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Die sicherheitspolitische Welt zu Gast in Bayern. Die Republik reagiert

Die Münchner Sicherheitskonferenz 2024 im Spiegel der Presse

Die Münchner Sicherheitskonferenz war mit Spannung erwartet worden. Die im Vorfeld geäußerten Hoffnungen erfüllten sich nicht, in der Nachbetrachtung klang in der deutschen Presse eine dezidierte Unzufriedenheit über mangelnde Entschlossenheit an.

Auf einen Blick

›              Vom 16. bis 18. Februar 2024  fand die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC 2024) statt – unter Federführung Christoph Heusgens, ehemaliger Fellow der Konrad-Adenauer-Stiftung. Es war die 60. Auflage des renommierten Treffens.

›            Auch 2024 stand die MSC im Zeichen des russischen Krieges in der Ukraine. Großen Raum nahm die Neuaufstellung der transatlantischen Beziehungen ein, sollte Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt werden. Für die Europäer von besonderem Interesse: die Diskussion um eine gemeinsame nukleare Kapazität und die Spannungsherde im Nahen Osten.

›              Die Presse hatte die Konferenz mit Spannung erwartet, auf ihre Ergebnisse jedoch nur mit verhaltener Begeisterung reagiert. Die Teilnehmer hätten nicht den Eindruck vermitteln können, mit verbindlichem Nachdruck auf die veränderten Zeichen der Zeit zu reagieren. Es bleibe ein Gefühl der Unsicherheit.

›              Begleitend zur Konferenz wurde der Munich Security Report 2024 veröffentlicht. Seine Kernbotschaft: Derzeit sei eine wachsende Entfremdung der Weltgemeinschaft in wirtschaftlicher wie politischer Hinsicht zu beobachten, es haben sich diverse „Lose-Lose-Dynamiken“ entwickelt.

›              Keine Einladungen wurden ausgesprochen:  auf nationaler Ebene an die Alternative für Deutschland (AfD) und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und auf internationaler Ebene an Russland und den Iran.

 

Einleitung

Seit ihrer ersten Tagung im Jahr 1963 hat sich die Münchner Sicherheitskonferenz zu einem der maßgeblichen sicherheitspolitischen Events weltweit entwickelt. Das Treffen in der bayerischen Landeshauptstadt versammelt laut eigener Beschreibung „mehr als 450 hochrangige Entscheidungsträger:innen und prominente Meinungsführer:innen aus der ganzen Welt – darunter Staatsoberhäupter, Minister:innen, Führungspersonen von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen sowie führende Vertreter:innen aus Wirtschaft, Medien, Forschung und Zivilgesellschaft“.[1] Die Konferenz ist in Sachen internationale Sicherheitspolitik eines der wichtigsten Formate weltweit. Angesichts des größten sicherheitspolitischen Umbruchs in Europa seit Ende des Kalten Krieges blickte die Welt auch in diesem Jahr gespannt auf München.

Vorschau

Die historische Genese des Aufstiegs der Sicherheitskonferenz zeichnet Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung nach. Zu Beginn noch ein rein vertrauliches Hinterzimmergespräch, habe sich das Treffen – wohl entgegen der Intention des Gründers Ewald-Heinrich von Kleist („strikt vertraulich, fast geheimbündlerisch“) – zu einem öffentlichkeitswirksamen Ereignis internationalen Ranges entwickelt. Einen besonderen Bedeutungsschub habe es während der Amtszeit des dritten Vorsitzenden Wolfgang Ischinger gegeben, der die Sicherheitskonferenz auf der Weltbühne etablierte.[2]

Als „Münchner Mittler“ bezeichnet Peter Carstens in der FAZ den derzeitigen Vorsitzenden, Christoph Heusgen. Dieser habe sich über lange Jahre seine Meriten auf dem diplomatischen Parkett verdient. Seine „Aufgabe […] ist es in diesen Tagen, neben einer endlose[n] Reihe von Interviews zu den Brennpunkten der Welt von Haiti über Gaza bis zur Krim, hinter den Kulissen als Ermöglicher zu wirken“.[3]

Den entscheidenden Impuls für „eine längst fällige Diskussion über eine effektivere Verteidigungsindustrie“ erhofft sich Lockheed Martin-CEO Jim Taiclet im Handelsblatt von der Tagung. Er plädiert für das „Konzept einer ‚Anti-Fragilität‘ auf die industrielle Basis […], um die Widerstandsfähigkeit gegenüber Schocks zu erhöhen“.[4] Zudem sei „die Einsatzfähigkeit bereits produzierter Plattformen [zu] erhöhen, indem wir digitale Technologien des 21. Jahrhunderts konsequent für die Verteidigungsindustrie nutzen“. Der US-Verteidigungsindustrie empfiehlt er eine bessere Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern.[5]

