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Die landwirtschaftliche Arbeitswelt wandelt sich fundamental

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Morgens um 5.00 Uhr oder früher geht es los. Ein rasches Frühstück, und ab in den Stall. Die Kühe müssen gemolken werden. Je nach ihrer Anzahl kann das mehrere Stunden dauern. Abends wieder das Gleiche. Trotz moderner Technik sind dafür zuverlässige und belastbare Mitarbeiter notwendig. Vor allem in größeren landwirtschaftlichen Betrieben übernehmen diese Aufgabe oftmals osteuropäische Saisonkräfte. Die Alternative zum „menschlichen Melker“ ist der „Melkroboter“, an den die Kühe jederzeit selbstständig „andocken“ können, wenn der Druck im Euter steigt. Der Betriebsleiter kann Milchmenge und -qualität checken. Zusätzlich informieren digitale Sensoren über das Verhalten der Nutztiere, etwa über Bewegung, Futteraufnahme und Tiergesundheit.

All das hat mit romantischen Vorstellungen vom „Bauernhof“ wenig zu tun, zeigt jedoch exemplarisch eine seit Jahrzehnten in der Landwirtschaft anhaltende Entwicklung: Technik, oder vielmehr Technologie, ersetzt Arbeitskraft. Das kostet Geld. Auf 692.000 Euro (Stand 2021) beziffert der Deutsche Bauernverband (DBV) den Kapitaleinsatz pro landwirtschaftlichem Erwerbstätigen. Und darin sind die Kosten für Nutzflächen noch nicht einmal enthalten. Zum Vergleich: Die vom Bauernverband zitierten Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) weisen im Vergleich für das produzierende Gewerbe (Industrie) 374.000 Euro Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz aus. Im Handel sind es 170.000 Euro und im Baugewerbe lediglich 52.000 Euro. Während des Beobachtungszeitraums 2011 bis 2021 stiegen die Kosten pro landwirtschaftlichem Arbeitsplatz um 48 Prozent – ebenfalls ein Spitzenwert, verglichen mit den genannten anderen Branchen.

Die massiven Investitionen in Technik verändern das Berufsbild des Landwirts. Das Wissen um die Abläufe im Stall und auf dem Feld bleibt elementar, doch die Ansprüche an das technologische Know-how nehmen zu. Das gilt nicht nur für den eigentlichen Einsatz der Technik, wie die zentimetergenau per GPS gesteuerte Anwendung von Pflanzenschutzmitteln oder Dünger, sondern auch für die so gewonnenen Daten. Digitale Methoden gehören längst zum Arbeitsalltag in der Landwirtschaft, wenngleich das IT-Versprechen aus Sicht der Praktiker nur bedingt erfüllt ist; nicht zuletzt aufgrund mangelnder Kompatibilität der Systeme und unzureichenden Breitbandzugangs.

 

Kontinuierlich steigender Frauenanteil

 

Viele landwirtschaftliche Ausbildungsbetriebe berichten zudem über einen anderen Mangel: In den Berufsschulen, so hört man immer wieder, fehle es an Kompetenz in der Ausbildung. Durch Zahlen lässt sich das nicht belegen; zahlreiche Gespräche mit Auszubildenden und ihren Ausbildern bestätigen jedoch diesen negativen Eindruck. Dem Wissenszuwachs in der Praxis hinkt der theoretische Teil der dualen Ausbildung hinterher.

Für die „Grünen Berufe“, so die Selbstbezeichnung, werden in Deutschland vierzehn Ausbildungsgänge angeboten. Dazu zählen Landwirt, Gärtner und Winzer sowie die selten gewählten Lehrberufe „Fischwirt“ oder „Revierjäger“. Nach Angaben des Bundeszentrums für Landwirtschaft gab es 2021 insgesamt 33.207 Auszubildende in den Grünen Berufen. Die meisten von ihnen, mehr als 11.000, wollen Gärtner werden. An zweiter Position steht das Berufsziel „Landwirt“ mit 6.825 Azubis, davon 1.710 Frauen, deren Anteil mit rund 25 Prozent immer noch vergleichsweise gering ist, aber kontinuierlich steigt. Vor fünfzehn Jahren waren es noch weniger als zehn Prozent.

Die Ausbildungsvergütungen in der Landwirtschaft sind bescheiden. Die ostdeutschen Tarife sehen 763 Euro als Mittelwert der mehrjährigen Lehrzeit vor, im Westen sind es knapp 100 Euro mehr, wie das Fachportal agrarheute zu Jahresbeginn 2023 berichtete. Es stellt sich also die Frage: Wie viel verdient ein Landwirt? Exakt 14,50 Euro beträgt der vor wenigen Wochen für eine angestellte Fachkraft ausgehandelte tarifliche Stundenlohn, mit Meisterausbildung sind es 16,50 Euro. Ungelernte Saisonkräfte erhalten den derzeitigen Mindestlohn von 12,00 Euro pro Stunde. Übrigens erreicht der landwirtschaftliche Tariflohn 2023 erstmals seit der Wiedervereinigung in Ost- und Westdeutschland das gleiche Niveau.

