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Innovation als Schlüssel für Klimaneutralität und Wachstum

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Die Corona-Pandemie verstärkt die Megatrends, die wir seit Langem wahrnehmen; angefangen bei der Digitalisierung über die Flexibilisierung der Arbeitswelt bis zum Aufstreben Chinas, und sie wirft ein erhellendes Licht auf den Klima- und Umweltschutz. Auch wenn Deutschland aufgrund der pandemiebedingt niedrigeren Emissionen seine Klimaziele 2020 erreicht hat, wird mehr als zuvor deutlich, welche Folgen Verbote, Verzicht und Beschränkung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens aus Gründen des Klimaschutzes hätten. Während der Krise konnten wir weltweit zwar einen Rückgang der Emissionen um sieben Prozent und um zehn Prozent in Deutschland verzeichnen. Die Gegenfrage lautet jedoch: Was ist mit den restlichen neunzig Prozent? Um einen Großteil der Emissionen abzusenken, brauchen wir nicht Restriktionen, sondern Innovationen, die eine Überführung unseres bisherigen Wirtschaftens als Grundlage für unseren Wohlstand in eine klimaneutrale Zukunft ermöglichen. Die Chancen sind enorm: Durch eine konsequente Fokussierung auf Klimainnovationen könnten 802 Milliarden Euro zusätzliche Bruttowertschöpfung in Europa und 11,6 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.1

Als vor gut 250 Jahren mit der Erfindung der Spinnmaschine „Spinning Jenny“ in England die Industrielle Revolution begann, benötigte man plötzlich nur noch einen Menschen und eine Maschine; für die gleiche Produktionsmenge waren zuvor vier bis acht Menschen erforderlich. Die enorme Effizienzsteigerung, die mit dieser und vielen weiteren Innovationen einherging, führte dazu, dass die Arbeit einfacher, diversifizierter und von einzelnen Arbeitskräften entkoppelt wurde.

Für das Ziel, Klimaneutralität bis 2050 in Europa zu erreichen und die vom Menschen verursachte Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad Celsius weltweit zu beschränken, benötigen wir viele „Spinning-Jenny“-Durchbrüche; angefangen bei Grünem Stahl über schwimmende Photovoltaik- und Windkraftanlagen, klimaneutralen Zement, marktfähigen grünen Wasserstoff und Lösungen für negative Emissionen bis hin zur digitalen Transparenz von CO2-Emissionen und einer vollständigen Kreislaufwirtschaft. Die Hälfte der im Jahr 2050 zusätzlich zu den aktuellen politischen Plänen notwendigen Emissionseinsparungen muss durch Innovationen erfolgen, die heute noch keine Marktreife erreicht haben.2 Es ist jetzt der Zeitpunkt, um umgehend verlässliche und technologieoffene Rahmenbedingungen zu schaffen, zumal Investitionszyklen weit über 2050 hinausgehen. So ist ein Hochofen durchschnittlich fünfzig, ein Zementofen sechzig und ein Steamcracker (Dampfspalter in der Petrochemie) sogar bis zu siebzig Jahre in Betrieb. Deshalb müssen wir jetzt die notwendigen technologischen Sprünge mit Nachdruck vorantreiben und Innovationszyklen verkürzen.

Für den Weg dorthin brauchen wir einen neuen Rahmen durch die Weiterentwicklung eines weiteren Erfolgsmodells: der Sozialen Marktwirtschaft. Entwickelt mit dem Gedanken, dass Märkte, die unmittelbar für Individuen und Unternehmen Anreize zum Erlangen von Wohlstand setzen, das beste Modell für eine prosperierende Wirtschaft und Gesellschaft sind und dass zugleich unerwünschte Nebenwirkungen eines ungezügelten Kapitalismus verhindert werden müssen, sieht die Soziale Marktwirtschaft Leitplanken vor, innerhalb derer die Kräfte des Marktes ihre Wirkung entfalten können. Sie müssen für den Klimaschutz neu gezogen werden. Wir brauchen die Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft.

Was bedeutet das konkret? Wir müssen die Kosten für Umwelt, Gesundheit und Menschheit, die klimaschädliches Wirtschaften hat, internalisieren, damit sie mit Preissignalen vorweggenommen werden, um so klimafreundliches Wirtschaften und Verhalten ökonomisch anzureizen. Dies bedeutet zudem, dass wir dort, wo dieser klimafreundliche Markt allein (noch) nicht die nötigen Anreize zum Erreichen von Klimaneutralität setzt, mit einem intelligenten und zielgerichteten Mix aus Fördermaßnahmen und Regulierung unterstützend eingreifen. Erforderlich ist dies nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes, sondern auch, um die soziale Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen sicherzustellen und die Umbrüche etwa in den Strukturwandelregionen zu begleiten.

