Asset-Herausgeber

Marktchancen auf einem unterschätzten Kontinent

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Regionale Diversifizierung ist unter den veränderten geopolitischen und geoökonomischen Bedingungen das Gebot der Stunde. Doch während China, Indien, Russland, die Türkei oder auch Akteure aus den Golfstaaten massiv in Afrika investieren, verharrt Deutschland – Politik und Wirtschaft – in Zurückhaltung. Ein Fehler mit weitreichenden Folgen: Marktchancen bleiben ungenutzt, geopolitischer Einfluss schwindet, Innovationspotenzial wird nicht ausgeschöpft. In Zeiten globaler Handelskonflikte und wachsender geoökonomischer Unsicherheiten wird Afrika auf der theoretischen Ebene zwar zunehmend als möglicher strategischer Partner und Produktionsstandort in den Blick genommen. Es fehlt bislang jedoch an entschlossenem Handeln.

Das hat nicht nur mit „blinden Flecken“ und Fehleinschätzungen aufgrund von Klischees und Vorurteilen zu tun. Denn nüchtern betrachtet ist Afrika für die deutsche Wirtschaft keineswegs „alternativlos“. Allerdings stellt es eine sinnvolle strategische Ergänzung dar – vielleicht nicht als der beschworene „Chancenkontinent“, gemeint als Gegenbegriff zu generalisierenden Stigmatisierungen aller Art –, sondern als realistisches Diversifizierungsziel mit oft unterschätzten Wachstumsmöglichkeiten, aber auch klar definierten Hindernissen.

Die Dynamik vieler afrikanischer Volkswirtschaften spricht eine klare Sprache. Einige Beispiele: Côte d’Ivoire hat sein Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit 2010 nahezu verdreifacht: von rund 25 Milliarden US-Dollar auf knapp siebzig Milliarden US-Dollar im Jahr 2023. Diese Entwicklung spiegelt nicht nur politische Stabilität, sondern auch konkrete Verbesserungen in der Infrastruktur und den institutionellen Rahmenbedingungen wider. Äthiopien, trotz der Belastungen eines Bürgerkrieges, hat sein Bruttoinlandsprodukt im gleichen Zeitraum von etwa dreißig Milliarden auf über 126 Milliarden US-Dollar sogar vervierfacht – getragen von einer konsequenten Industrialisierungspolitik und strategischen Infrastrukturinvestitionen.

Ähnliche Entwicklungen zeigen sich in Marokko und Kenia: Marokkos Wirtschaft wächst seit Jahren stabil und hat das inflationsbereinigte Bruttoinlandsprodukt seit 2010 um achtzig Prozent auf 346 Milliarden US-Dollar erhöht – und damit die finnische Volkswirtschaft überholt. Getragen ist dieser Aufstieg von erfolgreichen Investitionen in die Automobil- und Luftfahrtindustrie. Insbesondere der Automobilsektor hat sich zu einem Eckpfeiler der marokkanischen Wirtschaft entwickelt, mit Produktionsstätten von Renault und Peugeot, die sowohl den lokalen als auch den Exportmarkt bedienen. Kenia konnte sein Bruttoinlandsprodukt im selben Zeitraum dank des boomenden Dienstleistungssektors und einer stetig verbesserten digitalen Infrastruktur ebenfalls mehr als verdoppeln. Die Einführung von mobilen Bezahlsystemen wie M-Pesa hat den Finanzsektor revolutioniert und ermöglicht es auch ländlichen Bevölkerungsgruppen, am Wirtschaftsleben teilzunehmen. Nigeria, die größte Volkswirtschaft Afrikas, verzeichnete laut Weltbank trotz innenpolitischer Herausforderungen seit 2010 einen Anstieg des inflationsbereinigten Bruttoinlandsprodukts pro Kopf um knapp 35 Prozent. Allerdings ist das Wachstum Nigerias stark von den Ölpreisen abhängig, was die Wirtschaft anfällig für externe Schocks macht. Die Diversifizierung der nigerianischen Wirtschaft bleibt daher eine zentrale Aufgabe.

Diese Zahlen verdeutlichen, dass Afrika nicht nur Zukunft verspricht, sondern vielerorts bereits robuste Investitionsmöglichkeiten bietet. Gleichzeitig bleibt das Wachstum oft rohstoffgetrieben – ein Muster, das jedoch zunehmend durch produktionsnahe Dienstleistungen und Industrieanstrengungen ergänzt wird. So hat Äthiopien durch seine Textilindustrie eine bemerkenswerte Dynamik entwickelt, während Marokko gezielt in Fertigungsindustrien investiert. Der Fokus auf Diversifizierung zeigt, dass Afrika nicht nur als Rohstofflieferant wahrgenommen werden sollte, sondern auch als Standort mit eigenständigen Produktionskapazitäten.

