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Zu der enormen ökonomischen und popkulturellen Macht von „Bytedance“

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Der chinesische Softwareentwickler Zhang Yiming hat 2012 eine Idee. Er will eine Informationsplattform aufbauen, die ihren Nutzern mithilfe Künstlicher Intelligenz Nachrichten verschiedener Quellen auf die persönlichen Interessen zugeschnitten zusammenstellt. Toutiao nennt er die App, zu Deutsch: „Schlagzeilen von heute“. Toutiao gibt es heute immer noch, genau wie das dahinterstehende, von Zhang Yiming gegründete Unternehmen ByteDance. Internationale Schlagzeilen verursacht aber vor allem eine andere von ByteDance aufgebaute Plattform: TikTok.

2016 veröffentlicht ByteDance unter dem Namen Douyin eine Internetplattform für Kurzvideos – zunächst ausschließlich für den chinesischen Markt. 2017 bringt der Konzern das Konzept fast identisch mit der Marke TikTok ebenfalls auf den internationalen Markt. Den Durchbruch bringt 2018 vor allem die Übernahme des im Westen deutlich weiter verbreiteten Wettbewerbers Musical.ly aus Shanghai. Nutzer können wie beim Karaoke ihre Lippen zu Songs bewegen und Videoclips davon hochladen. 2018 investiert auch der legendäre japanische Technologieinvestor Softbank drei Milliarden Dollar in ByteDance. Inzwischen sind auch amerikanische Investoren wie die börsennotierte Beteiligungsgesellschaft KKR (früher Kohlberg Kravis Roberts & Co.) beteiligt.

Rasend schnell wird die Plattform auf der ganzen Welt vor allem bei jungen Menschen populär. Im Februar 2025 verzeichnete TikTok weltweit 1,59 Milliarden monatlich aktive Nutzer. Hinzu kamen 766 Millionen Nutzer der chinesischen TikTok-Version Douyin. Zusammengerechnet nutzen damit mehr Menschen TikTok regelmäßig als WhatsApp oder Instagram.[1] Der Abstand zu den noch größeren Plattformen YouTube und Facebook ist in den vergangenen Jahren geschmolzen. Auch in Deutschland ist die Plattform sehr beliebt. Im Oktober 2023 verkündete TikTok, 20,9 Millionen Menschen in Deutschland seien monatlich auf TikTok aktiv.[2] Die Plattform steht vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen hoch im Kurs. In einer Erhebung aus dem Jahr 2022 gab über die Hälfte der befragten 14- bis 19-Jährigen in Deutschland an, TikTok zumindest zum Ansehen von Inhalten zu nutzen.

TikToks Erfolg hängt maßgeblich mit seinem neuartigen Empfehlungsalgorithmus zusammen, der für eine hohe Verweildauer sorgt – und damit die Plattform umso lukrativer für Werbetreibende macht. Schätzungsweise neunzig Minuten verbringen TikTok-Nutzer täglich in der App. Sie ist weder so textlastig wie Facebook noch so kuratiert wie Instagram während des Aufstiegs von TikTok, als die App noch hauptsächlich als digitales Fotoalbum fungierte. Die Clips dürfen maximal zehn Minuten lang sein; die beliebtesten Videos dauern jedoch üblicherweise weniger als eine Minute. Meist sind sie schnell geschnitten, mit witzigen oder informativen Texten versehen und mit angesagter Musik unterlegt.

