Ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall, der Wiederherstellung der deutschen Einheit und dem Zusammenbruch der Sowjetunion flammen alte Rivalitäten wieder auf. Wird der Kalte Krieg fortgesetzt? Das fragen sich viele mit Blick auf die Krise in der Ukraine. Krieg werde es auf dem europäischen Kontinent nie mehr geben, glaubten die Staatenlenker 1990 und wurden wenig später auf dem Balkan eines Besseren belehrt. Europa sollte endlich zu dem Zustand zurückkehren, den es vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebte: Freizügigkeit im Handel, kulturelle Vielfalt, ausbalancierte Interessen. Dennoch taumelten Machthaber und Regierende 1914 in den Ersten Weltkrieg. Hitler zettelte 1939 einen weiteren Weltkrieg mit katastrophalen Folgen an: Europa und Deutschland waren am Ende geteilt. Weil Misstrauen unter den Siegermächten herrschte, folgte dem heißen ein Kalter Krieg.
Bundeskanzler wie Konrad Adenauer und Helmut Kohl haben den Kalten Krieg stets als ideologische Auseinandersetzung um Freiheit, Frieden und Sicherheit vor kommunistischer Gewaltherrschaft gesehen. Der Begriff tauchte nach Ende des Zweiten Weltkriegs in der breiten Öffentlichkeit auf. Doch schon im 14. Jahrhundert bezeichneten der spanische Adelige Don Juan Manuel und 1893 der Sozialist Eduard Bernstein den Rüstungswettlauf zwischen verfeindeten Staaten, während ihre Waffen ruhen, als kalten Kriegszustand. Unter dem Eindruck der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 prophezeite George Orwell mit Blick auf die Thesen von James Burnham, einem trotzkistischen Kritiker der amerikanischen Gesellschaft, der später zum Vorkämpfer der konservativen Bewegung wurde, der Nachkriegsepoche Schreckliches: Zunehmende Technisierung und Verwissenschaftlichung werde eine neue Gesellschaftsform schaffen, in der eine Managerelite die Herrschaft ausübt. Orwell folgerte, wenn diese technokratische Elite, die auf ihre Art die Welt, den Glauben und die gesellschaftlichen Strukturen sieht, in einem Staat vorherrsche, der militärisch nicht bezwingbar sei, dann lebe dieser Staat in einem ständigen „Kalten Krieg“ mit seinen Nachbarn. Orwell erkannte die sich abzeichnende ideologische Konfrontation zwischen den kommunistisch denkenden, jedoch technokratisch agierenden Eliten und der westlichen Welt sowie die ambivalente Wirkung der Atombombe: Werde deren Herstellung erst einmal so billig wie die eines Fahrrades oder eines Weckers, bedeute dies einen Rückfall in die Barbarei, das Ende der nationalen Souveränität und einen hochzentralisierten Polizeistaat. Bleibe die Produktion kostspielig und so kompliziert wie der Bau eines Kriegsschiffes, könne sie zwar dazu beitragen, umfassende Kriege, die sich auf unbestimmte Zeit hinziehen, zu vermeiden, allerdings zum Preis eines „Friedens, der kein Frieden“ sei.
Globaler ideologischer Kampf
Als der britische Oppositionsführer Winston Churchill im März 1946 von einem „Eisernen Vorhang“ sprach, der Europa teile, beschrieb er die neue Realität. Überall in Osteuropa saßen mit Unterstützung der Roten Armee kommunistische Parteiführer an den Hebeln der Macht. Auch in Italien und Frankreich bestimmten sie die Politik mit. Sowjetischer Ideologieexport nach Westen, hohe konventionelle Rüstung, Uneinigkeit der vier alliierten Siegermächte über die politische und wirtschaftliche Zukunft Deutschlands und immense Reparationsforderungen Stalins, denen die Westmächte vorrangig den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft entgegensetzten, heizten die Spannungen weiter an. Bernhard Baruch, Finanzberater des damaligen US-Präsidenten Truman, brachte es im April 1947 auf den Punkt: „Wir sind heute inmitten des Kalten Krieges.“ Für ihn war der Kalte Krieg ein globaler ideologischer Kampf zwischen der Idee der westlich-freiheitlichen Demokratien, allen voran den Vereinigten Staaten, und der kommunistischen Ideologie und Diktatur in der Sowjetunion. Die Mischung aus traditionalistischem russischen Expansionismus und der marxistisch-leninistischen Staatsdoktrin machte die Sowjetunion zur aggressiven Macht. Sie unterdrückte Osteuropa, wollte Westeuropa unterwandern und übte Dominanz über postkoloniale Staaten in Afrika und Asien mittels Ideologietransfer und Wirtschaftshilfe aus.