 

Job mit Imageproblem

 

Nach Angaben der „Landwirtschaftszählung 2020“ des Statistischen Bundesamtes waren zuletzt 938.000 Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt. Das entspricht zur vorhergehenden Erhebung (2010) einem Rückgang um fünfzehn Prozent. „Annähernd die Hälfte der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, nämlich 434.400 Personen, waren Familienarbeitskräfte in Einzelunternehmen“, erläutert Destatis und ergänzt: „Weiterhin arbeiteten 228.900 ständig angestellte Arbeitskräfte und 274.700 Saisonarbeitskräfte in den landwirtschaftlichen Betrieben.“ Der hohe Anteil an Familienarbeitskräften korrespondiert mit der Betriebsform und umgekehrt. Von den 258.700 landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland (Stand 2022) werden 87 Prozent als Einzelunternehmen geführt. In dieser Rechtsform dominiert nach Angaben des Bauernverbandes eindeutig der Familienbetrieb. Die Landwirtschaftszählung von Destatis beziffert den Anteil der Personengesellschaften an der gesamten Betriebszahl auf elf Prozent, jenen der juristischen Personen (GmbH, Genossenschaft und AG) auf zwei Prozent.

In den Familienbetrieben besteht mit der „nicht entlohnten Familienarbeitskraft“ eine Besonderheit. Dazu zählen Personen, die im Betrieb mitarbeiten, ohne direkt ein Gehalt zu empfangen. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt aus dem Einkommen des Betriebes und haben eventuell noch einen zusätzlichen Job. Die Zukunft vieler landwirtschaftlicher Betriebe ist aufgrund fehlender Nachfolgeregelungen ungewiss. Auf den Bauernhöfen ist es längst keine Selbstverständlichkeit mehr, dass die Kinder ihren Eltern in der Berufswahl folgen. So verweist das Bundesinformationszentrum für Landwirtschaft (BZL) auf eine Studie aus Bayern: Unter den befragten landwirtschaftlichen Betriebsleitern ist die Mehrheit älter als 55 Jahre und hat keine Nachfolgeregelung. „Die Gründe dafür“, so das BZL, „sind vielfältig. Neben dem hohen Arbeitsaufwand in der Landwirtschaft und der unsicheren Wirtschaftlichkeit eines Betriebs werden viele potenzielle Nachfolgerinnen und Nachfolger von der wachsenden gesellschaftlichen Kritik an den heutigen Produktionsmethoden abgeschreckt.“ Ob es sich um ein gefühltes oder tatsächliches Imageproblem handelt, sei dahingestellt. Fakt ist, dass Betriebe ohne Nachfolge aufgeben, ihre Flächen verpachten und Nachbarbetriebe dadurch wachsen. Das „Imageproblem“ trägt zu größeren Einheiten bei, und ob diese „gesellschaftlich gewünscht“ sind, ist fraglich.

57 Prozent – und damit die Mehrheit – aller deutschen landwirtschaftlichen Einzelunternehmen werden im sogenannten „Nebenerwerb“ bewirtschaftet; weniger als die Hälfte des Einkommens stammt aus Stall und Feld. Typischerweise hat der Landwirt oder die Landwirtin einen „Hauptjob“, managt den Hof mit der Familie in der „Freizeit“. Angestellte wären nicht finanzierbar.

In den wachsenden Haupterwerbsbetrieben, die ihr Einkommen überwiegend in der Landwirtschaft erwirtschaften, ist ein gegenläufiger Trend zu erkennen: Benötigt werden zusätzlich zur Familie externe Arbeitskräfte, die nicht leicht zu gewinnen sind. Und wenn Betriebsleiter erstmalig oder eine steigende Anzahl von Mitarbeitern beschäftigen, kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu: Vorsichtig formuliert, war „Personalführung“ über lange Zeit in der landwirtschaftlichen Ausbildung ein Nebenaspekt. Dass sich das nun ändert, ist auch dringend nötig.

 

Große regionale Unterschiede

 

Auffallend sind die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Wiederum spielen Rechtsform und Größe eine Rolle. Zwar herrscht in Ostdeutschland ebenfalls die Rechtsform „Einzelunternehmen“ vor (70 Prozent), aber als juristische Person organisierte Betriebe bewirtschaften rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Ostdeutschland. Im früheren Bundesgebiet nennt Destatis als Flächenanteil juristischer Personen nur 1,2 Prozent. Die Betriebe im Osten verfügen jeweils über deutlich mehr Fläche.

