Kaum ein anderes Land steht so sehr für erfolgreichen Wandel wie Nordrhein-Westfalen. Über Jahrzehnte haben Fördertürme und riesige Schaufelradbagger das Landschaftsbild geprägt. Rhein und Ruhr – das stand für Kohle, Stahl und Kumpel. Doch wo früher unter und über Tage gefördert wurde, gehen wir heute den Weg von der Kohle zur Künstlichen Intelligenz (KI). Wo früher vom „Kohlenpott“ und dem „Rheinischen Revier“ gesprochen wurde, sehen wir heute das Entstehen einer modernen Quanten- und Digitalregion.
Nordrhein-Westfalen bleibt Standort einer starken Grundstoffindustrie. Die Industrie bleibt der Dreh- und Angelpunkt unseres erfolgreichen Wirtschaftsstandortes, aber unser Land wird mehr und mehr auch Heimat innovativer Weltmarktführer in der Hochtechnologie.
Nordrhein-Westfalen lebt den permanenten wirtschaftlichen Wandel. Und es ist diese Wandlungsfähigkeit, die Nordrhein-Westfalen stark und robust macht. Doch hohe Energiekosten, bremsende Bürokratie, geopolitische Spannungen und dazu unsichere Lieferketten fordern auch unsere Wirtschaft heraus. Das beschäftigt die Menschen in unserem Land, Politik und Industrie gleichermaßen.
Viele der großen Herausforderungen unserer Zeit können mit Beiträgen aus Nordrhein-Westfalen gelöst werden. Der wichtigste Schlüssel ist Innovation. Dafür stehen wir als Wissenschaftsstandort, als Land eines starken Mittelstands, mit vielen erfolgreichen Unternehmen und Hidden Champions, und als starke Industrieregion und dichtester Hochschul- und Wissenschaftsstandort in Europa. Wir sehen die Chancen in der Medizin, in der Luft- und Raumfahrt, in der Chemie. Unsere Industrie ist leistungsfähig. Und die Möglichkeit der industriellen Erprobung und Anwendung neuer Technologien im großen Maßstab stellt einen immensen Standortvorteil für Nordrhein-Westfalen dar.
Erfolgreicher Wandel braucht klare Rahmenbedingungen, Investitionen und Beteiligung. Erfolgreiche Industriepolitik erfordert Ausdauer, Tatkraft und den Mut zu Innovationen. Nordrhein-Westfalen hat immer wieder unter Beweis gestellt, dass Transformation vor allem eine Chance ist, dass aus Wandel Großes entstehen kann. Die Aufgabe ist, diese Chance zu nutzen.
Künstliche Intelligenz als Schlüssel für die Zukunft
Kaum eine technologische Neuerung verändert unsere Wirtschaft und Industrie derzeit so stark wie die Künstliche Intelligenz. Sie prägt Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle. Wer die Zukunft der Industrie gestalten will, muss verstehen, dass KI mehr ist als ein Werkzeug – sie steht für eine neue, datenbasierte und vernetzte Denkweise.
In Nordrhein-Westfalen haben wir hervorragende Voraussetzungen, zum führenden deutschen und europäischen KI-Standort zu werden. Nur einige Beispiele: In Jülich entsteht Europas erster Exascale-Rechner, der mit einer Billion Rechenoperationen pro Sekunde neue Maßstäbe setzt. Das Lamarr-Institut verbindet internationale Spitzenforschung mit praxisnaher Anwendung. [Es verknüpft neben der KI-Expertise der Technischen Universität Dortmund und der Universität Bonn auch die der Fraunhofer-Institute für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) in Sankt Augustin sowie für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund, Anmerkung der Redaktion.] Mit dem Open-Source-Modell „Teuken 7B“ zeigt Nordrhein-Westfalen, dass Europa eigene Sprachmodelle entwickeln kann – ein wichtiger Schritt für digitale Souveränität. [„Teuken 7b“ wurde in allen 24 europäischen Amtssprachen trainiert und bietet insbesondere internationalen Unternehmen mit mehrsprachigen Kommunikationsbedarfen sowie Produkt- und Serviceangeboten einen erheblichen Mehrwert, Anmerkung der Redaktion.] Dazu ist Microsofts Milliardeninvestition im Rheinischen Revier ein Aushängeschild für die Attraktivität unserer Region.
