Deutschland soll bis 2045 klimaneutral sein. Dafür ist bei der „Energiewende“ mehr Tempo erforderlich. In der Vergangenheit unterstützte die Bevölkerung mehrheitlich diesen Kurs. Die Kosten schienen kein Thema zu sein. Doch mit der Energiekrise und dem Rückgang der Konjunktur in Deutschland hat sich das Blatt gewendet: Die Prioritäten haben sich verschoben, und der Fokus verlagert sich von sauberer auf bezahlbare und sichere Energie.
Die hohen Energiekosten und die Volatilität einer Stromversorgung, die überwiegend auf erneuerbare Energien setzt, stehen in der Kritik. Zugleich ist ein Ende der Kostenspirale angesichts des Ausbaus der Stromnetze, des Zubaus an steuerbarer Leistung und des Wasserstoffhochlaufs als Bestandteile der deutschen NetZero-Ziele nicht in Sicht.
Selbst Berichte über die übertroffenen Einsparungen von Treibhausgasemissionen in der Energiewirtschaft im vergangenen Jahr taugen nicht als Erfolgsmeldung. Sie sind nicht zuletzt auf die rückläufige Industrieproduktion zurückzuführen und verstärken vielmehr die Zweifel an Deutschlands Weg zur Klimaneutralität und der „Energiewende“[1] insgesamt.
Experten warnen jedoch davor, das Projekt „Energiewende“ jetzt zu verwerfen. Einerseits seien die Gefahren des Klimawandels real und verursachten steigende Kosten. Andererseits hätten die Unternehmen bereits in die Dekarbonisierung investiert und benötigen daher Planungssicherheit. Ein Hin und Her bei den Klimaschutzvorgaben wäre dafür Gift. Führende Ökonomen wie Michael Hüther und Ottmar Edenhofer erkennen im Klimawandel ein „Wohlstandsrisiko“; an Deutschlands Umstieg in die Klimaneutralität führe kein Weg vorbei.[2] Doch um beides zu verbinden – Wirtschaft und Klimaschutz –, müsse der Strukturwandel marktwirtschaftlicher erfolgen. Es ist also höchste Zeit, Deutschlands „Energiewende“ auf den Prüfstand zu stellen.
Laboratorium Emissionshandel
Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig: Das effektivste Mittel für die Emissionsreduktion ist das Emissionshandelssystem (EHS). Dieses verzichtet ebenso auf kleinteilige Steuerung wie auf Verbote und setzt auf Technologieoffenheit. Das Emissionshandelssystem der Europäischen Union (EU-EHS) umfasst die Emissionen aus der energieintensiven Industrie, Kraftwerken, dem Seeverkehr und dem innereuropäischen Flugverkehr. 2005 eingeführt, deckt es heute etwa vierzig Prozent der EU-Treibhausgasemissionen ab. Da die erlaubten Gesamtemissionen jährlich festgelegt, schrittweise reduziert und über Zertifikate gehandelt werden, schafft das EU-EHS marktwirtschaftliche Anreize zur Emissionsreduktion. Obwohl die Emissionen im Industriebereich dadurch erheblich gesunken sind, reichen die bisherigen Anstrengungen nicht aus, um sie laut Bundes-Klimaschutzgesetz bis 2030 um 62 Prozent im Vergleich zu 2005 zu reduzieren. Deshalb wurde das Emissionshandelssystem im Jahr 2023 verschärft und die Emissionsobergrenze weiter gesenkt. Die Gesamtmenge an Emissionszertifikaten soll sich in der Europäischen Union ab 2028 deutlich verringern. Zusätzlich wird ab 2027 ein EU-EHS 2 für Gebäude und Straßenverkehr eingeführt, um das europäische Klimaschutzziel zu erreichen und die Gesamtemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken.
Klimaexperten sehen darin eine zusätzliche Chance, die Treibhausgasemissionen in Deutschland um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Der Expertenrat für Klimafragen stellte in seinem Zweijahresgutachten 2024 allerdings fest, dass die Fortschritte bislang zu gering sind. Besonders in den Sektoren Gebäude und Verkehr bleiben die Emissionsminderungen hinter den angestrebten Zielen zurück. Damit wären Strafzahlungen an Brüssel im Rahmen der bestehenden nationalen Zielverpflichtung durch die Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation, ESR, auch als EU-Klimaschutzverordnung bezeichnet) nicht ausgeschlossen. Alternativ dazu könnte Deutschland ESR-Zertifikate von anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union kaufen, um seine überschüssigen Emissionen zu kompensieren, wofür allerdings auch Kosten in Milliardenhöhe anfallen könnten.
