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DPM
von Johann David Wadephul

Positionen der CDU

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Politik und Weltgeschichte erleben immer wieder Zäsuren: Revolutionen, Kriege, soziale oder technologische Umbrüche. Auch wenn sich Hintergründe und Genese dieser Zäsuren im Rückblick meist länger abzeichneten, markiert ein Ereignis, ein Datum die allgemeine Wahrnehmung von Vorher und Nachher. So ist es mit der aktuellen sicherheitspolitischen Zäsur, die als „Zeitenwende“ die Diskussionen und das Handeln des ersten Halbjahres 2022 dominiert hat: der völkerrechtswidrige und unprovozierte Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022. Es herrscht wieder Krieg in Europa, und Deutschland und seine Verbündeten werden durch Ultimaten direkt bedroht.

Dennoch hat diese Zeitenwende eine Vorgeschichte, wird sie strenggenommen zeitlich falsch verortet. Sie liegt nicht im Februar 2022, sondern im Februar 2014 mit dem Beginn der Besetzung und später Annexion der Krim durch Russland und seiner Beteiligung an den Kämpfen in der Ostukraine. Das war der Bruch der europäischen Friedensordnung, war offene Aggression und Einsatz militärischer Gewaltmittel. Dieses Warnsignal fand international vielfachen Widerhall: 2014, auf dem NATO-Gipfel von Wales, wurde das Zwei-Prozent-Ziel prominent beschlossen; es begannen die Unterstützungsmaßnahmen für die NATO-Ostflanke, die in die Kräften der Enhanced Forward Presence (EFP, deutsch etwa: „Verstärkte Vornepräsenz“) und die als NATO-Speerspitze bekannte Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) mündeten. In der Europäischen Union (EU) nahm darüber hinaus die Frage einer Europäischen Verteidigungsunion Fahrt auf; Ende 2017 wurde mit der EU-Verteidigungsinitiative für die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (Permanent Structured Cooperation, PESCO) ein neues Instrument begründet.

Doch standen in Deutschland CDU und CSU meist mit ihren Forderungen nach einem Mehr für Verteidigung und einem neuen Stellenwert für eine robuste Sicherheitspolitik allein. Vertreter der Grünen und der SPD redeten die Entwicklung immer wieder klein oder negierten sie sogar bewusst. Dennoch ist der Verteidigungshaushalt seit 2014 stark angestiegen – von rund 32 Milliarden auf heute über fünfzig Milliarden Euro. Von den Grünen und Teilen der SPD wurde dies immer kritisiert, das Zwei-Prozent-Ziel sogar in Bausch und Bogen abgelehnt. Eine langfristig verlässliche Perspektive für den Verteidigungshaushalt lehnte der damalige Finanzminister Olaf Scholz in der vergangenen Wahlperiode strikt ab.

 

Sicherheitspolitische Notwendigkeiten

 

Das Weißbuch der Bundesregierung von 2016 beschrieb die Zeitenwende bereits damals mit aus heutiger Sicht erschreckend klarer Analyse, wichtige Rückschlüsse für die Bundeswehr wurden gezogen. Doch der parteiübergreifende Wille, die notwendigen Konsequenzen umzusetzen, war außerhalb von CDU und CSU nicht ausgeprägt. Vielmehr wurden deutsche Manöver an der NATO-Ostflanke von SPD-Politikern als „Säbelrasseln“ (der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier) und die Entsendung deutscher Marineschiffe nach Ostasien als „Kanonenboot-Politik“ (der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich) diskreditiert. Die immer wieder künstlich durch die SPD verlängerte Diskussion um die Bewaffnung der fünf (!) Aufklärungsdrohnen des Typs Heron TP schließlich war Realitätsverweigerung auf Kosten der Soldatinnen und Soldaten.

Nun sitzt der Schock umso tiefer, der Handlungsdruck ist immens. Die Bundeswehr ist gefordert wie nie: Landes- und Bündnisverteidigung stehen jetzt im Mittelpunkt aller Überlegungen. Die Schlagworte lauten „Kaltstartfähigkeit“ und „kriegsfähig“. Gleichzeitig agiert die Bundeswehr immer noch in komplexen Auslandseinsätzen, deren Intensität aufgrund der Krisenlagen weltweit eher zunehmen als abnehmen wird. Jetzt geht es darum, schnell zu investieren und Strukturen anzupassen mit dem Ziel der Wiederherstellung voll einsatzbereiter Streitkräfte und einer Gesamtverteidigung, die auch einen wirksamen Zivil- und Katastrophenschutz umfasst.

Für die CDU ergibt sich daraus eine Reihe sicherheitspolitischer Notwendigkeiten. Erstens muss sich Deutschland mehr für und in unseren Bündnissen engagieren: für die NATO und für den sicherheitspolitischen Teil der Europäischen Union. Das erfordert unsere Sicherheit, entspricht unseren Interessen und den Erwartungen unserer Partner. Auch ist dies historisch folgerichtig, denn die Bundeswehr ist mehr als jede andere Streitmacht eine Bündnisarmee, wurde sie doch erst nach dem NATO-Beitritt Deutschlands gegründet und ist heute im Grunde vollständig in die NATO-Strukturen integriert. Praktisch heißt das: Deutschland sollte seine Funktion als Rahmennation ausbauen und den Weg bilateraler Kooperationen und Affiliationen intensiver fortsetzen. Denn nur so kann die beabsichtigte Stärkung der NATO-Ostflanke umgesetzt und können die vielen Partner unterstützt werden, die weder eine vergleichbar große strukturelle Basis noch das finanzielle Gewicht Deutschlands in die Waagschale werfen können. So wird letztendlich die faire Lastenteilung in der NATO gestärkt und einer Spaltung des Bündnisses in eine Mehrklassengesellschaft aus „großen“ und „kleinen“ Mitgliedstaaten entgegengewirkt.