Die Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft muss dabei die Grundlage einer weitsichtigen Innovationsund Investitionsstrategie für nachhaltiges Wirtschaftswachstum bilden, denn derjenige, der die effizientesten und vielversprechendsten Innovationen für Klimaschutz entwickelt, wird auf den klimaneutralen Märkten der Zukunft einen Wettbewerbsvorteil haben. Deutschland und Europa sind in einer guten Ausgangslage. Unser Ziel sollte nichts weniger als die Technologieführerschaft bei Klimainnovationen sein. Produkte made carbon free in Germany können der nächste Exportschlager unserer Volkswirtschaft werden.

 

Emissionshandel als Leitinistrument

 

Mit dem European Green Deal der Europäischen Union (EU) im Juni und der Klimakonferenz in Glasgow im November ist 2021 ein Schlüsseljahr für den Klimaschutz. Das Herzstück einer jeden Strategie muss das CO2-Preissignal sein, um sowohl Wachstum als auch technologischen Fortschritt effizient in eine klimaneutrale Richtung zu lenken: Klimainnovationen werden angereizt und zugleich Einnahmen zur Begleitung des Transformationsprozesses generiert. Mit dem Europäischen Emissionshandel (ETS) und dem deutschlandweiten, seit dem 1. Januar 2021 bestehenden Emissionshandel für Wärme und Verkehr sind die ersten Schritte vollzogen. Auch die Effektivität des Instruments ist bewiesen, denn vor allem der ETS sorgt dafür, dass die fossilen Energien sukzessive aus dem europäischen Markt in den Bereichen Energie und Industrie verdrängt werden.

Unser vorrangiges Ziel muss sein, ein europäisches marktwirtschaftliches CO2-Preissignal so schnell wie möglich auch in den Sektoren Wärme und Verkehr zu etablieren. Der Aufbau eines zweiten Emissionshandels für diese Bereiche ist dabei ein Zwischenschritt mit Blick auf die sektoral unterschiedlichen CO2-Vermeidungskosten und sollte mit einem klaren Fahrplan zu einer am Ende einheitlichen, alle Sektoren umfassenden CO2-Bepreisung versehen werden. Das zweite Ziel ist ein grenzüberschreitendes, handelsrechtskonformes CO2-Preissignal der EU mit anderen Staaten, die bereits einen CO2-Preis haben oder hierfür die Grundlage geschaffen haben, wie die USA, Großbritannien, China, Japan, Kanada, Mexiko oder Korea, auf dem Weg zu einem idealiter globalen CO2-Preis. Ein Knackpunkt ist jedoch das sogenannte Carbon Leakage, die Gefahr also, dass Industrien, die der CO2-Bepreisung unterliegen, ins Ausland abwandern oder schließen, da sie gegenüber Unternehmen, die nichts oder deutlich weniger zahlen müssen, einen Wettbewerbsnachteil erleiden. Solange es keine globale CO2-Bepreisung gibt, gilt es, Carbon Leakage durch begleitende Maßnahmen zu verhindern. Ein mögliches Instrument ist der von der Europäischen Union vorgeschlagene CO2-Grenzausgleich, in der Praxis sind jedoch viele Fragen der Machbarkeit und auch der Vereinbarkeit mit dem Handelsrecht völlig offen. Das zeigt auch, dass die CO2-Bepreisung allein kein Allheilmittel, sondern das marktwirtschaftliche Leitinstrument in einem breiteren Instrumentenmix ist.

 

Erneuerbare Energien sind fundamental

 

Der Ausbau der erneuerbaren Energien, die künftig für jegliche Anwendungen benötigt werden, ist die Grundlage für das Gelingen der Energiewende. Wir werden erneuerbare Energien für Wärme und Mobilität, für industrielle Prozesse sowie die Produktion von klimaneutralem Wasserstoff und alternativen Kraftstoffen benötigen. Die Notwendigkeit großer Mengen erneuerbarer Energien ist fundamental und steht nicht mehr zur Debatte. Stattdessen müssen wir den Rahmen für den künftigen Zubau diskutieren. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) hat als Instrument seine Aufgabe erfüllt und erneuerbare Energien im Stromsektor etabliert. Ihr Marktanteil beträgt bereits jetzt über 45 Prozent am Bruttostromverbrauch.3 Die EEG-Differenzkosten betrugen zwischen 2000 und 2020 rund 240 Milliarden Euro. Anreize für Innovationen setzt das Instrument bis heute zu wenige. Einer der ersten Schritte der neuen Bundesregierung wird es sein müssen, einen Fahrplan für einen schrittweisen Ausstieg aus dem EEG vorzulegen, der gleichzeitig eine Refinanzierung über den Markt ermöglicht. Dies muss eingebettet werden in eine breite, konsequent auf CO2 ausgerichtete Reform von Steuern, Abgaben, Umlagen und Entgelten, die längst überfällig ist. Das Leitprinzip sollte auch hier sein: Klimaschützendes Wirtschaften und Verhalten muss sich lohnen.

