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Chancengleichheit durch digitale Bildung

Wie KI-basierte Lernsysteme die Zukunft des Unterrichts revolutionieren

Die demografischen Veränderungen der kommenden Jahre stellen unser Bildungssystem vor immense Herausforderungen. Der Einsatz von KI-basierten, adaptiven Lernsystemen kann entscheidend sein, um die Bildungsqualität zu verbessern und Chancengerechtigkeit zu fördern.

Bis Ende der 2020er Jahre werden wir die Auswirkungen des demografischen Wandels massiv zu spüren bekommen. Die geburtenstärksten Jahrgänge der Nachkriegsgeschichte gehen zwischen 2025 und 2030 in Rente, und der ohnehin schon existierende Fachkräftemangel wird sich nochmals verstärken.

In dieser Gemengelage fällt der Bildungspolitik eine zentrale Rolle zu. Denn Bildung sichert unseren Wohlstand. In einer wettbewerbsorientierten Welt bestehen wir nur, wenn wir unseren Kindern die bestmöglichen Startbedingungen bieten – und zwar unabhängig von ihrer sozialen Herkunft.

Unser Bildungssystem beruht in weiten Teilen noch auf Strukturen, die Mitte des 20. Jahrhunderts ersonnen wurden – versinnbildlicht durch die heute noch üblichen Klassenraum-Flur-Schulen. Auch in Sachen digitale Technologien im öffentlichen Sektor, zu dem die Schulen zählen, liegt Deutschland nur im hinteren Mittelfeld.[1]

Während sich öffentliche Debatten über die Digitalisierung an den Schulen immer noch um den Anschluss ans Glasfasernetz oder die mangelnde Versorgung mit digitalen Endgeräten drehen, haben sich Schülerinnen und Schüler – ohne jedwede Anleitung – ihre technologischen Möglichkeiten längst selbst erschlossen. Laut einer aktuellen Studie der Vodafone-Stiftung nutzen bereits zwei Drittel der Schüler beim Lernen KI-Anwendungen. [2] Das tun sie oft unreflektiert, fehlt es ihnen doch an kritischer Begleitung in der Schule. Die aber braucht es, um mündige junge Menschen auszubilden, die für das digitale Zeitalter gewappnet sind.

Der wahre Schatz im System Schule sind jedoch Maßnahmen, die darauf abzielen, das Lernen effizienter zu gestalten. Würde man sie konsequent nutzen, würde sich das Bildungsniveau deutlich erhöhen. Auch weil den Lehrkräften sehr viel mehr Zeit für ihre pädagogischen Kernaufgaben bliebe und weil sie ihre Schülerinnen und Schüler individueller und zielgerichteter begleiten könnten.

Die sich dahinter verbergenden Technologien nennt man adaptive Lernsysteme oder personalisierte Lernumgebungen. Diese KI-basierten Systeme bieten für jeden Schüler maßgeschneiderte Lernumgebungen: Sie passen sich an den individuellen Wissensstand oder den Lernstil eines Schülers an, indem sie Rechenwege oder Spracheingaben kontinuierlich analysieren. Sie modellieren die Aufgabenschwierigkeit und sequenzieren die Lerninhalte, sie können aber auch unmittelbares Feedback geben.[3] Adaptive Lernsysteme haben das Potential, die Bildungsqualität auf ein neues Niveau zu heben und die Chancengerechtigkeit deutlich zu steigern.

„Adaptive Lernsysteme haben das Potential, die Bildungsqualität auf ein neues Niveau zu heben und die Chancengerechtigkeit deutlich zu steigern.“

Jonathan Grunwald

In Zeiten zunehmend heterogenerer Schülerschaften und dem hinreichend belegten Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft ist eines der Hauptargumente für adaptive Lernsysteme, dass sie Lerninhalte auf die Stärken und Schwächen eines jeden Schülers zuschneiden. Traditionelle Lehrmethoden mit einem "One-size-fits-all"-Ansatz decken die unterschiedlichen Bedürfnisse einzelner Schüler in einem Klassenzimmer nur schwer ab. Adaptive Lernsysteme erlauben den Schülern, in ihrem eigenen Tempo zu lernen und dabei passgenau unterstützt zu werden. Individuelle Wissenslücken werden geschlossen, Die Schüler sind motivierter und engagierter. Vor allem das personalisierte und direkte Feedback der KI-Systeme verändert das Lernen grundlegend.[4]

Nehmen wir etwa die Lernsoftware Deutschfuchs, mit deren Hilfe Schülerinnen und Schüler aus nicht deutschsprachigen Familien in sogenannten Willkommensklassen alphabetisiert werden und/oder Deutsch als Zweitsprache erlernen. Die Vorbildung der Schüler ist sehr disparat, und nicht jeder ist zum Lernen gleichermaßen begabt. Diesen so unterschiedlichen Ausgangslagen kann eine Lehrkraft oft nicht gerecht werden. Deutschfuchs passt die Lerninhalte individuell an das Bildungsniveau und an die Herkunftssprache der Schüler an und schlägt maßgeschneiderte Übungsaufgaben vor. Die Lehrkraft unterstützt, dort, wo Probleme auftreten, und kann sehr viel zielgenauer agieren.