Preissignal für fossile Energie und Treibstoffe
Auch in einem anderen Punkt droht Ungemach: Je näher der Startschuss für das EU-EHS 2 rückt, umso mehr stellt sich die Frage, ob es zu Preisspitzen kommt. Obwohl mit dem „Upstream-Prinzip“[3] die Kraftstoffanbieter unter die Regulierung des EU-EHS 2 fallen, müssen die Endverbraucher die Kosten tragen. Das ist Teil der Überlegung und soll dem Bürger ein „Preissignal“ für fossile Energie und Treibstoffe geben. Denn: Je höher der CO2-Ausstoß, desto teurer wird es. Zwar verfügt Deutschland seit 2021 über einen eigenen Brennstoffemissionshandel (BEHG), doch während das EU-EHS 2 von Beginn an auf Angebot und Nachfrage setzt, geht das deutsche Brennstoffemissionshandelsgesetz von einer festgelegten Preissteigerung aus. Da es diese im EU-EHS 2 nicht gibt, ist die Preisentwicklung ab 2027 nicht vorhersehbar.
Dass eine signifikante Erhöhung denkbar ist, räumen Experten ein. Fakt ist: Der im EU-EHS 2 angelegte Mechanismus, zusätzliche Zertifikate auszuschütten, kann einen starken Preisanstieg zwar dämpfen, aber nicht gänzlich verhindern. Die KlimaUnion – ein Zusammenschluss klimaengagierter CDU-Mitglieder, jedoch keine offizielle Parteivereinigung – fordert deshalb, mit Beginn des EU-EHS 2 ein pauschales Klimageld mit regionaler Staffelung einzuführen, mit dem die Bürger vor Preisspitzen geschützt werden sollen. einzuführen, mit dem die Mehrkosten für die Bürger ausgeglichen werden sollen. Davon würden insbesondere einkommensschwache Haushalte profitieren, da diese einen vergleichsweise hohen Anteil des Einkommens für Energiekosten aufwenden müssen. Auch mittelständische Unternehmen sollen durch reduzierte Stromnetzentgelte entlastet werden. Eine sozial gestaffelte Auszahlung, wie sie etwa Grüne, Die Linke und SPD fordern, sowie eine verbrauchsabhängige Rückerstattung lehnt die KlimaUnion hingegen ab.[4] Ob ein solches Klimageld kommt, ist allerdings unklar. Die Diskussion konzentriert sich zunehmend auf Strompreissenkungen für Bürger und Betriebe.
Die Furcht vor steigenden Preisen besteht auch in den Nachbarstaaten, vor allem in Polen. Sein Regierungschef, Ministerpräsident Donald Tusk, fordert die Verschiebung des EU-EHS 2. Da Polen, das für seine Energiegewinnung stark auf Kohle angewiesen ist, Unterstützung aus Tschechien, Ungarn und Bulgarien erhält, könnte sich der Widerstand verstärken, je näher die Einführung des EU-EHS 2 rückt. Auch in Frankreich gibt es Forderungen nach einer sozialen Flankierung. Damit steuert die Klimapolitik auf ein Dilemma zu: Während soziale Verwerfungen Gift für die gesellschaftliche Akzeptanz der „Energiewende“ sind, schwächen politische Eingriffe die Glaubwürdigkeit des Systems.[5] Letztere könnten als mangelndes Bekenntnis zum Emissionshandelssystem interpretiert werden. Unternehmen würden ihre Investitionen in klimafreundliche Technologien infolgedessen auf die lange Bank schieben und damit die Klimaziele nicht nur in Deutschland gefährden.
