„Der Soldat hat die Pflicht, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“1 So fordert es seit 1956 das Soldatengesetz, so versprechen es die Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr seit mehr als sechzig Jahren in ihrem Eid oder Gelöbnis.2 Auch wenn der Gesetzgeber das „treue Dienen“ als Grundpflicht des Soldaten normiert, entzieht sich die Begrifflichkeit doch einer klaren Definition.3 In einem engeren Verständnis bleibt der Begriff des Dienens auf die Gruppe der Soldaten beschränkt, findet aber auch auf die Statusgruppe der Beamten und in einem weiteren Sinne auf die der Bundesangestellten – heute die Gruppe der Tarifbeschäftigten – Anwendung.
Dessen ungeachtet, bleibt der Begriff des Dienens für das Verständnis des Soldatenberufes von zentraler Bedeutung. Er umschreibt gemeinsam mit den Kategorien „Führen“, „Gehorchen“, „Ausbilden“, „Erziehen“ und „Verwalten“ den Kern dessen, was den Dienst in der Bundeswehr als Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses im Militär auszeichnet.4 „Nur wer zum Dienen bereit ist“, so das erste Handbuch Innere Führung von 1957, könne auch führen.5 Führung verlangt jedoch immer die Übernahme von Verantwortung; für sich selbst und für das Leben anderer. Der Dienst in den Streitkräften ruht unverändert auf dem Ideal des freiwillig übernommenen Dienstes an der Gemeinschaft und meint in erster Linie das tapfere Eintreten für unsere freiheitliche demokratische Ordnung.
Die Bundeswehr wird in Situationen gefordert, in denen andere Instrumente ihre Wirkung oftmals nicht mehr entfalten können. Sie lebt daher in besonderem Maße von der Vielfalt und der Motivation ihrer Angehörigen, deren Professionalität und Einsatzbereitschaft entscheidend davon abhängen, dass sie Herausforderungen schnell und innovativ zu begegnen vermögen. Neben einer guten Ausrüstung kommt es also vor allem auf die Menschen an, die in der Bundeswehr dienen – auf ihr professionelles Können und ihre Kreativität, vor allem aber auf ihre Bereitschaft zum Dienst und ihre Loyalität; man könnte auch von Treue sprechen. Als einer der größten Arbeitgeber steht die Bundeswehr im scharfen Wettbewerb um die besten Talente in unserem Land. Nicht nur, aber auch in diesem Zusammenhang schließt Dienst in der Bundeswehr heute mehr denn je auch Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion ein.
Innere Führung
Auch wenn das „Dienen“ verschiedene Bedeutungsfelder und auch unterschiedliche Statusgruppen umfasst, beruht sein Kern auf der Konzeption der Inneren Führung und ihrem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform.6 Die Konzeption der Inneren Führung schuf den Typus des modernen Soldaten, der „freier Mensch, guter Staatsbürger und vollwertiger Soldat zugleich“7 sein sollte. Dieser Anspruch ist zeitlos und heute sicherlich nicht weniger anspruchsvoll als vor sechzig Jahren.
Die wenigsten Menschen entsprechen diesem hohen Ideal aus sich selbst heraus. Wir sind geprägt durch unsere Erfahrung, durch Erziehung und Bildung. Im Soldaten das mündige Individuum zu sehen und zu hinterfragen, in welchem Umfeld er sein geistiges Rüstzeug erwirbt, war und ist der wesentliche Gedanke der Inneren Führung. So soll nicht nur der militärische Führer befähigt werden. Vielmehr sollen im Denken aller Soldatinnen und Soldaten jene Normen und Werte verankert werden, die es ermöglichen, motiviert den gestellten soldatischen Auftrag zu erfüllen, denn letztlich geht es der Inneren Führung immer um einsatzbereite Streitkräfte.
Das klare Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist Grundvoraussetzung für treues Dienen im Sinne der Inneren Führung. Diese Erkenntnis aber – das gilt es zu erkennen – kann nur individuell und aus freien Stücken erwachsen. Daher galt schon 1957: „Nur was lebenswert ist, ist auch verteidigungswert.“8
Wie kann man jedoch in einer Armee – gründend auf Befehl und Gehorsam als unerlässlichem militärischem Ordnungsprinzip – demokratische Werte verankern? Zu erkennen, dass „verteidigungswert“ ausschließlich das ist, was „lebenswert“ ist, gelingt nur, wenn diese Werte für den Soldaten und die Soldatin im dienstlichen Alltag erfahrbar werden. Der Soldat muss also die Grundwerte, für deren Schutz und Erhalt er eintritt, auch selbst erfahren.