 

Milliardenschweres Ökosystem

Revolutionär ist vor allem die sogenannte For You Page, ein vom Algorithmus gesteuerter endloser Strom von Tanzvideos, Schminktipps, Kochrezepten und Comedyclips, die sich so lange wiederholen, bis die Nutzer weiterwischen. Anders als damals Facebook und Instagram konzentrieren sich die Empfehlungen des TikTok-Algorithmus weniger auf das persönliche Netzwerk von Nutzern, sondern spielen unabhängig vom Ersteller der Videos Inhalte an Personen aus, deren Interaktionsverhalten auf Interesse schließen lässt. Inzwischen haben Instagram und YouTube das Konzept mit den sogenannten Reels beziehungsweise Shorts längst kopiert. Wie genau der Algorithmus funktioniert, ist nicht bekannt. Doch durch die starke Personalisierung konnten und können auf TikTok auch bislang unbekannte Videoersteller sehr schnell „viral“ gehen und somit rasant eine große Gefolgschaft aufbauen. TikTok hat sich auf diese Weise zu einer popkulturellen und ökonomischen Macht entwickelt. Einige Investoren beziffern den Wert von ByteDance inzwischen mit 400 bis 450 Milliarden Dollar.[3] Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen einen Umsatz von 155 Milliarden Dollar erwirtschaftet – 29 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Nettogewinn lag bei rund 33 Milliarden Dollar.[4] Zum Vergleich: Der Umsatz des Facebook-Konzerns Meta lag 2024 bei 164,5 Milliarden Dollar. Um die Plattform herum hat sich inzwischen ähnlich wie bei anderen Social-Media-Plattformen ein milliardenschweres Ökosystem aus Erstellern von Inhalten, Agenturen und Werbepartnern entwickelt. Viele der TikTok-Stars sind schon als Teenager berühmt geworden und verdienen inzwischen Millionen. ByteDance-Gründer Zhang Yiming gilt heute als einer der reichsten Menschen Chinas.

Der indirekte ökonomische Einfluss TikToks zeigt sich beispielsweise in der Musikindustrie. Der Country-Rap-Song „Old Town Road“ des US-amerikanischen Rappers Lil Nas X ging zunächst auf TikTok viral und wurde dann zum Welthit, dasselbe gilt beispielsweise für den Techno-Mix von „Vois sur ton chemin“ des deutschen DJ BENNETT. 84 Prozent aller Songs, die im Jahr 2024 in den Billboard Global 200 einstiegen, gingen zuerst auf TikTok viral.[5] Musikunternehmen setzen daher gezielt darauf, Ausschnitte von Songs schon vor der Veröffentlichung des kompletten Werkes auf TikTok zu platzieren. Teils planen die Labels auch eigene Tänze oder andere Choreografien für die Songs, die möglichst viral gehen sollen. Auch jahrzehntealte Songs erlebten durch TikTok-Hypes in den vergangenen Jahren ein Comeback, darunter „Dreams“ von Fleetwood Mac, Boney M.s „Rasputin“ oder „Forever Young“ von Alphaville. Wo viel Geld im Spiel ist, kommt es oft zu Streit. Immer wieder gibt es Auseinandersetzungen zwischen TikTok und der Musikindustrie.

 

Aufrufe zu Selbstmord, Terrorpropaganda und „Challenges“

Der Erfolg hat seine Schattenseiten. Viele wissenschaftliche Studien kommen zu dem Schluss, dass der TikTok-Algorithmus süchtig machen kann – und dass Jugendliche bei exzessiver Nutzung signifikant öfter unter Depressionen, Stress, Schlafproblemen und schlechteren Schulnoten leiden.[6] Hinzu kommt die Verbreitung gefährdender Inhalte, die – etwaige Moderationsmaßnahmen umgehend – viele Minderjährige erreichen: Aufrufe zum Selbstmord, zu Terrorpropaganda oder zu den berühmten „Challenges“, bei denen junge Menschen beispielsweise schon reihenweise giftige Waschmittelkapseln gegessen haben. TikTok versucht, mit speziellen Einstellungen für die Konten von Jugendlichen gegenzusteuern. Dadurch erhalten Eltern mehr Kontrolle und können zum Beispiel die tägliche Bildschirmzeit ihrer Kinder begrenzen.