 

Alternative zur Diversifizierung von Lieferketten

Afrikas Attraktivität als Produktionsstandort wächst – getrieben von moderaten Lohnkosten, der höchsten Zahl junger Arbeitskräfte weltweit und einer allmählich verbesserten Infrastruktur. Länder wie Marokko oder Äthiopien investieren systematisch in Industrieparks und Logistikzentren sowie in die Aus- und Weiterbildung qualifizierter Arbeitskräfte. In Marokko hat die Regierung sogenannte free zones eingerichtet, die Unternehmen steuerliche Vorteile und vereinfachte Zollverfahren bieten. Äthiopien lockt Investoren mit günstigen Energiekosten und einer jungen, lernwilligen Bevölkerung. Insbesondere angesichts geopolitischer Unsicherheiten in Ostasien und einer erratischen amerikanischen Zollpolitik bietet der Kontinent eine interessante Alternative zur Diversifizierung von Lieferketten.

Ein bedeutender Indikator für die Investitionsattraktivität ist der Index für wirtschaftliche Freiheit. Dieser, jährlich berechnet durch die Heritage Foundation und das Wall Street Journal, misst anhand bestimmter Kriterien wie Eigentumsrechte, Rechtsstaatlichkeit, Staatsgröße und Regulierungsqualität, wie wirtschaftsfreundlich ein Land ist. Während zahlreiche afrikanische Länder nach wie vor niedrige Werte aufweisen, zeigen sich in Reformstaaten wie Mauritius, Botswana, Senegal, Ghana oder Benin deutliche Fortschritte. Mauritius erreicht punktgleich mit den USA Platz 25 und liegt damit in einer Riege mit den Industriestaaten. Côte d’Ivoire hat sich in den letzten Jahren ebenfalls deutlich verbessert und liegt mittlerweile im stabilen Mittelfeld knapp vor Griechenland. Diese Fortschritte verdeutlichen, dass es auf dem Kontinent Länder gibt, die gezielt institutionelle Reformen vorantreiben, um ausländische Investitionen zu erleichtern. Dass es mehr werden, gehört in das afrikanische „Pflichtenheft“, aber auch noch stärker auf die Agenda der Kooperation mit afrikanischen Ländern, wie etwa im G20 Compact with Africa adressiert. Hierbei handelt es sich um eine Initiative der G20, die 2017 unter deutscher Präsidentschaft ins Leben gerufen wurde, um wirtschaftliche Rahmenbedingungen und das Geschäftsumfeld für private Investitionen in reformorientierten afrikanischen Ländern zu verbessern.

Die Fortschritte in afrikanischen Staaten sind oft lokal begrenzt. Während etwa Mauritius gezielt seine Marktregulierungen verbessert hat, bleiben in anderen Ländern strukturelle Defizite bestehen: Ineffiziente Bürokratien, schwach ausgebaute Bankensysteme und mangelnde Rechtsstaatlichkeit verhindern oftmals eine optimale Ausschöpfung von Investitionen. Zugleich sind viele Länder durch unzureichende wirtschaftliche Diversifizierung anfällig für externe Schocks wie Schwankungen bei Rohstoffpreisen. Insbesondere die Abhängigkeit von einzelnen Rohstoffen wie Öl in Nigeria oder Kupfer in Sambia stellt ein erhebliches Risiko dar.
 

Kontinentaler Freihandel, Dekarbonisierung und Rohstoffverarbeitung als Treiber

Künftig sollten drei Szenarien in den Blick genommen werden, die Afrika sowohl für die Konsumgüter- als auch für die Investitionsgüterindustrie zu einem zunehmend relevanten Partner machen. Zum einen unternehmen die afrikanischen Staaten große Anstrengungen, eine kontinentale Freihandelszone zu realisieren. Mit der Überwindung der starken Marktfragmentierung wird der Kontinent deutlich attraktiver für industrielle Großinvestitionen, etwa der Automobilindustrie.

Ein zweites Szenario ist die Dekarbonisierung industrieller Prozesse, die eine veränderte globale Arbeitsteilung im Bereich energieintensiver Produktion verlangt. Mit seinem gigantischen Potenzial für klimaneutrale Energie wird Afrika als Produktionsstandort für grünen Wasserstoff, aber auch für grünen Stahl eine ganz neue Bedeutung gewinnen. Standorte wie Namibia oder Mauretanien werden neben weiteren afrikanischen Staaten Partner mit zunehmendem Gewicht für die deutsche Industrie werden.

Ebenso verhält es sich im Rohstoffsektor, in dem die Risiken einseitiger Abhängigkeiten durch partnerschaftliche Zusammenarbeit und die Förderung lokaler Wertschöpfung in den ressourcenreichen Ländern Afrikas minimiert werden müssen. Kluge und strategisch ausgerichtete Außenwirtschaftspolitik gestaltet diese Prozesse gemeinsam mit den industriellen Akteuren.

 

Risikowahrnehmung und tatsächliches Investitionsklima

Afrika ist wegen seiner Diversität und der noch starken Fragmentierung der dortigen Märkte gewiss herausfordernd und teilweise auch noch nicht voll anschlussfähig für die mittelständische deutsche Industrie. Viele Veränderungen werden allerdings auch ignoriert, und Risiken werden teilweise massiv überschätzt. Die Risikowahrnehmung insbesondere deutscher Unternehmen gegenüber Afrika ist oft überzogen. Ratingagenturen zeichnen vielfach ein einseitig negatives Bild, was reale Investitionschancen verdeckt.

