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Euro- und Weltgenesung auf Schwäbisch?

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Ist Sparsamkeit eine Tugend? Und ist diese Tugend wirklich schwäbisch? Müssen am vermeintlich schwäbischen Wesen Europa und die Welt genesen? Oder stürzt die deutsche Austeritätspolitik mit ihrem vorgeblich hegemonialen Tugendanspruch alle Volkswirtschaften in den Abgrund, wie es unisono aus der angelsächsischen Wirtschaftspresse, aus den Mündern der Neo-Keynesianer in der globalen Ökonomenzunft und der öffentlichen Meinung in den Euro-Krisenländern tönt?

Es ist schon erstaunlich, welche Wirkung es entfaltete, dass sich eine Frau aus Templin in Brandenburg – eigentlich also keine Schwäbin und als Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland wohl eher selten Hausfrau – in einer CDU-Parteitagsrede im Dezember 2008 in Stuttgart mit einem kurzen Zitat auf die Sparsamkeitstugenden der ominösen „schwäbischen Hausfrau“ berief: „Es geht nicht gut, wenn man auf Dauer über seine Verhältnisse lebt!“

Seither hat „the swabian housewife“ in den Sprachschatz der internationalen Politik und der Medien Einzug gehalten. In der Verknüpfung mit dem nicht selten beschworenen Schreckensbild von Angela Merkel als eiserner Kanzlerin, die dominant und unnachgiebig deutsche Sparauflagen durchsetze, ehe den Eurokrisenländern solidarisch geholfen werde, weckt inzwischen auch die tugendhafte schwäbische Hausfrau im Ausland alles andere als positive Assoziationen. Im Inland können die Oppositionsparteien, allen voran Sozialdemokraten und Grüne, allerdings nicht wirklich Honig aus den antischwäbischen Vorurteilen im europäischen Ausland saugen, weil sie im Deutschen Bundestag die Euro-Rettungsstrategie der Kanzlerin – trotz mancher verbaler Absetzversuche – seit Jahren treu und brav mittragen.

 

Der schwäbische Hausmann ist ein Badener

Im Feuer der Kritik steht nicht erst seit der chaotischen Zypern-Rettung der Majordomus der Bundesregierung, der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. Denn er scheint es zu sein, der in den vielen nächtlichen Krisensitzungen der Euro-Finanzminister die schwäbischen Sparsamkeitsauflagen seiner Kanzlerin exekutiert, mit denen Deutschland die Euro-Partner als Gegenleistung für Rettungsmilliarden, je nach Sichtweise, traktiert oder diszipliniert. Dabei kann Schäuble, obwohl auch er kein Schwabe, sondern Badener ist – was im Trennungsstrichland Baden-Württemberg immer noch einen erheblichen landsmannschaftlichen Unterschied ausmacht –, angesichts der jüngsten deutschen Haushaltsdaten als wahrer

„schwäbischer Hausmann“ in Europa auftrumpfen. Denn Deutschland ist auf dem besten Weg, sein strukturelles Defizit im kommenden Jahr auf null zu reduzieren, wenn man die letzte Einlagentranche für den europäischen Rettungsschirm (4,5 Milliarden Euro) herausrechnet und die Zahlen um konjunkturelle Einflussfaktoren bereinigt.

Aber verlassen wir die regionalen Flapsigkeiten! Schwaben sind nicht per se sparsamer als andere Volksstämme in Deutschland. Sie sind sicher unternehmungslustig und innovativ, was die starke Stellung unzähliger mittelständischer Betriebe im Ländle erklärt. Sie räumen der Eigentumsbildung einen hohen Rang ein, obwohl sie diese Neigung nicht allein für sich gepachtet haben. Auch in anderen Regionen Deutschlands wohnen viele Menschen im Eigentum, erst recht in anderen Teilen Europas. Wer Eigentum bildet, hat das Ansparen verinnerlicht und weiß um die jahrelange Einschränkung des Konsums durch die monatlichen Raten für das eigene Haus.

