In Deutschland diskutiert man über fehlende Fachkräfte und technologische Abhängigkeiten. Doch während die Politik nach Strategien sucht, schafft eine neue Generation an den Universitäten Fakten. Am Beispiel des Münchner Studentenvereins Phantum e.V. zeigt sich, wie aus Theorie reale Hochtechnologie wird und warum dieser Geist der Eigeninitiative unverzichtbar ist, wenn Deutschland technologisch souverän sein will.
Deutschland pflegt seit Jahren ein fast schon ritualisiertes Selbstgespräch über die eigenen Defizite: zu langsam, zu bürokratisch, zu risikoscheu. Die Innovationszyklen werden länger, die Talente knapper, und es wächst der Eindruck, dass Zukunftssicherung vor allem eine Frage staatlicher Programme sei. Parallel zu diesen selbstreferentiellen Debatten vollzieht sich an deutschen Hochschulen ein Kulturwandel, getragen von Studierenden, die nicht darauf warten, dass andere ihre Zukunft gestalten. Sie entwerfen, konstruieren und testen Technologien, noch ehe diese in Förderprogrammen oder Gremiensitzungen überhaupt Thema sind.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist Phantum e.V.: ein studentisches Team aus dem Umfeld der Technischen Universität München (TUM). Etwa 70 Studierende aus Luft- und Raumfahrttechnik, Maschinenbau, Informatik, Management und anderen Fachrichtungen entwickeln unbemannte Hochgeschwindigkeitsflugzeuge (UAVs). Der aktuelle Prototyp „Weasel“ ist darauf ausgelegt, in seiner Gewichtsklasse den Geschwindigkeits-Weltrekord zu brechen. Das Nachfolgemodell „Raven“ soll eines Tages sogar die Schallmauer durchbrechen können. Ein Meilenstein, den weltweit bisher kein Studierendenteam erreicht hat.
Solche Projekte sind Leuchttürme. Sie zeigen, was möglich ist, wenn man jungen Talenten Vertrauen schenkt. Zugleich offenbaren sie ein strukturelles Problem der deutschen Bildungslandschaft: die Diskrepanz zwischen exzellenter Theorie und der rauen Praxis technologischer Umsetzung.
Wer an einem Hochgeschwindigkeits-UAV arbeitet, erlebt unmittelbar, wie komplex es ist, aerodynamische und thermische Anforderungen mit Materialwissenschaft, Elektronik und Software in einem einzigen Produkt zu vereinen. In der Werkstatt sind Formeln und Simulationen nicht mehr abstrakt. Sie haben plötzlich unmittelbare Konsequenzen, denn von ihrer Richtigkeit hängt ab, ob das Fluggerät stabil fliegt, oder ob es noch am Boden versagt.
Die Realität: der härteste Lehrmeister
Man lernt, wie schwer es ist, Dinge in der Praxis umzusetzen. Eine am Schreibtisch geplante Projekt-Timeline hält selten dem Realitätscheck stand. Technische Rückschläge, Abstimmungsschwierigkeiten oder Fluktuation in den Teams verzögern die Abläufe.
Besonders lehrreich sind die Momente, in denen die Planung an der physischen Realität zerschellt. So mussten die Phantum-Teams schmerzhaft erfahren, was „Systemintegration“ in der Praxis bedeutet: Im Laufe des Projekts veränderten sich einzelne Komponenten in ihrer Spezifikation und Größe. Ein etwas größeres Ventil hier, eine anders dimensionierte Platine dort und plötzlich passen Tank und Elektronik nicht mehr wie ursprünglich geplant in den Rumpf. Der Grund war kein Fehler im CAD-Modell, sondern ein klassischer Konflikt in der Abstimmung verschiedener Teams, der pragmatische Lösungen unter Zeitdruck erforderte. Hier stoßen Studierende an die Grenzen ihrer akademischen Ausbildung und müssen über sie hinauswachsen.
Doch das Technische ist nur die halbe Wahrheit. Ein Projekt wie Phantum muss man wie ein kleines Unternehmen führen. Es braucht Kenntnisse über Vereinsrecht, Versicherungen, Finanzstrukturen und Sponsoring-Verträge. Wer hier mitarbeitet, lernt Führung nicht aus dem Skript, sondern durch praktische Verantwortung.
Wie zäh solche Prozesse in Deutschland sind, zeigte sich schon in der Gründungsphase: Winzige Formulierungsdetails in der Satzung lösten einen monatelangen Marathon zwischen Notar, Ämtern und Steuerberater aus, bis der Status der Gemeinnützigkeit endlich anerkannt war. Immer wieder entbrennen regelrechte Papierschlachten, wenn es um Konten, Zahlungsmittel oder Bescheinigungen geht. Diese bürokratische Reibungswärme gehört zur Realität des Gründens dazu, ob Unternehmen oder Verein. Sie ist eine Lektion in Frustrationstoleranz, die einem kein Studium vermitteln kann.
