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Deutschland und seine Streitkräfte

Worauf es jetzt ankommt

Für eine nachhaltige Zeitenwende muss sich auch das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft intensivieren. Wie kann dies gelingen und worauf kommt es jetzt an?

In Deutschland gilt das Primat der Politik über das Militär: Vom Volk gewählte Vertreterinnen und Vertreter entscheiden über den Einsatz deutscher Streitkräfte. Das bildet auch die Befehls- und Kommandogewalt ab: In Friedenszeiten liegt sie bei der Bundesministerin der Verteidigung und im Verteidigungsfall beim Bundeskanzler. Bewaffnete Einsätze der Bundeswehr bedürfen grundsätzlich der Zustimmung des Deutschen Bundestages, außer es ist Gefahr im Verzug. Die Bundeswehr war seit geraumer Zeit aus dem Fokus der für sie verantwortlichen demokratisch legitimierten Akteure gerückt. Und auch die Mehrheit der Bevölkerung fühlte sich in ihrer Sicherheit nicht bedroht. Es fehlte an Bewusstsein, wie wichtig eine vollausgestattete Bundeswehr für unsere Gesellschaft ist. Wie erklärt sich dieses bis zum 24. Februar 2022 vorherrschende mangelnde Interesse an den eigenen Streitkräften, und wie verankert man die Bundeswehr in der gesellschaftlichen Mitte?

 

I. Das Verhältnis zwischen Bundeswehr und Gesellschaft

Es ist immer wieder vom sich wandelnden Zeitgeist die Rede. Wir leben, so der Soziologe Andreas Reckwitz, in einer Gesellschaft der Singularitäten. Selbstverwirklichung ist zu einem hohen Gut geworden. Die Bundeswehr steht jedoch immer noch für vermeintlich traditionelle Werte wie Gemeinschaft und Kameradschaft. Wer eine Uniform trägt, kann sich auch äußerlich nicht vom Anderen abgrenzen. Das Bild starrer Besoldungs- und Entgeltgruppen und unflexibler Einstiegs- und Aufstiegsmöglichkeiten schrecken junge Menschen ab. Dass die Bundeswehr mit über 1.000 Berufen vielfältige Möglichkeiten bietet, sowohl in militärischen als auch zivilen Laufbahnen, ist kaum bekannt. Es braucht eine aktive Nachwuchswerbung, die die Diversität der Bundeswehr in den Fokus stellt, und in der junge Menschen sich und ihre Laufbahnen vorstellen. Die jüngsten YouTube-Serien unter dem Titel „Bundeswehr Exclusive“ sind ein guter Anfang.

Die mangelnde gesellschaftliche Wahrnehmung der Bundeswehr ist auch der Aussetzung der Wehrpflicht geschuldet. Dass eine Wehrpflicht heute nicht mehr administrativ umsetzbar wäre und auch keinen militärischen Mehrwert hätte, liegt auf der Hand. Doch es sei daran erinnert, dass bis zum Aussetzen der Wehrpflicht im Jahr 2011 Jahr für Jahr zehntausende junge Männer in die Bundeswehr eintraten.[1] Sie lernten sich über alle sozialen Milieus hinweg kennen, und sie lernten Werte wie Kameradschaft und Zusammenhalt. Und noch wichtiger: Die meisten verbinden diese Zeit mit positiven Erinnerungen, und ihre Erfahrungen haben sie mit der Familie und Freunden geteilt. Jeder in Deutschland hatte einen Verwandten oder Bekannten, der gedient hat. Und so wurde zumindest anekdotisches Wissen über die Bundeswehr in die Gesellschaft getragen. Sollte ein sogenanntes Gesellschaftsjahr eingeführt werden, das als Möglichkeit einen Dienst in der Bundeswehr einschließt, kämen wieder mehr junge Menschen mit ihr in Berührung, und die Wichtigkeit und die Aufgaben von Streitkräften würden in der Bevölkerung wieder stärker wahrgenommen.

Die Wehrpflicht wurde u. a. wegen fehlender Unterbringungs- und Ausbildungskapazitäten ausgesetzt, in den Folgejahren barg die Entscheidung großes Einsparpotential. Doch nicht zuletzt wurde sie auch ausgesetzt, weil man unter dem Eindruck stand, sie sei sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründen. In Deutschland wog man sich in Sicherheit und fühlte sich frei von jeglicher äußeren militärischen Bedrohung. In der Wahrnehmung der deutschen Bevölkerung, aber auch der Bundespolitik gab es keine Bedrohung eines feindlich gesinnten Staates. Krieg oder die Landes- und Bündnisverteidigung waren aus der gesellschaftlichen Diskussion verschwunden. Mit dem 24. Februar 2022 begann sich jedoch die Sicherheitsperzeption eines Großteils der deutschen Bevölkerung zu wandeln: Drei Viertel sehen Russland inzwischen als militärische Bedrohung für Deutschland.[2]

 

II. Gesellschaftliche Zeitenwende

Es braucht eine Zeitenwende! Nicht nur in der Außen-, Sicherheits- und Energiepolitik, sondern auch in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger. Dass Russland inzwischen als Bedrohung für die Sicherheit Europas erlebt wird, kann nur ein Anfang sein. Politikerinnen und Politiker müssen dafür Sorge tragen, dass Soldatinnen und Soldaten wieder wahrgenommen werden. Dass man wahrnimmt, dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, dass sie unsere Freiheitliche Demokratische Grundordnung verteidigen. Menschen in Uniform sind bereit, für unsere Gesellschaft und für unser Land ihr Leben zu geben.