 

Mittelständler sterben stille Tode

Nicht nur die schwäbischen Frauen und Männer kennen und leben ein Grundprinzip unserer Wirtschaftsordnung: Verantwortung und Haftung. Beim Durchschnittsschwaben steht kein Politiker als Helfer auf der Matte, wenn er mit seinen Raten für das Eigenheim in Verzug gerät. Der mittelständische Betrieb in Ravensburg, Gerlingen oder Heidenheim stirbt, wenn sein Geschäftsmodell nicht mehr trägt, einen stillen Tod. Politik und Medien nehmen kaum Notiz, während sie bei drohenden Großpleiten immer wieder in Versuchung geraten, dem schlechten Geld gutes Geld hinterherzuwerfen. Selbst Versandhauskataloge wurden in Wahlkampfzeiten ja schon mit Steuergeldern gedruckt, um die Insolvenz über den Wahltag hinaus zu verschleppen.

Sparen und Investieren sind die zwei komplementären Seiten einer Volkswirtschaft. Das gilt im Schwäbischen wie auf der ganzen Welt. Wenn Menschen nicht ständig Teile ihres erwirtschafteten Einkommens ansparen, um damit etwa für die Lebensrisiken Alter, Krankheit und Pflege vorzusorgen, dann können andere Menschen sich kein Geld ausleihen, um es produktiv zu investieren, aber auch um Güter zu konsumieren, die sie sich nicht erst leisten wollen, wenn sie das gesamte Kapital dafür beisammenhaben. Für das Sparen gibt es in der Regel Habenzinsen, für die Kreditausleihungen zahlt man als Schuldner Sollzinsen. Auf diesem Geschäftsmodell basiert das klassische Bankgeschäft.

 

Geld im Banktresor – nicht bombensicher

Als Anleger kann man natürlich auch in Geschäftsanteile investieren, mit Aktien Anteile von Unternehmen erwerben und damit sein Kapital ertragreich mehren, aber auch verlieren. Dass man aber auch als solider Normalsparer sein Geld bei der Bank nicht bombensicher im Tresor bunkert und dafür Zinsen kassiert, sondern mit der eingezahlten Summe in Wirklichkeit zum Gläubiger seiner Bank wird und mithaften muss, wenn diese pleitezugehen droht, hat das Beispiel Zypern ja hoffentlich drastisch vor Augen geführt.

Voraussetzung für das langfristige Funktionieren dieser Anlage- und Investitionsmechanismen ist eine seriöse Risikobewertung. Wer auf hohe Gewinne spekuliert, läuft in einer funktionierenden Wirtschaftsordnung eben Gefahr, dass sich die Kehrseite einer hohen Gewinnchance, nämlich der Totalverlust, auch zulasten des Spekulanten materialisieren kann. Der Totalverlust ist die schärfste Waffe im Kapitalismus. Nur da, wo die Haftung für selbst eingegangene Risikowetten von den Wirtschaftssubjekten, aber auch ganzen Staaten, übernommen werden muss, lässt sich der Casino-Kapitalismus wirksam zügeln.

Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste! Dieses in der Finanz- und Eurokrise vielfach praktizierte Modell widerspricht fundamental der marktwirtschaftlichen Logik – und ganz sicher auch dem Verantwortungsgefühl jeder schwäbischen Hausfrau.

 

„There ain’t no such thing as a free lunch”

Es gibt keine wundersame Geldvermehrung. Oder, um es mit Milton Friedman in einer Sprache zu sagen, die jeder Investmentbanker eigentlich verstehen müsste: „There ain’t no such thing as a free lunch” (sinngemäß übersetzt: „Man bekommt nichts geschenkt!“). Verteilt werden kann nur, was vorher erwirtschaftet wurde. Das war das Credo Ludwig Erhards, des Vaters der Sozialen Marktwirtschaft, eines in Franken geborenen und aufgewachsenen Mannes, der allerdings fast zweieinhalb Jahrzehnte lang den schwäbischen Wahlkreis Ulm direkt für die CDU gewann.

Als ich vor Jahren in Hamburg bei einer Investorenkonferenz einer US-Investmentbank sprach, formulierte der Vertreter des Veranstalters in seiner Anmoderation einen Satz, der sich mir bleibend einprägte: „Dauerhafte Renditeversprechungen von mehr als zehn Prozent, wie uns die Akteure auf den globalen Finanzmärkten vorgaukeln, sind auch im Kapitalismus nichts anderes als Diebstahl!“

 

Staatsbankrotte: kein neues Phänomen

Wer privat versucht, auf Dauer auf Pump zu leben, ist schnell bankrott. Staaten, die auf Pump leben, sind sehr lange kreditwürdig. Solange sie zulasten der Steuerzahler ihren Zinsverpflichtungen nachkommen, finden sie Geldgeber. Doch auch hier geht der Krug nur so lange zum Brunnen, bis er bricht. Staatsbankrotte gab es wie Bankencrashs zu allen Zeiten, die aktuellen Solvenzprobleme in der Eurozone sind kein neues Phänomen der Euro-Ära.