Akos Debreczeni
Mitglieder von Phantum e.V. mit dem Windkanalmodell von "Weasel" und Prof. Dr. Fernaß Daoud (Dritter von links) vom Lehrstuhl für Strukturauslegung in der Luft- und Raumfahrt. Sein Lehrstuhl stellte dem Team das entscheidende Startbudget zur Verfügung.
Der Standortfaktor: Privileg und Verpflichtung
Phantum gelingt nur, weil das Projekt in ein leistungsfähiges Ökosystem eingebettet ist. Der Startschuss war nur möglich, weil ein Lehrstuhl der TUM ein Anfangsbudget zur Verfügung gestellt hat. Der TUM Makerspace ist eine High Tech-Werkstatt, die über Maschinen verfügt, ohne die man keine Prototypen bauen kann. Die TUM Venture Labs schaffen Zugang zu Mentoring und Netzwerken. Und Industriepartner stellen neben finanziellem Sponsoring auch Materialien, Fertigungskapazitäten oder Softwarelizenzen zur Verfügung. Carbonbauteile, hochpräzise Elektronik oder professionelle Simulationswerkzeuge sind kostspielig. Ohne dieses Zusammenspiel von Universität, Infrastruktur und Wirtschaft wäre ein Projekt dieser Größenordnung schlicht nicht realisierbar. Das Münchner Modell zeigt exemplarisch, wie stark Hochschulen sein können, wenn sie sich aktiv vernetzen.
Aber ebenso wichtig ist der Teil, den man nicht kaufen kann: intrinsische Motivation. Kein Geld der Welt ersetzt den Willen, an Wochenenden in der Werkstatt zu stehen, Rückschläge auszuhalten und sich eigenständig Wissen anzueignen. Kapital ist der Hebel, aber der Antrieb entsteht im Team selbst.
Sicherheitspolitik beginnt im Hörsaal
In Projekten wie Phantum verbindet sich die Arbeit von Studierendenteams mit der großen politischen Linie seit der Zeitenwende. Die sicherheitspolitische Debatte konzentriert sich oft auf Sondervermögen und die Befähigung der Bundeswehr. Doch die Grundlage moderner Sicherheit liegt tiefer: in technologischer Souveränität, in der Fähigkeit eines Landes, kritische Technologien selbst zu verstehen und zu entwickeln.
UAV-Technologie ist das klassische Beispiel einer Dual-Use-Technologie. Ihre Bedeutung ergibt sich nicht aus ihren militärischen Anwendungen, sondern aus dem Kompetenzerwerb, den sie erzwingt: Systemintegration, Sensorik, Materialverarbeitung, Softwareentwicklung. All das sind Fähigkeiten, die für Energie, Mobilität, Luft- und Raumfahrt oder Robotik ebenso relevant sind wie für die Verteidigung.
Wenn wir uns fragen, wer die Innovationsfähigkeit unseres Landes in zehn oder zwanzig Jahren verantworten wird, lautet die Antwort: genau diese jungen Menschen, die früh gelernt haben, komplexe Technologien bis ins Detail zu durchdringen, anstatt sie nur als fertiges Importprodukt zu übernehmen.
„Diese Generation möchte nicht auf die Erlaubnis warten, die Zukunft zu gestalten. Sie will einfach damit anfangen. Und genau darin liegt eine der hoffnungsvollsten Nachrichten für den Standort Deutschland.“
Lennart Bäker
Projekte wie Phantum machen deutlich, dass eine echte Zeitenwende nicht nur Geld, sondern vor allem mehr Kompetenzaufbau verlangt. Deutschland verfügt über exzellente Forschung. Doch es braucht mehr Orte, an denen Studierende lernen können, diese Forschung praktisch umzusetzen. Orte des „Hands-on-Lernens“, in denen man scheitern darf, um am Ende besser zu werden.
Wir brauchen eine Bildungs- und Innovationspolitik, die diese Räume nicht als glückliche Ausnahme betrachtet, sondern sie zum Standard erhebt. Eine Politik, die Bürokratie reduziert, Kooperationen erleichtert und studentischen Initiativen zutraut, technische wie organisatorische Verantwortung zu tragen. Denn die Innovationskraft in Deutschland ist lebendig. Sie sitzt nicht nur in Forschungsinstituten, sondern bereits heute in studentischen Werkstätten und Makerspaces.
Diese Generation möchte nicht auf die Erlaubnis warten, die Zukunft zu gestalten. Sie will einfach damit anfangen. Und genau darin liegt eine der hoffnungsvollsten Nachrichten für den Standort Deutschland. Unsere Aufgabe ist es, dass wir es jenen, die wollen, so leicht wie möglich machen.
privat
Lennart Bäker, geboren 2001 in Dannebertg (Elbe), studiert Management & Technology (M.Sc.) an der TU München. Er ist Head of Management & Operations beim studentischen Hochtechnologie-Projekt Phantum e. V., dessen Arbeit er in diesem Beitrag beleuchtet. Neben seinem Studium sammelte er Erfahrungen in der Unternehmensberatung und Industrie (u. a. Porsche Consulting, Rohde & Schwarz) und engagiert sich politisch in der Jungen Union für bessere Rahmenbedingungen am Innovationsstandort Deutschland.