Parallel müssen Rahmenbedingungen entwickelt werden, die vor allem dort Investitionssicherheit bieten, wo die CO2-Bepreisung als Anreiz zunächst nicht genügt. Auch dies ist neben der Schaffung von benötigter Infrastruktur ein Feld, auf dem der Politik absehbar eine Verantwortung zukommt, die jedoch zeitlich beschränkt werden sollte. Ein in anderen europäischen Staaten bewährtes Instrument sind Differenzverträge. Dabei bezahlt der Staat Unternehmen für eine Übergangszeit die Differenzkosten für Investitionen in klimafreundliche Technologien, die sich – wegen noch unzureichender CO2-Preise – betriebswirtschaftlich noch nicht rechnen. Auch dieses Instrument kann nur einen Zwischenschritt darstellen, der beim weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere bei Nutzung von Offshorewindparks, aber auch beim Einsatz von Wasserstoff in der Industrie, nötig sein wird. Dabei müssen wir aber von Beginn an ein Ablaufdatum oder eine degressive Ausgestaltung und eine Koppelung an ansteigende CO2-Preise sicherstellen und weitere Schritte in einem Fahrplan Richtung vollends marktbasierter Refinanzierung vorzeichnen.

Dem, was erneuerbare Energien erreichen können, sind jedoch Grenzen gesetzt. Ihre Erzeugung ist volatil und von Verbrauchsverhalten und -orten meist entkoppelt, wofür neben konsequenter Digitalisierung ein beschleunigter Netzausbau, klimaneutrale Back-up-Kapazitäten und Speicher Lösungsbausteine sind. Hinzu kommen industrielle Prozesse wie die Stahlproduktion, die schlicht nicht elektrifiziert werden können. Grüner Wasserstoff ist der erneuerbare Energieträger, ohne den die Dekarbonisierung von Stahl- und Chemieproduktion, von Luft- und Schwerlastverkehr undenkbar ist. Mit den Wasserstoffstrategien der Bundesregierung und der Europäischen Union sind die ersten Schritte getan. Als Nächstes kommt es auf die konkrete Ausgestaltung des Rahmens an, der das Entstehen eines Marktes für klimaneutralen Wasserstoff über die gesamte Wertschöpfungskette ermöglicht. Ein wettbewerbsfähiger Wasserstoffmarkt in Deutschland und eine nationale Wasserstoffwirtschaft sind Grundvoraussetzung dafür, dass Deutschland in diesem Bereich die Technologieführerschaft übernehmen kann, insbesondere, weil es seinen Bedarf an Wasserstoff nicht selbst decken können wird.4

Die Botschaft ist eindeutig: Klimaschutz bedeutet weder ein Bereuen von Wirtschaftswachstum noch Verzicht, sondern ist der nächste Schritt, den wir gehen müssen. Genauso wie „Spinning Jenny“ einen komplexen Prozess vereinfachte, brauchen wir heute Innovationen, die uns auf dem Weg zur Klimaneutralität voranbringen. Jetzt gilt es, umsetzungsfähige und gesellschaftlich tragfähige Lösungsansätze vorzulegen, die auf die Dynamik von Wettbewerb und Innovation setzen, damit uns diese Transformation, die in der europäischen Wirtschaftsgeschichte ihresgleichen sucht, auch gelingt.

 

Bernd Weber, geboren 1985 in Starnberg, Gründer und Geschäftsführer, EPICO KlimaInnovation, Berlin.

 

1 Capgemini Invent: „FIT FOR NET-ZERO: 55 Tech Quests to accelerate Europe’s recovery and pave the way to climate neutrality“, 2020, www.capgemini.com/wp-content/uploads/2020/10/ Net-zero-main-report-2020.pdf [letzter Zugriff: 25.03.2021].

2 International Energy Agency: Clean Energy Innovation. Part of Energy Technology Perspectives. Flagship report, Juli 2020, www.iea.org/reports/clean-energy-innovation [letzter Zugriff: 25.03.2021].

3 Umweltbundesamt: Erneuerbare Energien in Deutschland. Daten zur Entwicklung im Jahr 2020, Dessau-Roßlau 2021, www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/ 2021_hgp_erneuerbareenergien_deutsch_bf.pdf [letzter Zugriff: 25.03.2021].

4 Fraunhofer: Eine Wasserstoff-Roadmap für Deutschland, Karlsruhe/Freiburg 2019, www.ise. fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/publications/studies/2019-10_Fraunhofer_ Wasserstoff-Roadmap_fuer_Deutschland.pdf [letzter Zugriff: 25.03.2021].