MSC | X.com

Sehr wahrscheinlich werde die MSC 2024 „das letzte atlantische Rendezvous im Gefühl weitgehender Übereinstimmung“ sein, so Christoph von Marschall im Tagesspiegel. Vor dem Treffen liege „Melancholie und Verzweiflung in der Luft“. Für den Fall eines Trump-Sieges befürchte man das Schlimmste für das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Das dürfe jedoch nicht davon ablenken, dass Europa sich endlich selbstkritisch mit Fragen über die eigene Sicherheit auseinandersetze.[6]

Über den Frieden in Nahost äußert MSC-Vorsitzende Christoph Heusgen im Interview mit Kristina Dunz von der Frankfurter Rundschau: „Wir können als Münchner Sicherheitskonferenz nur die Bühne bieten. Wir können die Hinterzimmer öffnen, dass man dort zusammenkommt.“[7]

Nachberichterstattung

Zwar setze sich langsam die Erkenntnis durch, Europa müsse seine eigenen Sicherheitsanstrengungen umfassend verstärken, doch „commitments are [still] not coming“, schreiben Steven Erlanger und David E. Sanger in der New York Times. Die Stimmung sei dezidiert anders im Vergleich zum Vorjahr, als man Russland am Rande einer strategischen Niederlage wähnte. 2024 seien Panels und Hintergrundgespräche von der Zukunft der US-amerikanischen Militärhilfe dominiert gewesen. Die immer realistischere Gefahr eines russischen Angriffs auf einen baltischen NATO-Staat „did not appear to generate a very urgent discussion of how to prepare for that possibility“. Der französische Analyst François Heisbourg kritisierte ‚les trente paresseuses‘ („30 lazy years of post Cold-War peace dividends“), deren Folgen und Mangelinvestitionen sich nun bemerkbar machten.[8]

„In Munich the mood was fearful and determined rather than panicked“, so der Economist in einem Briefing. Die europäische Munitionsproduktion sei deutlich gestiegen, doch dies komme für die Ukraine vermutlich zu spät. Der mögliche Wegfall der US-amerikanischen Nuklearabschreckung sei „[p]erhaps the hardest capability for Europe to replace“.[9]

„The collective West is almost incapable of translating ‘saying the right things’ into doing the right things”, bilanzierte Sicherheitsexperte Nico Lange in einem Post auf X (ehemals Twitter). „Practical war will not be won with theoretical reflections.”[10]

Nico Lange | X.com

Das Fazit von Clemens Wergin in der Welt klingt verhalten: „[…] [D]er bürokratische, behäbige und prozessorientierte Stil der europäischen Politik scheint der dramatischen Sicherheitslage auf dem Kontinent derzeit nicht wirklich gewachsen zu sein. Dieser Eindruck drängte sich auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz auf.“ Von mehreren Personen wie dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, der ehemaligen schwedischen Premierministerin Magdalena Andersson oder Nico Lange wurde mehr Dringlichkeit in diesem wichtigen Prozess eingefordert.[11]

Die Sicherheitskonferenz habe deutlich gemacht, „dass Europa seine Lektion noch nicht gelernt hat“, kommentiert Nikolas Busse in der FAZ. Er moniert, auch ob der Abwesenheit Emmanuel Macrons und seines Außenministers, „Frankreichs Ausfall als Führungsnation in einer Schicksalsstunde Europas“ sowie die bewusste Tiefstapelei des italienischen Außenministers hinsichtlich der eigenen sicherheitspolitischen Kapazitäten. Ebenfalls bemerkenswert, so Busse: „Keine größere Rolle spielte in München die deutsche Diskussion über einen nuklearen Schutzschirm der Europäer.“[12]

Statista

Auch auf dem Münchner Parkett sei die Ampelkoalition nicht in der Lage gewesen, über die Finanzierung der nationalen Verteidigung mit einer Stimme zu sprechen, berichtet Thorsten Jungholt für die Welt: „Der gemeinsame ‚Military Zeitgeist‘ von SPD, Grünen und FDP endet bei der Frage, wo das Geld für Sicherheit herkommen soll.“ Die Umverteilung von Geldern aus anderen Töpfen könne, wie schon nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts, gesellschaftlichen Unbill auslösen.

