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Nicht jeder Extremismus ist populistisch, nicht jeder Populismus extremistisch

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Wer bei Google klickt, findet – Stand Anfang Juni 2016 – für „Populismus“ 491.000 Treffer, für „Extremismus“ 434.000. Wird nach der politischen Strömung differenziert, kommt „Rechtspopulismus“ (287.000) siebenmal häufiger vor als „Linkspopulismus“ (41.000), „Rechtsextremismus“ (499.000) fast dreimal so oft wie „Linksextremismus“ (178.000). Die Diskrepanz fällt umso mehr ins Gewicht, als mit den Begriffen „Populismus“ und „Extremismus“ eher rechte als linke Erscheinungsformen gemeint sind. Diese Schieflage spiegelt weder die realen Verhältnisse in Deutschland noch in Europa noch weltweit wider. Vor einem Jahrzehnt dominierte klar der Terminus des Extremismus im Vergleich zu dem des Populismus.

Als populistisch firmiert gemeinhin eine Bewegung, die mithilfe eines Charismatikers an der Spitze „das“ als homogen geltende Volk – die „schweigende Mehrheit“ – gegen „die da oben“, die als abgehoben, wenn nicht gar „korrupt“ perzipierte Elite, ausspielt; als extremistisch gilt eine (rechte, linke, fundamentalistische) Kraft, welche die Werte der freiheitlichen Demokratie infrage stellt oder ganz abzuschaffen gedenkt. Die jeweils negativ besetzten Begriffe sind damit auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt. „Populistisch“ betrifft vor allem den Politikstil, „extremistisch“ zielt auf die „Systemfrage“. Insofern ist die verbreitete Sichtweise deplatziert, eine Partei sei etwa „zwischen extremistisch und populistisch“ einzuordnen.

 

Extremismus light?

Extremismus lehnt „Volkes Stimme“ ab, Populismus bejaht sie. Wer daraus einen reinen Gegensatz konstruiert, irrt. Denn „Volkes Stimme“ kann „Volkes Stimme“ abschaffen. Der demokratische Verfassungsstaat hingegen basiert auf der Akzeptanz unverbrüchlich geltender Prinzipien wie der Volkssouveränität und der Rechtsstaatlichkeit gleichermaßen.

Populismus ist nicht, wie oft behauptet, eine Art Extremismus light!1 Allerdings bedienen sich erfolgreiche extremistische Parteien populistischer Elemente – sie treten weniger klar gegen den demokratischen Verfassungsstaat auf. Schließlich schreckt blanker Extremismus ab: Wer für eine Renaissance des diskreditierten Faschismus oder des Kommunismus in dieser oder jener Form votiert, isoliert sich.

Es gibt in der Praxis vier, freilich nicht trennscharfe Kombinationen beider Eigenschaften (einschließlich ihrer jeweiligen Negationen) in politischen Parteien: erstens populistisch und extremistisch; zweitens populistisch und nicht-extremistisch; drittens nicht-populistisch und extremistisch; viertens nicht-populistisch und nicht-extremistisch. Der Front National mit Marine Le Pen an der Spitze ist ein Beispiel für die erste Variante, die Schweizerische Volkspartei (SVP), lange repräsentiert von Christoph Blocher, eines für die zweite, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) unter dem farblosen Frank Franz eines für die dritte. Die „alten“ Kräfte, etwa die Volksparteien (CDU, CSU, SPD), fallen in die vierte Kategorie.