Adaptive Lernsysteme entlasten Lehrkräfte in vielfacher Hinsicht: Lernfortschritte werden von der KI permanent überwacht. Der Lehrer weiß, wo der Schüler steht und kann – wenn nötig – gezielt intervenieren. Die Unterrichtszeit wird effizienter genutzt, und Lehrkräfte haben währenddessen Zeit, einzelne Schüler zu fördern.

Genannt sei hier die Software Scobees. Sie analysiert individuelle Lernprozesse und generiert sehr detaillierte visuelle Übersichten über die Lernfortschritte aller Schülerinnen und Schüler. Defizite werden schnell erkannt, und es kann prompt und passgenau geholfen werden. Zudem erkennt Scobees statistische Muster: So werden bei häufig auftretenden Fehlern bereits erprobte Lösungsansätze vorgeschlagen. Solche Anwendungen können in einer sehr großen Menge von Daten Muster erkennen und daraus eine sehr viel größere Zahl an Lernpfaden erzeugen, als es ein einzelner Lehrer vermag.

Ein weiterer Vorteil adaptiver Lernsysteme ist ihre Skalierbarkeit und ihre Flexibilität. Man kann sie in verschiedenen Bildungskontexten einsetzen – von der Grundschule bis zur Universität, und auch danach. Insbesondere in Deutschland, wo lebenslanges Lernen angesichts der sich verändernden Arbeitswelt in aller Munde ist, werden adaptive Lernsysteme künftig eine Schlüsselrolle spielen. Lernende aller Altersgruppen können sich kontinuierlich weiterbilden, um neuen beruflichen Anforderungen gewachsen zu sein.

Um unsere Schulen erfolgreich ins digitale Zeitalter zu transformieren, braucht es nicht nur die entsprechende Software, es braucht auch kundige Lehrerinnen und Lehrer, die in der Lage sind, diese Anwendungen in ihren Unterricht einzubinden. Und angesichts der technologischen Umwälzungen, vor denen wir stehen, werden Lehrkräfte sich lebenslang weiterbilden müssen. Doch weil sie künftig weniger Routineaufgaben zu bewältigen haben, bleibt ihnen mehr Zeit sich fortzubilden.

„Nachdem dank des Digitalpakts I die notwendige Infrastruktur für die Schulen finanziert worden ist, gehört die Software für adaptive Lernumgebungen in den Digitalpakt II.“

Jonathan Grunwald

Der flächendeckende Einsatz adaptiver Lernsysteme könnte das deutsche Bildungssystem von Grund auf verändern. Nach dem schlechten Abschneiden bei PISA, den deutlichen Verschlechterungen, die der IQB-Bildungstrends [5] von 2022 konstatiert hat, und dem bundesweiten Lehrkräftemangel können wir es uns nicht leisten, so offensichtliche Potentiale nicht zu nutzen. Nachdem dank des Digitalpakts I die notwendige Infrastruktur für die Schulen finanziert worden ist, gehört die Software für adaptive Lernumgebungen in den Digitalpakt II, der derzeit verhandelt wird. Allerdings brauchen wir kein langwierig entwickeltes staatliches Produkt, wir brauchen einen funktionierenden Markt für digitale Bildungsprodukte. Und die Schulen brauchen Budgets, um diese Produkte zu kaufen. Es gibt bereits heute für nahezu alle Fächer exzellente Lösungen, viele von ihnen von Startups aus der EdTech-Branche. Man könnte sie zeitnah mit Mitteln aus dem Digitalpakt II ausrollen.

Die Modernisierung unseres Bildungssystem ist kein Sprint, sie ist ein Marathon. Sie wird nur gelingen, wenn wir Prioritäten setzen. Und wir müssen uns einig sein, was uns wichtig ist: unsere Kinder und deren Zukunft.

Landtagsbüro Jonathan Grunwald

Jonathan Grunwald, Jhg. 1983, gehört seit dem 15. Mai 2022 dem Landtag von Nordrhein-Westfalen an und vertritt dort als direkt gewählter Abgeordneter den Wahlkreis 26 (Rhein-Sieg II). Er ist Mitglied in den Ausschüssen für Bildung und Forschung und Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in der Enquetekommission Chancengleichheit in der Bildung. Darüber hinaus leitet er den Landesfachausschuss Bildung der CDU NRW. Grunwald ist Diplom-Volkswirt und lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Bad Honnef.

 

[1] Vgl. https://publicadministration.un.org/egovkb/en-us/Reports/UN-E-Government-Survey-2020

[2] Vgl. https://www.vodafone-stiftung.de/jugendstudie-kuenstliche-intelligenz/

[3] Vgl. https://www.kas.de/de/analysen-und-argumente/detail/-/content/ki-methoden-fuer-konkrete-herausforderungen-in-der-bildung​​​​​​​

[4] Vgl. ebd.

[5] IQB-Bildungstrend - die zehn wichtigsten Ergebnisse - Das Deutsche Schulportal (deutsches-schulportal.de)

 

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