Wenn in den vergangenen Jahren von der Bundeswehr die Rede war, ging es zu oft um Hubschrauber, die nicht fliegen, oder Panzer, die nicht fahren. Präsent waren Soldatinnen und Soldaten, wenn sie Amtshilfe leisteten: im Kampf gegen Corona oder bei der Bewältigung der Flutkatastrophe im Sommer 2021. Ihr Einsatz und ihre Hilfsbereitschaft sind von der Bevölkerung hoch anerkannt worden. Doch es ist nicht die originäre Aufgabe von Streitkräften, im Katastrophenfall zu helfen. 

Und es ging um die Auslandseinsätze der Bundeswehr: Strukturen und Material wurden seit den 2000er-Jahren auf diese Einsätze ausgerichtet.[3] In der öffentlichen Debatte und in den Medien waren die Auslandseinsätze präsent. Und doch gaben in Umfragen nur 25 Prozent der Befragten an, schon einmal von der Resolute Support Mission in Afghanistan gehört zu haben, an der die Bundeswehr immerhin sechs Jahre lang beteiligt war.[4] Eine breite Zustimmung zu den Auslandseinsätzen gab es nie. So sprach sich im vergangenen Jahr zwar eine knappe Mehrheit der Bevölkerung für Stabilisierungsmissionen, aber eine klare Mehrheit gegen Kampfeinsätze der Bundeswehr aus.[5] Viele Deutsche haben sich gefragt, welchem Zweck die Auslandseinsätze dienen und inwiefern sie zur Verteidigung Deutschlands beitragen.

Nun hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine – ähnlich wie der Ost-West-Konflikt – der Notwendigkeit Nachdruck verliehen, eigene Streitkräfte zur kollektiven Verteidigung aufzustellen. Die Folgen dieses Krieges für die Ukraine, für Deutschland und für Europa sind – so tragisch es anmutet – die Gelegenheit, ein gesellschaftliches Umdenken zu befördern.

 

III. Ausblick

Eine Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung bietet die Chance, endlich anzuerkennen, dass es eine einsatzfähige Bundeswehr und eine grundsätzlichere sicherheitspolitische Debatte braucht. Gelingen wird das nur, wenn wir die Bundeswehr und die Notwendigkeit einer einsatzfähigen Bundeswehr in unserer Gesellschaft verankern. Sei es durch eine bessere Informationspolitik über die Aufgaben der Streitkräfte, über flexiblere (Quer-)Einstiegsmöglichkeiten – etwa als Soldatinnen oder Soldaten auf Zeit – oder mittels eines Gesellschaftsjahres. Und wir müssen die Bürgerinnen und Bürger stärker in sicherheitspolitische Debatten einbinden. Schließlich obliegt ihnen – als Souverän der Bundesrepublik – die Verantwortung über den Einsatz der Bundeswehr.

 

[1] Vgl. Statista: Anzahl der Grundwehrdienstleistenden und freiwillig länger Dienstleistenden in der Bundeswehr nach dem Jahr des Diensteintritts von 1990 bis 2009, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/152202/umfrage/entwicklung-der-anzahl-der-wehrdienstleistenden-in-der-bundeswehr-seit-1990/ (letzter Aufruf: 6.7.2022).

[2] Vgl. RND: Umfrage: 74 Prozent der Deutschen befürchten Bedrohung aus Moskau, https://www.rnd.de/politik/putins-krieg-in-der-ukraine-74-prozent-der-deutschen-befuerchten-bedrohung-aus-moskau-QNUKLQJQWQF5XU4B6QWMEBJX3Y.html (letzter Aufruf: 6.7.2022).

[3] Vgl. Glatz, Rainer L./Hansen, Wibke/Kaim, Markus/Vorrath, Judith: Die Auslandseinsätze der Bundeswehr im Wandel, SWP-Studie 7, Mai 2018, S. 11.

[4] Vgl. Graf, Timo: Freundliches Desinteresse als Bilanz? Die Einstellung der Deutschen zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan auf dem Prüfstand. In: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, Heft 14 (2021), S. 411-436, S. 417.

[5] Vgl. Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr: Sicherheits- und verteidigungspolitisches Meinungsbild in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnisse und Analysen der Bevölkerungsbefragung 2021, Forschungsbericht 131, S. 42.

Laurence Chaperon

Von 2017 bis 2021 war Serap Güler Staatssekretärin für Integration
im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen. Von 2012 bis 2017 war sie Abgeordnete des Landtages in Nordrhein- Westfalen. Seit 2012 ist sie Mitglied im Bundesvorstand der CDU Deutschlands

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