Asset-Herausgeber

von Christopher Beckmann

Konrad Adenauer in der Kriminalliteratur (Teil 1)

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Immer wieder wurde behauptet, die Ära Adenauer sei eine muffige und reaktionäre Zeit der „Restauration“ gewesen. Als ein vermeintlicher Beleg galt die nicht ganz arroganzlose Wahrnehmung, der erste Bundeskanzler habe sich kaum für die zeitgenössische Literatur und Kultur interessiert und als außerdienstliche Lektüre Agatha Christie und Edgar Wallace bevorzugt. In der Tat entwickelte Konrad Adenauer keinen Sinn für die Gegenwartsliteratur, wie andererseits die prominenten Schriftsteller jener Zeit, etwa Heinrich Böll oder Günter Grass, dem Kanzler und seiner Politik mehr als kritisch gegenüberstanden. Dabei wiesen, wie Hans Maier kürzlich in dieser Zeitschrift dargelegt hat, Nachkriegsliteratur und Nachkriegspolitik durchaus Parallelen auf, weil sie beide „Produkte der Ernüchterung“ nach den Katastrophen der ersten Jahrhunderthälfte und insofern „unfreiwillige Verwandte“ waren.

Mit seiner Vorliebe für Krimis war Adenauer keine Ausnahme unter Spitzenpolitikern. So hegte der französische Staatspräsident François Mitterrand erklärtermaßen eine Vorliebe für die Kommissar-Maigret-Romane des Belgiers George Simenon. Im heute als Museum und Gedenkstätte dienenden Wohnhaus des „Alten“ in Rhöndorf steht ein Bücherregal, das seine persönliche Krimi-Sammlung enthält. Aus den dort vorhandenen Titeln ebenso wie aus handschriftlichen Bemerkungen in einzelnen Büchern lässt sich schließen, dass Adenauer den klassischen Detektivroman britischer Prägung („Whodunit?“) bevorzugte – neben Wallace und Christie etwa Dorothy Sayers, Margery Allingham oder Arthur Conan Doyle. Weniger nach seinem Geschmack waren actiongeladene, mit zwielichtigen, moralisch ambivalenten „Helden“ aufwartende Thriller amerikanischer Prägung, etwa von Raymond Chandler oder Ross Macdonald. Ob er einen Sensus für Politthriller hatte, deren Funktion als Spiegel politischer Entwicklungen des 20. Jahrhunderts der Adenauer-Biograph Hans-­Peter Schwarz eine Studie gewidmet hat (Fantastische Wirklichkeit. Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Politthrillers, München 2006), ist nicht bekannt, aber wenig wahrscheinlich.

Seit dem fulminanten Erfolg von Umberto Ecos Der Name der Rose (Erstveröffentlichung 1980, auf Deutsch 1982) hat auch die historische Kriminalliteratur einen enormen Aufschwung erlebt. Sucht man im Internet unter dem Stichwort „Historische Kriminalromane“, sind die Ergebnisse kaum zu überblicken. Hans-Peter Schwarz schrieb, dass Politthriller die „Bedrohungspotenziale“ der Gegenwart thematisieren. Dagegen bettet der historische Kriminalroman seine Handlung in geschichtliche Entwicklungen ein, deren Ausgang dem Leser, nicht aber den literarischen Figuren bekannt ist.

Ein gelungenes Beispiel dieser Gattung ist die in Deutschland zwischen 1990 und 2019 erschienene, dreizehn Bände umfassende Bernie-Gunther-Reihe des 2018 verstorbenen Schotten Philip Kerr, die die Zeit von der späten Weimarer Republik bis zur frühen Bundesrepublik umfasst. Zu nennen sind ferner die in der Spätphase der Weimarer Republik und den ersten Jahren des nationalsozialistischen Regimes angesiedelten Gereon-Rath-Romane von Volker Kutscher (bisher acht Bände) oder in jüngster Zeit die im letzten Kriegsjahr beginnenden und bis 1961 reichenden Geschichten um den Dresdener Kommissar Max Heller von Frank Goldammer (sieben Bände).

 

Babylon Berlin

 

Wenig verwunderlich ist, dass auch die Ära Adenauer allmählich zum Thema der Kriminalliteratur wird und die Person des ehemaligen Kölner Oberbürgermeisters und ersten Bundeskanzlers gelegentlich zum Akteur. Als handelnde Person taucht Konrad Adenauer in einigen Bänden der Gereon-Rath-Reihe auf. Volkert Kutschers Romane haben als Vorlage der Fernsehserie Babylon Berlin sogar über den beachtlichen Leserkreis hinaus breites Interesse geweckt. Allerdings handelt es sich bei Serie und literarischer Vorlage um – wie ein Rezensent treffend schrieb – „zwei verschiedene Universen“ (Peter Körte, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. November 2018).