Wurzel allen Übels?
Die Atombombe gab der Truman-Administration eine „Siegerwaffe“ an die Hand, produzierte das Überlegenheitsgefühl, zur physischen Vernichtung des Gegners in der Lage zu sein. Sie konnte eine doppelte Containment-Politik betreiben: gegenüber einer erneuten Aggression Deutschlands und der Sowjetunion, die mit der Berlin-Blockade 1948 den Kalten Krieg weiter anstachelte. Die Schreckensbilder der amerikanisch-sowjetischen Konfrontation im Korea-Krieg 1950 vor Augen, vertrauten die Menschen in Westeuropa auf die Verteidigungskraft der USA, die 1949 gegründete NATO und ihrer Bereitschaft, die Freiheit der westlichen Demokratien zu schützen. In Westdeutschland sicherte die Westintegrationspolitik die errungene Freiheit, allerdings zum Preis der vorläufigen Fortdauer der deutschen Teilung. Zwar ließ sich damit der Mauerbau 1961 nicht verhindern, doch die Ausbreitung des Sozialismus durch Chruschtschow und die SED in Schach halten. Die an der Mauer Getöteten zahlten im Kalten Krieg für ihren Freiheitsdrang den höchsten Preis.
Nach Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO und der DDR in den neu gegründeten Warschauer Pakt 1955 verlagerte sich der Kalte Krieg nach Südostasien. Als die Sowjets 1957 ihre Fähigkeit zum Bau von Interkontinentalraketen unter Beweis stellten (Sputnik-Schock) und so eine Pattsituation mit den Vereinigten Staaten erreicht hatten, traute sich selbst in der Krise um Berlin ab 1958 und um Kuba 1962 trotz immenser Aufrüstungen niemand, einen Krieg mit Atomwaffen auszulösen. Die beiden Supermächte führten nun in Vietnam, Laos und Kambodscha Stellvertreterkriege und standen bald auch Staaten in Mittel- und Südamerika sowie im südlichen Afrika mit ihrer Militärhilfe zur Seite.
Manche Beobachter verstanden den Kalten Krieg als Nullsummen-Spiel, bei dem es weder Sieger noch Besiegte gab, sondern nur Gewinner, weil ein Kriegsausbruch vermieden wurde. Im Unterschied zur Appeasement-Politik, die Hitler 1938 zusätzlich noch zum Beginn des Zweiten Weltkrieges animierte, führte die Resistenzbereitschaft der Westmächte gegenüber der Sowjetunion jedoch ab Mitte der 1960er-Jahre zur Entspannungspolitik. Welchen Part die Vereinigten Staaten in der Nachkriegsordnung Europas spielen sollten, blieb lange offen. In der KSZE-Schlussakte 1975 gelang es, Prinzipien und Regeln im Umgang zwischen Ost und West zu kodifizieren.
Erst nach dem NATO-Doppelbeschluss, über den Helmut Schmidt stürzte, bevor ihn Helmut Kohl von 1982 an als Bundeskanzler maßgeblich mit durchsetzte, und nach dem Abbau der ideologischen Konfrontation durch Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika kam die atomare Abrüstung mit dem INF-Abkommen 1987 und Fortschritten bei den START-Verhandlungen 1988 in Gang. Nuklearwaffen verschafften im Kalten Krieg somit Zeitgewinn, autoritäre Systeme mit friedlichen Mitteln zu bekämpfen. Durch die Einbettung des wiedervereinigten Deutschland in die NATO im Zweiplus-Vier-Vertrag 1990 wurde die Rolle der USA als Garantiemacht in Europa bestätigt.
