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von Katja Christina Plate

Die sicherheitspolitische Lage in der Republik Moldau

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Die im Süden Osteuropas gelegene Republik Moldau teilt eine 1.222 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine. Sie sieht sich ebenfalls einer Bedrohung durch Russland ausgesetzt. Lange Zeit hat Russland seine Interessen in der Republik Moldau mittels der in der abtrünnigen moldauischen Region Transnistrien stationierten Truppen – man geht von schätzungsweise 1.500 bis 3.000 russischen Soldaten aus –, über den Gaspreis für das energieabhängige Land und durch gekaufte oder kompromittierte Politiker ausgeübt. In der Vergangenheit lavierten die moldauischen Regierungen zwischen der Europäischen Union und Russland hin und her. Hier Vorteile herausverhandeln, dort keine Nachteile in Kauf nehmen, Geld aus dem Staatshaushalt abzweigen oder aus der Zentralbank stehlen: Kleptokratische Machthaber kultivierten Außenpolitik nach dem Tanzmuster von einem Schritt vorwärts, einem zurück und vielen zur Seite. Dies sorgte dafür, dass immer mehr Moldauerinnen und Moldauer ihre Zukunft nicht mehr in ihrem Land sahen und auswanderten. Diese Diaspora verhalf 2020 der pro-europäischen Staatspräsidentin Maia Sandu ins Amt und stimmte 2021 mit absoluter Mehrheit für die Reformregierung der liberalen Partidul Acțiune și Solidaritate („Partei der Aktion und Solidarität“, PAS) um Premierministerin Natalia Gavriliţa.

Trotz der Befürwortung einer Annäherung an die Europäische Union und des Bekenntnisses zu einem tiefgreifenden Reformprozess betonten Präsidentin und Premierministerin zunächst stets die Neutralität der Republik Moldau. Man strebe keinen NATO-Beitritt an und lege Wert auf konstruktive Beziehungen zu Moskau. Letzteres war immer mit der Bestrebung verbunden, den Konflikt um die abtrünnige moldauische Region Transnistrien künftig friedlich beilegen zu können. Mit dem 24. Februar 2022 änderten sich die sicherheitspolitischen Parameter für die Republik Moldau vollständig.

Moldau sieht sich seit mehr als zwanzig Jahren mit einer russischen Außen- und Sicherheitspolitik konfrontiert, die der sogenannten Primakow-Doktrin folgt. Der frühere russische Außenminister und ehemalige Ministerpräsident Jewgeni Primakow sah Russland als unverzichtbaren weltpolitischen Akteur an, der eine unabhängige Außenpolitik verfolgen müsse. Russland solle eine multipolare Weltordnung anstreben, die von einem Konzert der Großmächte „verwaltet“ werde; insbesondere solle Russland eine Vormachtstellung in der ehemaligen sowjetischen Einflusssphäre anstreben und die eurasische Integration vorantreiben; zudem solle sich Russland einer NATO-Erweiterung widersetzen und eine Partnerschaft mit China anstreben.

Nach der Invasion russischer Streitkräfte in die Ukraine am 24. Februar 2022 stellt Moskau nun die Souveränität der Republik Moldau und deren territoriale Integrität offen infrage: Mehrfach wurde die Errichtung einer Landverbindung zur Schwarzmeerhalbinsel Krim und in weiterer Folge nach Transnistrien zum russischen Kriegsziel erklärt. Der Republik Moldau wurde von einem russischen Abgeordneten gedroht, man könne sie „auf den Müllhaufen der Geschichte“ befördern.

Im Kreml hält man die Republik Moldau für einen instabilen, politisch und militärisch schwachen Staat. Und damit für ein mögliches Faustpfand, mit dem man die strategische Position der Ukraine weiter schwächen kann. Eine militärische Kontrolle über das Territorium der Republik Moldau würde die südliche Ukraine und vor allem Odessa isolieren und Russland den Zugang in die West- und Zentralukraine erleichtern. Auch sind Im- und Exporte, insbesondere Agrarexporte, durch die Republik Moldau für die ukrainische Wirtschaft sehr wichtig.

Ein militärischer Vorstoß russischer Truppen in westliche Richtung (entlang der Frontlinie Mykolaiv–Tiraspol–Odessa) erscheint derzeit angesichts der fortwährenden Kämpfe in der Ostukraine unwahrscheinlich. Entsprechend dürfte sich Moskau in näherer Zukunft nicht auf eine militärische Kontrolle der Republik Moldau fokussieren, sondern eher versuchen, einen Wechsel ihrer pro-europäischen Reformregierung zu erreichen oder zumindest vorzubereiten. Die grundsätzliche russische Strategie, die Ukraine durch die Übernahme der politischen Kontrolle über die Republik Moldau verwundbar zu machen, wird auch dann bestehen bleiben, wenn die Kriegsintensität in der Ukraine nachlässt. Die Bedrohungslage für Moldau würde sich erst dann grundlegend verändern, wenn die Russische Föderation in der Ukraine eine militärische Niederlage erleidet und ihre Truppen aus dem Dnjepr-Becken zurückziehen muss.

Insoweit geht aktuell die stärkste unmittelbare Bedrohung der Republik Moldau von ihren internen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schwachstellen aus, die Moskau nach Kräften auszunutzen und zu forcieren sucht, um ein gefügiges Regime an der Spitze der Republik Moldau durchzusetzen. Diese Schwachstellen sind zunächst die lokalen moldauischen oligarchischen und kleptokratischen Akteure, die gemeinsame Interessen mit Moskau haben, jedoch auch verschiedene politische und zivilgesellschaftliche Kräfte, die von der Russischen Föderation in der Republik Moldau kontrolliert, finanziert und unterstützt werden.

Weitere Schwachpunkte sind die durch den Ukraine-Krieg verursachte Flüchtlingskrise und die durch den sprunghaften Anstieg der Energiepreise ausgelöste Wirtschaftskrise mit einer massiven Inflation. Auch das Finanz- und Bankensystems weist Fragilitäten auf. Die wirtschaftliche und soziale Lage ist zentral für die Frage, ob die pro-europäischen Reformkräfte der PAS-Regierung weiter von der Bevölkerung unterstützt werden. Aber auch Korruption, die Schwäche des Rechtsstaats, unzureichende Verwaltungskapazitäten auf der Ebene staatlicher Institutionen, mangelnde Grenzsicherheit und Resilienz gegen die organisierte Kriminalität sind Angriffspunkte für russische Destabilisierungsmaßnahmen. Hinzu kommt der fehlende Zusammenhalt in der moldauischen Gesellschaft, insbesondere die Nicht-Integration ethnischer Minderheiten. Dabei nimmt der Konflikt um die Region Transnistrien einen besonderen Stellenwert ein.

An den dargelegten Problemen arbeitet die pro-europäische und reformorientierte Regierung seit ihrer Machtübernahme im August 2021. Nach Jahren der Misswirtschaft muss die PAS-Regierung nun allerdings einen Kampf unter denkbar schlechten Rahmenbedingungen führen. Sie benötigt Hilfe, um resilient gegen russische Einflussnahme und Destabilisierung zu werden. Der Republik Moldau diese Hilfe zu gewähren, liegt im sicherheitspolitischen Interesse der Europäischen Union. Denn niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass sich Russlands Aggression allein gegen die Ukraine oder die Republik Moldau wendet. Sie richtet sich gegen das demokratische, freiheitliche Leben in Europa insgesamt.

 

Katja Christina Plate, geboren 1978 in Nürnberg, Leiterin der Auslandsbüros Rumänien und Republik Moldau der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Bukarest.

 

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