Bezugsrahmen freiheitliche demokratische Grundordnung
Doch was bedeutet das heute? Kein Soldat handelt eigenständig. Der Bezugsrahmen unserer Soldatinnen und Soldaten ist die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Grundgesetz und den geltenden Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland. Der Soldat ist nicht nur dem deutschen Volk verpflichtet, sondern auch der demokratischen Staatsform, die sich die Deutschen 1949 zunächst als Teil des Vaterlandes gegeben haben: der freiheitlichen Republik. In letzter Instanz aber ist er seinem Gewissen verpflichtet und an die Sittlichkeit menschlichen Tuns gebunden.
Die Innere Führung schafft also ein berufsethisches Ideal soldatischen Dienens. Dieses begreift den Soldaten nicht nur als Staatsdiener, sondern als Staatsbürger, dessen Pflicht sich eben nicht allein auf die Verteidigung seines Vaterlandes, sondern auch auf das Mitwirken am Gemeinwohl im Hier und Heute erstreckt. Davon zu unterscheiden ist der Söldner, der sich einzig auf das militärische Handwerk konzentriert, ohne sich an unsere Werteordnung zu binden.
Wir verlangen also viel von unseren Soldatinnen und Soldaten. Die Bindung an unsere Werteordnung muss jedoch intrinsisch erfolgen. Die Innere Führung ist kein bevormundendes Regelwerk. Ihr geht es um Selbsterziehung! Der Dienstherr muss dazu die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen – durch historische, politische und ethische Bildungsangebote und durch die Pflege wertorientierter Tradition.
Wer sich eingehender mit der Gründungsgeschichte der Bundeswehr9 und auch mit der Ideengeschichte der Inneren Führung beschäftigt, wird feststellen, dass die Väter der Inneren Führung auf Werte zurückgriffen, deren Wurzeln weit in die Geschichte zurückreichen.
Die ethische Fundierung des Soldatenberufs ist christlich-protestantisch begründet, an preußischen Vorbildern orientiert und daher auf den Staat bezogen. Ist ein solches Fundament damit nicht Anlass, die Innere Führung kritisch zu hinterfragen oder zumindest ihren heutigen Nutzen anzuzweifeln? Ich meine nicht. Die einzigartige Verbindung von persönlicher Unterordnung im Dienst an der Allgemeinheit mit dem Ideal innerer Freiheit, wie sie für Preußen kennzeichnend wurde und die uns in der Konzeption der Inneren Führung begegnet, ist auch als Kern des Dienstes in unserer Bundeswehr sinnstiftend. Das Ideal der „überzeugten Freiwilligkeit“ finden wir bei den Soldaten des 20. Juli 1944,10 allen voran bei Generalmajor Henning von Tresckow. Anlässlich der Konfirmation seiner Söhne sagte er: „Wahres Preußentum heißt Synthese zwischen Bindung und Freiheit, zwischen selbstverständlicher Unterordnung und richtig verstandenem Herrentum, zwischen Stolz auf das Eigene und Verständnis für Anderes, zwischen Härte und Mitleid.“11
Der Appell, stets das richtige Maß und die Mitte zu suchen, klingt deutlich aus diesen Worten. Auch darum geht es in der Inneren Führung. Und nicht jedem ist bewusst, wie sehr das preußische Erbe noch heute unsere Streitkräfte prägt – im besten Sinne.