Babylon Berlin ist eine gut gemachte, opulent ausgestattete und bis in die Nebenrollen mit einer Legion hervorragender Schauspielerinnen und Schauspieler aufwartende Fernsehserie von hohem Unterhaltungswert. Sie nimmt es allerdings weder mit der Vorlage noch mit den historischen Tatsachen allzu genau. Natürlich können Verfilmungen kaum so komplex sein wie das Vorbild. Auch ist es legitim, Figuren oder Handlungsstränge von der Vorlage abweichend anzulegen. Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es den Machern von Babylon Berlin oftmals um den visuellen oder bisweilen auch voyeuristischen Effekt und eine eindeutige politische Botschaft geht, für die man die historischen Fakten großzügig – um es vorsichtig auszudrücken – interpretiert. Ein Beispiel ist die Figur der Charlotte Ritter (später verheiratete Rath). Die Serie zeigt sie als aus schwierigsten sozialen Verhältnissen stammend und zumindest gelegentlich als Prostituierte tätig, während sie in den Kutscher-Romanen nichts mit dem Rotlichtmilieu zu tun hat. Vielmehr ist sie hier eine junge Frau, die zielstrebig darauf hinarbeitet, Rechtsanwältin zu werden, bis die Nazis, die ab 1934 keine Frauen mehr an deutschen Gerichten zulassen, diesen Traum zerstören. Außerdem ist sie eine zutiefst demokratisch gesinnte Nazigegnerin, die ihr literarischer Schöpfer in einem Interview als „Verfassungspatriotin“ bezeichnet hat.

 

Artifizielle Überspannung?

 

Mehr als fragwürdig ist es, wenn in der dritten Serienstaffel, die in der Zeit des die Weltwirtschaftskrise einleitenden Börsencrashs von 1929 spielt, dieser Crash als bewusst genutztes Vehikel rechtsradikaler Kräfte zur Zerstörung der Republik dient. Mittendrin der – in den Romanen nicht auftauchende – Unternehmersprössling Alfred Nyssen, dessen Name sich kaum zufällig auf „Thyssen“ reimt. Ungeachtet der tatsächlich hochproblematischen historischen Rolle Fritz Thyssens und der Tatsache, dass die Weltwirtschaftskrise natürlich den Aufstieg der NSDAP begünstigt hat, feiert hier die von der Geschichtsforschung längst ad acta gelegte These, wonach der böse Kapitalismus zwangsläufig den Faschismus hervorbringe, fröhliche Urständ. In der ersten Staffel wird bei einem abendlichen Treffen republikfeindlicher und nationalistischer Dunkelmänner – weil es wohl so gut ins Bild passt – nach dem Absingen des Lieds vom „Guten Kameraden“ der Slogan „Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten!“ skandiert. Tatsächlich war das jedoch ein Schlagwort, mit dem die SPD der Weimarer Jahre von der anderen Seite, von Linksaußen angegriffen wurde, weil sie in den Wirren des Kriegsendes 1918 angeblich eine wirkliche Revolution in Deutschland verhindert habe. Den verstorbenen früheren Herausgeber des Merkur, Klaus Scheel, hat dies und anderes zu einer wütend-polemischen Kritik veranlasst. Den Machern von Babylon Berlin, so einer der Vorwürfe, gehe es „weder um historische Wahrheit noch um literarische Wahrheit, in der man einer Figur folgt und ihr glaubt, was sie erlebt und was sie erzählt“, die Serie sei geprägt von einer „volkspädagogische(n) Gutgemeintheit, die weder Realismus noch artifizielle Überspannung“ zulasse (https://das-schema.com/2017/10/23/warum-ist-babylon-berlin-so-abstossend). Demgegenüber ist nicht nur die meisterhafte Verknüpfung von Fiktion und Historie ein besonderer Vorzug der Romane von Volker Kutscher, auch die Figurenzeichnung ist deutlich komplexer und ambivalenter als in der Verfilmung.