In Nordrhein-Westfalen gehen wir den Weg „von der Kohle zur KI“ auch deshalb, weil die wirtschaftlichen Potenziale der KI enorm sind. Studien zeigen, dass KI die Bruttowertschöpfung in Deutschland um bis zu 330 Milliarden Euro steigern könnte. Nordrhein-Westfalen allein bietet mit rund siebzig Milliarden Euro das größte Potenzial unter den Bundesländern. KI schafft effizientere Produktionsprozesse, ermöglicht vorausschauende Wartung und eröffnet neue Produktwelten. Doch es geht um mehr als um Technologie: Es geht darum, digitale Abhängigkeiten zu reduzieren und europäische Standards zu setzen.
Um KI für die Industrie nutzbar zu machen, müssen Unternehmen sie noch konsequenter einsetzen. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom nutzen bereits 42 Prozent der deutschen Industrieunternehmen KI in der Produktion; weitere 35 Prozent planen dies. 82 Prozent sehen KI als entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit. Das unterstreicht einmal mehr: KI ist ein Schlüssel für die Zukunft des Industrielands Nordrhein-Westfalen im 21. Jahrhundert.
Ökologische Neuausrichtung und veränderte Handelsbeziehungen
Auch der Übergang zur Klimaneutralität ist eine große Aufgabe – besonders für die Industrie. Nordrhein-Westfalen spielt dabei eine Schlüsselrolle. Energieintensive Branchen wie die Chemie, Stahl und Baustoffe sind hier stark vertreten. Gleichzeitig bietet das Land gute Voraussetzungen für den ökologischen Umbau: eine leistungsfähige Infrastruktur, Forschungskompetenz und ein dichtes Netz industrieller Zentren. Ein Beispiel dafür ist Wasserstoff. Ohne grünen Wasserstoff können viele industrielle Prozesse nicht klimaneutral werden. Das geplante Wasserstoff-Kernnetz und regionale Verteilstrukturen sind daher entscheidend. Auch die Abscheidung, Nutzung oder Speicherung von CO2 ist notwendig – vor allem für die Grundstoffindustrie.
Unternehmen investieren aber nur, wenn politische Zusagen verlässlich sind und die Wirtschaftlichkeit langfristig sichtbar wird. Die klimaneutrale Industrie bietet die Möglichkeit, industrielle Stärke neu zu definieren – nicht trotz, sondern gerade wegen der ökologischen Anforderungen. Nordrhein-Westfalen will die erste klimaneutrale Industrieregion Europas werden und zeigen, welche Chancen in diesem Wandel liegen.
Globale Verflechtungen, neue wirtschaftliche Spannungen, unterbrochene Lieferketten und der wachsende Protektionismus verändern die Spielregeln. Die chaotische, protektionistische Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump markiert eine neue Phase der Handelspolitik. Europa steht unter Druck: Handelsbeziehungen müssen breiter aufgestellt, Partnerschaften gestärkt und Schlüsselindustrien im Binnenmarkt gehalten werden. Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie hängt nicht nur von Rohstoffen oder Technologien ab, entscheidend sind auch qualifizierte Fachkräfte, um den Wandel zu bewältigen. Die digitale und ökologische Neuausrichtung erfordert neue Fähigkeiten, Bildungsoffensiven und lebenslanges Lernen. Nordrhein-Westfalen setzt dabei auf die enge Verbindung von Forschung, Bildung und Praxis.
Um auch in Zukunft konkurrenzfähig zu sein, brauchen wir in Deutschland und Europa eine Industriepolitik mit Mut zum Aufbruch. Es geht um wirtschaftliche Stärke, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Europas Rolle in der Welt. Nordrhein-Westfalen hat bereits in der Vergangenheit gezeigt: Wandel ist möglich und kann zu neuem Erfolg führen.
Nordrhein-Westfalen als das innovative Industrieland der Zukunft ist digital, nachhaltig und fest verankert in Europa. Es entsteht durch politisches Handeln, gesellschaftliche Beteiligung und wirtschaftliche Innovation. Die großen Herausforderungen – Klimaschutz, Digitalisierung und globale Handelspolitik – verlangen nach einer starken Industrie. Sie hat bei uns in Nordrhein-Westfalen auch künftig ihre starke Heimat.
Hendrik Wüst, geboren 1975 in Rhede, Mitglied der CDU-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen, Vorsitzender der CDU Nordrhein-Westfalen, seit 2021 Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen.