Asset-Herausgeber

* 19. Dezember 1932 in Göttingen, † 2. März 2025 in Speyer

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Über 35 Jahre war Bernhard Vogel ohne Unterbrechung Herausgeber der Politischen Meinung – mehr als die Hälfte des Zeitraums ihres im nächsten Jahr siebzigjährigen Bestehens. Sein Tod am 2. März 2025 markiert auch und besonders für diese Zeitschrift einen sehr großen Einschnitt.

Foto: © picture alliance/ dpa | Uwe Anspach

Die letzte der unzähligen Herausgeberkonferenzen in seinem Beisein fand am 7. Dezember 2023 statt. Gewohnt lebhaft grüßend, aber inzwischen gestützt auf einen Stock, betrat er den Besprechungsraum. Wie immer hatte er die zuletzt erschienenen Bände der Zeitschrift parat. Stets enthielten sie sorgfältige Bleistifteintragungen von seiner Hand, die es jedoch – wie sich bald herausstellen sollte – in sich hatten. Zweifellos ist Bernhard Vogel in mindestens 35 Jahren der intensivste, akribischste und kritischste Leser der Politischen Meinung gewesen. Auch das verlieh seinem Urteil als Herausgeber so viel Gewicht und spiegelt seinen publizistischen Qualitätsanspruch wider.

Der erste, heute nachvollziehbare Kontakt mit der Zeitschrift liegt in Form eines Aufsatzes, veröffentlicht in ihrem 13. Jahrgang – 1968 –, vor. Der seinerzeit aufstrebende Kultusminister von Rheinland-Pfalz widmete sich der Frage „Ist die Jugend antidemokratisch?“ und arbeitete „Schwächen und Fehler der politischen Erziehung“ heraus. Die Zeiten und Begrifflichkeiten haben sich seither verändert, allerdings erweisen sich seine Schlussfolgerungen heute – sofern das Wahlverhalten von Jungwählern zu den politischen Rändern tendiert – dennoch als bedenkenswert und lehrreich. Der Kernsatz des Artikels verrät zugleich Entscheidendes über sein Selbstverständnis: „Die politische Erziehung des Volkes geschieht zum überwiegenden Teil durch die Politik selbst.“

Politik und Politiker haben Vorbild zu sein. Von dieser Überzeugung ließ sich Bernhard Vogel zeitlebens leiten, ohne je von diesem immensen Anspruch erdrückt zu werden. Eher beflügelnd wirkte auf ihn die Aussicht, der Zukunft des demokratischen Gemeinwesens dienen zu können. Vor allem aber verstand er sich nie als Einzelkämpfer, sondern setzte auf den Beitrag und die Kompetenz anderer. Zunächst geteilte, aber am Ende wieder gemeinsame Verantwortung – darin bestand das Prinzip seiner Führungsleistung, auch in seiner Rolle für die Politische Meinung.

In der Januar/Februar-Ausgabe 1990 firmierte Bernhard Vogel – im Jahr zuvor war er Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung geworden – erstmals als Herausgeber der Zeitschrift. In ihr sah er ein „unverwechselbares und unverzichtbares Forum für die Diskussion christlich-demokratischer Positionen“. Das sie seit jeher prägende Identifikationsmerkmal – die Orientierung am christlichen Menschenbild und den darauf beruhenden Werten – verkörperte er.

„Wer nicht weiß, worauf er gründet, fällt der Beliebigkeit anheim“, diese Sentenz kann als Leitspruch gelten. Die politische Praxis brauche die Bindung an die eigenen Überzeugungen, weil ihre Entscheidungen sonst weder begründ- noch nachvollziehbar seien. Mit Sorge betrachtete er die postmoderne Dekonstruktion aller Gewissheiten und Werte. Dass sie inzwischen bis in Schaltzentralen der westlichen Welt vorgedrungen ist, wo reflexionsfrei dahergeredet und erratisch gehandelt wird, lässt seine Befürchtungen erschreckend konkret werden.

Seit den 1990er-Jahren haben viele das ideologische Zeitalter für siegreich beendet gehalten, und entsprechend überholt erschienen ihnen politisch-theoretisch orientierte Zeitschriften. Bernhard Vogel sah das anders; jetzt nicht nachlassen, wenn es einfacher zu werden scheint. Er forderte im Gegenteil: „Gäbe es die Politische Meinung nicht, müsste sie heute begründet werden.“ Dass die Zeitschrift damals einen auch finanziell abgesicherten Platz unter dem Dach der Konrad-Adenauer-Stiftung fand, wäre ohne sein Zutun kaum vorstellbar gewesen.

Mit Erscheinen der Juli-Ausgabe 1999 wird die Zeitschrift für und nicht etwa von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgeben. Für Bernhard Vogel, einen Freund und Kenner präziser sprachlicher Nuancierung, brachte diese Formulierung die veränderte Positionierung der Politischen Meinung auf den Punkt: Ein „publizistisches Flaggschiff“ sollte die Zeitschrift seiner Auffassung nach sein – mit größtmöglicher Nähe zu den Themen der Stiftung unter Wahrung der redaktionellen Freiheit und Verantwortlichkeit. Wie ernst es ihm damit war, zeigt sich daran, dass er, nachdem er nicht mehr an der Spitze der Stiftung stand, die ihm nachfolgenden Vorsitzenden – zunächst Hans-Gert Pöttering und heute Norbert Lammert – dafür gewann, gemeinsam mit ihm die Herausgeberschaft der Politischen Meinung zu übernehmen.

An seinem Auftrag – im Umfeld einer sich weiter lichtenden Zeitschriftenlandschaft – gab es kein Deuteln: „Durchhalten und vor allem Kurs halten!“ Den Kurs erfolgreich zu halten, konnte aus seiner Sicht nicht gelingen, ohne „neue Leserschichten – vor allem jüngere Leser – hinzuzugewinnen“. Die erste Ausgabe nach dem darauf ausgerichteten und entwickelten Konzept hat ihm freilich einiges abverlangt. Immerhin entsprach die Themenstellung „Jugend. Was sie will, wohin sie will“ seinen Vorgaben, jedoch unterschritten die sechs ganzseitigen, farbigen Porträts von Jugendlichen und eine Doppelseite mit einer entspannt dösenden Jugendgruppe nach seinem Verständnis den Anspruch auf Seriosität. Schließlich habe sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung erst vor wenigen Jahren unter größten Bedenken zu einem Titelfoto durchgerungen.

Die neu etablierte Bildstrecke blieb über Jahre hinweg erklärungsbedürftig; gänzlich infrage gestellt wurde sie indes nicht. An diesem vielleicht nebensächlich erscheinenden Punkt lässt sich eine Eigenschaft des Politikers Bernhard Vogel festmachen, die sich als enorme Stärke erweist: Dass er seinen Gestaltungsanspruch artikulierte, Einfluss nahm und die Beachtung seiner Vorstellungen verlangte, bedarf bei einer Führungspersönlichkeit seines Formats keiner Erläuterung. Dass diese bedeutende Führungspersönlichkeit jedoch selbst unter heftigem Kopfschütteln anderes und andere gelten lassen konnte, verdient Hochachtung, besonders in Zeiten einer weltweit sich zuspitzenden Polarisierung und der Zunahme narzisstischen Machtgebarens. Bernhard Vogel hatte Überzeugungen, aber er war nicht überzeugt, immer Recht behalten zu müssen. Sein Kopfschütteln bedeutete keine Verurteilung, keine Ausgrenzung, nicht einmal eine Zurechtweisung.

Mein Gedenken in diesen Tagen nach dem Tod Bernhard Vogels kreist immer wieder um die Frage, was von ihm bleibt, was von ihm bleiben sollte. Vieles kommt in den Sinn und in Betracht. Doch bei dem vielen scheint es mir vor allem seine Fähigkeit zur Integration zu sein. Bernhard Vogel zu erinnern, heißt, eine lebendige Überzeugung nicht als Hindernis, sondern als Voraussetzung zu betrachten, um Menschen, Sichtweisen und Interessen miteinander zu verbinden. Seine Überzeugungen waren der sichere Grund, von dem aus er ohne Selbstaufgabe offen auf andere zugehen konnte.

Nichts Missionarisches haftete seiner politischen Überzeugungsarbeit an, sondern sie unterlag ständiger kritischer Reflexion. Zu nichts anderem dienten etwa die Beratertreffen des von ihm hochgeschätzten „Deidesheimer Kreises“, den er 1984 gemeinsam mit Hans Maier begründete und der ihn bis zum Schluss prüfend und anregend begleitete. Für ihn war es nur konsequent, dass die Politische Meinung im Jahr 2015 die Betreuung des Kreises übernahm.

Plakativ lässt sich formulieren: Wer Überzeugungsarbeit leisten will, muss an seinen Überzeugungen arbeiten. Doch wäre es viel zu kurz gegriffen, seine Integrations- und Überzeugungskraft allein auf die Anreicherung der intellektuellen Substanz zurückzuführen. Bernhard Vogel wurde zu einer politisch-moralischen Autorität, blieb aber immer erdverbunden und nahbar. Es ist die Fähigkeit zur unbefangenen Begegnung und seine umfangende Freundlichkeit, die mit dem Moment seines Todes fehlen und besonders zu Herzen gehen.

Seine Souveränität hatte nichts Geschliffenes, war noch nicht einmal interessiert, makellos und unangreifbar zu wirken. Das Sein galt ihm weit mehr als der Schein. Bernhard Vogel gab als Mensch und Politiker ein Vorbild. Was von ihm bleibt – es liegt an uns.

 

Bernd Löhmann, Chefredakteur

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