Konrad Adenauer taucht bei Kutscher zunächst als Oberbürgermeister von Köln auf, dann als Verfolgter des NS-Regimes. Im zweiten Band (Der stumme Tod, zuerst erschienen 2009) wird der aus Köln nach Berlin übergesiedelte Kommissar Gereon Rath von seinem Vater, dem politisch und persönlich eng mit Adenauer verbundenen Kriminalrat Engelbert Rath, gebeten, sich diskret um die Hintergründe einer Erpressung zu kümmern, der sich der Kölner Oberbürgermeister und Präsident des Preußischen Staatsrats ausgesetzt sieht. Während es in der Serie Babylon Berlin, die dieses Motiv aufgreift, um ein – frei erfundenes – Foto geht, das ihn beim Besuch eines Sadomaso-Kellers zeigen soll, bezieht sich der Roman „Stummer Tod“ auf einen realen historischen Hintergrund. Erpresst wird Adenauer hier mit der historisch verbürgten Tatsache, dass er sich Ende der 1920er­Jahre mit geliehenem Geld bei Aktiengeschäften grandios verspekuliert hatte und ihm Bankiers und Geschäftsleute dann auf höchst zweifelhafte Art und Weise aus der Bredouille halfen. Ziel des Erpressers, der sich als ein Arbeiter des Automobilherstellers Ford entpuppt, ist es, den vom Kölner Oberbürgermeister initiierten Umzug der Ford-Werke in eine neue, moderne Fabrik nach Köln zu verhindern und so seinen Arbeitsplatz in Berlin zu retten.

Die Erpressung hat es nicht gegeben, wohl aber die Verlagerung der Ford-Werke nach Köln. Gereon Rath gelingt es, den Erpresser ausfindig zu machen und hinreichend einzuschüchtern.

Den zweiten Auftritt hat Konrad Adenauer im fünften Band (Märzgefallene, zuerst erschienen 2014), der in den Wochen um den Reichstagsbrand vom 28. Februar und die letzten halbwegs freien Reichstagswahlen vom 5. März 1933 spielt. Bei einem Besuch in Köln zu Karneval Ende Februar trifft Gereon Rath im Haus seiner Eltern den Oberbürgermeister, der sich sehr pessimistisch über seine politische Zukunft und die Möglichkeiten äußert, die Nationalsozialisten wieder aus der Regierung zu vertreiben. Man habe es versäumt, den Nazis rechtzeitig „mit Jewalt“ entgegenzutreten. Auch auf die beiden Persönlichkeiten, von denen viele – gerade im konservativen Lager – hofften, sie würden Hitler bändigen, könne man nicht zählen. Reichspräsident Paul von Hindenburg sei „ein pollitischer Volltrottel“, Vizekanzler Franz von Papen („dieser westfälische Muuzepuckel“), der glaube, man habe sich Hitler „engagiert“, ein „Intrijant“. Nach dem Krieg schrieb der historische Adenauer übrigens in einem Privatbrief von der „abnormen Beschränktheit“ von Papens.

 

Ein dreifach donnerndes „Kölle Alaaf“

 

Zu einer bedrohlichen, gleichwohl auch komischen Szene kommt es, als während des Rosenmontagszuges, den der Noch-Oberbürgermeister vom Balkon des Rathauses verfolgt, eine Gruppe SA-Männer lautstark „Adenauer an die Mauer!“ skandiert, ohne dass die Polizei eingreift. Dies tun stattdessen Mitglieder der „Roten Funken“ – eines der Traditionskorps des Kölner Karnevals –, die die SA-Männer einkreisen und zum Rückzug bewegen. Der „Karnevalsmuffel“ Adenauer (das war er tatsächlich) bringt daraufhin vom Balkon „ein dreifach donnerndes Kölle Alaaf“ auf die Roten Funken aus. Bei einem erneuten Besuch in Köln einige Tage später erfährt Rath dann, dass Adenauer die Stadt verlassen hat und für abgesetzt erklärt wurde.

