der Frage, welche internationalen Akteure in Afrika welche Rolle spielen, neu orientieren. Es gibt beispielsweise eine klare Divergenz zwischen chinesischen und russischen Interessen. Russland schürt Instabilität, von der es dann profitieren kann (etwa indem es Staaten in Abhängigkeiten treibt oder Waffen liefert). China hingegen sieht Afrika stärker durch die wirtschaftliche Linse und ist an Sicherheit und Stabilität für seine Investments, unter anderem durch die „Neue-Seidenstraße-Initiative“ (Belt and Road Initiative), interessiert. Diese möglichen Bruchstellen könnten wir nutzen.

Diese Vorschläge sind nicht leicht umzusetzen. Eine vernünftige Strategie zu entwickeln und mit unseren internationalen Partnern abzustimmen, wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Doch wenn wir nicht schnell und entschlossen damit beginnen, werden wir langfristig die Konsequenzen dafür tragen müssen. Das kann nicht in unserem Interesse sein.

 

Katja Leikert, geboren 1975 in Neustadt an der Weinstraße, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses sowie Obfrau im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Mitglied des Beirats der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

 

1 Siehe Emmanuel Dreyfuss: „Moscow’s Limited Prospects in Sub-Saharan Africa“. Kennan Cable Nr. 47, Februar 2020, www.wilsoncenter.org/sites/default/ files/media/uploads/documents/KI_200224_ cable%2047_v1.pdf [letzter Zugriff: 18.10.2022].
2 Siehe Guido Lanfranchi / Kars de Bruijne: „The Russians are coming! The Russians are coming? Russia’s growing presence in Africa and its implication for European policy“. CRU Report, Clingendael, Juni 2022, www.clingendael.org/sites/default/ files/2022-06/The_Russians_are_coming_4eproef. pdf [letzter Zugriff: 18.10.2022].
3 Siehe Eric Humphery-Smith / Maja Boycon: „Russian-aligned African states face worsening social and governance profiles“, in: Verisk Maplecroft, 25.04.2022, www.maplecroft.com/insights/analysis/ russian-aligned-african-states-face-worseningsocial-and-governance-profiles/ [letzter Zugriff: 18.10.2022].
4 Siehe Mark Galeotti: „Active Measures: Russia’s Covert Geopolitical Operations“. Marshall Center Security Insight, Nr. 31, Juni 2019, www.marshallcenter.org/en/publications/securityinsights/active-measures-russias-covert-geopoliticaloperations-0 [letzter Zugriff: 18.10.2022].
5 Siehe Federica Saini Fasanotti: „Russia’s Wagner Group in Africa: Influence, commercial concessions, rights violations, and counterinsurgency failure“. Brookings Institution, 08.02.2022, www.brookings. edu/blog/order-from-chaos/2022/02/08/russiaswagner-group-in-africa-influence-commercialconcessions-rights-violations-andcounterinsurgency-failure/ [letzter Zugriff: 18.10.2022]; siehe auch Antrag der Fraktion der CDU/CSU: Deutsche Strategie zum Umgang mit Russlands wachsendem Einfluss in Afrika, Deutscher Bundestag, Drucksache 20/4048, 18.10.2022 (Vorabfassung).
6 Siehe Joseph Siegle: „How Russia is pursuing state capture in Africa“. Africa Center for Strategic Studies, 21.03.2022, https://africacenter.org/experts/josephsiegle/russia-pursuing-state-capture-africa/ [letzter Zugriff: 18.10.2022].
7 Siehe Christian Putsch: „Deutschlands Schweigen zu Putins langem Arm in Mali“, in: Die Welt, 22.08.2022, www.welt.de/politik/ausland/ plus240608557/Bundeswehr-Mission-Deutschlands-Schweigen-zu-Putins-langem-Arm-in-Mali.html [letzter Zugriff: 18.10.2022].

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