Um die Verschränkung zwischen den vier Varianten an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die linkspopulistischen Züge stachen bei der Partei Die Linke früher vor allem durch das Kultivieren des Ost-West-Gegensatzes hervor, heute treten sie stärker durch das Schüren antikapitalistischer Affekte in Erscheinung. Die Linke hatte ein breites Wählerreservoir „angezapft“ und so das Aufkommen einer rechtspopulistischen Kraft zunächst verhindert. Die zunehmende Integration in das politische System, zum Beispiel durch Regierungsbeteiligungen (in Thüringen stellt Die Linke seit 2014 sogar den Ministerpräsidenten), löste eine Desintegration auf der Wählerebene aus. So lässt sich die Abwanderung eines Teiles ihrer Wählerklientel zur Alternative für Deutschland (AfD) erklären. Die Forderung nach einem Systemwechsel im Parteiprogramm von 2011 ist extremistisch, schwerlich populistisch, die Forderung, die Arbeitszeit bei gleichem Lohn auf eine Dreißig-Stunden-Woche zu verkürzen, populistisch, schwerlich extremistisch. Dies zeigt, dass sich Die Linke nicht ohne Weiteres zuordnen lässt, was auch die Variationsbreite verschiedener Zusammenschlüsse innerhalb der Partei deutlich unterstreicht: Die Kommunistische Plattform (KPF), die für die Weiterentwicklung marxistischen Gedankengutes eintritt, ist eine extremistische Kraft (ohne populistische Züge); das Forum Demokratischer Sozialismus (fds), realpolitisch und dezidiert antistalinistisch orientiert, keine extremistische (ebenfalls ohne populistische Züge).

 

Populismus international

Die Erfolge des rechten Populismus sind in Europa unübersehbar. Die Partei Viktor Orbáns – Fidesz – ist seit 2010 in Ungarn die dominierende Kraft. Und Norbert Hofer, der Kandidat der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), erreichte bei der Bundespräsidentenwahl im Juni 2016 mit 49,7 Prozent der Stimmen fast die absolute Mehrheit. Nicht zu vergessen: das Votum der britischen Bürger für einen EU-Austritt („Brexit“). Parteien wie der französische Front National (FN), die britische UK Independence Party (UKIP), die italienische Lega Nord, Geert Wilders’ „Partei für die Freiheit“ in den Niederlanden, die FPÖ, die Schweizerische Volkspartei, die „Wahren Finnen“, die norwegische „Fortschrittspartei“ und der belgische Vlaams Belang sind – mit Blick auf die Akzeptanz des demokratischen Verfassungsstaates – höchst unterschiedlich ausgerichtet, gehören daher im Europäischen Parlament verschiedenen Fraktionen an: den „Europäischen Konservativen und Reformern“ (so die Dänische Volkspartei), dem „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (so die UKIP) und dem „Europa der Nationen und der Freiheit“ (so der FN). Die Last der deutschen Geschichte und eine bewusste Erinnerungskultur im Umgang mit ihrem Leid hat in Deutschland lange die Entstehung einer erfolgreichen rechtspopulistischen Partei verhindert. Die beiden Abgeordneten der AfD im Europäischen Parlament sind nach ihrem unfreiwilligen Ausscheiden aus den „Europäischen Konservativen und Reformern“ unterschiedlichen Fraktionen beigetreten: Beatrix von Storch zog es zum von der UKIP Nigel Farages und Beppo Grillos „Fünf-Sterne-Bewegung“ dominierten „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“, Marcus Pretzell zum vom Front National beherrschten „Europa der Nationen und der Freiheit“.

Der Linkspopulismus grassiert ebenso: nicht nur bei Syriza in Griechenland, sondern auch bei der politischen Bewegung Podemos in Spanien, die bald nach ihrem Entstehen reüssieren konnte, so 2015 mit 20,7 Prozent. Sie kam trotz eines Wahlbündnisses mit den Kommunisten im Juni 2016 nur auf 21,1 Prozent. In der Slowakei ist der als Linkspopulist geltende Roberto Fico seit 2006 Ministerpräsident (mit Ausnahme der Jahre 2010 bis 2012), in Tschechien Miloš Zeman seit 2013 Staatspräsident. In Südamerika (Bolivien, Ecuador, Venezuela) bestimmen jeweils Linkspopulisten die Regierungspolitik. Die Gründe für die Erfolge populistischer Kräfte sind vielfältig. Eine wesentliche Ursache ist die „Konsenspolitik“, die eine Repräsentationslücke zumal am rechten Rand offenbart. Die Kraft des Populismus mit seiner scharfen Kritik an der Europäischen Union (EU), an der Flüchtlingspolitik, am Islam(ismus), am „Neoliberalismus“ und an der Globalisierung fußt auf ökonomisch wie kulturell bedingten Ursachen. Das Elektorat besteht überproportional aus sozial schwächer Gestellten, die den gesellschaftlichen Wandel (etwa in der Familienpolitik) nicht goutieren. Sozio-ökonomisch linker und sozio-kulturell autoritärer ausgerichtet als das etablierte Parteienspektrum, begehren Personen, die sich vor allem als Modernisierungsverlierer begreifen, gegen einen Elitenkonsens auf. Rechts- (fixiert auf Antiimmigration) und Linkspopulismus (fixiert auf Antifaschismus) weisen Affinitäten auf – in den Feindbildern (USA, EU, Kapitalismus) und in der Art, wie ihre politischen Ziele beworben werden: durch Versprechungen mit Blick auf das Füllhorn sozialer Wohltaten. Extremismus muss das nicht sein.

