„Insolvenzgefährdeter, schwerer Sanierungsfall“ – so bezeichnete Friedrich Merz die Union nach der verlorenen Bundestagswahl 2021. Mittlerweile kämpft sich die CDU unter seiner Führung nach oben, mit erneuerten Personal und regionalen Wahlerfolgen. Auf dem Bundesparteitag vom 6. bis 8. Mai 2024 beschließt die CDU ein neues Grundsatzprogramm. Damit läutet die Union eine notwendige Kurskorrektur ein. Doch längst ist nicht ausgemacht, dass die Union 2025 die Bundestagswahl gewinnt. Nach 16 Jahren in der Bundesregierung, gegenüber nicht einmal vier Jahren in der Opposition, hat die CDU weiter viele Hausaufgaben zu meistern. Das neue Grundsatzprogramm ist ein guter Anfang.
Das neue CDU-Grundsatzprogramm: CDU pur!
„Everybody’s darling is everybody’s Depp”, wusste schon Franz Josef Strauß. Wer Wählern mit Beliebigkeit hinterherrennt, gewinnt Umfragen, aber selten Wahlen. Die CDU kümmert sich zu Recht um ihren Markenkern: Das neue Grundsatzprogramm dokumentiert, was CDU pur ist. Ein Kernpunkt dabei: die Leitkultur. Die inhaltlichen Lähmungen einer permanent unscharfen CDU gehören endlich der Vergangenheit an.
Politikerinnen und Politiker der Union werden dann überzeugen, wenn sie selbst von ihrem Programm überzeugt sind. Das Programm unter dem Titel „In Freiheit leben – Deutschland sicher in die Zukunft führen“ fordert von Funktionären und Mitgliedern zu Recht ein Bekenntnis zur bürgerlichen Vielfalt der Union: christlich-sozial, liberal und konservativ. Ob stärkere Kontrollen an den EU-Außengrenzen, Gender-Verbot in Bildungseinrichtungen oder die Rückkehr zur Kernenergie, die siebzig CDU-Seiten scheuen nicht vor klaren Positionen.
Zeitenwende in der CDU
Vereinzelt wird es inhaltliche Korrekturen zum Programm geben. Der erfolgreichste Basis-Antrag von 750 CDU-Mitgliedern will die Forderung nach mehr Abschiebungen programmatisch festhalten. Die Antragskommission hat bereits zugestimmt, dass ein Satz ergänzt wird: „Wer die Sicherheit unseres Landes genießt, diese aber selbst gefährdet, darf nicht in Deutschland bleiben.” Ein Dutzend Anträge, darunter ein von Frauen initiierter Mitglieder-Antrag, sprechen sich für die Streichung des Wortes „Gleichstellung” aus dem Programm aus. Die Forderung: Ersetze Gleichstellung durch Gleichberechtigung. Die Junge Union unterstützt den Antrag auf dem Bundesparteitag. Zur Begründung heißt es, Gleichstellung muss die CDU „als Identitätspolitik” ablehnen, „denn sie entwertet individuelle Stärken und Kompetenzen”.
Angela Merkel bleibt dem Parteitag indes erneut fern. „Die Partei muss laufen lernen”, hatte die junge Merkel nach 16 Jahren Kanzler Helmut Kohl gefordert. Gleiches gilt heute nach 16 Jahren Kanzlerin Angela Merkel. Wie auch immer die Abstimmungen über einzelne Programmpunkte ausgehen: Der Programm-Parteitag markiert eine Zeitenwende in der CDU.
Ein Parteitagsbeschluss reicht nicht
Mit einem Parteitagsbeschluss ist es freilich nicht getan. Die Inhalte des Grundsatzprogramms gehören in die Welt getragen. Die neue Energie sollte in eine deutschlandweite Mitglieder-Kampagne münden, zum Neuaufbau der Partei von unten nach oben. Denn die CDU hat ein Nachwuchsproblem. Dafür müssten sich CDU, CSU und Junge Union von der Liebe zum Verteilen von Ämtern und Funktionen lösen. Die Grünen machen mit Fridays for Future erschreckend gut vor, wie eine Vorfeldorganisation heute strategisch organisiert wird: nicht als Gremium, sondern als Bewegung. In Österreich hatte es die ÖVP vorgemacht, wie Wahlkämpfe auch auf bürgerlich-konservativer Seite als Bewegung organisiert und gewonnen werden. Daran können sich die deutschen Christdemokraten ein Beispiel nehmen.
Lagerwahlkampf annehmen
Die Union muss den Lagerwahlkampf annehmen: „Berlin feiern, Senat feuern”, so deutlich plakatierte die CDU bei der Berliner Neuwahl zum Abgeordnetenhaus 2021 und gewann. Auch für die Bundestagswahl zeichnet sich ein Lagerwahlkampf ab. Die SPD schürt schon jetzt Ängste mit ihrer vergifteten Friedensrhetorik im Gleichschritt mit AfD, Linkspartei und Bündnis Sarah Wagenknecht. Die SPD-Europawahl-Plakate zeugen von dieser Linie: „Für Maß, Mitte und Frieden”. Die Diffamierung der CDU als Kriegstreiber-Partei im Irak-Krieg sicherte Gerhard Schröder die Wiederwahl zum Bundeskanzler 2002. Der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz wird sich gut daran erinnern. Er war Schröders Generalsekretär.
Auf das Wiederholungsspiel sollte sich die Union nicht einlassen. Die Wahlschlacht wird nicht nur auf außenpolitischem Feld gewonnen. Hier bietet das neue Grundsatzprogramm einen guten Leitfaden für die Argumentation in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Das Grundsatzprogramm ist in vielen politischen Feldern das Kontrastprogramm zur Ampelkoalition: Innen-, wirtschafts- und gesellschaftspolitisch bietet die CDU seriöse Gegenpositionen, vom Heizen bis zum Kiffen.
Die CDU muss halten, was sie verspricht
Das Programm ist wesentlich von der CDU-Parteibasis mitgestaltet worden. Die Türen dafür aufgestoßen hat in ihrer Amtszeit die damalige Generalsekretärin und Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Stellvertretend dafür steht das von ihr initiierte Werkstattgespräch zu Migration, Sicherheit und Integration im Februar 2019. Die damalige Parteivorsitzende wollte nicht weniger, als den „gesamten Prozess der Steuerung und Ordnung der Migration auf seine Wirksamkeit prüfen”. Das war der Beginn der Selbst-Beschäftigung der CDU mit ihrem eigenen Fehlverhalten 2015. Darauf folgt jetzt endlich die Selbst-Korrektur auf dem Bundesparteitag 2024. Friedrich Merz versöhnt mit dem Grundsatzprogramm Parteiführung und Parteibasis miteinander. Doch die CDU sollte heute schon an Morgen denken. Wenn die Union wieder in Regierungsverantwortung ist, muss sie umsetzen, was sie heute verspricht. Denn Politik ist, um es mit Konrad Adenauer zu sagen, „nicht lediglich Methode, Umweg und Ausweg“. Politik muss für die CDU „das Verfolgen von Zielen“ sein.