Zum letzten Mal (bisher) taucht der spätere Bundeskanzler als Akteur im sechsten Band auf (Lunapark, zuerst 2016). Es ist die Zeit des „Röhm-Putschs“ am 30. Juni 1934, den Hitler und die SS bekanntlich fingierten, um die konkurrierende SA-Führung um Ernst Röhm und zugleich eine Reihe anderer politischer Gegner zu ermorden oder einzuschüchtern. Auch Adenauer, der damals vorübergehend mit seiner Familie in Potsdam-Neubabelsberg lebte, wurde für einige Tage inhaftiert. In dieser Situation erhält Kommissar Rath einen verzweifelten Anruf von dessen Frau Auguste („Gussie“), die ihn um Hilfe bittet und ihn zugleich über den Mord am ehemaligen Reichskanzler Kurt von Schleicher und seiner Frau informiert, die ebenfalls zu den Opfern der brutalen Säuberungsaktion gehören. Obwohl Rath nicht viel unternehmen kann, zudem mit zahlreichen eigenen Problemen zu kämpfen hat, versucht er, seine Verbindungen spielen zu lassen, und ist erleichtert, als Adenauer kurz darauf aus der Haft entlassen wird. Bei einer Einladung zum Tee entpuppt sich dieser in der Analyse der politischen Situation wieder als hellsichtiger als Gereon Rath, was sich auch dessen Frau Charlotte, die mit dem katholischen rheinischen Zentrumspolitiker eigentlich nicht viel anfangen kann, eingestehen muss: Während Gereon in der Aktion immer noch einen Schlag gegen die Machtgelüste der SA-Führung sieht, erkennt Adenauer, dass sich die Nazis weiterer Kritiker und potenzieller Gegner entledigen, ihre Macht entscheidend festigen und sich zugleich decouvriert haben. Man werde „von Jangstern“ regiert, und es sei „eine Schande“, dass die deutschen Bischöfe geschwiegen hätten, zumal mit Erich Klausener eine führende Persönlichkeit des politischen Katholizismus unter den Opfern sei.

 

„Doofes Jungvolk“

 

Kutscher legt dem späteren Bundeskanzler hier eine Kritik am Klerus in den Mund, die zeitgenössisch beispielsweise vom emigrierten Publizisten Waldemar Gurian erhoben wurde und die Adenauer selbst kurz nach Kriegsende in einem Brief an seinen Schulfreund Pfarrer Bernhard Custodis äußerte, nicht aber öffentlich wiederholte. Dass die Unvereinbarkeit von christlicher und nationalsozialistischer Weltanschauung zu mehr Widerspruch und Protest seitens der Kirchen hätte führen müssen, kommt in einem kurzen Gespräch zum Ausdruck, das Adenauers Sohn Paul und Fritze, der Pflegesohn der Eheleute Rath, der zum Leidwesen von Charlotte begeistertes Mitglied des nationalsozialistischen Jungvolks ist, im Garten führen, während die Erwachsenen drinnen beim Tee sitzen. Fritze kann „nicht viel mit dem fremden Jungen anfangen […], vor allem, weil der anders war“. Paul findet zu seinem Erstaunen das Jungvolk „doof“ und die Begründung macht Fritze geradezu fassungslos: „Die Hitlerjugend geht nicht in die Kirche“, so Paul Adenauer, der bekanntlich später Priester wurde. „Mama sagt, alle Nazis gehen nicht in die Kirche. Deswegen finde ich die doof.“ Die Nebenhandlungen mit Adenauer tragen dazu bei, ein dichtes Bild der komplexen Situation Deutschlands in der Spätphase der Weimarer Republik und der beginnenden NS-Diktatur zu zeichnen. Adenauer repräsentiert gewissermaßen die untergehende Republik, zunächst noch als einflussreicher Politiker und Strippenzieher, dann als gefährdete, schon auf dem Weg auf das Abstellgleis befindliche „Altlast“ der sterbenden Demokratie und schließlich als potenzielles Opfer des mörderischen, nach umfassender Macht und Kontrolle strebenden NS-Regimes. Und er zeigt sich mit einem illusionslosen Realitätssinn bei der Einschätzung der allgemeinen politischen Lage und seiner persönlichen Situation ausgestattet. Kutschers Zeichnung der Person Adenauers nutzt daneben die üblichen Versatzstücke – die an einen „Indianerhäuptling“ erinnernde Physiognomie, eine gewisse Distanziertheit im persönlichen Umgang, die natürliche Autorität, die auch Charlotte Rath sofort bemerkt: „Es war ein runder Tisch, und dennoch stand außer Frage, dass dort, wo Adenauer saß, oben war.“ Ein wenig arg bemüht wirkt lediglich der Versuch, Adenauers legendäres rheinisches Idiom einzufangen, ein Problem, das Kutscher mit anderen Autoren teilt. Auch in diesen Nebensträngen der Handlung brilliert Kutscher bei der Verknüpfung von Fiktion und historischen Fakten.

 

An einer solchen Verknüpfung haben sich inzwischen einige andere Autorinnen und Autoren versucht, die die Handlung ihrer Kriminalromane in der jungen Bundesrepublik und der Kanzlerschaft Konrad Adenauers ansiedeln. Die Ergebnisse sind, wie der zweite Teil in der Januar/Februar-Ausgabe 2022 dieser Zeitschrift zeigen wird, von sehr unterschiedlicher Qualität.

 

Christopher Beckmann, geboren 1966 in Essen, Historiker, Referent Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

 

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