 

Missverstandener Kampfbegriff?

Beide Begriffe – extremistisch wie populistisch – haben ihre Berechtigung, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Ein demokratischer Verfassungsstaat hat Feinde, sei es in offener, sei es in verdeckter Form. Dies muss zur Sprache gebracht werden. Wer solche Kräfte als extremistisch bezeichnet, stigmatisiert sie nicht. Die Grenze zwischen Extremismus und demokratischen Haltungen ist nicht immer scharf zu ziehen, aber die Frage nach der Akzeptanz von Menschenrechten, von Pluralismus und Gewaltenteilung bietet einen Maßstab. Beim schillernd-schwammigen Begriff des Populismus sind die Kriterien hingegen weniger klar. Wer ihn ubiquitär gebraucht, missversteht ihn als Kampfbegriff etablierter Kräfte gegen nicht-etablierte. Fair wäre es, eine Partei als populistisch und nicht-extremistisch gleichermaßen zu bezeichnen, sofern beides zutrifft. In der Politik, der Publizistik und auch in der Politikwissenschaft kommt es oft zu einer unangemessenen Vermengung von (Rechts-)Populismus und (Rechts-)Extremismus.2

Kein Extremist bezeichnet sich als Extremist, kaum ein Populist als Populist – nicht zuletzt deswegen, weil die Begriffe negativ konnotiert sind. Gewiss, Populisten betreiben „Politik mit der Angst“3, aber wer alarmistisch vor Populisten jedweder Richtung warnt und den Begriff damit überdehnt, betreibt ebenso „Politik mit der Angst“. Insofern vermag der grassierende Anti-Populismus in gewisser Weise ebenso populistische Züge zu tragen. Der Extremismus, ob nun populistisch unterfüttert oder nicht, kann eine Gefahr für den demokratischen Verfassungsstaat sein, der Populismus ohne extremistische Elemente „nur“ eine Gefahr für die „etablierte“ politische Konkurrenz. Wer bei ihm sofort den demokratischen Verfassungsstaat in Gefahr sieht, lässt Souveränität missen.

Um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Der rückläufige Gebrauch des Extremismusbegriffes ist für eine offene Gesellschaft ebenso wenig förderlich wie die Akzeptanz der Schieflage bei der Einschätzung rechter und linker Gefahren. Die Zunahme der Verwendung des Populismusbegriffes hingegen kennzeichnet eine gewisse Sorglosigkeit im Umgang mit Worten. Extremismus muss kein bloß altes Phänomen sein, Populismus nicht nur ein neues.

 

Eckhard Jesse, geboren 1948 in Wurzen, von 1993 bis 2014 Inhaber des Lehrstuhls „Politische Systeme, Politische Institutionen“ an der Technischen Universität Chemnitz. Hrsg. des Jahrbuchs Extremismus & Demokratie seit 1989.


1 Vgl. Jan-Werner Müller: Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin 2016.
2 Vgl. etwa Frank Decker / Bernd Hennigsen / Kjetill Jakobsen (Hrsg.): Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Europa. Die Herausforderung der Zivilgesellschaft durch alte Ideologien und neue Medien, Baden-Baden 2015.
3 So Ruth Wodak: Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse, Wien/Hamburg 2016.

 

Weiterführende Literatur

Werner J. Patzelt /Joachim Klose: PEGIDA. Warnsignale aus Dresden, Thelem Verlag, Dresden 2016, 672 Seiten, 22,00 Euro.

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