Herzstück „Stromwende“
Auch die „Stromwende“ steht in der Kritik. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Nettostromerzeugung erreichte 2024 einen Rekordwert von über sechzig Prozent. Dieser Erfolg bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Da Wind- und Solarenergie meist in ländlichen oder küstennahen Gebieten erzeugt wird und in die städtischen sowie industriellen Zentren transportiert werden muss, führt dies bei unzureichenden Netzkapazitäten zu Engpässen im Übertragungsnetz. Je größer der Anteil erneuerbarer Energien im Netz, desto stärker werden die Schwankungen bei der Einspeisung, die ausgeglichen werden müssen. Wenn es bis 2030 gelingen soll, achtzig Prozent unseres Strombedarfs aus Erneuerbaren zu decken, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein.
Zunächst ist es erforderlich, die Stromnetze erheblich zu erweitern. Darin besteht die Bedingung für den Ausbau der erneuerbaren Energien, und dies stellt einen entscheidenden Baustein für das Erreichen der Klimaneutralität in Deutschland dar. Allein dafür sind laut Bundesrechnungshof Investitionen von mehr als 460 Milliarden Euro erforderlich.[6] Da sich die Kosten für diesen Umbau auf die Strompreise auswirken, wäre ohne Gegenmaßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen gefährdet, auch wenn Großverbraucher oftmals von speziellen Tarifen profitieren.
Den Löwenanteil an der Zusammensetzung des Strompreises machen – neben der Produktion – der Vertrieb und die Steuern aus. Die Steuererträge fließen in den Betrieb, die Wartung und den Ausbau der Stromnetze. CDU und CSU streben die Reduktion dieser Abgabenlast an. Auch die Europäische Union hat die Senkung des Strompreises in ihrem Aktionsplan für bezahlbare Energie zur Priorität erklärt. Maßnahmen zur Stabilisierung der Netzentgelte und zur Entlastung von Wirtschaft und Haushalten sind zudem Teil der Überlegungen des von der EU-Kommission vorgelegten Clean Industrial Deal.
Gleichzeitig ist das Netzengpassmanagement kostenintensiv. Deshalb müssen hier Sparpotenziale freigelegt werden. Es gilt etwa, die „Redispatch“-Maßnahmen zu reduzieren, die von Netzbetreibern ergriffen werden, um die Netzstabilität bei drohenden Engpässen oder einem Überfluss an erneuerbarem Strom zu gewährleisten. Am 6. Januar 2025 verursachte eine „Dunkelflaute“ – ein längerer Zeitraum, indem weder Wind weht noch die Sonne scheint – einen kurzzeitigen Strompreisanstieg auf das Zehnfache des Durchschnittspreises. Auch wenn für viele Bürger der Anstieg aufgrund ihrer Stromlieferverträge mit festen Preisen unbemerkt blieb, zeigt dies nach Meinung von RWE-Chef Markus Krebber, dass das Stromsystem in Deutschland „auf Kante genäht“ ist.[7] Deutschlands Kohleausstieg und die Abschaltung der verbliebenen Kernkraftwerke in der Hochphase der Energiekrise durch die Ampelregierung machen die Frage nach einer stabilen und sicheren Energieversorgung virulenter denn je.
Ein Kapazitätsmarkt könnte hier helfen. Er bietet Anreize für Kraftwerksbetreiber, zusätzliche Kapazitäten bereitzuhalten, wenn erneuerbare Energien nicht ausreichend Strom liefern. Ob ein solcher Markt, der ab 2028 gelten soll, zentral, dezentral oder eine Mischung aus beidem sein kann, wird aktuell diskutiert. Klar ist, dass seine Errichtung ebenfalls Kosten verursacht, da die Bereitstellung von Kapazitäten vergütet werden muss. Daher gilt es, den Strombedarf präzise zu planen und auf teure Varianten zu verzichten. Studien zeigen, dass der Nettostromverbrauch in Deutschland geringer ansteigt, als in den Netzausbauplanungen angenommen worden ist, und somit Einsparungen erlaubt. Unter den heutigen Vorzeichen müssten dennoch neue, gesicherte Kraftwerkskapazitäten entstehen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Wasserstoff als Speichermedium
Damit verbunden ist die Frage, wie viele Kraftwerke ab wann wasserstofffähig sein müssten. Weil „erneuerbarer“ Wasserstoff perspektivisch in Deutschland teuer bleiben wird, gilt es hier, pragmatisch zu handeln. Wenn die Gaskraftwerke schrittweise auf erneuerbaren Wasserstoff umgestellt werden, sollte über die Nutzungsart und Nutzungsdauer von „blauem“ Wasserstoff, der aus Erdgas entsteht, nochmals entschieden werden. Dafür wäre es allerdings notwendig, sich für einen Import dieses Wasserstoffs genauso einzusetzen wie für die Novellierung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes in Deutschland. Damit sollten für eine inländische Produktion auch der Transport, der Export sowie eine dauerhafte Speicherung von CO2 in geologischen Gesteinsschichten zu kommerziellen Zwecken möglich sein.