Erfolgreiche Embargo-Politik des Westens
Kritiker der Politik Washingtons erblickten den Ursprung des Kalten Krieges im drohenden Kollaps der amerikanischen Wirtschaft in den 1930er-Jahren. Dadurch wachgerüttelt, sei die politische und wirtschaftliche Elite zu der Überzeugung gelangt, das eigene System sei allein in einem von den Vereinigten Staaten dominierten kapitalistischen Weltwirtschaftssystem, beschützt vom amerikanischen Militär, überlebensfähig. In Wirklichkeit sei die Sowjetunion als Gefahr für den Westen wirtschaftlich und militärisch irrelevant gewesen. Man habe sie isoliert, ihre existenziellen Bedrohungsängste aufgrund des wirtschaftlichen Expansionismus der westlichen Wirtschaftsführer unterschätzt und kein Verständnis dafür gezeigt, dass die Sowjets darauf mit militärischer Aufrüstung reagierten. Letzten Endes hätten amerikanische Kapitalisten die ökonomisch durch zwei Weltkriege geschwächte Sowjetunion niederringen und die westeuropäischen Staaten ausbeuten wollen. Ziel sei ein geostrategisches Machtübergewicht in der Nachkriegswelt gewesen. Deshalb sei die Regierung Truman nicht bereit gewesen, die Sowjetunion über massive Finanzhilfen zu stabilisieren.
Oft wird heute übersehen, dass die amerikanische Marshallplan-Hilfe 1947 eine Kehrseite hatte: nämlich die systematische Embargo-Politik gegenüber den osteuropäischen Staaten. Sie sollte destabilisierend wirken und allmählich die politische Hinwendung der Menschen dort zu den westlichen Demokratien einleiten. Über vierzig Jahre lang blieb der Osten Europas vom technologischen Fortschritt des Westens ausgeschlossen. Neben der Politik der Stärke und der Eindämmung ging es den Westmächten um die kalkulierte ökonomische Destabilisierung. Gleichzeitig wurde durch Integration und wirtschaftliche Stabilisierung Westeuropa gegen kommunistische Einflüsse immunisiert und eine gemeinsame Front aufgebaut.
Wie der Kalte Krieg das Alltagsleben veränderte
Der Kalte Krieg war nicht nur ein politisch-diplomatischer Konflikt rivalisierender Großmächte und Ideologien, er drang auch in alle Bereiche der westlichen Zivilgesellschaft ein und war höchst umstritten. Realistisch denkende Wissenschaftler, Mediziner und Philosophen sahen im Falle eines mit Atomwaffen geführten Krieges für die Menschen kaum Überlebenschancen und hielten daher deren Einsatz ethisch nicht für vertretbar. Das große Engagement der britischen Bevölkerung beim Zivilschutz während des Zweiten Weltkriegs sank in den 1950er-Jahren angesichts wachsender Zweifel, bei einem Atomkrieg Leben retten zu können. In der Schweiz lancierte die Regierung als Reaktion auf die Freiheitskämpfe in Polen und Ungarn 1956 eine Propagandakampagne für Notvorräte, die zeitweise zu Hamsterkäufen als Vorbereitung für einen bevorstehenden Krieg führte. Bis in die Klassenzimmer hielten Auswirkungen des Kalten Krieges Einzug, dafür lassen sich in Lehrplänen vielfältige Belege finden: Wissenschaftliche, rationale und technologische Unterrichtsinhalte in Physik, Chemie und Biologie sowie die neue Mathematik, die von den Vereinigten Staaten nach Europa überschwappten, waren Ergebnisse des engen Zusammenwirkens kriegswichtiger Disziplinen. In Zeiten der Entspannungspolitik und der Rüstungskontrollverhandlungen richtete sich der Anti-Atom-Protest der Friedensbewegung, die in weiten Teilen der protestantischen Kirche Unterstützung fand, nicht nur gegen die Rüstungsspirale, sondern zugleich gegen die zivile Kernkraftnutzung. Demgegenüber rechtfertigten konservative katholische Moraltheologen die Drohung des Atomwaffeneinsatzes als Mittel zur Selbstverteidigung, weil sie den religionsfeindlichen Kommunisten nicht trauten.