Diese Befunde dienen der Politik auf beiden Seiten des Atlantiks als Argumentationsgrundlage für Forderungen nach einem Verbot der Plattform, oftmals auch in Kombination mit geopolitischen Erwägungen. TikToks Tanzvideos stehen damit auch im Kreuzfeuer der Geopolitik. Insbesondere in den Vereinigten Staaten gibt es auf beiden Seiten des politischen Spektrums viele Politiker mit der Sorge, die chinesische Regierung habe Zugriff auf die Daten amerikanischer Nutzer oder der TikTok-Algorithmus könne Jugendliche und junge Erwachsene subtil und über die Zeit im Sinne der kommunistischen Führung in Peking beeinflussen. ByteDance und TikTok argumentieren, dass sie keine chinesischen Unternehmen seien. Ihr rechtlicher Sitz liegt auf den Kaimaninseln. TikTok wird von Singapur aus geleitet. Das Unternehmen hat unter anderem in den Vereinigten Staaten, Skandinavien und Irland mehrere Rechenzentren errichtet, damit die Daten in den USA beziehungsweise auf europäischem Boden verarbeitet werden. Das Hauptquartier von ByteDance, das große Teile des TikTok-Algorithmus entwickelt hat, steht jedoch in Peking. Wie groß der Einfluss Pekings auf ByteDance ist, ist schwer zu beurteilen.

 

USA versus TikTok

Bereits zu seiner ersten Amtszeit wollte US-Präsident Donald Trump, dass das US-Geschäft von TikTok an einen amerikanischen Eigner geht. Schon damals stand ein Verbot im Raum. Trump stieß jedoch auf juristische Hürden. Unter der Regierung von Joe Biden verabschiedete der Kongress im Frühjahr 2024 ein Gesetz, laut dem digitale Dienste und Plattformen als von „fremden Widersachern“ kontrolliert bezeichnet werden können. Das ermöglichte es Biden, von ByteDance zu verlangen, den Betrieb einzustellen oder das Geschäft in den Vereinigten Staaten zu verkaufen. TikTok wehrte sich gerichtlich gegen das Gesetz, der Oberste Gerichtshof bestätigte allerdings Mitte Januar 2025 die Rechtmäßigkeit des Vorgehens.

Seit Monaten läuft ein Bieterwettbewerb, die spekulierte und bestätigte Interessentenliste ist lang und reicht von Konsortien um den amerikanischen Softwarekonzern Oracle (dessen Gründer Larry Ellison ein Verbündeter Trumps ist) bis zum kalifornischen KI-Start-up Perplexity. Donald Trump hat gefordert, dass der amerikanische Staat fünfzig Prozent an dem künftig amerikanischen Unternehmen halten soll. Seinen begehrten Algorithmus müsste ByteDance im Fall eines Verkaufs aber vermutlich nicht aufgeben. Denkbar wäre höchstens eine Weiterlizenzierung an den neuen Eigner gegen eine Gebühr. Diese Option würde den Sorgen vor der Blackbox des TikTok-Algorithmus allerdings keine Rechnung tragen.

Auch in Europa wird der Gegenwind für TikTok kräftiger. In Brüssel laufen im Rahmen der EU-Verordnung Digital Services Act (DSA) mehrere Verfahren. Im Mai 2025 stellte die Europäische Kommission in einer vorläufigen Einschätzung fest, dass TikTok gegen die Digitalregeln der Europäischen Union verstoße, weil es keine ausreichend detaillierte Datenbank mit Angaben zu Werbeanzeigen eingerichtet habe. In weiteren Verfahren geht es unter anderem um den Schutz von Minderjährigen. Der Plattform drohen hohe Bußgelder – wie sie sie bereits aufgrund von Datenschutzverstößen schon zahlen musste. Die zuständige irische Datenschutzkommission Data Protection Commission (DPC) verhängte im Mai eine Strafe über 530 Millionen Euro, weil europäische Nutzerdaten entgegen anderslautender Versprechen nach China abgeflossen waren, sodass chinesische Programmierer Zugriff auf sie hatten. TikTok sprach von einem technischen Fehler, den man kurz darauf bereinigt habe. 2023 war TikTok von der DPC wegen des Umgangs mit Daten Minderjähriger schon einmal mit einer Strafe in Höhe von 345 Millionen Euro belegt worden.