Die Münchner Ergebnisse zum Nahostkonflikt fassen Paul-Anton Krüger und Sina-Maria Schweikle in der Süddeutschen Zeitung zusammen: Noch sei wegen sehr unterschiedlicher Grundvorstellungen sei noch unsicher, „ob der Einstieg in einen Verhandlungsprozess überhaupt gelingt“. In der Ampelkoalition sei man einer schnellen Anerkennung Palästinas gegenüber eher abgeneigt. Mehrfach sei zu hören gewesen, „dass die Struktur einer möglichen Vereinbarung mit drei Phasen von allen Seiten akzeptiert worden sei. Umstritten sei die Abfolge der einzelnen Schritte. Keine Seite habe aber bislang die Gespräche aufgekündigt.“[13]

Die Sicherheitskonferenz sei eine „Begegnung mit der Wirklichkeit“ gewesen, meint Peter Carstens in der FAZ. Bundeskanzler Olaf Scholz habe das Format nicht zu seinem Vorteil nutzen können, vielmehr habe er zuvörderst „Enttäuschung“ verbreitet. Er scheine international nicht das Ansehen seiner Vorgängerin Angela Merkel zu genießen. Nicht nur das: „Den Eindruck, dass der Bundeskanzler in München nicht auf der Höhe der Probleme rede, teilen mehrere Minister seines Kabinetts.“[14]

​​​​Stefan Gronimus, geboren 1993 in Bonn, ist studierter Historiker. Er arbeitet als Referent Medienanalyse und -archiv bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Weiterführende Links

Munich Security Report 2024
Podcast Spezial zur Münchner Sicherheitskonferenz (Sicherheitshalber, Länge: ca. 59 Minuten)
Statement António Guterres: 'A Global Order That Works for Everyone': UN Chief at the Munich Security Conference 2024 (United Nations, Länge: ca. 13 Minuten)
Statement Christoph Heusgen: Fazit zur Sicherheitskonferenz in München (BR24, Länge: ca. 6 Minuten)
Interview Wolfgang Ischinger: Münchener Sicherheitskonferenz im Schatten des Krieges in Ukraine (Welt, Länge: ca. 10 Minuten)
Mitschnitte der MSC2024:   
Live: Munich Security Conference 2024 Day 1 (Deutsche Welle, Länge: ca. 7h 3m)
Live: Munich Security Conference 2024 Day 2 (Deutsche Welle, Länge: ca. 11h 55m)
Live: Munich Security Conference 2024 Day 3 (Deutsche Welle, Länge: ca. 4h 39m)
Panel Conversation on Trends in Global Conflict | ACLED at MSC 2024 (ACLED, Länge: ca. 47m)
Panel Fighting Fatigue – Whatever It Takes for Ukraine’s Victory (BR24, Länge: ca. 1h 5m)
Panel In It to Win It: The Future of Ukraine and Transatlantic Security (BR24, Länge: ca. 29 Minuten)
Panel Towards Stability and Peace in the Middle East: De-escalation Challenge (BR24, Länge: ca. 32m)         
Panel The future of Israeli-Palestinian relations | Conflict Zone MSC live debate (Deutsche Welle, Länge: ca. 1h 11m)

 

[1] URL: https://securityconference.org/msc/, letzter Abruf: 19.02.2024.

​​​​​​​[2] Stefan Kornelius: Raus aus dem Hinterzimmer, Süddeutsche Zeitung, 15.02.2024.
[3] Peter Carstens: Münchner Mittler, FAZ, 16.02.2024.
[4] Das Konzept der Anti-Fragilität bedeutet in diesem Kontext für Taiclet „ein stabiles Investitionsniveau, die Diversifizierung von Lieferketten und der Abbau bürokratischer Hürden, die auch kleine und mittlere Unternehmen von einer Teilnahme am Markt abhalten“
[5] Jim Taiclet: Mehr Innovation und Kooperation in der Verteidigungsarbeit, Handelsblatt, 16.02.2024.
[6] Christoph von Marschall: Trumps Schatten über München, Tagesspiegel, 16.02.2024.
[7] Kristina Dunz: “Wir lassen Putin nicht freie Hand“, Frankfurter Rundschau, 17.02.2024.
[8] Steven Erlanger, David E. Sanger: As Putin Threatens, Despair and Hedging in Europa, New York Times, 18.02.2024.
[9] Can Europe defend itself without America?, The Economist, 18.02.2024.
[10] Nico Lange: X,18.02.2024, letzter Abruf: 21.02.2024.
​​​​​​​[11] Clemens Wergin: Der perfekte Sturm über München, Welt, 19.02.2024.
​​​​​​​[12] Nikolas Busse: In Trumps Schatten, FAZ, 19.02.2024.
[13] Paul-Anton Krüger, Sina-Maria Schweikle: Ringen um Frieden, Süddeutsche Zeitung, 19.02.2024.
​​​​​​​[14] Peter Carstens: Begegnung mit der Wirklichkeit, FAZ, 19.02.2024.

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