Doch wie ist das mit dem Christlich-Protestantischen in der Konzeption der Inneren Führung? Dazu gibt es ein, wie ich finde, eindrucksvolles Zitat des Handbuches Innere Führung von 1957. Ich halte es gerade vor dem Hintergrund vieler aktueller gesellschaftlicher Debatten und angesichts des Erstarkens der politischen Ränder für außergewöhnlich bedeutsam. Es erinnert die Soldaten daran: „Menschlichkeit ist nicht teilbar. Soll sie nur noch bestimmten Gruppen vorbehalten bleiben, so wird sie ganz und gar verloren gehen. Der Soldat, der keine Achtung vor dem Mitmenschen hat – und auch der Feind ist sein Mitmensch –, ist weder als Vorgesetzter, noch als Kamerad oder als Mitbürger erträglich.“12
Dienst bedeutet die Anerkennung von Vielfalt
Nun ist die Innere Führung kein exklusiv christliches Konzept des Dienens. Aber sie übersetzt christliche Grundgedanken in säkulare Werte. Zwar muss niemand heute „preußisch“ denken oder Christ sein, um die Grundsätze der Inneren Führung zu verstehen und in seinen Dienstalltag zu integrieren. Wir sollten uns jedoch der Wurzeln unseres Denkens bewusst sein.
Dienst in der Bundeswehr bedeutet die Anerkennung von Vielfalt. Vielfalt bedeutet jedoch nicht die Abkehr von gemeinsamen Grundwerten. Der Dienst in der Bundeswehr fordert weiterhin von unseren Soldatinnen und Soldaten die Fähigkeit, im Kampf erfolgreich zu bestehen – als Kombattant wie auch als Mensch.
Dienen meint zudem unverändert ein Unterordnen aus freien Stücken. In diesem Verständnis ist Dienen von innerer Freiheit nicht zu trennen. Ebenso wenig ist dieses Verständnis zu trennen vom Dienst an der Gemeinschaft und von der zu übernehmenden Verantwortung für das Leben anvertrauter Frauen und Männer. Es bleibt so der überzeitliche Kern des Dienstes in der Bundeswehr im Sinne ihrer Gründerväter, der zugleich als Auftrag an die dem Volk dienende Politik verstanden werden kann: Verteidigungswert ist, was lebenswert ist.
1 Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz), BGBl I, S. 114 vom 19.03.1956, § 7.
2 Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit schwören, wohingegen die Soldaten, die nach Maßgabe des Wehrpflichtgesetzes Wehrdienst leisten, geloben.
3 Karl Heinz Fuchs / Friedrich Wilhelm Kölper (Hrsg.): Militärisches Taschenlexikon. Fachausdrücke der Bundeswehr, Bonn 1958, S. 71; Sven Bernhard Gareis / Paul Klein (Hrsg.): Handbuch Militär und Sozialwissenschaft, Wiesbaden 2004.
4 Evangelisches Kirchenamt der Bundeswehr (Hrsg.): De officio. Zu den ethischen Herausforderungen des Offizierberufs, 2. Auflage, Hannover 1985.
5 Bundesministerium für Verteidigung, FüB (Hrsg.): Handbuch Innere Führung. Hilfen zur Klärung der Begriffe, September 1957 (= Schriftenreihe Innere Führung), S. 12.
6 Zu den Anfängen Innerer Führung siehe Frank Nägler: Der gewollte Soldat und sein Wandel. Personelle Rüstung und Innere Führung in den Aufbaujahren der Bundeswehr 1956 bis 1964/65, München 2010 (= Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, 9).
7 Zitiert nach Nägler, Der gewollte Soldat (wie En. 6), S. 31 f., FN 4.
8 Handbuch Innere Führung (wie En. 5), S. 23.
9 Agilolf Keßelring / Thorsten Loch: „Himmerod war nicht der Anfang. Bundesminister Eberhard Wildermuth und die Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik“, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 74 (2015), 1/2, S. 60–96; Keßelring/Loch: „Der ‚Besprechungsplan‘ vom 5. Januar 1950. Gründungsdokument der Bundeswehr? Eine Dokumentation zu den Anfängen westdeutscher Sicherheitspolitik“, in: Historisch-Politische Mitteilungen 22 (2015), S. 199–299.
10 Winfried Heinemann: Unternehmen „Walküre“. Eine Militärgeschichte des 20. Juli 1944, Berlin 2019 (= Zeitalter der Weltkriege, 21).
11 Sigrid Grabner / Hendrik Röder (Hrsg.): Henning von Tresckow. Ich bin, der ich war. Texte und Dokumente, 4. Auflage, Berlin 2017, S. 52.
12 Handbuch Innere Führung (wie En. 5), S. 64.
Peter Tauber, geboren 1974 in Frankfurt am Main, Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, 2013 bis Februar 2018 Generalsekretär der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, seit März 2018 Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung.