Asset-Herausgeber

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von Jan Cernicky

Rohstoffe und Wertschöpfungsketten

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Verteuerte Importe über die Lieferketten tragen erheblich zur Inflation bei. Dies ist zwar unstrittig, doch wird oftmals übersehen, dass dieser Entwicklung divergierende Prozesse zugrunde liegen, die politisch nur unterschiedlich adressiert werden können. Die Vorstellung, das Problem durch Produktionsverlagerungen nach Deutschland zu lösen, ist naiv. Eine solche Verlagerung könnte im Gegenteil zu neuen Problemen führen.

Ein Produktionsvorgang, bei dem in mehreren separaten Schritten durch verschiedene Hersteller aus Rohstoffen Fertigprodukte hergestellt werden, wird als Wertschöpfungskette bezeichnet. Denn hier werden die zugelieferten Vorprodukte (zum Beispiel PET-Granulat, Stoffbahnen, Schrauben, Kabel et cetera) in einer Kette industrieller oder handwerklicher Prozesse zu wertvolleren Gütern verarbeitet. In jedem Schritt findet also Wertschöpfung statt. Dies unterscheidet sich von Rohstoffimporten, die zwar auch in Lieferketten vom Hersteller über Zwischenhändler zum Endkunden gelangen, dabei jedoch über das Umverpacken und gegebenenfalls Konservieren hinaus nicht weiterverarbeitet werden.

Diese Unterscheidung erleichtert die Analyse der aktuellen wirtschaftlichen Situation, in der sich zwei Krisen überlagern: Einerseits sind die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie nicht ausgestanden. Der wochenlang andauernde Lockdown in Shanghai, dem wichtigsten Wirtschaftsstandort Chinas, unterstreicht das deutlich. Es kommt nach wie vor zu unvorhersehbaren Schließungen von Produktionsstätten. Auch die weltweite Logistik ist weiterhin aus dem Gleichgewicht: Verstärkte Kontrollen und Hygienemaßnahmen, (partielle) Hafenschließungen sowie ein ungleichmäßiges Wiederanlaufen der Weltwirtschaft haben die Handelsströme stark verändert. Der Kiel Trade Indicator des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, der die Handelsströme (Im- und Exporte) von 75 Ländern und Regionen weltweit sowie des Welthandels insgesamt auf Grundlage der Auswertung von Schiffsbewegungsdaten in Echtzeit analysiert, gab für März 2022 beispielsweise an, dass etwa zwölf Prozent der Fracht, die derzeit weltweit unterwegs ist, feststecken.1 Diese erhöhte Unsicherheit wirkt sich vor allem auf die Wertschöpfungsketten aus und zwingt deutsche Unternehmen zu Produktionsstopps, deutlich ausgeweiteter Lagerhaltung und teilweise zur Umstellung von lange etablierten Lieferbeziehungen. Auch die hocheffiziente Just-in-time-Produktion funktioniert vielfach nicht mehr. So erhöhen sich die Preise in vielen Gliedern der Wertschöpfungskette und folglich auch die Preise für die Endprodukte. Darüber hinaus wirken sich der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen und Gegensanktionen in gravierendem Maße auf die Rohstoffpreise aus. Hiervon sind sowohl Agrarrohstoffe wie Weizen, Mais und Pflanzenöle als auch Energierohstoffe wie Rohöl, Erdgas und Steinkohle betroffen. Wie lässt sich auf derlei simultane Krisen reagieren, um die Inflation beherrschbar zu halten?

 

Reaktionen auf die Krise

 

Steigende Rohstoffpreise, besonders von Energie- und mineralischen Rohstoffen, lassen sich kurz- und mittelfristig mit direkten Gegenmaßnahmen kaum absenken. Solange sich die Rohstoffe nicht durch andere Materialien oder Prozesse ersetzen lassen, etwa durch Investitionen in Erneuerbare Energien, ist ihr Import unumgänglich. Es ist zwar möglich, die Bezugsquellen zu verändern, wie es zurzeit für Energielieferungen aus Russland versucht wird. Das sollte auf mittlere Sicht auch die Versorgungssicherheit verbessern; den Preis senkt es jedoch nicht. Der Preis, für den deutsche Abnehmer Öl, Gas oder Kohle importieren, setzt sich, vereinfacht gesagt, aus dem Weltmarktpreis plus den Transportkosten zusammen. Dabei ist der Transport von Öl und Gas über bestehende Pipelines, die größtenteils aus Russland kommen, die günstigste Lösung für Deutschland.

Allerdings sind Rohstoffimporte ein relativ einfaches Geschäft: Es geht um ein klar definiertes Gut, von dem große Mengen benötigt werden. In vielen Fällen sind die Anbieter staatliche oder halbstaatliche Organisationen. Politische Maßnahmen, etwa zur Erschließung neuer Bezugsquellen oder zur Bündelung der Nachfrage sowie Subventionen zur Preissenkung, können hier relativ effektiv sein.

Wertschöpfungsketten dagegen lassen sich flexibler handhaben als Rohstoffimporte. Bei externen Schocks können sie im Prinzip schnell umorganisiert werden. Viele Firmen tun dies zurzeit. So ergab eine Studie des Ifo-Instituts im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, dass aktuell etwa die Hälfte der deutschen Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe ihre Beschaffungsstrategie ändern möchte. Die meistgenannten Strategien waren, auf globalem Niveau alternative Lieferanten zu suchen sowie die Lieferketten besser zu managen oder die Lagerhaltung zu verstärken. Eine Verlagerung nach Deutschland plante nur eine kleine Gruppe.2

 

Die Standortfrage

 

Eine umfassende Verlagerung der Wertschöpfungsketten nach Deutschland ist offenbar keine sinnvolle Lösung, weil sich dadurch in vielen Fällen deutlich größere Ineffizienzen ergeben würden. So kommt es etwa vor, dass sich an einem Ort der Welt spezialisiertes Know-how befindet oder die Produktion so kapitalintensiv ist, dass nur sehr große Standorte ökonomisch Sinn ergeben, wie etwa bei der Chipindustrie. Auch die Verfügbarkeit Erneuerbarer Energien an einem bestimmten Standort wird etwa für die Batteriezellenproduktion immer wichtiger. Und auch die Frage, ob Arbeitskräfte an einem Ort bestimmte Arbeitsschritte günstiger oder besser durchführen, bedingt die Wahl des Standorts für bestimmte Vorprodukte. Diese Vorteile überkompensieren die Transportkosten der globalen Lieferketten. Denn anders als bei Rohstoffen werden sehr hochwertige und oft kleine Produkte transportiert, sodass die Transportkosten im Verhältnis zum Wert relativ gering sind.

Besonders für Hightech-Produkte entstehen aus der Addition der verschiedenen Standortvorteile lange und komplexe Lieferketten, deren Management einen hohen Grad an spezialisiertem Branchenwissen voraussetzt. Die deutsche Wirtschaft hat durch diese Produktionsweise einen großen Nutzen. In der genannten Studie wurde geschätzt, dass selbst ein moderates Reshoring, also die Rückverlagerung von Produktionsstätten aus Schwellenländern, die deutsche Wirtschaftsleistung um etwa zehn Prozent reduzieren würde.3

Als Reaktion auf die Inflation darauf hinzuarbeiten, Lieferketten in der Industrie zu verkürzen und durch politische Anreize möglichst viel Produktion nach Deutschland zu verlagern, ist also keine effektive Lösung. Zum einen entziehen sich die unterschiedlichen Wertschöpfungsketten aufgrund ihrer Diversität und Komplexität einer allgemeinen politischen Steuerung. Zum anderen würden die Vorprodukte, die bisher aus dem Ausland importiert werden, in der Regel teurer, wenn sie in Deutschland produziert würden. Denn die – nach Gewinn strebenden – Unternehmen kaufen die Vorprodukte deshalb im Ausland zu, weil dies effektiver (und nicht allein günstiger) ist.

 

Weiter steigende Importpreise

 

Deutsche Firmen importieren für ihre Fertigung Vorprodukte im Wert von etwa zwanzig Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts.4 Das bedeutet, dass den Zulieferungen über die Lieferkette ein fünfmal so hoher Wert von Produktion in Deutschland gegenübersteht. Die Kosten, zu denen diese heimische Produktion stattfindet, werden nicht von Preisänderungen in den Wertschöpfungsketten beeinflusst. Diese Darstellung ist grob vereinfacht und betrifft verschiedene Sektoren unterschiedlich stark. Während bei Dienstleistungen kaum Vorprodukte genutzt werden, liegt deren Anteil in den Sektoren der Metallverarbeitung oder des Fahrzeugbaus dagegen über einem Drittel. Die Preissteigerungen haben in diesem Bereich bei der Beschaffung der Vorprodukte deutliche Effekte. Allerdings merkt das der durchschnittliche Konsument nur begrenzt. Denn die in den industriellen Wertschöpfungsketten produzierten Industriegüter sind selten für die finale Konsumption gedacht, sondern sind im Gegenteil meist selbst wieder spezialisierte Vorprodukte für den weltweiten Markt. Das Problem haben daher eher die Unternehmen, die im globalen Wettbewerb Preissteigerungen nicht leicht weitergeben können.

Im Hinblick auf die Inflation treten andere Faktoren in den Vordergrund – so etwa vor allem die stark steigenden Rohstoffkosten. Denn auch wenn der wertmäßige Anteil an den Importen der Energierohstoffe mit knapp drei Prozent am Bruttoinlandsprodukt deutlich unter dem Anteil der Vorprodukte in den Wertschöpfungsketten liegt, trifft deren Preissteigerung den Konsumenten gleich zweifach: einmal direkt an Tankstelle und Gaszähler, zum zweiten Mal indirekt über teurere Produkte, für deren Herstellung Energie benötigt wird. Aber auch steigende Boden- und Immobilienpreise treiben die Inflation. Ebenso wird die von der Ampelkoalition beschlossene Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde bis Anfang 2023 (eine Steigerung um zwölf Prozent in zwei Jahren) zwangsläufig die Kosten für Dienstleistungen verteuern.

Wie sich gezeigt hat, setzen sich die Importe über Lieferketten aus zwei unterschiedlichen Prozessen zusammen: den Rohstoffimporten und den Wertschöpfungsketten. Rohstoffimporte wirken direkt auf die Preise und sind wenig komplex. Importe im Rahmen von Wertschöpfungsketten wirken sich nur indirekt auf die Preise aus und sind so komplex, dass ihre Steuerung eine hochgradige Spezialisierung voraussetzt.

Im Bereich der Rohstoffe könnten durch staatliche Programme die Versorgung gesichert und durch Subventionen die Preise stabilisiert werden. Bezüglich der Wertschöpfungsketten ist das nicht sinnvoll. Denn zum einen stammt die Inflation nur sehr begrenzt aus diesem Bereich, zum anderen sollte die Organisation der Wertschöpfungsketten aufgrund ihrer Komplexität den hierauf spezialisierten Unternehmen überlassen werden.

In der aktuellen geopolitischen Situation sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass sich das Ziel der Versorgungssicherheit – zumindest auf kurze bis mittlere Frist – konträr zum Ziel der Inflationsbekämpfung verhält. Das Ziel der Versorgungssicherheit verlangt eine Diversifizierung der Bezugsquellen, wodurch nicht der gesamte Bedarf an einem Produkt beim günstigsten Anbieter eingekauft wird. Und mit Blick auf die Energierohstoffe ist die Versorgungssicherheit sicherlich aktuell das drängendste Problem. Daher werden wir uns auf absehbare Zeit darauf einstellen müssen, dass die Preise für Importe höher sein werden, als wir es in den letzten Jahrzehnten gewöhnt waren.

 

Jan Cernicky, geboren 1979 in Jülich, promovierter Politikwissenschaftler, Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, Referent Internationaler Handel und Wirtschaft, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

1 Vgl. Kiel Trade Indicator, Kiel Institut für Weltwirtschaft, www.ifw-kiel.de/de/themendossiers/internationaler-handel/kiel-trade-indicator/ [letzter Zugriff: 04.05.2022].

2 Vgl. Lisandra Flach et al. (Hrsg.): Internationale Wertschöpfungsketten. Reformbedarf und Möglichkeiten. Studie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Berlin 2021, S. 81, www.ifo.de/DocDL/ifoStudie-2021-KAS-Wertschoepfungsketten.pdf [letzter Zugriff: 04.05.2022].

3 Vgl. Lisandra Flach et al., a. a. O., S. 63 ff. Es wird hier ein Zollsatz von 25 Prozent und eine Ver doppelung der nicht tarifären Handelshemmnisse vorausgesetzt; der Import von Waren, die trotz der Zusatzkosten immer noch günstiger sind (etwa, weil sie gar nicht in Deutschland her gestellt werden), bleibt hier also weiterhin möglich.

4 Vgl. Lisandra Flach et al., a. a. O., S. 20 ff.

 

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