Tatsächlich unterscheiden sich die Risiken in vielen afrikanischen Staaten kaum signifikant von jenen außenwirtschaftlich etablierter Schwellenländer Südostasiens und Lateinamerikas. Politische Risiken bestehen überall – doch sie werden für Afrika meist höher gewichtet. Politische Instabilität in einigen afrikanischen Ländern, wie in der Demokratischen Republik Kongo oder in Somalia, erfordern selbstverständlich eine sorgfältige Risikoanalyse, aber eben mit der gebotenen Differenzierung.

Die deutsche Außenwirtschaftspolitik kann entscheidend dazu beitragen, Afrika zu einer tragfähigen Option für deutsche Industrieunternehmen zu entwickeln. Die Zeiten, in denen Afrika allein als Empfänger von Entwicklungshilfe betrachtet wurde, sollten endgültig vorbei sein. Gefragt sind klare politische Weichenstellungen: Export- und Investitionsgarantien müssen auf den günstigsten OECD-Standard, Finanzierungsinstrumente sollten leichter auch mittelständischen Unternehmen zugänglich gemacht werden. Afrikanischen Kunden sollte der darlehensfinanzierte Einkauf in Deutschland erleichtert werden. Das sind nur einige Aspekte. Auch die Entwicklungspolitik selbst sollte die Chancen nutzen, die in der Förderung unternehmerischer Aktivitäten liegen. Das geschieht noch zu wenig.

Zum Vergleich: China unterstützt seine Unternehmen mit massiven finanziellen Absicherungen, um Projekte in strategisch wichtigen Ländern voranzutreiben. Ob es sich um Infrastrukturprojekte in Sambia oder Technologiekooperationen mit Nigeria handelt – Chinas Engagement ist konsequent, großflächig und langfristig ausgerichtet. Deutschland dagegen bleibt oft zu zögerlich, lässt Chancen ungenutzt und ist bei Investitionen in Afrika von einem ordnungspolitischen Rigorismus getrieben, der hierzulande sonst eher verpönt ist. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es weniger um Chancennutzung geht als um ein immer noch stark ausgeprägtes Misstrauen gegenüber in Afrika tätigen Unternehmen, die längst bewiesen haben, dass sie auch im globalen Maßstab verantwortlich handeln.

 

Langfristige Partnerschaft mit Perspektiven

Zugleich müssen afrikanische Regierungen ihre Reformanstrengungen verstärken. Länder wie Ruanda oder Botswana zeigen bereits heute positive Entwicklungen bei Transparenz und Effizienz – Ansätze, die Schule machen könnten. Ruanda hat beispielsweise ein ambitioniertes Programm zur Digitalisierung der Verwaltung initiiert, um Bürokratie abzubauen und die Effizienz zu steigern.

Afrika ist weder alternativlos noch ein Allheilmittel für die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands. Doch angesichts wachsender geopolitischer Spannungen und der Notwendigkeit zur Diversifizierung globaler Lieferketten sollte der Kontinent als Wirtschaftsstandort auch in Deutschland ernst genommen werden. Die Zahlen belegen die wirtschaftliche Perspektive: Das durchschnittliche BIP-Wachstum Subsahara-Afrikas liegt aktuell bei voraussichtlich rund 3,9 Prozent (2025) – mehr als doppelt so hoch wie in der Europäischen Union (1,4 Prozent). Doch Wachstum allein reicht nicht aus; es bedarf gezielter politischer Unterstützung und einer realistischen Risikobewertung durch Unternehmen. Deutsche Unternehmen sollten sich nicht von negativen Schlagzeilen abschrecken lassen, sondern sich vor Ort ein eigenes Bild machen und die Chancen und Risiken sorgfältig abwägen.

Wer nach Wachstum strebt, wird in Afrika fündig – vorausgesetzt, man versteht es, die vorhandenen Möglichkeiten klug zu erschließen. Nicht ohne Grund betont Étienne Giros, Präsident des Conseil français des investisseurs en Afrique (CIAN) und des European Business Council for Africa and Mediterranean (EBCAM), in seinem Buch 54 Nuances d’Afrique, dass Afrika sich nicht auf einfache Formeln reduzieren lässt. Vielmehr offenbart sich ein facettenreiches, dynamisches Mosaik – von Marokko über Äthiopien bis hin zur Côte d’Ivoire.

Vor diesem Hintergrund bietet sich der deutschen Industrie die Gelegenheit zu einer langfristigen Partnerschaft mit einem an Perspektiven reichen Kontinent – vorausgesetzt, sie ist bereit, diese mit klarem Blick zu bewerten und verantwortungsvoll zu erschließen. Bildung und Ausbildung zu fördern, Infrastruktur auszubauen und die Zivilgesellschaft zu stärken, sind dabei Schlüssel für eine nachhaltige Entwicklung Afrikas und für eine zukunftsfähige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland.

 

Christoph Kannengießer, geboren 1963 in Dortmund, Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, seit 2012 Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft.

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