Hinzu kämen neben Wasserstoff als Speichermedium auch elektrische Energiespeicher in Betracht, die den Übergang flankieren, indem sie überschüssigen Strom speichern und bei Bedarf zur Verfügung stellen. Unabdingbar sind hier intelligente Netzmanagementsysteme, die helfen, die Stromflüsse im Netz zu steuern. Dies geht einher mit der Notwendigkeit einer Flexibilisierung der Nachfrage, die Anreize für Verbraucher schafft, ihren Stromverbrauch an die Verfügbarkeit von „grünem“ Strom anzupassen und auf Preissignale zu reagieren, was ebenfalls zur Netzentlastung beitragen würde.
Da die Finanzierung wie ein Damoklesschwert über der „Energiewende“ schwebt, bedarf es neben Investitionsanreizen auch verbesserter Standortbedingungen, da der Staat die Kosten nicht allein stemmen kann. Zwar soll nun Kapital für Investitionen in die Energieinfrastruktur bereitstehen, doch muss dieses wegen der vielen Anforderungen gezielt eingesetzt werden. Neben beschleunigten Genehmigungsverfahren sollten auch Instrumente wie „grüne“ Leitbeziehungsweise Pioniermärkte diskutiert werden. Klar ist jedoch, dass Kosteneffizienz und Pragmatismus unabdingbar sind, um Deutschlands Weg zu einem sauberen, sicheren und bezahlbaren Stromsystem zu ebnen.
Sabina Wölkner, geboren 1975 in Mannheim, Leiterin Abteilung Agenda 2030, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.
[1] „Energiewende“ beschreibt den Wandel der Energieversorgung hin zur Klimaneutralität und umfasst die Stromerzeugung, die Bereiche Wärme und Mobilität sowie die damit verbundene Dekarbonisierung energiebezogener Prozesse in Wirtschaft und Industrie.
[2] Michael Hüther / Ottmar Edenhofer: „Klimaschutz hilft dem Standort!“, in: Zeit Online, 28.01.2025, www.zeit.de/wirtschaft/2025-01/klimapolitik-klimaneutrale-marktwirtschaft-standort-wettbewerbsfaehigkeit [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[3] „Upstream-Prinzip“ bedeutet, dass Gas- oder Kohlelieferanten und Unternehmen der Mineralölindustrie zur Kompensation der Verschmutzung, die durch den Verbrauch ihrer Produkte entstehen, Zertifikate erwerben müssen.[4] KlimaUnion: Positionspapier zu den Themen „CO2-Bepreisung“ und „Klimageld“, https://klimaunion.de/klimageld-und-co2-bepreisung-positionspapier/ [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[5] Johanna Sitarz / Michael Pahle / Sebastian Osorio et al.: „EU carbon prices signal high policy credibility and farsighted actors“, in: Nature Energy, 9. Jg., Juni 2024, S. 691–702, www.nature.com/articles/s41560-024-01505-x [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[6] Bundesrechnungshof: Energiewende nicht auf Kurs: Nachsteuern dringend erforderlich, 07.03.2024, www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2024/energiewende/kurzmeldung.html [letzter Zugriff: 25.02.2025].
[7] Markus Krebber: „RWE-Chef warnt erneut vor Dunkelflauten – ‚Energiesystem sollte nicht auf Kante genäht sein‘“, in: Die Welt, 18.12.2024, www.welt.de/wirtschaft/energie/article254813542/Stromknappheit-RWE-Chef-Markus-Krebber-warnt-vor-Dunkelflauten-in-Deutschland.html [letzter Zugriff: 25.02.2025].