Während der Durchschnittswert in Deutschland rund sechzig Hektar beträgt, sind es in den ostdeutschen Ländern durchgehend mehr als 200 Hektar. Diese Struktur ist historisch begründet. In der DDR wurden die landwirtschaftlichen Betriebe kollektiviert und nach der Wiedervereinigung durch die bundeseigene Bodenverwertungs- und -verwaltungs-GmbH reprivatisiert. Die so entstandenen Strukturen sind kleiner als zu DDR-Zeiten, aber eben größer als im Westen. Das spiegelt sich in den Beschäftigungsverhältnissen der vielfach als Personengesellschaften organisierten Ostbetriebe wider. In Ostdeutschland sind 55 Prozent aller Mitarbeiter ständig angestellte Arbeitskräfte und nur 19 Prozent Familienarbeitskräfte. In den westlichen Bundesländern stammen 51 Prozent der landwirtschaftlichen Mitarbeiter aus der Familie, und nur 19 Prozent sind dauerhaft angestellte externe Arbeitskräfte.

In Familienbetrieben ist Landwirtschaft oftmals nicht nur eine Art, Geld zu verdienen, sondern auch die Weise, wie man leben möchte. Arbeit und Familie sind eng miteinander verbunden. Allerdings entscheiden sich immer weniger für dieses Modell. Und sieben Tage die Woche zweimal täglich zu melken, ist in Kleinbetrieben mit Milchviehhaltung eindeutig „Familiensache“. Zwischen „gesellschaftlich gewünschten“ Agrarstrukturen und der Work-Life-Balance der dort Tätigen ist ein Zielkonflikt offenkundig.

 

Abkehr vom Modell des bäuerlichen Familienbetriebs

 

Laut einer Studie der Deutschen Zentral-Genossenschaftsbank (DZ Bank) sinkt die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland von derzeit rund 258.700 auf 100.000 im Jahr 2040. Ob man diese Prognose als „Höfesterben“ oder „Strukturwandel“ bezeichnet, ist Ansichtssache. Der Trend zu weniger und größeren Einheiten besteht seit Langem, allerdings nicht in dem prognostizierten massiven Umfang. „Gleichzeitig dürften sich die Arbeitsplätze im Sektor auf 325.000 halbieren“, heißt es in der DZ-Bank-Studie.

Fundamentaler als diese qualitativen Aspekte sind die von den Autoren beschriebenen künftigen Betriebsstrukturen: „Langfristig droht die Abkehr vom Jahrhunderte alten Modell des bäuerlichen Familienbetriebs, den selbstständige Bauern, kleine Betriebseinheiten und mithelfende Familienangehörige kennzeichnen. Künftig werden immer stärker zwar inhabergeführte, aber große, kapitalintensive und betriebswirtschaftlich organisierte Agrarunternehmen die Branche prägen.“ Diese Unternehmen werden wie Industrieunternehmen geführt, und das kann bedeuten: Hierzulande werden weniger lukrative Produktionsformen oder Standorte zugunsten internationaler Optionen aufgegeben. Bereits jetzt besteht für einige Grundnahrungsmittel wie Obst und Gemüse, ganz gleich ob „bio“ oder „konventionell“, ein Importbedarf von bis zu 80 Prozent. Die geplante „Energiewende“ hin zu erneuerbaren Quellen wie Windenergie oder Photovoltaik kann nur auf dem Land stattfinden – eine mögliche ökonomische Chance für die verbleibenden Agrarunternehmer.

Bessere „Überlebenschancen“ für das Modell des bäuerlichen Familienbetriebs attestiert die Studie der ökologischen Landwirtschaft. Diese Prognose stammt allerdings aus dem Jahr 2020, einer Zeit mit deutlich geringerer Inflation als gegenwärtig. Die Lage hat sich seitdem grundlegend geändert, oder um es mit einer Schlagzeile von tagesschau.de zu sagen: „Absatzschwund bringt Bio-Bauern ins Grübeln.“ Das Nachrichtenportal meldet Anfang April 2023, dass erstmals seit Jahren die Umsätze von Bioprodukten sinken. Manche Bauern kehrten der Ökolandwirtschaft den Rücken und setzten wieder auf konventionelle Erzeugung. „Gerät die Erfolgsgeschichte ins Stocken?“, fragt die Tagesschau. Die Antwort wird der Markt geben.

 

Dietrich Holler, geboren 1966 in Herborn, Agrarwissenschaftler, Journalist, Redaktionsbüro „vox viridis“ („Grüne Stimme“), Berlin.

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