Dramatisch wurde eine andere Entwicklung. Die bisher praktizierte Euro-Rettung setzte die Haftungsprinzipien, für die „Maastricht“ als Metapher stand, faktisch außer Kraft. Der ordnungspolitische Kern kulminierte in der No-Bail-out-Botschaft: Kein Staat haftet für die Schulden eines anderen Euro-Mitgliedslandes.

Doch spätestens seit Deutschland und Frankreich 2003 die Maastricht-Kriterien nicht einhielten, spekulierten die Geldgeber Griechenlands, Portugals, Spaniens, Irlands oder Zyperns gegen diesen Leitsatz. Denn sonst hätten sie wohl kaum viele Jahre lang den nicht wettbewerbsfähigen europäischen Volkswirtschaften zu nahezu den gleichen Zinssätzen Geld leihen können wie etwa Deutschland. Oder als Anlageparasiten von hohen Zinserträgen und niedrigen Steuersätzen in europäischen Steueroasen profitieren können.

Konsequent wäre es gewesen, die Gläubiger in Haftung zu nehmen – ob es europäische und globale Banken waren, Hedgefonds oder vermögende Superreiche. Aber das wagten die Regierungen angesichts des heillos ins Trudeln geratenen Weltfinanzsystems nicht. Das Menetekel der Lehman-Pleite stand allen vor Augen. Hinzu kam, dass es bis heute keine Insolvenzordnung für Staaten in Europa gibt oder gar Exitstrategien aus der Eurozone.

 

Menetekel Lehman-Pleite

So geschah es, dass die europäischen Steuerzahler, allen voran die deutschen, in die Haftung eintraten. Zwar wurden die Krisenstaaten vor der Pleite bewahrt, doch wie wenig war dadurch in der Wahrnehmung der Bevölkerung gewonnen, wenn nun Lohn- und Rentenkürzungen, Abbau vieler Sozialleistungen, Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit über sie kamen.

Die Schuldige für diese Grausamkeiten war von Zypern über Griechenland bis Italien allzu schnell gefunden: Angela Merkel, Verfechterin schwäbischer Hausfrauentugenden!

 

Eine solide Finanz- und Wirtschaftspolitik ist Gift für Finanzjongleure

Die politische Linke in Europa – und nicht nur sie – attackiert die deutsche Austeritätspolitik, die Europa in die Rezession zwinge. Neo-keynesianische angelsächsische Ökonomen vom Schlag eines Paul Krugman fordern wie eh und je exzessive staatliche Ausgabenorgien und witzeln über die „schwäbische Hausfrau“ im Berliner Kanzleramt. Dabei ist gerade eine solide Finanz- und Wirtschaftspolitik Gift für die Finanzjongleure dieser Welt. Marktwirtschaftliche Grundprinzipien wie Verantwortung und Haftung, unternehmerische Freiheit und fairer Wettbewerb, aber auch dauerhafte Geldwertstabilität, die auf solider Geldmengensteuerung unabhängiger Notenbanken und nicht auf grenzenloser Geldschöpfung durch die Notenbankpresse beruht, scheuen sie wie der Teufel das Weihwasser. Vielleicht markiert das Zypern-Rettungspaket, trotz mancher Irritationen bei den Kleinsparern, einen Wendepunkt bei der bisher praktizierten Lastensozialisierung. Hier sind die Geldgeber der Banken, vor allem die solventen, endlich einmal in Mithaftung genommen worden. Wer über Jahre hinweg mit seinen Geldanlagen in der Steueroase Zypern profitiert hat, ist jetzt mit mindestens vierzig Prozent Verlust dabei. Das nenne ich eine faire Risikoprämie, die jede schwäbische Hausfrau sicher zustimmend zur Kenntnis nimmt.

Es braucht in diesen Tagen Mut, „Swabian“ zu sein. Aber den sollte sich niemand nehmen lassen.

Oswald Metzger, geboren 1954 in Grabs (Schweiz), freier Publizist und Politikberater, heute Mitglied der Christlich-Demokratischen Union.

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