 

Keine vorschnellen Verbotsforderungen

Derartige Vorfälle treiben auch in Europa die Verbotsdebatte an. Estlands Außenminister Margus Tsahkna forderte im Januar, ein Verbot müsse auch in Europa „ernsthaft geprüft“ werden, weil TikTok eine „Plattform für Wahlmanipulation“ sei. Insgesamt ist die Verbotsdebatte in der Europäischen Union jedoch deutlich weniger weit fortgeschritten als in den Vereinigten Staaten. Der ehemalige deutsche Digital- und später auch Bundesjustizminister Volker Wissing lehnte ein Verbot von TikTok noch im Januar 2025 entschieden ab. Statt vorschnell Verbote zu fordern, müsse Europa seine Regelungen konsequent anwenden.

In den USA hat Donald Trump die Frist für den TikTok-Verkauf schon mehrfach verschoben – ohne dass es dafür eine gesetzliche Grundlage gäbe. Trump befindet sich in einer Zwickmühle: Er hat TikTok in der Vergangenheit scharf als Propagandavehikel Pekings kritisiert, aber im Wahlkampf stark von der Mobilisierung seiner Wählerschaft über TikTok profitiert. Gerade junge Wähler sind in Scharen gegen ein Verbot der Plattform auf die Straße gegangen. Wirklich politisch opportun scheint ein Verbot nicht. Zuletzt sagte Trump wieder einmal, er habe einen Käufer für das US-Geschäft gefunden und sei zuversichtlich, dass die chinesische Regierung dem Verkauf zustimmen werde. Allein für das US-Geschäft rechnen Marktbeobachter mit einem Verkaufspreis von bis zu 150 Milliarden Dollar. Der Ausgang bleibt offen.
 

Maximilian Sachse, geboren 2000 in Düsseldorf, studierte Journalismus an der Kölner Journalistenschule und Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln, seit 2022 Wirtschaftsredakteur und Blattmacher im Unternehmensressort der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.


[1] Statista: We Are Social & Data Reportal & Meltwater. Most popular social networks worldwide as of February 2025, by number of monthly active users (in millions), 16.07.2025, www.statista.com/statistics/272014/global-social-networks-ranked-by-number-of-users/ [letzter Zugriff: 16.07.2025].
[2] „20,9 Millionen Menschen in Deutschland und 2,1 Millionen in Österreich nutzen TikTok jeden Monat“, TikTok Newsroom, Berlin, 24.10.2023, https://newsroom.tiktok.com/de-de/mau-announcement [letzter Zugriff: 16.07.2025].
[3] „TikTok Owner ByteDance Is Tech Darling Again with $400 Billion-Plus Valuation“, in: Bloomberg News, 21.02.2025, www.bloomberg.com/news/articles/2025-0221/softbank-fidelity-t-rowe-value-bytedance-at-above-400-billion [letzter Zugriff: 16.07.2025].
[4] „TikTok Drives ByteDance’s 29% Growth While China Business Slows“, in: Bloomberg News, 11.04.2025, www.bloomberg.com/news/articles/2025-04-11/tiktok-drives-bytedances-29-growth-while-china-business-slows [letzter Zugriff: 16.07.205].
[5] TikTok in Partnership with Luminate: Music Report 2024, https://sf16-sg.tiktokcdn.com/obj/eden-sg/fuuvieh7uvzpsh/Music%20Impact%20Report%20-%20Final.pdf [letzter Zugriff: 16.07.205].
[6] Siehe zum Beispiel Lakshit Jain et al.: „Exploring Problematic TikTok Use and Mental Health Issues: A Systematic Review of Empirical Studies“, in: Journal of Primary Care & Community Health, 16. Jg., 2025, S. 1–30, https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11924099/pdf/10.1177_21501319251327303.pdf [letzter Zugriff: 16.07.2025].

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