Zweitens muss in der Bundeswehr zügig die Vollausstattung und Modernisierung vorangebracht werden. Deutschland hat den Standortvorteil, nicht nur umfangreiche finanzielle Mittel in seine Streitkräfte investieren zu können, sondern es besitzt auch eine breite rüstungsindustrielle Basis mit Unternehmen, die mit einigen Produkten an der Weltspitze stehen. Das muss genutzt werden, um dem Bündnis breit aufgestellte hochmoderne Streitkräfte und einige wichtige Enabler zur Verfügung stellen zu können. Dies setzt allerdings voraus, dass diese Unternehmen nicht ständig moralisch diskreditiert werden dürfen, sondern wir uns Gedanken machen müssen, wie wir sie stärken, denn ohne sie hat unsere Verteidigung keine adäquate Basis.

Dafür sind in erster Linie stetig umfangreiche Investitionen in die Bundeswehr unerlässlich – die dritte Forderung der CDU, die deswegen gemeinsam mit der CSU dem „Sondervermögen Bundeswehr“ zugestimmt, zugleich jedoch einige wichtige Punkte zur Bedingung gemacht hat und diese erfolgreich festschreiben konnte – etwa, dass es ausschließlich der Bundeswehr zugutekommt, dass die Mittelvergabe parlamentarisch von einem Sondergremium überwacht wird und dass die Schulden des Sondervermögens getilgt werden. Zentral aber ist, dass sich der Bundestag auf Initiative der Unionsfraktion im Errichtungsgesetz erstmalig selbst verpflichtet hat, der Bundeswehr dauerhaft – das heißt auch nach dem Sondervermögen – die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Folgerichtig heißt das Gesetz „Bundeswehrfinanzierungs- und Sondervermögensgesetz“. Wie notwendig diese Festlegung ist, zeigt die Finanzplanung der Ampelregierung für 2023 und die darauffolgende Mittelfristige Finanzplanung, nach der die Verteidigungsausgaben absehbar unter zwei Prozent bleiben werden. Damit bricht Bundeskanzler Olaf Scholz bereits jetzt seine Zusage aus seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022, „ab jetzt jährlich über zwei Prozent“ für Verteidigung auszugeben. Hier stehen harte politische Auseinandersetzungen bevor, denn das wird die CDU nicht akzeptieren.

Viertens ist der CDU die Wahrnehmung und Wertschätzung unserer Soldatinnen und Soldaten wichtig. Deswegen haben wir in den vergangenen Jahren unserer Regierungszeit unter anderem das kostenlose Bahnfahren für Soldatinnen und Soldaten in Uniform umgesetzt, und es waren die CDU-Ministerinnen Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer, die vehement für mehr Sichtbarkeit unserer Bundeswehr in Form von Öffentlichen Gelöbnissen außerhalb der Kasernen und für mehr Veranstaltungen mit und für die Bundeswehr gekämpft haben.

 

Das letzte Alarmzeichen?

 

Dieser Weg muss weiter beschritten werden, um zu verdeutlichen, wie wichtig, aber auch wie einzigartig der Dienst der „Staatsbürger in Uniform“ für unser Gemeinwesen ist. Zugleich geht es um eine Förderung der Reserve, denn angesichts der sicherheitspolitischen Lage kommt es wieder mehr darauf an, dass diese „Staatsbürger mit Uniform“ bereitstehen, ihren Anteil an der Verteidigung zu übernehmen.

In diesen Rahmen kann man auch die Diskussion um eine allgemeine Dienstpflicht verorten, die seit einigen Monaten erfreulicherweise wieder Fahrt aufgenommen hat. Denn vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung scheint es schwer vorstellbar, wie die vielen Personalbedarfe aller Organisationen der Verteidigung, des Zivil- und Katastrophenschutzes – und des Sozial-, Kranken- und Pflegebereiches – in Zukunft abgedeckt werden können. Der Staat sollte auf den Dienst seiner Bürgerinnen und Bürger zurückgreifen können, um unsere Gesellschaft in Krisen- und Gefahrenlagen funktionsfähig zu halten.

Neben diesen inhaltlichen Positionen der CDU steht die Forderung nach nachhaltigem und energischem Handeln an übergeordneter Stelle. Die Bedrohungen werden weiterhin bestehen. Darum ist es existenziell, dass wir jetzt dieses Alarmzeichen endlich beherzigen. Denn im immer deutlicher werdenden Systemkonflikt demokratischer und autokratischer Staaten könnte es das letzte sein.

 

Johann Wadephul, geboren 1963 in Husum, promovierter Jurist, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den Bereich Auswärtiges, Verteidigung, Interparlamentarische Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), Europarat.

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