Ausschlaggebende Faktoren, die zum Ende der Auseinandersetzung beitrugen, waren die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der Sowjetunion und die Unfähigkeit, im militärischen Rüstungswettlauf gegenüber den Vereinigten Staaten mitzuhalten. Militärische Gleichstellung zu der von US-Präsident Ronald Reagan initiierten Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI-Programm) wäre für die Sowjetunion nur zu extrem hohen Kosten möglich gewesen, die wirtschaftlich nicht mehr zu verkraften waren. Letztlich war es Reagan, der dem sowjetischen Reich den Todesstoß versetzte. Weil er die Sowjetunion als totalitären Staat ansah, getrieben von militanter Ideologie und instinktiv expansionistisch, war er entschlossen, sie durch hartes Entgegentreten in die Schranken zu verweisen. Die Vertreter der harten Linie fühlten sich in ihrer Strategie bestätigt. Mit der Containment-Politik, begleitet vom technologischen Wettrüsten, von der wirtschaftlichen Verweigerungshaltung und der psychologischen Kriegsführung, wurde die kommunistische Expansion niedergerungen. Reagans Konzept basierte auf der Überzeugung, die Sowjetunion sei nicht stark, sondern schwach, weil sie ihre Macht nur mit Polizeiterror aufrechterhalten könne. Die Strategie zielte auf die Aushöhlung der Sowjetunion durch Krisen mit allen verfügbaren Mitteln, um Moskau zu Reformen zu bewegen.
Michail Gorbatschow seinerseits war keine revolutionäre Figur, sondern ein Realist, der sich dem Unvermeidbaren beugte und Konzessionsbereitschaft zeigte. Dabei spielten die innersowjetischen Entwicklungen eine maßgebliche Rolle: Das Modell der sozialistischen Planwirtschaft war gescheitert. Der wirtschaftliche Niedergang, die Unfähigkeit zur Wirtschaftssanierung und die Finanzierung der enormen Rüstungsausgaben zulasten der Konsumgüterindustrie ließen es nicht länger zu, den Anschein einer Supermacht aufrechtzuerhalten. Gegenüber der wirtschaftlich-technologischen Dominanz amerikanischer Nuklearrüstung war die Sowjetunion nicht mehr wettbewerbsfähig und litt an imperialer Überdehnung. Dauernde wirtschaftliche Subventionen und militärische Interventionen machten die Kosten für die Sicherung des sowjetischen Herrschaftsbereichs unerträglich. Jede Reformbestrebung konnte nur ein Schritt in Richtung Liberalisierung sein, der eine Öffnung der Grenzen implizierte. Nicht wenige Stimmen bescheinigen den Deutschen, im Kontext dieser Entwicklung die eigentlichen Gewinner des Kalten Krieges zu sein. Sie hätten es trotz und nicht wegen des Konflikts geschafft, die Einheit Deutschlands herzustellen.
Die Kluft blieb offen
In Anbetracht von Stalins Autoritarismus sowie der politischen und ökonomischen Überlegenheit der freiheitlich-parlamentarischen Demokratien gegenüber marxistisch-leninistisch geprägten Diktaturen unter Führung Moskaus war der Kalte Krieg unvermeidbar. Zwar ist die ideologische Kluft zwischen Ost und West in der Folgezeit kleiner geworden. Skeptische Betrachter weisen aber zu Recht darauf hin, dass andere Konfliktpunkte des Kalten Krieges keineswegs ausgeräumt wurden: die Auseinandersetzung über die Rolle der Vereinigten Staaten auf dem europäischen Kontinent, der Streit der Welthandelszentren mit den an der Peripherie liegenden Staaten um Märkte und Ressourcen sowie die unterschiedlichen Bemühungen der Industrieländer, mit der Globalisierung umzugehen. Heute wissen wir: Wettrüsten war nicht die Ursache für den Kalten Krieg, sondern das Ergebnis von ideologischen und politischen Differenzen. Doch mit Rüstungsabkommen disziplinierten sich Washington und Moskau letztlich selbst.
Hanns Jürgen Küsters, geboren 1952 in Krefeld, seit 2009 Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. rer. pol., apl. Professor an der Universität Bonn.